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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 10 Antworten
und wurde 827 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.12.2008 18:28
Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Kein "Aufgehren der Jugend". Sondern Krawalle der üblichen Krawallmacher.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

13.12.2008 02:29
#2 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Hallo Zettel,

ohne jetzt zum Thema auch nur irgendetwas Konstruktives beitragen zu können, möchte ich mich an dieser Stelle mal flugs für ihr Engagement bedanken. Wenn bei mir die Nachrichtenlage absolut nicht mit meinem "gefühlten Wissen" übereinstimmt, finde ich in ZR früher oder später einen Beitrag dazu, der mich erhellt.

Vielen Dank dafür.

Beste Grüße, Calimero

P.S. Randalierer sollte man wegfangen und zu Schadenersatz verknacken. Kein, wie auch immer empfundenes, Ungemach rechtfertigt die Zerstörung von Eigentum, wem auch immer es gehört. Das hat einfach etwas mit Respekt zu tun ... so funktioniert menschliches Miteinander.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.12.2008 11:11
#3 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Lieber Calimero,

Ihre Rückmeldung hat mich gefreut. Mir geht es oft auch so: Ich habe den Verdacht, daß an den Klischees, die man überall hört und liest, etwas nicht stimmt. Dann versuche ich, herauszufinden, wie es denn ist, und es wird vielleicht ein Artikel daraus.

Dieses Klischee, daß immer dann, wenn irgendwo Randale ist, irgendwelche schlimmen sozialen Probleme dahinterstecken, ist ebenso falsch wie in der Linken fest verwurzelt.

Dahinter steckt, glaub ich, die Vorstellung, daß Krawallmachen nicht etwa lustvoll ist, sondern sozusagen ein Akt ultimativer Verzweiflung.

Und dann kommt natürlich hinzu, daß man durch diese Interpretation oft eine konservativen Regierung in ein schlechtes Licht rücken kann, wie jetzt die von Karamanlis oder damals in Frankreich, als es angeblich einen "Aufstand der Banlieue" gegeben hat, die Chiracs mit dem damaligen Innenminister Sarkozy.

Herzlich, Zettel

Omni Offline



Beiträge: 255

13.12.2008 14:37
#4 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten
Ein Linker und ein Rechter kommen an einem Bettler vorbei. Der Linke "Schau dir den armen Kerl an. Die Gesellschaft hat ihm keine Chance gelassen. Er hat nicht ins Raster gepasst, ist durchs Netz gefallen. Jetzt sitzt er in der Gosse. Wir sollten uns schämen". Der Rechte antwortet "Ach was, der ist doch bloß faul. Hat nichts gelernt, nie was geleistet. Und jetzt will er auch noch, dass wir ihn durchfüttern. Der sollte sich schämen".

Wo der Linke immer nur strukturelle Ursachen sieht, sieht der Rechte immer nur persönliches Fehlverhalten. Deswegen begegne ich Ihrer Deutung, die Proteste in Griechenland seien lediglich auf ein paar Idioten, die mal Krieg spielen wollen, zurückzuführen, genauso kritisch wie der linken Deutung, dass die Gesellschaft mal wieder an allem schuld sei. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Hoffentlich.
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.12.2008 15:15
#5 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Zitat von Omni
Wo der Linke immer nur strukturelle Ursachen sieht, sieht der Rechte immer nur persönliches Fehlverhalten.

Nein, das glaube ich nicht, lieber Omni.

"Der Linke" - wenn wir ihn uns einmal als einen Protoypen vorstellen wollen - sieht persönliches Fehlverhalten, wenn er zum Beispiel die "Gier der Manager" verurteilt. Er sieht persönliches Fehlverhalten bei George W. Bush, bei Neonzis, bei Polizisten, denen Übergriffe vorgeworfen werden. Er sieht es bei Steuerhinterziehern, die ihr Geld nach Liechtenstein geschafft haben, er sieht es habituell bei allen, die reich oder mächtig sind.

Die Welt "des Linken" ist geradezu angefüllt mit persönlichem Fehlverhalten, das er überall wittert. Bis hin zu den absurdesten Verschwörungstheorien wie der Vermutung, der CIA stecke hinter den Anschlägen des 11. September.

Und vor allem macht er, "der Linke", ja persönliches Fehlverhalten für die Verbrechen des Sozialismus verantwortlich. Nicht etwa die Rechtlosigkeit, die dem Sozialismus eigen ist, war für "den Linken" für die Verbrechen des Sowjetkommunismus verantwortlich, sondern Stalin persönlich. Auch die Armut und Unterdrückung in der DDR hatte für "den Linken" keineswegs ihre Ursache in strukturellen Faktoren - nämliich in der strukturellen Unfähigkeit des Sozialismus, Freiheit zuzulassen und Wohlstand zu schaffen-, sondern in Fehlentscheidungen der Führung

Strukturelle Ursachen sieht "der Linke" nur dann, wenn es um den Kapitalismus geht. Manager sind für "den Linken" verantwortlich für ihr Verhalten und sollen zur Verantwortung gezogen werden. Wer Steine wirft und zündelt, der ist dagegen entwerder ein armes Opfer der Verhältnisse oder ein Kämpfer für die Freiheit; oft auch beides.
Zitat von Omni
Deswegen begegne ich Ihrer Deutung, die Proteste in Griechenland seien lediglich auf ein paar Idioten, die mal Krieg spielen wollen, zurückzuführen, genauso kritisch wie der linken Deutung, dass die Gesellschaft mal wieder an allem schuld sei.

Ich halte diese Leute nicht für Idioten. Es sind Kriminelle.

Es sind Kriminelle, denen man Freiräume eingeräumt hat; aus einer Schwäche des Staats heraus. Das ist in Athen nicht anders als in einem Teil der französischen Banlieue, in den sich die Polizei allenfalls im Konvoi hineintraut. Auch dort - der Nouvel Observateur hat das schon vor Jahren berichtet - herrschen mafiöse Zustände wie bei uns im Rotlicht-Milieu. Es gibt strenge Hierarchien, Übeltäter werden intern "abgeurteilt".

Natürlich hat das strukturelle Ursachen. Sie reichen über schlechte Führung und schlechte Bewaffnung der Polizei hinaus.

Daß die deutsche autonome Szene eine solche kriminelle Energie entwickeln kann wie zB in Rostock und vor Heiligendamm und kürzlich in Köln, als sie zeitweilig faktisch Polizeigewalt an sich gerissen hat, liegt wesentlich daran, daß sie über die Schiene der PDS, der "Antifa" usw. beste Verbindungen in die Politik hinein hat; das ist exakt wie bei der italienischen Mafia.

Und daß das geduldet wird, zeigt - wiederum wie bei der Mafia -, daß mit der Gesellschaft etwas nicht in Ordnung ist. Wenn in Köln ein Oberbürgermeister sogar von der CDU sich hinstellen konnte und es begrüßen, daß eine legale Veranstaltung durch Politkriminelle mit Gewalt verhindert wurde, dann zeigt das, wie weit der Verlust an rechtsstaatlichem Denken sich schon in die "Mitte der Gesellschaft" hineingefressen hat.

Das ist in der Tat ein strukturelles Problem, lieber Omni.

Herzlich, Zettel

conrad Offline



Beiträge: 89

13.12.2008 16:29
#6 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten
Lieber Zettel,

ich lese schon seit Wochen in diesem Blog. Aber heute ist es das erste Mal, dass ich mich traue hier etwas zu schreiben. Ich bin leider nicht so eloquent, wie manch andere Schreiber hier.

Aber zurück zum Thema, ich finde, lieber Zettel, dass Sie in einem relativ kurzen Beitrag alles gesagt haben, was es zu diesem Thema zu sagen gibt. Sie haben es genau auf den Punkt gebracht.
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.12.2008 20:48
#7 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Willkommen, lieber Conrad, im "kleinen Zimmer"!

Ich freue mich auf Ihre Beiträge. Was die Eloquenz angeht - das ist ja so eine Sache. Vorhin hat Llarian geschrieben, wie er den eloquenten Gysi erlebt hat.

Herzlich, Zettel

Abraham Offline



Beiträge: 174

14.12.2008 10:28
#8 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Lieber Zettel,

Ihren Vergleich des griechischen Staats mit einem schwachen Lehrer, mit dem die Schüler Schlitten fahren, finde ich sehr treffend. Auch ich habe das Interview mit Kelpanides mit großem Interesse gelesen. Es war meiner Ansicht nach der beste Beitrag, der zu dem Thema in deutschen Zeitungen erschienen ist. Meiner Ansicht nach erfassen die Auszüge aus dem Interview, die Sie ausgewählt haben, aber nicht den Kern des Problems, wie ihn Kelpanides sieht: die meisten Bürger Griechenlands sehen Staat und Gesellschaft nur "aus der Ameisenperspektive", wie Kelpanides sagt. Nur wenige fragen, welchen Nutzen oder Schaden für die Allgemeinheit ihr Verhalten hat. Jeder stellt Forderungen an denn Staat, keiner fragt, was er für den Staat tun kann. Ein "Anspruchsgesellschaft" nennt Kelpanides das. Die Regierug (egal ob links oder konservativ) wird von den anderen Parteien und von den Medien angegriffen, egal was sie tut. Ebenso ergeht es der Polizei. Es gibt keine Koalitionen zur Lösung von Problemen, wie das z. B. in Deutschland doch öfters der Fall ist. Eine Staatsraison existiert nicht. Nach Ansicht von Kelpanides (dem ich auch aus meiner persönlichen Erfahrung mit Griechenland) voll und ganz zustimme, haben also die Probleme letztlich kulturelle Ursachen.

Kelpanides wurde in dem FAZ-Interview nicht gefragt, wie denn diese kulturelle Besonderheit Griechenlands zu erklären sei. Ich weiß natürlich nicht, ob er mir zustimmen würde. Meiner Ansicht nach ist die Kultur einer Gesellschaft in der Regel auf drei Grundfaktoren zurückzuführen: Religion, Geografie unhd Geschichte. Die Eighenheit Griechenlands versteht man vielleicht am besten, wenn man sie mit dem (im Rahmen der christlichen Welt) glatten Gegenteil vergleicht, nämlich mit den USA. Die USA ist ein sehr stark protestantisch geprägtes Land. Der Protestantismus fordert vom Individuum, sich in der Welt zu bewähren, Nützliches für die Gesellschaft zu tun. Ein Musterbeispiel ist Benjamin Franklin, der sich von der Straßenreinigung bis zur Verfassung auf vielen Ebenen für seine Gesellschaft engagiert hat. Griechenland wird kaum eine solche Person hervorbringen, dafür aber z. B. hervorragende Schriftsteller und Dichter wie Katzanzakis. Das orthodoxe Christentum, die Religion Griechenlands, fördert eine Kultur der Innnerlichkeit. Hinwendung zu Gott, zum Spirituellen, wird gefordert, nicht zum Engagement in der Welt. Auch wennn die Griechen heute nicht mehr so religiös sind wie früher, bleiben grundlegende Verhaltensweisen bestehen. Der Einzelne kümmert sich um seine Familie, seine Freunde, aber nicht um Staat und Gesellschaft. Die Geschichte des Landes tat ein Übriges. Geografisch höchst problematisch positioniert war Griechenland in seiner Geschichte seit dem Ende des Byzantinischen Reichs besetzt und umkämpft (auch in dieser Hinsicht das glatte Gegenteil der USA). Auf den Staat konnte man nicht bauen. Er stand dem Einzelnen als eine fremde und bedrohliche Macht gegenüber, nicht als Institution, für die man seine eigenen Kräfte einsetzen würde. Die positive Seite dieser Gesellschaft ist im Privaten zu finden, in der Gastfreundschaft und in der Bereitschaft, schnell enge persönliche Beziehungen einzugehen. Wer einmal in Griechenland seinen Urlaub verbracht hat und ein bisschen offen war für die Mennschen, hat das meistens selbst erfahren. Die Geografie hatte auch eine positive Wirkung auf die griechische Kultur. Sie hat die Menschen seit der Antike zu Seefahrern und weltoffenen Menschen gemacht. Es ist zu hoffen, dass dies den Griechen in Zukunft helfen wird, ihre sehr ernsten kulturellen Entwicklungshindernisse zu überwinden.

Beste Grüße,

Abraham

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.12.2008 12:01
#9 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Zitat von Abraham
Meiner Ansicht nach erfassen die Auszüge aus dem Interview, die Sie ausgewählt haben, aber nicht den Kern des Problems, wie ihn Kelpanides sieht: die meisten Bürger Griechenlands sehen Staat und Gesellschaft nur "aus der Ameisenperspektive", wie Kelpanides sagt.

Da haben Sie vollkommen recht, lieber Abraham. Bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung dazu, wie ich solch einen Artikel schreibe: Ich gucke, ob es einen interessanten Aspekt gibt, der in den meisten Medien nicht beachtet wird. Wenn ich recherchiert habe und sich ein solcher Aspekt gefunden hat, dann rankt sich der Artikel sozusagen um diesen einen Aspekt.

Das geht nicht anders, weil ich ja nicht, wie ein Redakteur der "Zeit" oder des "Spiegel", für einen Artikel ein paar hundert Zeilen zur Verfügung habe. Hier war dieser Aspekt, daß die Krawalle nicht Perspektivlosigkeit zur Ursache haben, sondern mangelnde Durchsetzung von Recht und Ordnung. Das andere, was Kelpanides sagte, fand ich auch sehr interessant, aber es hätte den Artikel nicht nur zu lang gemacht, sondern er hätte dann auch keine ordentliche Struktur mehr gehabt.
Zitat von Abraham
Nur wenige fragen, welchen Nutzen oder Schaden für die Allgemeinheit ihr Verhalten hat. Jeder stellt Forderungen an denn Staat, keiner fragt, was er für den Staat tun kann. Ein "Anspruchsgesellschaft" nennt Kelpanides das. Die Regierug (egal ob links oder konservativ) wird von den anderen Parteien und von den Medien angegriffen, egal was sie tut.

Es ist dieselbe Mentalität wie in anderen Ländern, die lange zum Osmanischen Reich gehörten. Man hat den Staat, die Obrigkeit eben jahrhundertelang nur als Ausbeuter erlebt, und als korrupt dazu. (Beim Zarenreich war es ähnlich).
Zitat von Abraham
Die Eighenheit Griechenlands versteht man vielleicht am besten, wenn man sie mit dem (im Rahmen der christlichen Welt) glatten Gegenteil vergleicht, nämlich mit den USA. Die USA ist ein sehr stark protestantisch geprägtes Land. Der Protestantismus fordert vom Individuum, sich in der Welt zu bewähren, Nützliches für die Gesellschaft zu tun. Ein Musterbeispiel ist Benjamin Franklin, der sich von der Straßenreinigung bis zur Verfassung auf vielen Ebenen für seine Gesellschaft engagiert hat. Griechenland wird kaum eine solche Person hervorbringen, dafür aber z. B. hervorragende Schriftsteller und Dichter wie Katzanzakis. Das orthodoxe Christentum, die Religion Griechenlands, fördert eine Kultur der Innnerlichkeit. Hinwendung zu Gott, zum Spirituellen, wird gefordert, nicht zum Engagement in der Welt.

Mir leuchtet ein, lieber Abraham, daß das auch eine Rolle spielt. Andererseits habe ich eigentlich nicht den Eindruck, daß Weltfremdheit zur griechischen Mentalität gehört. Ganz im Gegenteil. Die Griechen, die ich kenne, sind sehr lebenspraktische Leute.

Nur sehen sie den Staat als Ausbeuter und sind von daher "links", ohne wirklich sozialistisch zu sein. Steuerhinterziehung ist Volkssport - eben meines Erachtens aus der Zeit des Osmanischen Reichs. Viele machen das leider auch in Deutschland; allein in unserer Stadt kenne ich zwei Gastronomen, die deshalb in den Knast wanderten. Einer davon der gehobenen Kategorie, eines der besten Lokale der Stadt.
Zitat von Abraham
Auf den Staat konnte man nicht bauen. Er stand dem Einzelnen als eine fremde und bedrohliche Macht gegenüber, nicht als Institution, für die man seine eigenen Kräfte einsetzen würde.

Ja, genauso sehe ich das auch.

Danke für diesen schönen Beitrag! Sie schreiben zwar (leider) nur selten, aber immer sehr lesenswert.

Herzlich, Zettel

Abraham Offline



Beiträge: 174

14.12.2008 15:06
#10 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Lieber Zettel,

es freut mich, dass Sie meinen Beitrag nicht ganz nutzlos fanden. In einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen. Ich glaube dass die griechische Enthaltsamkeit beim Engagement für Staat und Gesellschaft in erster Linie auf die Religion zurückzuführen ist und dass die Geschichte der Fremdherrschaft und Unterdrückung diese Tendenz nur gefördert hat, aber nicht die Ursache Nummer eins ist. Die meisten Griechen fühlen sich nicht nur dem Staat gegenüber kaum zu eigenem Einsatz verpflichtet, sondern allgemein gegenüber der Gesellschaft, die über den eigenen Kreis von Verwandten und Freunden hinausgeht. Jeder Griechenland-Reisende kann das z. B. an dem Umgang mit Müll sehen, der irgendwo in die Landschaft gekippt wird. Wesentlich ist in diesem Fall nicht so sehr, wozu die Religion den Menschen auffordert, sondern was sie NICHT von ihm verlangt. Für den orthodoxen Gläubigen ist die religiöse Pflicht schon getan, wenn er sich hin und wieder in einnen abgegrenzten Raum des Heiligen begibt, an den rituellen Handlungen teilnimmt und sich spirituell dem Göttlichen zuwendet. Ein gesellschaftliches Engagement ist nicht gefordert, abgesehen von dem allgemeinen Gebot der Nächstenliebe. Die orthodoxe Kirche selbst ist - ganz im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche und erst recht zu den protestantischen Kirchen - so gut wie gar nicht sozial engagiert. Es gibt meines Wissens kaum Gegenbeispiele. Darum fehlt den Menschen dieser Kultur eine entscheidende Antriebsfeder, "Gutes" für Gesellschaft und Staat zu tun. Das hat mit Weltfremdheit nichts zu tun. Im Gegenteil, diese Einstellung lässt viel Spielraum dafür, dass man sich für sich selbst und für den engeren Kreis von Familie und Freunden mit Geschick ins Zeug legt. Die griechische Tradition von Seefahrt und Handel (Folge der Geografie) fördert zudem - wie schon erwähnt - Weltoffenheit. Im Gegensatz dazu gibt es für einen Menschen, der stark von protestantischer Tradition geprägt ist, keinen abgegrenzten Raum des Heiligen. Der Alltag gilt als entscheidender Ort christlichen Verhaltens. Luther sprach "vom weltlichen Beruf des Christen". Während es für die Orthodoxie eine Zwei-Stufen-Ethik (Priester/Gläubige) gibt, existiert so etwas für Protestanten nicht. Der Anspruch an das Individuum wird damit drastisch verschärft. Eine "Rationalisierung der Lebensführung" (Max Weber)soll ihn zu einem erfolgreichen Leben befähigen. Der Erfolg soll ihm selbst, seiner Familie aber auch der ganzen Gesellschaft zu Gute kommen. Welche enorme Kraft solche religiösen Überzeugungen entwickelnn können, sieht man an der Geschichte der USA (wie schon erwähnt) oder auch am Wirken evangelikaler Gruppen in vielen Teilen der der Welt. Eine vergleichbare Kraft geht von der Orthodoxie eben nicht aus. Immerhin hält die Orthodoxie die Menschen auch nicht direkt davon ab, das individuelle Leben, Gesellschaft und Staat nach Vernunftkriterien zu gestalten, im Gegensatz zum Islam. Darum waren die Griechen den Türken im osmanischen Reich wirtschaftlich überlegen und haben insbesondere den Seehandel weitgehend beherrscht.

Beste Grüße,

Abraham

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

15.12.2008 11:51
#11 RE: Was ist eigentlich in Griechenland los? Antworten

Vielen Dank für diese Beiträge - sehr überzeugend.

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