Sie gehen immer davon aus, dass jeder genau wisse, auf was er sich einlasse, wenn er einer Partei beitritt. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Als ich noch Student war, hatte ich einmal die Gelegenheit einen Vortrag von Gregor Gysi zu hören. Und wissen Sie was ? Der war klasse. Es hat (damals) richtig Spass gemacht ihm zuzuhören, der man ist ein durchaus nicht unbegabter Redner. Und viele fallen auf so etwas herein. Ich kenne persönlich eine ganze Reihe Menschen, die ich teilweise zu meinen Freunden zähle, die durchaus für linkes Gedankengut emfänglich sind. Keiner von denen würde sich dem diktatorischen Marxismus unterwerfen wollen. Aber diese Gleichung: Links=Kommunistisch ist nicht jedem bewusst und so treten solche Leute dann tatsächlich solchen Parteien bei. Ich glaube manchmal, es geht auch gar nicht ohne, da der wirkliche Bodensatz der Kommunisten, sprich Stalinisten, die sich ihrer Ziele und Konsequenzen voll bewusst sind, massenmässig gar nicht so gross ist. Ich kann jedenfalls verstehen, dass sich manche jetzt wundern, dass sie mit Flöhen aufwachen. Sie haben die einfach vorher nicht gesehen.
Natürlich ist Gysi neben Westerwelle einer der besten Redner der deutschen Politischen Landschaft.
Wenn jetzt die WASG im Bett der PDS aufacht und von den Kadern dort über den Tisch gezogen wird, dann passiert genau das, was kritische Stimmen seinerseits angemerkt haben. Die Kaderpartei SED-PDS übernimmt einen Teil des linken SPD-Flügels, Gewerkschaftler und Idealisten für die Westausdehnung.
Das hat man damals gesehen, aber nicht hören wollen.
Der SPD kann man vorwerfen, dass sie verpasst hat, eine innerparteiliche Debatte über die Agenda voranzutreiben, oder Kohl dass er 1990 sich nicht vom BRD-Sozialstaat im Sinne der Reagonomics, Thatcherism oder des damals oft zitierten New Zealand verabschiedet hatte. Damals ging es uns halt noch zu gut - Schröders Agenda muss man wohl in diesem Zusammenhang sehen, wenn auch 20 Jahre nach Thatcher oder Reagon und weit weniger radikal.
Deshalb ist ja in einem sozialistischen Rausch die WASG entstanden. Und jetzt in der Realität einer Kommunistischen Partei angekommen.
Zitat von LlarianSie gehen immer davon aus, dass jeder genau wisse, auf was er sich einlasse, wenn er einer Partei beitritt. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Als ich noch Student war, hatte ich einmal die Gelegenheit einen Vortrag von Gregor Gysi zu hören. Und wissen Sie was ? Der war klasse. Es hat (damals) richtig Spass gemacht ihm zuzuhören, der man ist ein durchaus nicht unbegabter Redner.
Gysi zum letzten Vorsitzenden der SED zu machen (wer weiß überhaupt noch, daß er das war?), war ein letzter schlauer Schachzug der DDR-Machthabenden vor derem Ende.
Das war ungemein weitblickend. Wie Gysi plötzlich Vorsitzender werden konnte, obwohl noch nicht einmal Mitglied des ZK, geschweige denn des Politbüro, ist meines Wissens immer noch unaufgeklärt. Er war ein wichtiger Vertrauensmann des ZK, natürlich. Aber trotzdem war sein Aufstieg sensationell.
Er war der richtige Mann für die Zeit nach dem Ende der DDR. Kein Apparatschik. Ein charmanter Bolschewik, aus altem kommunistischem Adel. Absolut linientreu, aber ohne daß er seine Linientreue ständig vor sich hertrug wie eine Monstranz.
Zitat von Llarian Ich kenne persönlich eine ganze Reihe Menschen, die ich teilweise zu meinen Freunden zähle, die durchaus für linkes Gedankengut emfänglich sind. Keiner von denen würde sich dem diktatorischen Marxismus unterwerfen wollen. Aber diese Gleichung: Links=Kommunistisch ist nicht jedem bewusst und so treten solche Leute dann tatsächlich solchen Parteien bei.
Genau das ist der Trick der Kommunisten. Sie appelieren an "das Gute im Menschen" - Gerechtigkeitsgefühl, Solidarität, die Hoffnung auf ein besseres Leben für alle. Sie beuten diese Motive aus für ihr Streben nach Errichtung einer Dikatur. Und Generation nach Generation fällt darauf herein.
Schon nach dem Sieg Lenins hat es diesen "Revolutionstourismus" gegeben von Leuten wie André Gide, die begeistert über den Kommunismus berichtet haben. Seither gelingt es den Kommunismus immer wieder, den Leuten ein X für ein U vorzumachen. Es gelingt ihnen, weil sie ohne Hemmungen lügen und täuschen.
Wie eben gegenwärtig diese Partei, die sich nach innen verfassungstreu gibt und die international mit Linksextremen, mit jeder revolutionären Partei, die sich ihnen anbietet, kollaboriert.
Zitat von DagnyDeshalb ist ja in einem sozialistischen Rausch die WASG entstanden. Und jetzt in der Realität einer Kommunistischen Partei angekommen.
Ob die WASGler, die der Vereinigung zugestimmt haben, sich einbildeten, sie könnten sich gegen die Kommunisten behaupten, weiß ich nicht, liebe Dagny.
Vielleicht dachten manche wirklich, die PDS sei nicht mehr die SED. Anderen, wie Lafontaine, dürfte es nur um die Macht gegangen sein. Viele werden wohl schon in der SPD Kommunisten gewesen sein und warteten nur auf die Gelegenheit, die Seite zu wechseln.
Sie betreiben hier, Zettel, eine stringente Schlußfolgerung, die nur an einem Problem krankt: Ihre Voraussetzungen sind falsch.
Es hat sich hier niemand mit einer lenistischen Kaderpartei vereinigt, die es übrigens nach dem deutschen Parteiengesetz auch nicht geben darf.
Die KPD war vor 1946 eine lenistische Kaderpartei, die SED ist es bald nach der Vereinigung wieder geworden ("Umformung zur Partei neuen Typs").
Die PDS dagegen war keine leninistische Partei mehr, weder gemäß ihrem Parteistatut noch de facto, denn sonst wären solche Vereine wie die "Kommunistische Plattform" als Fraktionsbildung nicht zulässig gewesen.
Was natürlich nicht heißt, daß leninscher Geist nicht weiterwirkte, schließlich waren die Parteimitglieder davon geprägt. Aber daß es bewußten und organisierten Lenismus gegeben hätte, ist eher Ihre fixe Idee, lieber Zettel, als die Realität.
Dieser Geist wirkt natürlich auch nach der Vereinigung mit der WASG nach. Aber nun so zu tun, als ob die WASGler hätten wissen müssen, worauf sie sich einließen, ist nicht vertretbar. Die WASG hat sich unter den Voraussetzungen des deutschen Parteiengesetzes mit einer anderen linken, sozialistischen Partei vereinigt, nicht mit einer leninistischen Partei. (Den Fehler den man dabei gemacht hat ist allerdings sich vorbei von Herrn Lafontaine übernehmen zu lassen.)
Ich sehe auch nirgendwo ausgesagt, daß die hier betroffene hessische Parteispitze allesamt leninistische Ex-PDS'ler wären und die sich beklagende Basis allesamt WASG'ler.
Über den beleidigenden Vergleich am Ende gehe ich mal hinweg.
PS. Da fällt mir grade ein, es wurde auch schon in anderen, definitiv nicht-lenistischen Parteien bespitzelt.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
str1977
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14.12.2008 15:44
#8 RE: KKK: Wer gegen wen in der hessischen "Die Linke"?
[quote="Zettel"Gysi zum letzten Vorsitzenden der SED zu machen (...), war ein letzter schlauer Schachzug der DDR-Machthabenden vor derem Ende.
Das war ungemein weitblickend. Wie Gysi plötzlich Vorsitzender werden konnte, obwohl noch nicht einmal Mitglied des ZK, geschweige denn des Politbüro, ist meines Wissens immer noch unaufgeklärt. Er war ein wichtiger Vertrauensmann des ZK, natürlich. Aber trotzdem war sein Aufstieg sensationell.[/quote]
Das ist ja eine schöne Verschwörungstheorie! Wer waren denn diese ominösen Machthaber der DDR? Leute wie Egon Krenz? Wohl nicht, denn der wurde ja damals eben abgelöst. Honnecker & Co. noch weniger, denn die hatte man aus der Partei ausgeschlossen. Leute aus der zweiten Reihe wie Hans Modrow dann schon eher. Nur kann ich dabei überhaupt nichts finsteres-verschwörerisches sehen.
In Antwort auf:(wer weiß überhaupt noch, daß er das war?)
Wer wüßte es nicht? Gysi war erster Vorsitzender der SED-PDS und dann der PDS, somit letzter Vorsitzender unter dem Namen PDS - Generalsekretär war er aber wohlweißlich nicht, auch ein ZK gab es unter ihm nicht mehr. Dies alles im Zuge der von Ihnen geleugneten Umorganisation.
In Antwort auf:Genau das ist der Trick der Kommunisten. Sie appelieren an "das Gute im Menschen" ...
Das tun auch andere Ideologien in den letzten 200 Jahren. Die Wahrheit dahinter kann auch bei diesen übel aussehen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
Zitat von ZettelGysi zum letzten Vorsitzenden der SED zu machen (...), war ein letzter schlauer Schachzug der DDR-Machthabenden vor derem Ende. Das war ungemein weitblickend. Wie Gysi plötzlich Vorsitzender werden konnte, obwohl noch nicht einmal Mitglied des ZK, geschweige denn des Politbüro, ist meines Wissens immer noch unaufgeklärt. Er war ein wichtiger Vertrauensmann des ZK, natürlich. Aber trotzdem war sein Aufstieg sensationell.
Das ist ja eine schöne Verschwörungstheorie!
Leider eben nicht, lieber str1977. Ich wüßte gern, was zwischen dem 3. Dezember 1989, als Gysi in den Arbeitsausschuß zur Vorbereitung des außerordentlichen Parteitags der SED kam, und seiner Bestimmung zum Vorsitzenden der SED am 9. Dezember passiert ist.
Der Sonderparteitag fand erst am 16. und 17. Dezember statt; er kann es also nicht gewesen sein, der Gysi zum Vorsitzenden gewählt hat.
Wurde Gysi vom ZK der SED "gewählt"? Ich habe darüber bisher nichts gefunden.
Wenn ja, wie kam das ZK dazu, jemanden zum Vorsitzenden zu machen, der bisher in dieser Partei keine Funktion als die eines einfachen Mitglieds gehabt hatte? Wieso wurde er Vorsitzender und nicht Generalsekretär, wie seine Vorgänger? Wer hat wann die Parteistatuten entsprechend geändert?
Das MfS hat es in der Wendezeit bekanntlich fertiggebracht, seine Agenten in die Spitzen fast aller Parteien einzuschleusen - Ibrahim Böhme in Führung der SPD, Lothar de Maizière in die Führung der CDU, Wolfgang Schnur in die Führung des "Demokratischen Aufbruchs".
Aber wie gesagt, ich habe leider, was Gregor Gysi angeht, keine Verschwörungstheorie.
Und erinnere (auch mich) bei dieser Gelegenheit daran, daß man nicht gut daran tut, über Gregor Gysi etwas zu schreiben, das man nicht ganz, ganz gerichtsfest beweisen kann.
Beim Suchen danach, wie eigentlich Gysi Vorsitzender der SED wurde (es scheint, daß es vor dem 16./17. Dezember schon einen Parteitag gab, auf dem er möglicherweise gewählt wurde) bin ich auf ein interessantes Dokument gestoßen, in dem im Grunde schon die heutige Strategie der SED über alle Umbenennunen hinweg von Gysi dargelegt wird.
Es handelt sich um den Vermerk "über ein Gespräch von Gregor Gysi, Vorsitzender der SED, mit Raffael Fjodorow, stellvertretender Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU" vom 10. Dezember 1989. Auszüge:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowAuf die weitere Entwicklung der SED eingehend betonte Gregor Gysi die Notwendigkeit, kommunistische, sozialdemokratische und pazifistische Elemente und Traditionen stärker auszuprägen.
Jetzt komme es darauf an klarzumachen, was darunter zu verstehen sei. Von den Kommunisten werde das Ideal der klassenlosen Gesellschaft übernommen. Abzulehnen sei ihr Hang zum Administrieren und ihr Anspruch, die alleinige Wahrheit zu vertreten. Diese dogmatische Haltung könne nicht beibehalten werden. Bei den Sozialdemokraten komme es darauf an, ihr Verhältnis zur Demokratie, ihre Reformfähigkeit aufmerksam zu studieren und stärker in der Partei zum Tragen zu bringen. Abzulehnen sei dagegen die Halbherzigkeit der Sozialdemokraten bei der Revolution. Bei der Haltung der Pazifisten sei für die SED überlegenswert, ihre Beziehungen zum Menschen, die Betonung des Individuums in der eigenen parteipolitischen Praxis stärker auszuprägen. Nicht übernehmen könne man dagegen ihre Einstellung, daß man sich nicht verteidigen dürfe.
Besonders interessant ist, wie der Vorsitzende Gysi sich über eine eventuelle Intervention der UdSSR äußerte:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowWas die Verwirklichung des Prinzips der Nichteinmischung von seiten der KPdSU anbetreffe, so habe das seine zwei Seiten, eine gute und eine weniger gute. Die KPdSU und die UdSSR haben seinerzeit die SED und die DDR in die Selbständigkeit entlassen, und das habe zur Krise geführt. (...)
Auf die offene Frage Gregor Gysis, wie weit die Bereitschaft der UdSSR gehe, der DDR in allen Notfällen zu helfen, bemerkte Raffael Fjodorow, daß er keine Vollmacht für eine offizielle Antwort darauf besitze. (...)
Gregor Gysi betonte hierzu, daß ein militärisches Machtwort die allerallerletzte Frage sei, sie aber auch dann nicht real in Betracht komme. Es sei aber angebracht, hier an die Bündnisverpflichtungen zu erinnern, daß bei einem Angriff der BRD die Sowjetunion Beistand leisten werde. Heute bestehe die Notwendigkeit, die Bündnisfrage juristisch zu prüfen.
Dann befaßte man sich mit einer eventuellen Namensänderung der SED. Was Gysi dazu sagte, ist nun wirklich verblüffend:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowGregor Gysi bemerkte dazu, daß der gegenwärtige Name Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zwei schädliche Dinge enthalte, die Worte Einheit und Deutschland. Im neuen Namen der Partei wird es das Wort Deutschland nicht mehr geben.
Über die künftige Struktur der SED bemerkte Gysi dies:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowWas die Struktur der Partei angehe, so habe Gregor Gysi Angst, daß die Grundorganisationen in den Betrieben zerschlagen würden. Es sei sehr fraglich, wieviel Genossen sich dann in den Territorien tatsächlich aktiv für die SED einsetzen würden. Es kommt darauf an, die G[run]O[rganisationen] in den Territorien zu stärken; in Betrieben könnte man auf Parteiaktivs orientieren.
Und zum Schluß noch ein besonders Schmankerl:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowBezugnehmend auf das angekündigte Treffen der vier Mächte erkundigte sich Gregor Gysi, wie groß das Interesse der Westmächte an der Verhinderung der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sei. In Beantwortung dieser Frage betonte Raffael Fjodorow, daß ihr Interesse daran ziemlich groß sei, obwohl sie öffentlich nicht direkt das zum Ausdruck bringen könnten.
Viele nehmen es ja der SED bis heute ab, daß sie sich Ende 1989 über Nacht von einer kommunistischen in eine demokratische Partei verwandelt hat, daß sie die Wiedervereinigung wollte usw. Denen sollte man den Gesprächsvermerk sozusagen unters Kopfkissen legen.
str1977
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14.12.2008 22:42
#12 RE: Wie wurde Gregor Gysi Vorsitzender der SED?
Zitat von ZettelGysi zum letzten Vorsitzenden der SED zu machen (...), war ein letzter schlauer Schachzug der DDR-Machthabenden vor derem Ende. Das war ungemein weitblickend. Wie Gysi plötzlich Vorsitzender werden konnte, obwohl noch nicht einmal Mitglied des ZK, geschweige denn des Politbüro, ist meines Wissens immer noch unaufgeklärt. Er war ein wichtiger Vertrauensmann des ZK, natürlich. Aber trotzdem war sein Aufstieg sensationell.
Das ist ja eine schöne Verschwörungstheorie!
Leider eben nicht, lieber str1977.
Ich wüßte das auch gern. Nur so wie Sie es präsentieren hört es sich für mich nach Verschwörung an. Natürlich wird eine Partei, die gerade die Macht verliert sich überlegen, was zu tun sei. Diese Überlegungen sind auch taktischer Art aber nicht nur. Sie wissen, daß ich kein Freund der PDS bin, aber so zu tun, als habe man nur Gysi als Fassadenvorsitzenden hervorgeholt, und zu ignorieren, daß man die Parteistruktur geändert und die ganze vorherige Führungsriege hinausbefördert hat....
In Antwort auf:Ich wüßte gern, was zwischen dem 3. Dezember 1989, als Gysi in den Arbeitsausschuß zur Vorbereitung des außerordentlichen Parteitags der SED kam, und seiner Bestimmung zum Vorsitzenden der SED am 9. Dezember passiert ist.
Der Sonderparteitag fand erst am 16. und 17. Dezember statt; er kann es also nicht gewesen sein, der Gysi zum Vorsitzenden gewählt hat.
Wurde Gysi vom ZK der SED "gewählt"? Ich habe darüber bisher nichts gefunden.
In Antwort auf:Wenn ja, wie kam das ZK dazu, jemanden zum Vorsitzenden zu machen, der bisher in dieser Partei keine Funktion als die eines einfachen Mitglieds gehabt hatte?
Naja, das ist ja wohl kein größeres Problem. Immerhin war das Amt des Vorsitzenden ein ganz neues (wenn man von den pro forma Vorsitzenden Pieck und Grothewohl absieht).
In Antwort auf:Wieso wurde er Vorsitzender und nicht Generalsekretär, wie seine Vorgänger?
Das ist keine schwierige Frage. Es ging darum, die Kaderpartei SED in eine Mitgliederpartei PDS zu überführen. Statt des ZK einen Vorstand, statt des Generalsekretärs einen Vorsitzenden.
Vielleicht war ja auch Gysis zeitweise Vorsitzender des ZK - ein bisher unbekannter Posten - oder es gab noch einen aus Piecks Zeiten herührenden Passus in den Statuten. Politbüro und Sekretariat scheinen jedenfalls sofort verschwunden zu sein (oder wenn sie wollen: unbesetzt), das ZK dann wohl erst mit dem Parteitag.
In Antwort auf:Wer hat wann die Parteistatuten entsprechend geändert?
Ich denke mal, formal sind diese erst auf dem Parteitag geändert worden.
Die Frage, wer denn Gysi gewählt hat, bleibt damit dennoch offen.
In Antwort auf:Das MfS hat es in der Wendezeit bekanntlich fertiggebracht, seine Agenten in die Spitzen fast aller Parteien einzuschleusen - Ibrahim Böhme in Führung der SPD, Lothar de Maizière in die Führung der CDU, Wolfgang Schnur in die Führung des "Demokratischen Aufbruchs".
Ich würde eher sagen, die IMs haben es weitgebracht in ihren jeweiligen Parteien. Ich glaube nicht, daß hier das MfS dies angestrebt hat, denn es hätte ja gar keine solchen Parteien haben wollen.
In Antwort auf:Und erinnere (auch mich) bei dieser Gelegenheit daran, daß man nicht gut daran tut, über Gregor Gysi etwas zu schreiben, das man nicht ganz, ganz gerichtsfest beweisen kann.
Ja, das stimmt natürlich. Ich will Sie auch nicht in die Bredouille bringen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
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str1977
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14.12.2008 22:46
#13 RE: Wie wurde Gregor Gysi Vorsitzender der SED?
In Antwort auf:Am 6. Dezember legte Krenz nach anhaltender Kritik alle Ämter nieder. Am 9. Dezember wurde Gregor Gysi auf einem kurzfristig einberufenen außerordentlichen Parteitag zum neuen Vorsitzenden gewählt; als seine Stellvertreter die Mitinitiatoren der innerparteilichen Reformen Wolfgang Berghofer, Oberbürgermeister von Dresden und Hans Modrow, früherer Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden und seit November Ministerpräsident der DDR.
In der zweiten Tagungshälfte des Parteitages, am 16. Dezember, benannte sich die Partei auf Vorschlag von Gregor Gysi in Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – Partei des demokratischen Sozialismus (SED-PDS) um ...
Sollte das stimmen, wäre der Ablauf also folgender:
1. Krenz muß zurücktreten. 2. Damit wird auch das ZK-Sekretariat-Politbüro-Schema hinfällig. 3. Ein außerordentlicher Parteitag ändert die Statuten, geht zu einer Vorstandsstruktur über, wählt Gysi & Co. an die Spitze.
Gruß, str1977
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Vielen Dank, lieber str1977. Das stimmt mit meiner Vermutung aufgrund anderer Quellen überein, daß es vor dem außerordentlichen Parteitag, auf dem die Umbenennung erfolgte, schon einen anderen gab.
Allerdings bleibt immer noch unklar, wieso denn Gysi vorgeschlagen wurde, von wem, und wieso es offenbar keine Gegenkandidaten gegeben hat.
Daß eine Partei jemanden, der - jedenfalls offiziell - zuvor in ihr nichts als ein einfaches Mitglied gewesen war, plötzlich zum einzigen Kandidaten für den Vorsitz kürt und ihn mit großer Mehrheit wählt, kommt mir weiterhin höchst merkwürdig vor.
Aus der Mitgliederschaft heraus kann das ja nicht gekommen sein - woher hätten die Mitglieder den Genossen Gysi so kennen sollen, daß sie ihm den Vorsitz anvertrauten? Nur, weil er auf einer Kundgebung mal als Redner aufgetreten war?
Herzlich, Zettel
str1977
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14.12.2008 23:05
#15 RE: Wie wurde Gregor Gysi Vorsitzender der SED?
Zitat von ZettelViele nehmen es ja der SED bis heute ab, daß sie sich Ende 1989 über Nacht von einer kommunistischen in eine demokratische Partei verwandelt hat, daß sie die Wiedervereinigung wollte usw. Denen sollte man den Gesprächsvermerk sozusagen unters Kopfkissen legen.
Mag sein. Mein Punkt war das aber nicht.
Es ist aber so, daß die SED sich 1989/1990 von einer Kader- in eine Mitgliederpartei verwandelt hat. Sozialistisch-Kommunistisch war sie davor und danach, wenn auch danach nicht mehr einfach so lenistisch (und "stalinistisch" halte ich sowieso zunehmend für einen Schutzbegriff der Leninisten und anderer Linker)
Wogegen ich mich halt vor allem wehre, ist diese Darstellung (daher auch Verschwörungstheorie) als sei hier alles nur Tarnung und Taktik. Sicher war GG vor 1989 linientreu (was nicht heißt, das er alles wunderbar fand), sicher träumte er auch danach von einem Sozialismus, wahrscheinlich sogar von einem demokratischen (wenn Sie das für eine Unmöglichkeit halten, ist das eine andere Frage.)
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
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Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
str1977
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14.12.2008 23:11
#16 RE: Wie wurde Gregor Gysi Vorsitzender der SED?
Nun, einerseits hat man (das heißt die Gruppe um Modrow und Berghofer), jemanden für die erste Reihe gesucht, der eben nicht öffentlich belastet war. Modrow als Bezirkschef und Berghofer als Bürgermeister hatte eben halt einige Flecken auf der Weste. Gysi dagegen war öffentlich ein unbeschriebenes (und damit weißes) Blatt.
Die Rede wird auch eine Rolle gespielt haben, nur ist die Frage was zuerst da war: hat der ausgeguckte Vorsitzende sich so vorgestellt, oder wurde man hier auf ihn aufmerksam. Wobei das wohl nicht die einzigen Möglichkeiten sind. Lt. WP arbeitete Gysi vor der Kundgebung an einem Reisegesetz mit, hatte also schon Verbindung zur Regierung. Evt. war er also wohl schon als Vertreter der neuen Generation angesehen und hat sich dann durch die Kundgebung voll in den Vordergrund gespielt.
Was das einfache Parteimitglied angeht. Sie selbst haben doch oft genug betont, daß er damals dem Anwaltsverband vorstand. Somit war er gesellschaftlich gesehen kein Niemand. Und in Systemen wie der DDR kann man nicht nur auf strikte Parteiämter schauen, vor allem wenn diese ja eben grade als Minuspunkte zu Buche schlagen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
da kann ich mir doch die Parallelbildung nicht verkneifen ;-)
Zitat von ZettelWie Gysi plötzlich Vorsitzender werden konnte, obwohl noch nicht einmal Mitglied des ZK, geschweige denn des Politbüro, ist meines Wissens immer noch unaufgeklärt. Er war ein wichtiger Vertrauensmann des ZK, natürlich. Aber trotzdem war sein Aufstieg sensationell.
Wie Schäfer-Gümbel plötzlich Spitzenkandidat werden konnte, obwohl noch nicht einmal Mitglied des Landesvorstands, geschweige denn des Schattenkabinetts, ist meines Wissens immer noch unaufgeklärt. Er war ein wichtiger Vertrauensmann von Ypsilanti, natürlich. Aber trotzdem war sein Aufstieg sensationell.
Zitat von str1977Es hat sich hier niemand mit einer lenistischen Kaderpartei vereinigt, die es übrigens nach dem deutschen Parteiengesetz auch nicht geben darf.
Das ist ja fast schon goldig naiv ;-)
Selbstverständlich sind die Kommunisten auf dem Papier so demokratisch, wie es das Parteiengesetz fordert. Weil sie ja sonst ein Verbot riskieren müßten (aber nur riskieren, selbst dem Parteiengesetz offensichtlich widersprechende Parteien sind derzeit tätig, weil sich keiner die Mühe eines Verbotsverfahrens gemacht hat).
Über die innere Struktur und die Denke in der Partei sagt das aktuelle Etikett aber gar nichts.
„In der hessischen Linkspartei, aber auch in anderen westlichen Landesverbänden herrscht Zentralismus, werden Karrieristen und Opportunisten von der Parteiführung in Berlin aus gesteuert und installiert“, sagte das frühere WASG-Mitglied Helge Welker, der für die Linkspartei im Stadtparlament von Rosbach im Wetteraukreis sitzt. „Für die linke Idee wäre es besser, wenn diese Partei mit diesen Menschen nicht in den Landtag käme“, sagte er der F.A.Z. Der Landesvorsitzende Wilken wies die Vorwürfe als „ebenso unglaublich wie unhaltbar“ zurück.
Da gibt es doch noch Einige, die sich gegen den Zentralismus wehren!
Da sind Sie mir zuvor gekommen, den Artikel wollte ich auch verlinken
Noch ein paar Schmankerl:
Zitat von FAZAls Begründung für ihren Austritt aus der Partei zum 31. Dezember 2008 nennen die ehemaligen Mitglieder „fehlende Basisdemokratie, geheime Zirkel und E-Mail-Verteiler, Mobbing von Parteimitgliedern, Dossiers über Mitglieder, Ausgrenzung von Arbeitslosen, Behinderten und Hartz-IV-Empfängern“ sowie „elitäre Kaderbildung“.
Schön, wenn einige merken, worauf sie sich eingelassen haben!
-- The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)
Schön, wenn einige merken, worauf sie sich eingelassen haben!
Ach, jetzt will es niemand vorher gewusst haben? Mauermörder und Stalinisten sind Mauermörder und Stalinisten und das ja nicht erst seit gestern. Ich sehe es aber eher andersrum: Jetzt sieht man deutlich, was man vom linken Flügel der SPD halten darf.
Zitat von Gorgasal Schön, wenn einige merken, worauf sie sich eingelassen haben!
Ach, jetzt will es niemand vorher gewusst haben? Mauermörder und Stalinisten sind Mauermörder und Stalinisten und das ja nicht erst seit gestern. Ich sehe es aber eher andersrum: Jetzt sieht man deutlich, was man vom linken Flügel der SPD halten darf.
Zur Geschichte des Kommunismus, liebe Dagny, gehört halt die Geschichte dieser Leute, die man für seine Ziele einspannt - "nützliche Idioten", "Fellow Travellers", Partner in einem "breiten antimonopolistischen Bündnis" usw.
Die Gründung der WASG als eine Art Shuttle-Bus, der unzufriedene Linke bei der SPD aufsammelt und zu den Kommunisten befördert, war eine geniale taktische Idee. So gut, daß Lafontaine ja jetzt den französischen Kommunisten dafür Franchise-Rechte eingeräumt hat, mit der "Parti de Gauche".
Diese Taktik hatte immer ihre Opfer - Desillusionierte, Enttäuschte. Die Kommunisten wären nicht die Kommunisten, wenn sie für diese nicht auch eine herabwürdigende Bezeichnung erfunden hätten: Renegaten. Leute also wie Arthur Koestler, Manès Sperber, Fritz (!) Schenk.
Solch ein Abwerfen von Ballast spielt sich jetzt in Bezug auf die WASG-Leute ab. Wobei die meisten sich ja offenbar bei den Kommunisten wohlfühlen.
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