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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 30 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Kallias Offline




Beiträge: 2.300

19.01.2009 00:57
#26 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Zettel
Und vielleicht werden die Genies wirklich durch diese Produktionsmethode gehemmt.
Nicht nur die Genies, lieber Zettel, auch die Erbsenzähler.

Der Genealogie des griechischen Pantheons entspricht nämlich in der Biologie das Fach der Taxonomie. Dieses befindet sich seit längerer Zeit anscheinend im Niedergang - vielleicht weil man da nicht mit ein paar Experimenten schon eine Publikation ernähren kann?

Manche beklagen das. Wo doch gerade dieses Fach ökopolitisch bestens aufgestellt ist! Nicht nur dient es der Biodiversitätsforschung, sondern unser Land ist auch von invasiven Arten bedroht, die kein Mensch kennt, zum Beispiel vom Riesenweberknecht, der kürzlich das Ruhrgebiet und das Saarland unter seine Kontrolle brachte.

Abhilfe ist schon angedacht. Auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion erklärte die Regierung im Juni 2008:
Zitat von Bundesregierung
Die Bundesregierung räumt der Taxonomie im Rahmen der Biodiversitäts-Forschung und Biodiversitäts-Politik einen hohen Stellenwert ein.

Auf Bundesebene wurde im Rahmen der Global Taxonomy Initiative (GTI) der Biodiversitätskonvention ein Nationaler Focal Point eingerichtet (http://www.gti-kontakt-stelle.de), der umfassend informiert und die Taxonomen in Deutschland besser vernetzt.
Sicher zurecht. Man sieht förmlich vor sich, wie auf diesem Gebiet demnächst eine Generation von Latifs, Rahmstorfs und Schellnhubers heranwächst.

Einstweilen lacht sich der Weberknecht aber noch ins Fäustchen:
Zitat von Bundesregierung
Für praktische Maßnahmen gegen neue invasive Arten bestehen weniger Probleme im Bereich der Taxonomie als z.B. im Bereich der Frühwarnung (d.h. in der Etablierung eines Meldesystems), der Vernetzung der Information und dem schnelleren Herantragen an die öffentlichen Stellen sowie in fehlenden bzw. nicht zeitnahen Gegenmaßnahmen. Unabhängig davon erscheint es sinnvoll, das Fachwissen ehrenamtlicher und beruflicher Taxonomen stärker zu bündeln (...) und die Kapazitäten in Ausbildung und Forschung zu stärken.
Denn:
Zitat von Bundesregierung
Meist sind es die ehrenamtlich tätigen regionalen Vereinigungen, die großflächige Kartierungen und Erhebungen von Artenvorkommen betreiben und als erste Kenntnis über neu eingeschleppte, eventuell auch invasive Arten erlangen und weitergeben.
Die Hobbynaturforscher, auf die Sie verwiesen haben, lieber Zettel, sind also auch auf diesem Gebiet aktiv. Manches liegt indessen noch im argen:
Zitat von Bundesregierung
Zählt man jedoch die Artenkenner, die in der Lage sind, auch Exemplare schwieriger Artengruppen zu identifizieren, im weiteren Sinne zu den Taxonomen, so gibt es davon in Deutschland noch mehrere Tausend, die meist in regionalen Verbänden und naturforschenden Vereinigungen organisiert sind. Diese Organisationen beklagen jedoch des allmählichen Rückgangs [sic] der Wissensträger, verbunden mit einem zunehmend sich manifestierenden Mangel an Nachwuchs, der vor allem auch durch den Verlust an qualifizierten Ausbildungsmöglichkeiten an den Universitäten und Fachhochschulen begründet wird.
Und ganz wohl ist der Regierung angesichts der Hobbyforscher auch nicht:
Zitat von Bundesregierung
Taxonomie im wissenschaftlichen Sinne (Klassifikation und Beschreibung neuer Arten, Revision existierender Abgrenzungen/Klassifikation von Taxa) wird eigentlich nicht ehrenamtlich betrieben.
Mußte die Regierung - auch Artenkenner sind Wähler - gleich so grob werden? Zwar hat auch die "Taxonomie-Initiative" Bedenken, doch weiß sie, wo ein Problem ist, fehlt es nur an der richtigen Organisation:
Zitat von Initiative Taxonomie
Aus unserer Sicht bedarf es eines erheblichen Ausbaus der Qualitätssicherungsmechanismen. Hierzu gehört in aller erster Line auch die Motivation, Training, Anleitung und Supervision des ehrenamtlichen Engagements. Auch in Deutschland muss dringend ein – in anderen Ländern verbreitetes – Ehrenamtlichen-Management aufgebaut werden. Dieses dient zum einen der Motivation und Koordination, zum anderen aber auch dem Training der Ehrenamtlichen und damit der Evaluation und Qualitätssicherung.
Daraus läßt sich lernen: die Privatgelehrten brauchen dringend Motivation, Training, Anleitung und Supervision. Denn: was heißt letztlich "privat"? Privat heißt doch nur, daß nichts bezahlt wird: sollen die Leute deswegen etwa unprofessionell arbeiten?

Wenn alles gut geht, werden wir einst eine Armee von bestens ausgebildeten Biologen auf Hartz-IV und MAE-Basis den Rieseninsekten entgegenwerfen können, und zugleich würde, lieber Zettel, auch diese Art der Laienforschung interaktiver werden.

Gegen den Weberknecht kommen wir freilich noch nicht an, aber der feindlichen Flora sind wir bald gewachsen:
Zitat von Bundesregierung
Im Bereich der Pflanzen soll mit Vernetzung der Akteure im Rahmen der nationalen Umsetzung der Global Strategy for Plant Conservation insbesondere durch die Bereitstellung einer Kommunikations-Plattform im Internet die Arbeit der ehrenamtlichen Taxonominnen und Taxonomen (...) unterstützt werden.
In diesem Sinne: Deutschland den Eichen, Robinien raus!

Gruß,
Kallias [homo sapiens sapiens]

Libero Offline



Beiträge: 393

19.01.2009 10:07
#27 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten
Naja, Kallias

da haben Sie ein paar Beispiele herausgesucht, bei denen neue Tier- und Pflanzenarten relativ harmlos sind und dabei alle lächerlich gemacht, die sich mit weniger harmlosen Tier- und Pflanzenarten auseinanderzusetzen haben. Natürlich sind die meisten Haustiere und Nutzpflanzen in Europa eigentlich nicht heimisch, aber sie beinträchtigen nicht Fauna und Flora wie einige Neuankömmlinge. Sie werden sich erinnern, es gibt da eine griechische Quelle aus den griechischen Kolonien, die eine nette Disput zwischen Freunden der Eiche und Freunde der neuhinzugekommenen Buche in der europäischen Bronzezeit, wahrscheinlich in Süddeutschland oder der Westschweiz beschreibt. Das heisst nicht, das alle neuzugekommenen Lebensformen harmlos sind.

Halten sie die Agakröte allen Ernstes für harmlos? Oder die aus dem japanischen Inselreich stammenden Staudenknötericharten. Schon mal mit denen ein kleines Tänzchen gewagt? Gewiss, es gibt Gegenden in Deutschland, wo sich diese Knöteriche nicht auffällig verhalten, harmlos sind. Ich lebe in einer Gegend, wo das nicht so ist und man sie als Viehfutter importierte. Das sie nicht sind, Nutztiere wissen das. Dank ihres bordeigenen Sonnenschutzmittels ertragen sie selbst stärkste Sonneneinstrahlung und verschattet alles, was unter ihnen wachsen könnte. Das finden Sie harmlos? Ich nicht. Es mit ihm aufzunehmen, erfordert den ganzen Mann, wenn sie nicht eine Gartenflächen haben wollen, die nur aus dem Knöterich besteht. Der Essigbaum ist ähnlich hartnäckig, wenn auch nicht ganz so arbeitsaufwendig.

Auch die Robenie, die Traubenkirsche sind nicht ganz so harmlos im Nutzwald, wie Sie das hier darstellen. Die ganz anders geartete Tompinambur erfreut sich in einigen Gegenden den leidenschaftlichen Zuneigung der Wasserbauer, ich gehe davon aus, sie wissen warum.

Es gibt auch in Nordamerika einige eindrucksvolle Beispiele für Neophyten. Verlassene Gehöfte, die innerhalb kurzer Zeit von einem Neophyt vollständig überwuchert werden. Das sieht romantisch und idyllisch aus, aber mal ehrlich, wer braucht das?

Bevor man neue Arten in die europäischen Landschaften einführt, sollte man sich ansehen, wie sie sich verhalten.

Gruß
Libero

Nachtrag

Es gibt sinnvolle Anwendungsfälle der Taxonomie. Bärlauch wird gerne verwendet, leider oft so intensiv und wenig schonend, daß er an manchen Stellen selten wird. Auch in Brandenburg ist er selten. Trotzdem sind die lichten Wälder und Parks im Frühling voll von diesem sehr spezifischen Geruch. Die Pflanze ist dem Bärlauch ähnlich, aber doch deutlich zu unterscheiden. Ihre Blätter sind wesentlich schmaler. Es ist der Wunderlauch oder seltsame Lauch, der ebenfalls essbar ist
Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

19.01.2009 10:20
#28 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Libero
Es gibt auch in Nordamerika einige eindrucksvolle Beispiele für Neophyten. Verlassene Gehöfte, die innerhalb kurzer Zeit von einem Neophyt vollständig überwuchert werden. Das sieht romantisch und idyllisch aus, aber mal ehrlich, wer braucht das?

Zitat von Wikipedia
Kudzu (クズ or 葛), ... (sometimes known as ... The vine that ate the South)

http://en.wikipedia.org/wiki/Kudzu

--
The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Libero Offline



Beiträge: 393

19.01.2009 10:21
#29 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Gorgasal
(sometimes known as ... The vine that ate the South)

http://en.wikipedia.org/wiki/Kudzu[/quote]

Ja genau, den meine ich.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

19.01.2009 11:57
#30 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten
Zitat von Libero
da haben Sie ein paar Beispiele herausgesucht, bei denen neue Tier- und Pflanzenarten relativ harmlos sind und dabei alle lächerlich gemacht, die sich mit weniger harmlosen Tier- und Pflanzenarten auseinanderzusetzen haben.
Habe ich beides nicht. Der Riesenweberknecht wurde von der Bundesregierung als Beispiel einer invasiven und bislang leider nur gattungsmäßig bestimmten Art angeführt. (Ich wußte gar nicht, daß er relativ harmlos ist.) Und lächerlich gemacht? An allen vernünftigen und sinnvollen Tätigkeiten gehen die Scherze doch von alleine vorbei. Außerdem bin ich in der Praxis ja ein braver Bürger, der seinen Garten regelmäßig auf Ambrosiabefall durchsucht, da wird man sich doch zur Entspannung mal ein wenig Spaß gönnen dürfen, nicht wahr?
Zitat von Libero
Bevor man neue Arten in die europäischen Landschaften einführt, sollte man sich ansehen, wie sie sich verhalten.
Das klingt vernünftig. Lächerlich wirken mehr die Anstrengungen der Regierung. Einer meiner Freunde hatte als Hartzler die Traubenkirsche im brandenburgischen Wald zu bekämpfen. Die Leute traten morgens an, hackten Holz, mit dem sie dann die Bauwagen heizten, in denen sie den Rest des Tages verbrachten. Bei schönem Wetter machten manche wohl auch einen Spaziergang. Man kann sich das Staunen der Traubenkirsche über diese Bemühungen vorstellen.

Ähnlich lustig die dokumentierten Aktivitäten der Regierung. Da eine "Vernetzung", hier eine "Internet-Plattform", es wird "gebündelt" und "gestärkt" und sehr wichtig getan. Drei Galaxien prallen hier aufeinander: die Welt der Bürokratie, die der Wissenschaft und die der Naturfreunde. Natürlich geht es um das Wohl der Bürger, die vom Knöterich in Ruhe gelassen werden wollen. Aber der Staat will auch regulieren, und dabei nichts zahlen, die Taxonomen streben nach Stiftungsprofessuren, und wenn schon Laien herangezogen werden, dann sollte es wenigstens Stellen im Ehrenamtlichen-Management geben. Die armen Hobbyisten wissen vermutlich noch gar nichts von dem Glück, das ihnen blüht, sobald die Offiziellen ihren Eiertanz um sie beendet haben werden.

Daß die Robinie im Nutzwald problematisch ist, trifft mich übrigens hart. Mein Lieblingsbaum! Wenn man der Wikipedia glauben kann ("exzellenter Artikel"!), ist es so arg nun auch wieder nicht.

Gruß,
Kallias
Kallias Offline




Beiträge: 2.300

19.01.2009 12:34
#31 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Libero
Zitat von Gorgasal
Zitat von Wikipedia
(sometimes known as ... The vine that ate the South)

http://en.wikipedia.org/wiki/Kudzu

Ja genau, den meine ich.
Agakröte, Topinambur, Kudzu: wieder Einiges gelernt.

Gruß,
Kallias

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