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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 30 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.01.2009 14:16
Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Dieser Gastbeitrag von Kallias stand ursprünglich - und steht - hier im "Kleinen Zimmer". Ich fand ihn so klug, so kenntnisreich und so schön geschrieben, daß ich Kallias gefragt habe, ob ich ihn als Gastbeitrag in ZR stellen darf.

Ich wünsche Ihnen so viel Spaß bei der Lektüre, wie ich selbst hatte!

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

14.01.2009 14:19
#2 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Ein schoener Artikel, den ich mit viel Freude gelesen habe.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

14.01.2009 15:42
#3 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Wunderbar!

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

14.01.2009 23:10
#4 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Hat mir sehr gut gefallen ... danke für diesen Gastbeitrag! Eine wirklich schöne "Schreibe".

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.01.2009 16:05
#5 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten
Lieber Kallias,

Ihr schöner, kluger ... ach, was soll ich noch alles lobend sagen, Ihr Essay jedenfalls verführt zum Weiterdenken.

Mir scheint, sie beschreiben ein Phänomen, das noch andere Seiten und Aspekte hat als diejenigen, die Sie liebevoll schildern; diesen, sagen wir, biedermeierlich-provinziellen Typus des Privatgelehrten, der an seinem großen Wert arbeitet. Es gibt dazu, scheint mir, einen breiten Unterbau, und es gibt sehr bemerkenswerte Verzweigungen.

Der Unterbau: Das sind alle die kleinen Forscher, die es nicht zum Riesenwerk bringen - das auch gar nicht anstreben - und die sich auch nicht als Privatgelehrte sehen.

Jedes kleine Städtchen hat sie, diese Lehrer und Pfarrer, die über Heimatgeschichte forschen. Sie sitzen im Stadtarchiv, wühlen sich durch alte Zeitungsbände und schreiben dann Aufsätze wie "Der große Brand von 1712", "Das Taufbecken von St. Michaelis und seine wechselvolle Geschichte" oder "Die Entwicklung der heimischen Zementindustrie von 1920 bis 1955".

Dann gibt es all die Naturforscher. Die Ornithologen, die ermitteln, welche Zugvögel in wie großen Zahlen ihren Standort überfliegen. Die Pilzkenner, die ihr Wissen je nach Anspruch in der Sonntagsbeilage der Heimatzeitung oder in einem Büchlein kundtun. Neuerdings die Klimaforscher, die sich, sagen wir, an der bundesweiten Ermittlung des Beginns der Apfelbaumblüte beteiligen, um ihren Beitrag zum Wissen um die globale Erwärmung zu leisten.

Und die Hobby-Astronomen, die Dialektforscher, die Trachtenforscher und so fort.



Das ist, sagen wir, das Wurzelwerk, aus dem das sprießt, was Sie als Privatgelehrsamkeit beschreiben. Und auf der anderen Seite gibt es ja erstaunliche Verzweigungen, ja Baumkronen, sozusagen.

Karl Marx war ein Privatgelehrter, der nie an einer Uni hatte Fuß fassen können. Sigmund Freud war, nachdem er die Uni aus wirtschaftlichen Gründen hatte verlassen müssen, ein Privatgelehrter. Einstein war es anfangs auch. Descartes war der typische Privatgelehrte, wie Sie ihn beschreiben. Galilei war es. Schopenhauer natürlich. Nietzsche im Grunde auch, auch wenn er beamteter Philologe war.

Und auch unter den großen Schriftstellern gibt es diesen Typus; man nennt ihn dort manchmal den Poeta Doctus. James Joyce, Paul Valéry, Jorge Luis Borges, Arno Schmidt zum Beispiel.

Sie haben, scheint mir, schon alle viel miteinander gemeinsam, diese Leuchten des Privatgelehrtentums: Eine Selbständigkeit des Denkens, die in Schrulligkeit umschlagen kann, auch in Rechthaberei. Eine "Einheit von Person und Werk", wie man sie in den verschiedensten Formen findet.

Descartes beginnt das Philosophieren damit, daß er über sich selbst redet; unerhört in seiner Zeit. Freud gewinnt entscheidende Erkenntnisse aus seiner Selbstanalyse.

Bei Arno Schmidt verschmelzen Person und Werk so sehr, daß er, bis hin zum Wohnungsgrundriß, Autobiographisches in seine Bücher einbaut. (Ich bin vor Jahrzehnten einmal mit der Erzählung "Caliban über Setebos" in der Hand nach Bargfeld gewandert, von der Bushaltestelle mit dem großen H aus, und es war alles so zu finden, wie dort beschrieben - von der Tapete in der Wirtschaft bis zum grün gestrichenen Geländer der Brücke über den Bach).

Sie sehen, lieber Kallias: Bei mir (und vermutlich nicht nur bei mir) hat Ihr Essay Gedanken im Bewegung gesetzt. Nochmal vielen Dank dafür!

Herzlich, Zettel
Libero Offline



Beiträge: 393

15.01.2009 17:24
#6 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Lieber Herr Zettel,

dann werde ich mal den Advocatus Sie wissen schon spielen

ich kann Ihre Begeisterung nicht ganz teilen.

Zum einen lese ich zuviel Abwertung in diesem Text. Einerseits generell bezogen auf das Werk solcher Privatgelehrter. Charles Darwin wäre ja auch ein typischer Privatgelehrter, der alleine aufgrund seiner Infektionskrankheit gar nicht in der Lage gewesen wäre, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Wäre Wallace nicht mit seinen Erkenntnissen gekommen, hätte es bei Darwin noch länger gedauert. Falls er überhaupt zu Lebzeiten publiziert hätte. Auch im Bereich der kirchlichen Naturwissenschaftler gibt es vergleichbare Menschen. Nehmen Sie den Abt Gregor Mendel, der jahrelang seines Kreuzungsversuche machte und wenig darüber berichtete. Nur ein Zufall entriss seinen Beitrag dem Vergessen.

Unwichtig? Nichtssagend? Ich glaube es nicht.

Hier trifft das Urteil von Kallias auf einen Menschen wie Athanasius Kircher zu. Auch der Domherr Kopernikus ist nicht unbedingt der wissenschaftliche Prometheus, als der er gehandelt wird.

Der Privatgelehrte, den Kallias beschreibt, ist eigentlich ein Typ wie Professor Galletti, der Großmeister der Kathederblüte und Vielschreiber gelahrter Werke zu Geschichte der thüringischen Fürstentümer. Seine Werke sind zu Recht vergessen.

Menschen wie Friedell haben einen ganz anderen Wert. Man liesst sie zu Beginn seines eigenen Lebensweges und ich weiss nicht, ob man sie auf sie verzichten kann. Als dann Älterer ist es leicht, auf die Begleiter der Jugend herabzublicken. Aber ist es fair?

Unfair finde ich es auch, einen Komponisten des Barocks mit einem Komponisten der Klassik wie Mozart zu vergleichen. Telemann ist nicht ganz so langweilig, wie er hier mit ein paar lässigen Worten abgetan wird, die das Urteil des 19. Jahrhunderts wiedergeben. Das ist nicht mehr einhellige Meinung, auch unter kunstsinnigen Kanarienvögeln.

Die Bedingungen des kompositorischen Schaffens waren einfach andere. Ein Urheberrecht war nicht durchsetzbar und Ämter der Kirchenmusik setzten die regelmäßige Neukomposition von Werken voraus. Wer schüttelt schon jede Woche eine originelle Kantate aus dem Ärmel, zumal der Text teilweise durch den Kirchensonntag vorgegeben war und die kirchenlichen Vorgesetzten nicht immer einen himmelstürmenden musikalischen Konventionen überwindenden Geschmack hatten. Manch langweiliges Bild dieser Zeit geht auf den wenig erlesenen Geschmack der Auftraggeber zurück.

Dann Telemann mit Mozart vergleichen. Wirklich wenige können neben Mozart bestehen. Manchmal kann auch Mozart nicht neben sich selbst bestehen. Ich liebe Mozart heiss und innig, die Klaviersonaten, die Klavierkonzerte, die Violinenkonzerte, ganze Tage kann ich nur Mozart hören. Aber nicht alles von ihm ist staunenswert. Seine frühen Symphonien sind nett und gefällig, aber nicht mit denen Frühen von Joseph Haydn zu vergleichen. Die erste Symphonie von Haydn mag konventionell sein, aber welche Frische, welcher Optimismus, welches Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, mit einem Satz, was für ein Aufbruch in einen derart umfangreichen symphonischen Zyklus. Sie höre ich immer, wenn ich einen richtigen Schub für den Tag brauche.

Libero

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.01.2009 17:56
#7 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Libero
Zum einen lese ich zuviel Abwertung in diesem Text. Einerseits generell bezogen auf das Werk solcher Privatgelehrter.

Sie meinen den Essay von Kallias? Das finde ich nicht. Er beschreibt doch liebevoll-ironisch. Staunend vielleicht auch ein wenig. In Passagen erinnert mich sein Stil an Tucholsky, wenn er heiter schrieb.
Zitat von Libero
Charles Darwin wäre ja auch ein typischer Privatgelehrter, der alleine aufgrund seiner Infektionskrankheit gar nicht in der Lage gewesen wäre, eine akademische Laufbahn einzuschlagen.

Ja, den hatte ich in meiner Aufzählung vergessen; wie auch den von Ihnen genannten Gregor Mendel. Es ist überhaupt erstaunlich, wieviele wissenschaftliche Leistungen wir denen verdanken, die keine wohlbestallten Professoren waren.

Aber sie werden seltener, diese Leuchten der privaten Gelehrsamkeit. Weil man zur Forschung nicht nur in den Naturwissenschaften heute einen Apparat braucht, der ihnen in der Regel nicht zur Verfügung steht.

Wenn sie nicht gerade staatliche Protektion genießen, wie Manfred von Ardenne. Oder sich ein Mäzen findet.

Auf Anhieb fällt mir aus dem Zwanzigsten Jahrhundert kein bedeutender Wissenschaftler ein, der nicht ganz bieder universitär geforscht hätte - fällte Ihnen einer ein, oder sonst jemandem? Auch Einstein integrierte sich ja bald in den Forschungsbetriebe, als Quereinsteiger. Er war vielleicht der letzte, der seine ersten großen Arbeiten schrieb, als er noch außerhalb der Forschung sein Geld verdiente.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

15.01.2009 18:50
#8 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Lieber Herr Zettel

da die Antwort zu sehr offtopic ist, habe ich mir erlaubt, Sie Ihnen als PN zu senden. Der Werdegang des Manfred von Ardenne und seiner Wahrnehmung der Welt, speziell der politischen Welt ist ein Kapitel für sich.

Libero

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.01.2009 19:24
#9 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Libero
Lieber Herr Zettel
da die Antwort zu sehr offtopic ist, habe ich mir erlaubt, Sie Ihnen als PN zu senden. Der Werdegang des Manfred von Ardenne und seiner Wahrnehmung der Welt, speziell der politischen Welt ist ein Kapitel für sich.
Libero

Lieber Libero,

off topic ist hier ja eigentlich nichts. Aus meiner Sicht ist ein Artikel, den ich schreibe, sozusagen nur die Eröffnung einer Konversation (von netten und und intelligenten Menschen). Und dann schaut man, wohin der Diskussionsfaden führt. Sagen wir, wie wenn man bei Fontane an der Table d'Hôte sitzt.

Nur dann, wenn sich ein ganz neues Thema herausbildet, schlage ich manchmal vor, einen neuen Thread unter "Weitere Themen" zu eröffnen. Das ist aber bisher nur ganz selten vorgekommen.

Also, wenn Sie mögen - was Sie mir geschrieben haben (und was ich interessant fand) kann aus meiner Sicht gern auch hier stehen. Ich könnte mir denken, daß es auch andere interessiert.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

15.01.2009 19:40
#10 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Zettel
off topic ist hier ja eigentlich nichts.


Es steht unter weitere Themen.

Herzlichst
Libero

jana Offline




Beiträge: 348

15.01.2009 21:47
#11 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

In Antwort auf:
Auf Anhieb fällt mir aus dem Zwanzigsten Jahrhundert kein bedeutender Wissenschaftler ein, der nicht ganz bieder universitär geforscht hätte - fällte Ihnen einer ein, oder sonst jemandem?


Lieber Zettel,

wahrscheinlich muß man sich da Gebieten zuwenden, die - aus welchen Grÿndn auch immer - nur für Wenige von Interesse sind und 4 die daher kein Fördergelder-Fundus bereitsteht. ... Gerade habe ich mich an einen Artikel aus der Schweizer Weltwoche (15.09.2004, Ausgabe 38/04) ÿber Oliver Sacks erinnert, den die meisten nicht gerade als Farnkundler kennen:
Farn, Farn away
Erkenntnis aus der Botanik: Die Forschung braucht mehr Amateure. Von Mathias Plüss

Leider ist der Artikel nur den Abonnenten zugänglich. Ein Glÿck, daß ich dazu gehöre! Ein Unglÿck, daß ich hier keine Texte reinstellen darf!! Jedenfalls glaube ich, daß Oliver Sacks (auf besagtem Gebiet) & andere Mitglieder "seiner" Fern Society zu fachkundigen Dilettanten im besten Sinne des Wortes gehören. Sacks wird dort zu Darwin, Mendel oder auch Humboldt zitiert:

«Sie alle waren in einem gewissen Sinne Amateure – Autodidakten, die aus eigenem Antrieb handelten und keiner Institution angehörten, und sie lebten in einer Art Paradies, das noch nicht von den geradezu mörderischen Rivalitäten einer zunehmend professionalisierten Welt erschüttert war.»

BTW: Stimmt das, mit den mörderischen Rivalitäten, oder trifft das auf D nicht zu? Und wäre das evtl. gar wÿnschnswert? (Womit ich aber keine neue Diskussion anZettel-n möchte!)

Ich bin keine Wissenschaftlerin, glaube aber, daß institutionalisierte Forschung immer (mehr) die Gefahr in sich birgt, die Wissenschaft zu erwürgen. Gleichzeitig sehe ich ein, daß sie nötich is. Hmmmm ... Jedenfalls kommen die besten Ideen von Seiteneinsteigern.

Ach so: Der einganx zitierte Artikel aus der Weltwoche bezog sich auf das Buch
"Die feine New Yorker Farngesellschaft: Ein Ausflug nach Mexiko":
http://www.amazon.de/Die-feine-New-Yorke...32051016&sr=1-1

Komisch, daß ich es noch nicht hab. (Immerhin isses jetzt auf meim MerkZettel gelandet!)

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

15.01.2009 22:02
#12 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Libero
lese ich zuviel Abwertung in diesem Text
Es ist tatsächlich ein Ausrutscher in dem Text: "Wölflingen", das ist natürlich nicht sehr nett und läßt vielleicht den Eindruck entstehen, daß hier nur gespottet wird, und noch dazu über bedeutende Leistungen.

Das wollte ich nicht.

Über die jeweilige Qualität der Riesenwerke habe ich gar nichts gesagt. Den erwähnten Luhmann abzuwerten, würde mir nicht einfallen, ganz zu schweigen etwa vom großen Pierre Bayle, dem Urvater und Weltrekordhalter des privaten Riesenwerk-Verfassens.

Was bei einem solchen Großvorhaben herauskommt, d.h. was andere mit dem Werk anfangen können, war mir überhaupt nicht wichtig.

Sein Leben mit einem einzigen Riesenprojekt auszufüllen, hat etwas Tragikomisches, fordert aber auch Respekt. Dazu gehört schon einiges, banal ist eine solche Hingabe nicht. Ich bin mit jemandem befreundet, der seit fünfzehn Jahren an einem Riesenwerk arbeitet, und beneide ihn darum manchmal, wogegen mich der Müllhaufen von Halbgelungenem, den ich hinter mir lasse, oft nur wenig beglückt.
Zitat von Libero
Unfair finde ich es auch, einen Komponisten des Barocks mit einem Komponisten der Klassik wie Mozart zu vergleichen. ... Die Bedingungen des kompositorischen Schaffens waren einfach andere.
Sie nehmen Telemann in Schutz und ziehen dazu das ganze Barockzeitalter herunter. Seit ich Radio höre, wird mir Telemann als besonders interessanter Komponist vorgestellt, immer verbunden mit dem Hinweis, wie sehr man ihn doch allenthalben unterschätze. Er ist ja auch sehr vielfältig, bestimmt einfallsreicher als J. S. Bach oder Händel - seine Auftraggeber müssen ein sehr gutes Gedächtnis gehabt haben -, immer klingt das anders - nur sagt es mir nie etwas. Diese Wertung kann nicht nur dem Urteil des 19. Jahrhunderts entspringen, weil ich den Telemannschen Ursprung eines Musikstücks an diesen beiden Eigenschaften recht zuverlässig erraten kann. Vielseitig-überraschend und doch langweilig: diese Kombination ist schon eigenartig. Das konnte nur Telemann.

Ganz anders zum Beispiel der ebenso barocke Muffat. Klingt immer nach Muffat, aber wie dankbar kann man dafür sein! Was für eine sinnliche, süffige, intensive, spätsommerliche Musik.

Überhaupt der Abwechslungsreichtum - daß Radioredakteure diesen schätzen, ist schon klar - doch für's Leben genügt doch ein "Time stands still" (solange alles gut aussieht), ein "Lascia ch'io pianga" (das Hilfreichste bei Kummer) und ein "Komm' Hoffnung, laß den letzten Stern der Müden nicht erbleichen" (wenn es ganz dick kommt).

Sie selbst verweisen auf ein Lieblingsstück, das Sie nicht der Abwechslung opfern mögen. Im Barockzeitalter mussten die Kompositeure immer etwas Neues liefern und schrieben daher oft Ähnliches; heute hört man gerne immer wieder dasselbe, und kann sich daher auf das Allerbeste konzentrieren, wie zum Beispiel die Vier Jahreszeiten, die Feuerwerksmusik, oder die oben genannten Superhits.

Haydn gehört übrigens zu den tatsächlich bis heute unterschätzten Komponisten - hätte Mozart ihn bloß nicht "Papa" genannt -, ebenso wie der äußerst selten gespielte Gluck. So beliebt ist die Klassik gar nicht.

Vielen Dank für den Tip mit der 1. Symphonie! Ich brauche auch ab und zu einen Schub.

Gruß,
Kallias

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

15.01.2009 22:04
#13 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Zettel
Auf Anhieb fällt mir aus dem Zwanzigsten Jahrhundert kein bedeutender Wissenschaftler ein, der nicht ganz bieder universitär geforscht hätte - fällte Ihnen einer ein, oder sonst jemandem?
Ernst Jünger, der berühmte Käferforscher?

Gruß,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 04:15
#14 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Liebe Jana,

Zitat von jana
Jedenfalls glaube ich, daß Oliver Sacks (auf besagtem Gebiet) & andere Mitglieder "seiner" Fern Society zu fachkundigen Dilettanten im besten Sinne des Wortes gehören.

Ja, die Societies, die Kreise, die Gesellschaften usw. Das haben wir noch gar nicht einbezogen - daß dieser Unterbau an Amateuren und Privatforschern ja hochstrukturiert ist. (Ach ja, doch, Kallias hat ja despektierlich von Hühnerhaufen geschrieben ).

Im Literarischen, in der Philosophie geht das gleitend über in den Bereich der rein Rezeptiven. Für jeden größeren und auch viele kleine Dichter gibt es eine "Gesellschaft", manchmal eine "Gesellschaft der xyz-Leser". Da sind meist die Forscher mit den Lesern vereint, und mancher Leser traut sich schon einmal an eine kleine Forschung heran.

Bei Dichtern übernehmen allerdings meist schnell die Philologen das Ruder, wie zum Beispiel bei Arno Schmidt. Anfangs haben da Hinz und Kunz dechiffriert und psychoanalysiert; heute ist alles schön solide philologisch, mit jeder Mange Master-Arbeiten und auch schon mancher Dissertation als Krönung. Ob sich auch schon jemand über AS habilitiert hat, weiß ich nicht; zu rechnen ist jedenfalls damit.
Zitat von jana
Sacks wird dort zu Darwin, Mendel oder auch Humboldt zitiert:
«Sie alle waren in einem gewissen Sinne Amateure – Autodidakten, die aus eigenem Antrieb handelten und keiner Institution angehörten, und sie lebten in einer Art Paradies, das noch nicht von den geradezu mörderischen Rivalitäten einer zunehmend professionalisierten Welt erschüttert war.»
BTW: Stimmt das, mit den mörderischen Rivalitäten, oder trifft das auf D nicht zu? Und wäre das evtl. gar wÿnschnswert? (Womit ich aber keine neue Diskussion anZettel-n möchte!)

Ich bin gar nicht so sicher, daß die Rivalitäten damals geringer waren als heute. Darwin litt, wenn ich mich recht erinnere, ja so sehr unter solchen Angriffen, daß er Manches erst nach langem Zögern publizierte.

Es waren sicherlich zum Teil andere Rivalitäten - es ging mehr um Ansehen, um die Durchsetzung wissenschaftlicher Meinungen oder Erkenntnisse, als um schnöde Lehrstühle. Aber das lag wohl auch daran, daß man damals - bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts - als Professor miserabel bezahlt wurde und das deshalb für einen vermögenden Privatier überhaupt nichts Erstrebenswertes war. Sich mit den Studenten rumärgern, das überließ er gern den armen Schluckern.
Zitat von jana
Ich bin keine Wissenschaftlerin, glaube aber, daß institutionalisierte Forschung immer (mehr) die Gefahr in sich birgt, die Wissenschaft zu erwürgen. Gleichzeitig sehe ich ein, daß sie nötich is. Hmmmm ... Jedenfalls kommen die besten Ideen von Seiteneinsteigern.

Ich habe den Eindruck, daß das seit gut einem Jahrhundert kaum noch der Fall ist. Daß Sie, liebe Jana, Sacks genannt haben und Kallias Ernst Jünger, ist vielleicht bezeichnend. Beide ja keine ernsthaften Wissenschaftler; auch wenn Jüngers Käfermanie sicherlich die eine oder andere neue Art zutage geförert hat, vielleicht auch manchens über das Leben der Käfer (die er freilich tot wohl mehr schätzte).

Woran liegt es? Ich glaube, an der schieren Menge an Arbeit, die man heute braucht, um überhaupt erst mal an die Grenze der Forschung vorzustoßen. Das geht erstens nicht privat, weil man Zugang zu Labors, Bibliotheken, Großrechnern usw. braucht. Zweitens geht es nur noch selten allein, weil man diese Arbeitsmenge eben nur im Team bewältigen kann.



Als ich studierte, in den sechziger Jahren, war das Promovieren in der Regel noch ein Einzelkämpfertum. Man "ließ sich ein Thema geben" vom "Doktorvater" und machte sich dann ans Werk. Was die Uni ihren Doktoranden zur Verfügung stellte, das war allenfalls ein Laborplatz und der Zugang zur Bibliothek und zum Rechenzentrum (das war damals das "Deutsche Rechenzentrum" in Darmstadt, an das man seine Lochkarten schickte, um Tage oder Wochen später glücklich seine Varianzanalyse in Händen zu halten).

Heute ist das Promovieren in der Regel ein Gemeinschaftsunternehmen. Es gibt ein Postgraduiertenstudium (damals in Deutschland unbekannt; außer dem wöchentlichen "Doktorandenseminar"), und die meisten Dissertationen entstehen innerhalb von größeren Forschungsprojekten.

Was für die Doktoranden den großen Vorteil hat, daß sie eine Bezahlung erhalten. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das den wenigen Glücklichen vorbehalten, die eine Hilfskraft- oder gar eine Assistentenstelle ergattert hatten.

Vor allem aber bedeutet es, daß man ständig mit anderen diskutiert, Kritik und Anregungen bekommt, vor Irrwegen bewahrt wird. Die eigenbrötlerischen Dissertationen, in denen sich irgendwer in ein seltsames Thema vergräbt (ich habe mal antiquarisch eine über die Augen der Tübinger Theologiestudenten gekauft, untersucht getrennt nach protestantisch und katholisch - gar nicht so uninteressant) - diese Dissertationen sind Vergangenheit.

Wie, liebe Jana, soll da der Große Einzelne noch etwas zuwege bringen, das dem Stand der Forschung entspricht?

Herzlich, Zettel

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

16.01.2009 10:27
#15 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Zettel
Auf Anhieb fällt mir aus dem Zwanzigsten Jahrhundert kein bedeutender Wissenschaftler ein, der nicht ganz bieder universitär geforscht hätte - fällte Ihnen einer ein, oder sonst jemandem?
Ramanujan

Gruß,
Kallias

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.01.2009 12:45
#16 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Zettel
Woran liegt es? Ich glaube, an der schieren Menge an Arbeit, die man heute braucht, um überhaupt erst mal an die Grenze der Forschung vorzustoßen. Das geht erstens nicht privat, weil man Zugang zu Labors, Bibliotheken, Großrechnern usw. braucht. Zweitens geht es nur noch selten allein, weil man diese Arbeitsmenge eben nur im Team bewältigen kann.

Das ist sicher richtig - aber nur für einige Disziplinen, die sehr technikintensiv sind.
Insbesondere also weite Bereiche der Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Obwohl natürlich umgekehrt die modernen Bedingungen auch die Arbeitsmöglichkeiten eines Einzelgängers enorm verbessert haben.
Ein normaler PC hat mehr Rechenleistung als früher ein Großrechner, mit überschaubarem Aufwand kann man sich auch privat ein Cluster zusammenbauen, das erstaunliche Leistung hat.
Per Fernleihe und Internet bekommt man mehr Informationen als in der besten Bibliothek.
Und die modernen Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten erleichtern Forschung ungemein.

In sehr vielen Disziplinen kann immer noch der Einzelforscher voll mithalten. Besonders in den Geisteswissenschaften sind seine Bedingungen eher besser geworden.
Auch für die - in der Tat sehr wichtige - kritische Kommunikation mit Fachkollegen braucht man keine Mitarbeiter. Das ging früher schon mit Briefen und heute mit Email und Internetforen noch viel besser.

Aber eine ganz wichtige Sache hat sich geändert: Die sozialen Voraussetzungen fehlen.

Es gibt nicht mehr die wohlhabende Elite, die finanziell unabhängig keiner Erwerbstätigkeit oder Karriere nachgehen mußten.
Wo es vor allem auch völlig akzeptabel war, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, sondern völlig sinnfreien Forschungen zu frönen.

Gerade letzterer Aspekt ist wohl wichtig.
Nach 60 Jahren Frieden gibt es zwar allmählich wieder vermehrt Leute, die von ihrem Erbe leben könnten. Aber auch diese können sich selten dem gesellschaftlichen Druck entziehen, sich mit einer produktiven Karriere zu beweisen.
Einfach nur von den Zinsen zu leben und Käferbeine zu zählen gilt immer noch (in Nazi- und Sozi-Tradition) als Schmarotzertum.

Und man bräuchte ja viele dieser Leute, damit ab und zu unter diesen sich einer findet, der Fleiß, Begabung und Motivation für ein Privatgelehrtendasein hat.

Libero Offline



Beiträge: 393

16.01.2009 17:12
#17 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von R.A.
Einfach nur von den Zinsen zu leben und Käferbeine zu zählen gilt immer noch (in Nazi- und Sozi-Tradition) als Schmarotzertum.

Und man bräuchte ja viele dieser Leute, damit ab und zu unter diesen sich einer findet, der Fleiß, Begabung und Motivation für ein Privatgelehrtendasein hat.


Als wenn es diese Traditionen nur bei Nazis oder Sozis gäbe. Es gibt auch in Familien anderer Schichten Normen, wie sich der berufliche Lebensweg des Nachwuchses zu gestalten hat und die andere Berufe als anrüchig und unehrenhaft ansehen.

Der Hamburger Künstlerclub von 1893 bestand aus Söhnen aus dem Bürgertum. Einige von ihnen haben erst einmal Maler gelernt, weil Künstler, nein, das ging nun wirklich nicht. Wohnung malen ja, Leinwände vollklecksel, ich bitte sie, das ist doch unanständig.

Der Maler von Keyserling, Weimar und Hamburg. Alte Offiziersfamilie. Sein hochbegabter Sohn Wolf versuchte die Erwartungen des Großvater zu erfüllen, ging zum Eliteregiment, war zu feinfühlig für den rauen und dummen Ton der Offiziere, besuchte seine Familie, nahm die Waffe seines Vaters und erschoss sich mit 18.

Der Großvater von Herrn Jauch begründete die katholische Linie der Jauch, einer alteingessene Hamburger Patrizierfamilie. Sein Lebensweg galt nicht unbedingt als familiengemäß. Sehen Sie sich im Internet mal an, wer die Jauchs waren.

Eine ähnliche Stellung hatten in Bremen die Kulenkampffs. Altes Handelshaus und ein Sprößling wird Schauspieler und Showmaster. Shocking.

Gleiches galt für die Offiziersfamilie. Hubert von Meyerings Ansinnen, Schauspieler zu werden, traf auf einhellige Ablehnung im größeren Familienkreis.

Soll ich fortfahren? Beispiele habe ich mehr als genug. Das können wir auch gerne auf andere Länder ausdehnen.

Libero

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.01.2009 17:45
#18 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Libero
Als wenn es diese Traditionen nur bei Nazis oder Sozis gäbe.

Da möchte ich klarstellen, daß ich mich hier auf die "Schmarotzer"-Bezeichnung abhebe (mit der Konsequenz "ist zu liquidieren).

Und es ging um eine Lebensgestaltung, bei der man nicht für seinen Lebensunterhalt arbeitet und sich stattdessen der Wissenschaft widmet.

Alle genannten Beispiele dagegen spiegeln die Verachtung mancher Familien/Schichten gegen gewisse Berufe wieder - das ist etwas völlig anderes.
Diese Ablehnung hatte nichts damit zu tun, ob der Betreffende mit diesem Beruf nun Geld verdiente oder nicht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 21:24
#19 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Kallias
Zitat von Zettel
Auf Anhieb fällt mir aus dem Zwanzigsten Jahrhundert kein bedeutender Wissenschaftler ein, der nicht ganz bieder universitär geforscht hätte - fällte Ihnen einer ein, oder sonst jemandem?
Ramanujan

Stimmt. Vielleicht sind die Mathematiker und die Philosophen die letzten, die so etwas noch können.

Off topic: Diese indische Begabung für Mathematik, allgemein für Formales, Logisches, ist ja schon etwas Erstaunliches. Vor Jahrtausenden waren sie Pioniere der Mathematik, haben die Null erfunden usw., und heute haben sie offenbar massenweise Leute, die so schnell programmieren können, wie unsereins Deutsch schreibt.

Nature or Nurture?

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 21:46
#20 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Lieber R.A.,

Zitat von R.A.
Obwohl natürlich umgekehrt die modernen Bedingungen auch die Arbeitsmöglichkeiten eines Einzelgängers enorm verbessert haben.

Das ist richtig. Aber ihre Verwendung bewirkt, daß er eben gar kein Einzelgänger mehr ist. Wer seine Arbeit ständig via Internet mit anderen bespricht, der arbeitet faktisch wie in einem Team.

Die Ressourcen sind aber nur der eine Aspekt. Der andere ist, daß heute Forschung, die wirklich die Wissenschaft voranbringt, von einem Einzelnen gar nicht mehr geleistet werden kann.

Ist das in den Geisteswissenschaften anders als in den Naturwissenschaften, wenn wir diese einigermaßen problematische Unterscheidung einmal akzeptieren? Vielleicht. Aber auch historische, auch philologische Forschung erfordet heute wohl in vielen Bereichen Teamarbeit. Weil man Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammenführen muß, bis hin zu naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Und weil aufgrund der Internationalisierung der Forschung an einem Thema in der Regel wohl viele zugleich arbeiten, mit denen man Kontakt halten muß.

(Die vielen "wohls" deshalb, weil ich mich auf diesem Gebiet nicht gut auskenne; ich höre es so gelegentlich von Kollegen).
Zitat von R.A.
Einfach nur von den Zinsen zu leben und Käferbeine zu zählen gilt immer noch (in Nazi- und Sozi-Tradition) als Schmarotzertum.
Und man bräuchte ja viele dieser Leute, damit ab und zu unter diesen sich einer findet, der Fleiß, Begabung und Motivation für ein Privatgelehrtendasein hat.

Er hätte es auch sehr schwer, in der Scientific Community Gehör zu finden.

Mir ist jedenfalls noch nie einer begegnet, auch nicht bei interdisziplinären Unternehmungen, an denen auch Philosophen beteiligt waren.

Wenn jemand etwas publiziert, dann steht unter dem Namen oder den Namen die affiliation . Fast immer ist es eine Universität, selten einmal ein privates Forschungsinstitut. Aber jemand ohne eine solche affiliation hätte es vermutlich sehr schwer, seine Sachen überhaupt publiziert zu bekommen.

Dahinter steckt auch so etwas wie eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung der Herausgeber von Zeitschriften: Wenn jemand an einem angesehenen Uni-Institut arbeitet, dann sorgt schon die dortige Qualitätskontrolle dafür, daß er ordentlich arbeitet, keine Daten fälscht usw. Wenn sich ein unbekannter Dr. habil. X aus der Provinz meldet, ist darauf kein Verlaß.

Früher - bis in die fünfziger, sechziger Jahre - war es bei deutschen Publikationen in Fachzeitschriften üblich, daß über dem Titel eines Artikels stand: "Aus dem Institut für Donaldologie der Universität Entenhausen (Direktor: Prof. Dr. mult. Quack)" oder so ähnlich. Damit wurde signalisiert, daß Prof. Quack den Artikel gelesen und gebilligt hatte.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

16.01.2009 21:47
#21 Inder und Formales Antworten

Zitat von Zettel
Off topic: Diese indische Begabung für Mathematik, allgemein für Formales, Logisches, ist ja schon etwas Erstaunliches. Vor Jahrtausenden waren sie Pioniere der Mathematik, haben die Null erfunden usw.,

Und nicht zu vergessen die Grammatik, die im Sanskrit und zuvor im Vedischen auch unglaublich formalisiert ist, siehe Pāṇini (man beachte den Retroflex beim ersten ṇ ):
http://en.wikipedia.org/wiki/Ashtadhyayi
http://en.wikipedia.org/wiki/Sanskrit#Grammatical_tradition
http://en.wikipedia.org/wiki/Sanskrit_grammarians

Zitat von Zettel
und heute haben sie offenbar massenweise Leute, die so schnell programmieren können, wie unsereins Deutsch schreibt.

Erstens kann das auch nur daran liegen, dass dort eine Milliarde Leute herumspringen, da hat man schnell ein paar Programmierer... Und zweitens höre ich eigentlich wenig Gutes über die Inder als Programmierer (das muss man aber abdiskontieren dahingehend, dass die Leute, die nicht viel Gutes über die Inder berichten, sich sicher selbst durch die Inder bedroht sehen).

Zitat von Zettel
Nature or Nurture?

Oder eben doch wieder Sapir-Whorf... Ramanujan entstammte immerhin auch der Brahmanenkaste, in der sein Hirn sicher auch an Pāṇini geschärft wurde.

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The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 23:09
#22 Nature or Nurture? Antworten
Zitat von Gorgasal
Zitat von Zettel
Nature or Nurture?

Oder eben doch wieder Sapir-Whorf... Ramanujan entstammte immerhin auch der Brahmanenkaste, in der sein Hirn sicher auch an Pāṇini geschärft wurde.

Und die freilich auch genetisch ziemlich homogen sein dürfte.

Es ist halt so, daß meistens genetische Ähnlichkeit und gemeinsame kulturelle Einflüsse korrelieren. Das ist einer der Gründe, warum in der Nature vs Nurture- Kontroverse so schwer Eindeutiges zu ermitteln ist. Außer mit der Zwillingsmethode, aber die greift eben nur bei Individuen.

Also, da ist (leider) viel Spielraum für Vermutungen und vor allem auch für Ideologie. Ich halte es für am wahrscheinlichsten, daß es ziemlich komplexe Interaktionen zwischen Begabung und Umwelt gibt. Zum Beispiel suchen sich Begabte eine anregende Umwelt; mit dem Ergebnis, daß der genetische Anteil an der Varianz der Intelligenz im Lauf der Lebensspanne nicht etwa ab-, sondern zunimmt.

Auch bei den Brahmanen (oder, for that matter, bei den Aschkenase. Oder der historischen chinesischen Oberschicht) könnte es eine solche Wechselwirkung geben: Wer in einer die Intelligenz fordernden sozialen Umgebung intelligent ist, der hat (statistisch natürlich) bessere Reproduktionschancen (in anderen Gesellschaften vielleicht diejenigen, die aggressiv oder geschäftstüchtig sind). Und wenn in einer Population die betreffende Eigenschaft stark ausgeprägt ist, dann prägt sie eben auch wieder deren Kultur.

Wenn über viele Generationen hinweg die Intelligentesten (zB die Rabbis) viele Kinder haben, dann hebt das die Durchschnittsintelligenz der Population (der IQ amerikanischer Juden liegt bei einem Schnitt von 115). Und wenn in einer Population Intelligenz dominiert, dann wird sie auch eine Kultur haben, in der Intelligenz hoch im Kurs steht. Wie war das noch im kaiserlichen China, wo ein Mandarin vor allem viele Schriftzeichen beherrschen und Gedichte schreiben können mußte? Oder nehmen wir die schwäbischen Pfarrhäuser, aus denen Scharen von Gelehrten hervorgegangen sind.

So erscheint es mir plausibel, lieber Gorgasal. Aber wegen der großen methodischen Probleme kann man nicht mehr sagen, als was man plausibel findet. Auf sicherem Boden ist man allein bei Individuen. Naja, fast sicherem.

Herzlich, Zettel
califax Offline




Beiträge: 1.502

18.01.2009 01:33
#23 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Klug und fleißig - Illusion
Dumm und faul - das eher schon
Klug und faul - der meisten Laster
Dumm und fleißig - ein Desaster

The Outside of the Asylum

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

18.01.2009 17:23
#24 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von califax
In 33 Jahren Arbeit hat der Privatgelehrte Dieter Macek den ersten vollständigen Stammbaum der griechischen Götter- und Heroenwelt zusammengetragen. Das Dokument ist 52 Meter lang.
Wunderbar!
Zitat von Die Zeit
Der Altorientalist Robert Rollinger von der Universität Innsbruck ist überzeugt, dass in einem institutionellen Wissenschaftsbetrieb die Anfertigung eines solch akribischen Werks nicht möglich gewesen wäre. »Man wäre belächelt worden.«
Interesssant, wie Zettels These, heutige Forschung verlange große Apparate und Stäbe, hier umgedreht wird: nur ein Einzelgänger außerhalb der Universität kann in Altphilologie offenbar noch gründliche systematische Forschung leisten; innerhalb des akademischen Betriebs würde man sich damit lächerlich machen.

Tja, die Publikationsliste bleibt natürlich kurz, wenn man nur alle 33 Jahre etwas veröffentlicht. Die offizielle Wissenschaft orientiert sich daher vernünftigerweise am Forschom, der kleinsten veröffentlichungsfähigen Einheit: es geht darum, so oft wie möglich so wenig wie möglich zu erkennen und dies so rasch wie möglich allen mitzuteilen - das ist es wohl, was die Privatgelehrten nicht leisten können.

Gruß,
Kallias

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.01.2009 17:59
#25 RE: Der Privatgelehrte und sein Riesenwerk Antworten

Zitat von Kallias
Die offizielle Wissenschaft orientiert sich daher vernünftigerweise am Forschom, der kleinsten veröffentlichungsfähigen Einheit: es geht darum, so oft wie möglich so wenig wie möglich zu erkennen und dies so rasch wie möglich allen mitzuteilen - das ist es wohl, was die Privatgelehrten nicht leisten können.

Stimmt schon, lieber Kallias. Man habilitiert sich zB zunehmend kumulativ, weil jemand, der sich jahrelang mit seiner Habil abmüht, in dieser Zeit kaum Sonstiges publizieren kann und sich damit karrieremäßig schon ganz hinten anstellt.

Abgesehen davon, daß kaum jemand so eine lange Habil liest. Also zerlegt man sie in diese kleinen Häppchen, die man getrennt publiziert.

Nur - ist das schlechter für die Forschung? Am Ende hat man (ich rede jetzt von Naturwissenschaften) dieselben Experimente gemacht, die früher in einer Habil zusammen dargestellt wurden. Wahrscheinlich aber besser, weil man zB mit jeder Publikation durch aus den Kommentaren der Referees lernt. Auch weil man jedes Experiment auf Tagungen vorgetragen und die Kritik berücksichtigt hat.

Der Forschungsprozeß ist eben viel interaktiver geworden als noch vor fünfzig Jahren. Alles passiert ständig den Filter der Meinung anderer. Das hilft Fehler vermeiden, wie schon geschrieben. Es bewirkt, daß in jede Arbeit mehr Ideen eingehen, als ein Einzelner produzieren könnte.

Freilich - das große geniale Denkgebäude kommt so nicht zustande. Und vielleicht werden die Genies wirklich durch diese Produktionsmethode gehemmt. Nur gibt es davon ja nicht so viele.

Herzlich, Zettel

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