Jörg-Uwe Hahn gehört zu den (leider nicht überwältigend zahlreichen) FDP-Politikern, die mir gefallen: Ein intelligenter, analytisch denkender, präzise formulierender Mann. Ein klarer Kopf und ein gerader Charakter, soweit ich das beurteilen kann.
Am Ende eines sonst nicht sehr ergiebigen Interviews in der heutigen "Frankfurter Rundschau" hat er einen interessanten Vorschlag gemacht: Die hessische Verfassung ändern und damit Links- wie Rechtsextremisten Wind aus den Segeln nehmen.
Was die "hessische Todesstrafe" angeht: Auch wenn der Artikel noch vorhanden ist - Bundesrecht bricht Landesrecht, die Bundesverfassung die Landesverfassung, kurz: Art. 102 GG (Abschaffung der Todesstrafe) bricht Art. 21 I HV. Klar, eine Anpassung wäre mal überfällig, aber vielleicht ist das ja als Anekdote für die Staatsrecht-Studenten nicht gewollt ;)
Bei der Enteignungsgeschichte sieht das schon etwas anders aus: Art. 39 HV ähnelt den Art. 14 III, 15 GG; grundsätzlich können durchaus Enteignungen und Verstaatlichungen stattfinden; ob das praktisch durchsetzbar wäre, halte ich dann doch für unwahrscheinlich. Das Bundesverfassungsgericht hätte da sicherlich ein Wörtchen mitzureden.
Ohnehin, es wurde 2003 eine Enquetekomission eingesetzt, die eine Verfassungsreform untersucht hat; die Arbeit wurde nicht beendet, u.a. weil die SPD sich gegen bestimmte Neuregelungen gestellt hat (da ging es um Arbeitskampfregelungen). Für den Interessierten: Bericht der Enquetekommission "Reform der Hessischen Verfassung".
So oder so, vor der Wahl wird das sicherlich niemand ernsthaft diskutieren. Nach der Wahl, das ist etwas anderes; aber ich vermute, dass die neue Regierung besseres zu tun hat, als an der Verfassung rumzubasteln; im Ergebnis ist die ganze Diskussion praktisch wenig relevant.
Am Rande, zu Koch: Ich bin mir sicher, das der in den nächsten Wochen die Klappe halten wird. Die Lektion hat er hoffentlich gelernt.
Danke, lieber Refardeon, für diese kompetente Ergänzung!
Zitat von refardeonBei der Enteignungsgeschichte sieht das schon etwas anders aus: Art. 39 HV ähnelt den Art. 14 III, 15 GG; grundsätzlich können durchaus Enteignungen und Verstaatlichungen stattfinden; ob das praktisch durchsetzbar wäre, halte ich dann doch für unwahrscheinlich. Das Bundesverfassungsgericht hätte da sicherlich ein Wörtchen mitzureden.
Stimmt. Aber solange solche Sachen in einer Verfassung stehen, können sich die Kommunisten darauf berufen.
Zitat von refardeonOhnehin, es wurde 2003 eine Enquetekomission eingesetzt, die eine Verfassungsreform untersucht hat; die Arbeit wurde nicht beendet, u.a. weil die SPD sich gegen bestimmte Neuregelungen gestellt hat (da ging es um Arbeitskampfregelungen). Für den Interessierten: Bericht der Enquetekommission "Reform der Hessischen Verfassung".
Fürs Nachlesen notiert; vielen Dank!
Herzlich, Zettel
str1977
(
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)
Beiträge:
18.12.2008 16:23
#4 RE: Zitat des Tages: Hessische Verfassung ändern?
Est tut mir leid, Ihnen schon wieder vehement widersprechen zu müssen, aber Verfassungen enthalten keine alten Zöpfe sondern eben grundlegende Fundamente unserer Rechtsordnungen. Wer diese verspottet sollte besser kein Ministeramt bekleiden (egal ob er nun Hahn, Zypries oder Gysi heißt.
Die Todesstrafenfrage ist ohnehin gegenstandslos, da durch das GG abgeschafft. Sicher könnte man nebenbei die hessische Verfassung auch dahingehend ändern (wie es vor etwa zehn Jahren auch in Bayern geschah - habe selbst dafür gestimmt), aber man kann es auch bleiben lassen. Allein dafür lohnt der Aufwand nicht.
Und auch der zweite Punkt stellt dank Bundesrepublik erstens keine Gefahr dar, ist zweitens in seiner Zielsetzung mit den Vorgaben durch GG und soziale Marktwirtschaft kompatibel. Wir haben ein Kartellamt, welches sich um so etwas kümmert.
Wenn die Grundausrichtung der FDP diversen Verfassungs zuwiderläuft, ist nicht die Verfassung das Problem sondern die FDP - aber das sagte ich ja bereits.
Aber da nicht zu fürchten ansteht, daß eine 2/3-Mehrheit zur Änderung der Verfassung bereitsteht (und wie ist das in Hessen? Braucht man eine Volksabstimmung?), ist die Frage ohnehin akademisch und der Anschlag auf die Verfassung chancenlos.
PS. Bei der FDP heißt es übrigens "alte Zöpfe abschaffen", nicht "abschneiden". Das ist zwar schlechtes Deutsch, aber damit hat die FDP mal Wahlwerbung gemacht und gewonnen.
In Antwort auf:Stimmt. Aber solange solche Sachen in einer Verfassung stehen, können sich die Kommunisten darauf berufen.
Und solange es in der Verfassung steht ist das auch ihr gutes Recht. Sicher kann das zu schlechten Entscheidungen führen, aber die Kommunisten sind halt auch nicht besser als die Liberalen.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.
Liberalismus ist die Ideologie, die, wenn etwas zu verderben droht, nicht nur nichts unternimmt, sondern auch anderen von Gegenmaßnahmen abrät, um anschließend das verfaulte Resultat zum Ideal zu erklären.
Zitat von str1977Est tut mir leid, Ihnen schon wieder vehement widersprechen zu müssen,
Ehrlich, lieber str1977? Das wundert mich jetzt a bisserl.
Zitat von str1977aber Verfassungen enthalten keine alten Zöpfe sondern eben grundlegende Fundamente unserer Rechtsordnungen.
Man kann Verfassungen so knapp formulieren, daß das in der Tat gilt und daß deshalb Änderungen nur selten notwendig sind. Die amerikanische Verfassung ist auch in dieser Hinsicht ein Vorbild. Sie hatte ursprünglich ganze sieben Artikel! Schon bald - 1791 - kamen zehn weitere, die zehn Amendments des Bill of Rights hinzu - und seither ganze siebzehn weitere! In mehr als 200 Jahren.
Eine Verfassung, die so wenig regelt, eben nur das Grundlegende, ist in der Tat ein Fundament. Je detaillierter andererseits eine Verfassung ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie veraltet.
Die Hessische Verfassung - ich empfehle, sie einmal zu lesen - ist detailliert, ja geschwätzig. Sie wurde schon 1946 verabschiedet, also noch ganz unter dem Eindruck des Nazismus. In der verfassungsberatenden Landesversammlung hatten SPD und KPD zusammen die absolute Mehrheit; so kann man es der Wikipedia entnehmen. Vorsitzender der KPD-Fraktion war übrigens Leo Bauer, ein Mann mit einer wahrhaft bewegten Lebensgeschichte - erst SPD, dann KPD, dann SED. 1952 in einem Schauprozeß zum Tode verurteilt, aber nicht hingerichtet, sondern nach Sibieren geschickt. Nach seiner Entlassung wieder SPD, und zum Schluß Berater von Willy Brandt.
Damals also KPD, ein einflußreicher Mann. Die Hessische Verfassung spiegelt die Lage im Jahr 1946 wider. Man hätte sie schon lange ändern müssen; und von Refardeon wissen wir ja nun, daß es dazu auch schon einen Anlauf gegeben hat.
Also eine Verfassung sollte zwar so sein, wie Sie beschreiben. Tatsächlich ist aber auch sie ein Produkt eines Politischen Prozesses, dessen Ergebnis nur bedingt unseren rechtssystematischen Ansprüchen genügt. Ihr Staatsverständnis nach mag zu Recht eine Verfassungsänderung für höchstproblematisch sein. Ich bin mir jedoch sicher, dass die Dinge die die FDP zur Disposition stellt selbst die Funktionalität der Verfassung bedrohen und geändert werden müssen. Hier scheitert der Konstitutionalismus an ganz praktischen Gesichtspunkten: Es ist unwahrscheinlich das fehlerhafte Menschen eine von Anfang an fehlerfreie und funktionale Verfassung entwerfen. Eine Verfassung im Nachhinein zu ändern nimmt der Verfassung ihre eigentliche Funktion.
Eine Verfassung begrenzt ihrem Wesen nach die Macht des Staates und der Politik gegenüber dem Bürger. So ist sie, die Verfassung, aus dem Absolutismus entstanden. Forderungen, die sich gegen das Naturrecht auf Eigentum richten, haben in so einem Werk nichts zu suchen.
Der Satz "Eigentum verpflichtet zum Gemeinwohl" ist der schlimmste Artikel im Grundgesetz - Weil der Respekt vor dem Eigentum damit gebrochen wird - etwa so wie in dem Witz:
Er: Würdest Du für 1 000 000 mit mir schlafen? Sie: Hm, Eine Million, ja, doch. Er: Und für 100? Sie: Sag mal, wofür hältst du mich? Er: Wofür ich Dich halte, haben wir geklärt. Es geht jetzt um den Preis.
Zitat von Michel Eine Verfassung im Nachhinein zu ändern nimmt der Verfassung ihre eigentliche Funktion.
Das kann ich nicht sehen, lieber Michel. Es gibt einen Kernbereich, der nicht zur Disposition steht. Aber wenn Verfassungen so viel regeln, wie es fast alle modernen Verfassungen tun, dann ist es nun einmal wahrscheinlich, daß einzele Bestimmungen veralten, daß sie nicht mehr der politischen oder gesellschaftlichen Realität entsprechen oder daß sie sich schlicht als schlecht und unpraktikabel erweisen.
In den USA ist das, wie geschrieben, anders, weil die Verfassung von vornherein nur den Kernbereich regelt; sie wurde ja auch nie geändert, sondern nur durch Zusätze ergänzt.
In Frankreich dagegen sieht man das viel lockerer. Mit jeder neuen Republik gibt es auch eine neue Verfassung; und gerade gegenwärtig ist wieder eine große Revision der Verfassung im Gang.
In Deutschland liegen wir irgendwo in der Mitte. Wir ändern mehr als die Amerikaner, aber weniger als die Franzosen.
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