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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 23 Antworten
und wurde 1.647 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2009 19:37
Erinnerung an Theodor Heuss Antworten
In diesem Artikel erinnere ich an Theodor Heuss. Und erinnere ich mich an Theodor Heuss.

Er war der Bundespräsident schlechthin; als Heranwachsender konnte ich mir gar nicht vorstellen, daß ein Bundespräsident auch ganz anders sein konnte. Freilich war der Eindruck, daß ihm dieses Amt saß wie ein perfekter Maßanzug, auch einer falschen Perspektive geschuldet: Er war es ja, der als erster Präsident das Amt geprägt hatte. Daß der Bundespräsident so unpolitisch agiert, wie es sich seither herausgebildet hat, war und ist im Grundgesetz keineswegs angelegt. Es ist das Werk von Theodor Heuss; freilich auch dem Umstand zu verdanken, daß sein Nachfolger Heinricht Lübke unfähig zum Prägen war.

Daß er ein Liberaler war, ist für mich ein besonderer Grund zur Freude. Einer unter vielen großen Liberalen in der Frühzeit der Bundesrepublik; wenn sie auch nicht alle in der FDP waren: Ludwig Erhard, Thomas Dehler, Reinhold Maier, um nur drei zu nennen.
Dagny Offline



Beiträge: 1.096

01.02.2009 20:13
#2 RE: Erinnerung an Theodor Heuss Antworten

Vielen Dank für die Würdigung.

Sie haben Heuss offenbar noch erlebt, ich kenne ihn nur aus dem Geschichtsunterricht.

Es ist die Frage aufgetaucht, warum Heuss im ersten Weltkrieg nicht dienen musste? Weiterhin sprechen Sie an, dass das "Der Bundespräsident fertigt das Gesetz aus" sicherlich mehr Spielraum lässt, als es bei uns die Praxis ist. Die Macht des Präsidenten, über die sog. unechte Vertrauensfrage zu entscheiden hat ja vor 4 Jahren schon unglaublich viel Staub aufgewirbelt - dabei würde der aktuellen Parteiendemokratie ein wenig Präsidialdemokratie vielleicht im Sinne eines Balance of Power gut tun? Oder wie siehen die anderen Leser von Zettels Zimmer das?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2009 22:55
#3 RE: Erinnerung an Theodor Heuss Antworten

Zitat von Dagny
Sie haben Heuss offenbar noch erlebt, ich kenne ihn nur aus dem Geschichtsunterricht.

Ich habe, liebe Dagny, sogar einen Brief von ihm!

Ich habe Anfang der sechziger Jahr am Leibniz-Kolleg in Tübingen studiert. Da luden wir Studenten interessante Leute zu Gesprächen ein - zum Beispiel den Parapsychologen Bender, den Soziologen René König, den sehr eindrucksvollen Rechtsphilosophen Carl August Emge. Und auch Heuss, der damals ja schon nicht mehr Bundespräsident, haben wir eingeladen.

Er sagte ab, aber mit einem sehr schönen Schreiben. Und das habe ich aufbewahrt.
Zitat von Dagny
Es ist die Frage aufgetaucht, warum Heuss im ersten Weltkrieg nicht dienen musste?

Ja, ich habe das bei euch gesehen und auch, daß jemand schrieb, er hätte eben zu denen gehört, die andere in den Krieg schickten, selbst aber nicht hingingen.

Das halte ich, liebe Dagny, für abwegig. Wer eingezogen wurde, lag allein in der Entscheidung der Militärbehörden. Diese entschieden so, daß auch an der "Heimatfront" ein halbwegs normales Leben möglich war. Zeitungen zum Beispiel mußten erscheinen; also mußte ein gewisser Prozentsatz der Journalisten "in der Heimat" bleiben.

Vermutlich war das der Grund, warum Heuss nicht eingezogen wurde.
Zitat von Dagny
Weiterhin sprechen Sie an, dass das "Der Bundespräsident fertigt das Gesetz aus" sicherlich mehr Spielraum lässt, als es bei uns die Praxis ist. Die Macht des Präsidenten, über die sog. unechte Vertrauensfrage zu entscheiden hat ja vor 4 Jahren schon unglaublich viel Staub aufgewirbelt - dabei würde der aktuellen Parteiendemokratie ein wenig Präsidialdemokratie vielleicht im Sinne eines Balance of Power gut tun? Oder wie siehen die anderen Leser von Zettels Zimmer das?

Ich sehe das exakt so.

Heuss wollte bewußt kein zweiter Hindenburg sein. Aber daß das Grundgesetz dem Präsidenten mehr Mitspracherecht einräumt, als es seit Heuss faktisch wahrgenommen wurde, sieht man zum Beispiel an dem Verfahren bei der Wahl des Kanzlers nach Bundestagswahlen.

Das hätte ja auch so geregelt sein können, daß aus dem Bundestag heraus Kandidaten nominiert werden und und über diese dann abgestimmt wird. Aber das GG (Paragraph 63) sieht vor, daß es der Bundespräsident ist, der dem Parlament einen Kandidaten vorschlägt.

Das macht nur Sinn, wenn man voraussetzt, daß er zuvor Konsultationen mit den Parteien geführt und dann unter verschiedene möglichen Kandidaten denjenigen ausgesucht hat, dem er die größten Chancen einräumt.

Faktisch war das aber bis 2005 nie nötig, weil entweder die siegreiche Koalition schon aufgrund des Wahlergebnisses feststand oder sich noch in der Wahlnacht entschied, wie 1969 (sozialliberale Koalition) und 1998 (rotgrüne Koalition).

2005 war das erstemals anders; und es war interessant, daß sich Horst Köhler fast überhaupt nicht in die Regierungsbildung einschaltete. Das Recht dazu hätte er gehabt.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

01.02.2009 23:09
#4 Ermächtigungsgesetz Antworten
Zitat von Zettel
Im übrigen konnte man aus ehrenwerten Motiven dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.

Gerade wollte ich Sie bitten, das ein wenig auszuführen. Aber dann habe ich mir noch den Wikipedia-Eintrag zum Ermächtigungsgesetz durchgelesen und muss Ihnen zustimmen, so sehr mir Ihre These gegen den Strich ging und geht. Aber das tue ich ja gern.

--
The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2009 23:28
#5 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von Gorgasal
Zitat von Zettel
Im übrigen konnte man aus ehrenwerten Motiven dem Ermächtigungsgesetz zustimmen.

Gerade wollte ich Sie bitten, das ein wenig auszuführen. Aber dann habe ich mir noch den Wikipedia-Eintrag zum Ermächtigungsgesetz durchgelesen und muss Ihnen zustimmen, so sehr mir Ihre These gegen den Strich ging und geht. Aber das tue ich ja gern.

Es ist wie so oft: Im Rückblick stellt sich eine Situation ganz anders dar als für die Zeitgenossen. Wenn man weiß, was einmal aus einem Embryo wird, dann wird man den einer Maus und eines Menschen verschieden sehen. Wenn man das nicht weiß, sehen sie anfangs aber zum Verwechseln ähnlich aus.

Niemand konnte 1933 vorhersagen, wie es weitergehen würde. Ich habe kürzlich die "Geschwister Oppermann" von Feuchtwanger erwähnt; da wird geschildert, wie auch viele Juden 1933 nicht glaubten, daß die Nazis wirklich ihre Vertreibung, wenn nicht gar ihre Vernichtung wollten. Und Chamberlain hat ja noch 1938 Hitler für einen Mann gehalten, dessen Wort gilt.

Es gab ein gutes Argument, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen: Damit blieb die Verfassung der Republik formal erhalten. Das diente natürlich Hitler, der legal an die Macht kam. Aber es gab auch Demokraten - im Zentrum, in der DStP -, die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.

Hätte Hitler keine Mehrheit für sein Ermächtigungsgesetz bekommen (ein rein hypothetischer Fall), dann wäre er ja nicht zurückgetreten, sondern er hätte vielleicht die Verfassung für ungültig erklärt. Das hat er ja nie getan; bis 1945 galt formal die Wemarer Verfassung.

Jedenfalls ist es voreilig und auch billig, alle diejenigen moralisch zu verurteilen, die dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt haben. Aber da unter diesen keine Kommunisten waren und (wenn ich mich recht erinnere) auch kein Sozialdemokrate, gehörte es immer zu den Instrumenten linker Propaganda, zu sagen: Da sieht man es. Wenn es hart auf hart geht, dann stehen die bürgerlichen Parteien eben auf derselben Seite wie die Rechtsextremen.

Herzlich, Zettel

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

01.02.2009 23:28
#6 RE: Erinnerung an Theodor Heuss Antworten
Zitat von Zettel

Vermutlich war das der Grund, warum Heuss nicht eingezogen wurde.


2005 war das erstemals anders; und es war interessant, daß sich Horst Köhler fast überhaupt nicht in die Regierungsbildung einschaltete. Das Recht dazu hätte er gehabt.




Im A-team antwortet jemand, verheiratete ab 30 wären einfach nicht eingezogen worden. (Was einer militärischen Logik nach leider sinn macht. Denn ein Familienvater hat etwas zu verlieren, ein Abiturient meutert nicht so leicht.)

Das mit dem Recht des BuPrä den Kanzler vorzuschlagen muss ich glatt nachschlagen. In der Praxis würde ein Bestehen auf diesem Recht an der "herschenden Meinung" scheitern?

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Tatsache. Auf Vorschlag des Präsidenten wird der Kanzler gewählt. Nun, angenommen der Präsident schlägt in einer Pattsituation einen Kanzler vor, der keine Mehrheit findet - das Debakel wäre erstmal perfekt, die parteienstaatsnahe Presse würde den Präsidenten in der Luft zerreissen. Ein Amtsenhebungsverfahren wäre dagegen erfolglos.... Ach, meine anarchistische Seite hätte Freude daran.
Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

01.02.2009 23:50
#7 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von Zettel
Niemand konnte 1933 vorhersagen, wie es weitergehen würde. Ich habe kürzlich die "Geschwister Oppermann" von Feuchtwanger erwähnt; da wird geschildert, wie auch viele Juden 1933 nicht glaubten, daß die Nazis wirklich ihre Vertreibung, wenn nicht gar ihre Vernichtung wollten.

Sie hatten ja jahrhundertelang einen dauernden Antisemitismus erlebt und waren davon ausgegangen, dass diesmal auch nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Bevor man dann "nur" aufgrund der Wahl einer "sozialistischen" Partei (und dann auch noch mit nur einem Drittel der Reichstagssitze) seine ganze Existenz in Deutschland aufgibt und auswandert, muss einiges passieren.

Zitat von Zettel
Es gab ein gutes Argument, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen: Damit blieb die Verfassung der Republik formal erhalten. Das diente natürlich Hitler, der legal an die Macht kam. Aber es gab auch Demokraten - im Zentrum, in der DStP -, die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.

Hätte Hitler keine Mehrheit für sein Ermächtigungsgesetz bekommen (ein rein hypothetischer Fall), dann wäre er ja nicht zurückgetreten, sondern er hätte vielleicht die Verfassung für ungültig erklärt. Das hat er ja nie getan; bis 1945 galt formal die Wemarer Verfassung.

Laut Wikipedia war Prälat Kaas vom Zentrum der Meinung, dass Widerstand an Hitler nichts ändern würde, dafür saß er zu fest im Sattel. Außerdem saß den Katholiken natürlich noch der Kulturkampf in den Knochen. Vielmehr könnte durch eine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz zumindest noch ein Teil der Anliegen des Zentrums gerettet werden, und in der Liste, die Wikipedia da angibt, sind vier von sechs Punkten fundamental rechtsstaatlich:
Zitat von Wikipedia

* Weiterbestehen der Länder,
* Sicherung des christlichen Einflusses in Schule und Erziehung,
* Respektierung der Länderkonkordate und der Rechte der christlichen Konfessionen,
* Unabsetzbarkeit der Richter,
* Beibehaltung des Reichstags und des Reichsrats,
* Wahrung der Stellung und der Rechte des Reichspräsidenten.



Zitat von Wikipedia
Göring und Hitler schafften es, die bürgerlichen Parteien auf ihre Seite zu ziehen – zum einen durch Verhandlungen vom 20. März (siehe Tag von Potsdam), zum anderen durch eine wirksame Drohkulisse, die die SA im Ausweichquartier des ausgebrannten Reichstagsgebäudes, in der Krolloper, durch ihre Präsenz aufbaute. Die erzwungene Abwesenheit der KPD-Abgeordneten auf Grund von Verhaftung, Ermordung und Flucht erhöhte den Druck auf die bürgerlichen Parlamentarier.


Zitat von Zettel
Jedenfalls ist es voreilig und auch billig, alle diejenigen moralisch zu verurteilen, die dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt haben. Aber da unter diesen keine Kommunisten waren und (wenn ich mich recht erinnere) auch kein Sozialdemokrate, gehörte es immer zu den Instrumenten linker Propaganda, zu sagen: Da sieht man es. Wenn es hart auf hart geht, dann stehen die bürgerlichen Parteien eben auf derselben Seite wie die Rechtsextremen.

Zitat von Wikipedia
Nach der Ausschaltung der KPD stimmte allein die SPD (94 Stimmen) im Reichstag gegen das Gesetz. ... 109 Abgeordnete verschiedener Fraktionen nahmen nicht an der Abstimmung teil:

* 26 Abgeordnete der SPD waren inhaftiert oder geflohen
* 81 Abgeordnete der KPD (die gesamte Fraktion) wurden vor der Abstimmung widerrechtlich verhaftet, ermordet oder waren geflüchtet und untergetaucht
* 2 weitere Abgeordnete fehlten aus unbekannten Gründen


http://de.wikipedia.org/wiki/Erm%C3%A4chtigungsgesetz

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The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

02.02.2009 00:01
#8 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von Gorgasal

Sozialdemokrate, gehörte es immer zu den Instrumenten linker Propaganda, zu sagen: Da sieht man es. Wenn es hart auf hart geht, dann stehen die bürgerlichen Parteien eben auf derselben Seite wie die Rechtsextremen.


Ja, die Kommunisten sind ja Scharenweise zu den Nazis übergelaufen. Aussen Braun, innen Rot - Bockwurst nannte es der Berliner.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2009 05:32
#9 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von Gorgasal
Sie hatten ja jahrhundertelang einen dauernden Antisemitismus erlebt und waren davon ausgegangen, dass diesmal auch nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Bevor man dann "nur" aufgrund der Wahl einer "sozialistischen" Partei (und dann auch noch mit nur einem Drittel der Reichstagssitze) seine ganze Existenz in Deutschland aufgibt und auswandert, muss einiges passieren.

So ist es. Wir haben ja kürzlich in einem anderen Zusammenhang über Erwartung-mal-Nutzen Modelle des Entscheidungsverhaltens diskutiert. Der Nutzen eines Bleibens war für Viele in Relation zu den Kosten einer Auswanderung so hoch, daß es für sie rational war, zu bleiben, solange die Wahrscheinlichkeit, daß das Bleiben in Deutschland erträglich bleiben würde, subjektiv als hinreichend hoch eingestuft wurde.

In dieser Hinsicht "leichter" fiel die Entscheidung den politisch Engagierten. Da lag es auf der Hand, daß sie verfolgt werden würden; sie hatten kaum eine Wahl, als zu emigrieren.
Zitat von Wikipedia
Göring und Hitler schafften es, die bürgerlichen Parteien auf ihre Seite zu ziehen – zum einen durch Verhandlungen vom 20. März (siehe Tag von Potsdam), zum anderen durch eine wirksame Drohkulisse, die die SA im Ausweichquartier des ausgebrannten Reichstagsgebäudes, in der Krolloper, durch ihre Präsenz aufbaute. Die erzwungene Abwesenheit der KPD-Abgeordneten auf Grund von Verhaftung, Ermordung und Flucht erhöhte den Druck auf die bürgerlichen Parlamentarier.

Das ist das, was ich in der Schule gelernt habe, was man überall lesen kann. Und es impliziert ja, daß die Zustimmungen im Grunde aus Feigheit gehandelt haben, indem sie eben diesem Druck nachgegeben haben.

Daß das vorkam, daß das in der Motivlage vieler als ein Faktor eine Rolle spielte, kann man sicher kaum bestreiten. Aber es gab eben auch rationale Motive.

Oder anders gesagt: Die Kommunisten, die gar keine Wahl hatten, als zu emigrieren oder in den Widerstand zu gehen, haben es geschafft, in der Rückschau ihr eigenes Verhalten (und das der Sozialdemokraten) als das einzige moralisch zu rechtfertigende im öffentlichen Bewußtsein zu verankern. Aber man konnte auch aus moralisch akzeptablen, ja aus ehrenwerten Gründen sich für die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz entscheiden.

Übrigens haben, nebenbei gesagt, die Kommunisten dort, wo ihnen das angeboten wurde, die Kooperation mit den Nazis keineswegs verachtet. In Buchenwald wurden die Kapos weitgehend von den straff organisierten und aus Sicht der Nazis zuverlässigen Kommunisten gestellt, die für Ordnung sorgten und als Gegenleistung ihre eigenen Leute bevorzugen durften.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2009 07:49
#10 Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Hier die Erinnerung von Elfriede Kaiser-Nebgen. Näheres zu ihr im Bundesarchiv.

Libero Offline



Beiträge: 393

02.02.2009 09:47
#11 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Lieber Herr Zettel,

Ich weiss nicht, wieso man einen Menschen, der nicht als Soldat am 1. und 2. Weltkrieg teilnahm, sofort fragwürdige Motive und Handlungen unterstellen muß. Es gibt immer noch den Fall, daß ein junger Mann ausgemustert wurde. Theodor Heuss hatte sich während der weinseligen Abiturfahrt eine Luxation der Schulter zugezogen. Da konnte man auch im Internet recherchieren.

Heuss hat notgedrungen nach 1933 sein Einkommen als Journalist und Biograph verdient. Seine Biographie Bosch war mit die erste über Robert Bosch. Lesenwert sind die Jugenderinnerungen beider und der Briefwechsel des werdenden Paares "So bist du mir Heimat geworden", was für ein schöner Ausdruck der Liebe!, den ich hoffenlich in naher Zukunft weiterlesen kann.

Herzlicher Gruß
Libero

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

02.02.2009 11:15
#12 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Zitat von Libero
Lieber Herr Zettel,

Ich weiss nicht, wieso man einen Menschen, der nicht als Soldat am 1. und 2. Weltkrieg teilnahm, sofort fragwürdige Motive und Handlungen unterstellen muß. Es gibt immer noch den Fall, daß ein junger Mann ausgemustert wurde. Theodor Heuss hatte sich während der weinseligen Abiturfahrt eine Luxation der Schulter zugezogen. Da konnte man auch im Internet recherchieren.

Herzlicher Gruß
Libero


Na, Zettel hat sich doch da nix vorzuwerfen - die unedlen Motive stammen aus einem Kommentar beim A-Team, und wikipedia nennt auf der Webseite zu Heuss keinen Grund fuers nicht-eingezogen werden. Ich hab nicht weiter recheriert, haette ich natuerlich machen koennen, anstatt hier die Frage in den Raum zu werfen, ob es jemand einfach weiss.

Libero Offline



Beiträge: 393

02.02.2009 11:19
#13 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten
Zitat von Dagny
Na, Zettel hat sich doch da nix vorzuwerfen - die unedlen Motive stammen aus einem Kommentar beim A-Team,


Hallo Dagny

Den Kommentar des Herrn O. auf A-Team hatte ich heute früh gelesen und eine Antwort geschrieben.
Dagny Offline



Beiträge: 1.096

02.02.2009 11:34
#14 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Zitat von Libero
Zitat von Dagny
Na, Zettel hat sich doch da nix vorzuwerfen - die unedlen Motive stammen aus einem Kommentar beim A-Team,


Hallo Dagny

Den Kommentar des Herrn O. auf A-Team hatte ich heute früh gelesen und eine Antwort geschrieben.


Danke. Und schoen zu lesen, dass der Junge Heuss bei der Abiturfahrt sich im Suff verletzt hat - nicht, dass ich die Verletzung schoen finde, sondern weil es nahelegt, dass sich die Zeiten nicht (viel) geaendert haben.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.02.2009 12:02
#15 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Zitat von Dagny
Danke. Und schoen zu lesen, dass der Junge Heuss bei der Abiturfahrt sich im Suff verletzt hat - nicht, dass ich die Verletzung schoen finde, sondern weil es nahelegt, dass sich die Zeiten nicht (viel) geaendert haben.

Da hat sich schon etwas geändert.
Wo man noch zu meiner Jugendzeit (also deutlich später als die von Heuss) einen zeitweisen Hang zu solchen Exzessen bei Jugendlichen für normal hielt - gilt das heute als "Komasaufen" und Bürokraten und Politiker fangen an zu rotieren.

vielleichteinlinker ( gelöscht )
Beiträge:

02.02.2009 12:44
#16 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Lieber Herr Zettel,

ich kann Ihrem Argument zum Ermächtigungsgesetz noch immer nicht ganz folgen.

Sie sagen, der gute Grund - oder die "ehrenwerten Motive(n)" - seien nur zu erkennen, wenn man den historischen Kontext stark genug berücksichtigte. Dann sei das Ermächtigungsgesetz die Chance gewesen, die Demokratie zu erhalten und irgendwann zu ihr zurückzukehren. Als kontrafatkisches Argument führen Sie die Befürchtung an, Hitler hätte sich ohne das Gesetzt an die Macht geputscht und die oben genannte Chance wäre vertan.

Das ist - gelinde gesagt - absurd.

Ich vermute Ihr Argument ist noch etwas breiter denn so wie es hier steht, macht es keinen Sinn.

Die Parlamentarier, die dem Gesetz zustimmten, müssten so Hitler einerseits unterstellen, sich auch gegen die Verfassung an die Macht hieven zu wollen. Andererseits daran glauben, dass er die Macht wieder abgeben werde, wenn die "Not" überwunden ist.

Ganz zu schweigen von dem sehr konkreten historischen Kontext, in dem ein Großteil des Parlaments nicht an der Abstimmung teilgenommen hat. Die Gründe hierfür waren entweder bekannt oder offensichtlich.

Man kann zu der Einschätzung kommen dass die Weimarer Republik einige Gebrutsfehler hatte die dazu führten, dass dieses Gesetz den Reichstag passiert hat. Dazu gehört sicherlich die Angst vor einem Putsch von links wie auch die Furcht davor, dass die SPD Wahlergebnisse um die 70% erreicht.

Dies kann man zusätzlich als Gründe anführen, warum man diesem Gesetz zugestimmt hat. Aber zu "ehrenwerten Motiven" werden sie auch zusammen mit den anderen nicht.

Unterliege ich hier einem Misverständnis?

Daniel

Libero Offline



Beiträge: 393

02.02.2009 13:14
#17 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Zitat von R.A.
Wo man noch zu meiner Jugendzeit (also deutlich später als die von Heuss) einen zeitweisen Hang zu solchen Exzessen bei Jugendlichen für normal hielt - gilt das heute als "Komasaufen" und Bürokraten und Politiker fangen an zu rotieren.
Hallo R.A.

Ich habe ein Fach studiert, in dem man damals, wenn man es wollte, zum Kampfsäufer ausgebildet wurde. Bei uns ist jeder aus dem Suff wieder aufgewacht, keiner mußte ins Krankenhaus oder gar Schlimmeres. Da wurde unausgesprochene Regeln eingehalten.

Der Tod des Gymnasiasten ist Tatsache. Tatsache ist auch, das der Wirt nur Wasser getrunken hat und seine Mitschüler so gut wie gar nichts. Es kann nicht angehen, daß Unbeteiligte einschließlich des Wirtes den Einzigen, der sich wirklich am Wettsaufen beteiligt, zum Trinken animieren. Das haben wir nie gemacht. Dafür habe ich nicht das geringste Verständnis. Das ist Mord.

Sie können ja spaßeshalber die Pressemitteilungen der Berliner Polizei durchlesen. Kann mich nicht erinnern, daß ein Betrunkener im hilflosen Zustand in meiner Schul- und Studentenzeit alleine zurückgelassen wurde. Mädchen alleine im hilflosen Zustand. Das ist natürlich voll in Ordnung, selbst schuld, wenn etwas passiert. Wissen Sie, was da passieren kann? Sind Sie Vater? Was man sieht und was man nicht sieht. Was man denkt und was man nicht denkt.

Libero

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.02.2009 14:11
#18 RE: Eine Zeitzeugin erinnert sich Antworten

Zitat von Libero
Ich habe ein Fach studiert, in dem man damals, wenn man es wollte, zum Kampfsäufer ausgebildet wurde.

Da werde ich jetzt neugierig - welches Fach (und an welcher Uni) war das denn?

In Antwort auf:
Bei uns ist jeder aus dem Suff wieder aufgewacht, ...
Das haben wir nie gemacht. ...
... in meiner Schul- und Studentenzeit alleine zurückgelassen wurde.

Alles richtig - für das persönliche Umfeld.

Und genau so ist das auch heute noch bei vernünftigen Leuten, und das sind eben auch bei den Alkoholkonsumenten die große Überzahl.

Während es umgekehrt verantwortungslose Drecksäcke und schlimme Einzelfälle auch schon immer gegeben hat.

Nur wurde eben nicht, wenn es irgendwo im Lande einen Einzelfall gegeben hat, gleich eine große Medienkampagne losgetreten. Und anschließend die Gesetzgebungsmaschine angeworfen.
Wozu auch - das Verhalten dieses Wirts (und wohl auch der übrigen) ist schon seit jeher strafbar.

In Antwort auf:
Sind Sie Vater?

Ja.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2009 14:12
#19 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von vielleichteinlinker
Sie sagen, der gute Grund - oder die "ehrenwerten Motive(n)" - seien nur zu erkennen, wenn man den historischen Kontext stark genug berücksichtigte.

Ich habe mir jetzt meine Beiträge noch mal angeguckt, lieber Daniel. Ich finde keine Stelle, wo ich das gesagt hätte, und es entspricht auch nicht meiner Meinung.

Was ich gesagt habe, war:
Zitat von Zettel
Es ist wie so oft: Im Rückblick stellt sich eine Situation ganz anders dar als für die Zeitgenossen. Wenn man weiß, was einmal aus einem Embryo wird, dann wird man den einer Maus und eines Menschen verschieden sehen. Wenn man das nicht weiß, sehen sie anfangs aber zum Verwechseln ähnlich aus. Niemand konnte 1933 vorhersagen, wie es weitergehen würde.

Meinen Sie diese Passage? Das ist aber etwas anders als Ihre Paraphrase. Oder beziehen Sie sich auf eine andere Stelle bei mir? Zitieren Sie diese dann bitte?

Zitat von vielleichteinlinker
Dann sei das Ermächtigungsgesetz die Chance gewesen, die Demokratie zu erhalten und irgendwann zu ihr zurückzukehren.

Auch das habe ich nicht gesagt, und es ist nicht meine Meinung. Geschrieben habe ich:
Zitat von Zettel
Es gab ein gutes Argument, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen: Damit blieb die Verfassung der Republik formal erhalten. Das diente natürlich Hitler, der legal an die Macht kam. Aber es gab auch Demokraten - im Zentrum, in der DStP -, die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.

Also - und da müssen Sie bitte schon genau lesen -: Ich schrieb nicht, daß das Ermächtgungsgesetz "eine Chance gewesen" sei, die "Demokratie zu erhalten" (sie ging ja erkennbar in diesen Tagen unter). Sondern ich habe geschrieben, daß es damals Demokraten gab, die argumentierten, daß durch das formale Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie bestanden hätte.

Nicht wahr, lieber Daniel, das ist etwas ganz Anderes, als Sie mir zuschreiben?
Zitat von vielleichteinlinker
Als kontrafatkisches Argument führen Sie die Befürchtung an, Hitler hätte sich ohne das Gesetzt an die Macht geputscht und die oben genannte Chance wäre vertan.
Das ist - gelinde gesagt - absurd.

Nett, daß Sie trotzdem darüber diskutieren.

Ja, was Sie "zitieren", ist absurd. Nur zitieren Sie mich nicht, sondern sie geben das, was ich geschrieben habe, falsch wieder.

Darf ich Ihnen, lieber Daniel, da Sie neu hier sind, einen kleinen Tipp geben? Dieser Fehler, jemanden falsch zu zitiern, läßt sich vermeiden, indem man wörtlich zitiert. Wie man das hier im Forum technisch am besten macht, finden Sie hier beschrieben.
Zitat von vielleichteinlinker
Die Parlamentarier, die dem Gesetz zustimmten, müssten so Hitler einerseits unterstellen, sich auch gegen die Verfassung an die Macht hieven zu wollen. Andererseits daran glauben, dass er die Macht wieder abgeben werde, wenn die "Not" überwunden ist.

Lesen Sie bitte noch einmal das Beispiel mit den beiden Embryonen?

Im Englischen gibt es den Ausdruck "with the benefit of hindsight". Diesen Vorteil des Blicks aus dem Nachhinein haben wir heute, lieber Daniel. Wir wissen, daß die Nazis eine totalitäre Diktatur errichteten, die keine Rückkehr zur Anwendung der Verfassung zuließ.

Aber im März 1933 war das eben nicht die einzige mögliche Entwicklung. Reinhold Maier hat das damals für die Staatspartei gesagt, also die Partei von Theodor Heuss: Man stimme in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung zu.

Darf ich Ihnen ein Beispiel geben? Im Rückblick ist völlig offensichtlich, daß im Dezember 1989 keine Chance für die Kommunisten mehr bestand, die DDR zu erhalten.

Der frisch gewählte Vorsitzende der SED Gregor Gysi sprach aber mit Raffael Fjodorow, stellvertretendem Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, am 10. Dezember über die Chance, eine Wiedervereinigung zu verhindern, und entwickelte konkrete Pläne zum Beispiel für Reformen der SED in einer fortbestehenden DDR.

Im Nachhinein betrachtet verhielt sich Gysi, um Ihr Wort aufzugreifen, absurd. Aber damals war eben nicht offensichtlich, daß die DDR zum Untergang verurteilt war.
Zitat von vielleichteinlinker
Man kann zu der Einschätzung kommen dass die Weimarer Republik einige Gebrutsfehler hatte die dazu führten, dass dieses Gesetz den Reichstag passiert hat. Dazu gehört sicherlich die Angst vor einem Putsch von links wie auch die Furcht davor, dass die SPD Wahlergebnisse um die 70% erreicht.

Die SPD? Wie kommen Sie denn darauf? Oder meinen Sie die NSDAP?

Mich würde Ihre Quelle interessieren. Daß am 23. März 1933 noch irgendwer mit einem Putsch von links rechnete, lese ich jetzt bei Ihnen zum ersten Mal. Die Kommunisten waren damals größtenteils verhaftet oder geflohen. Die wenigen, die noch im Deutschland im Untergrund waren, hatten meines Wissens nicht die Möglichkeit zu einem Putsch. Mir ist auch unbekannt, daß dieser - am 23. März! - von irgendwem befürchtet worden wäre. Aber vielleicht irre ich mich.
Zitat von vielleichteinlinker
Unterliege ich hier einem Misverständnis?

Ja, das fürchte ich, lieber Daniel. Ich will gern mit Ihnen über das diskutieren, was ich geschrieben habe. Nur müssen Sie dazu bitte zur Kenntnis nehmen, was ich geschrieben habe.

Herzlich, Zettel

PS: Herzlich willkommen im "kleinen Zimmer"! Ich habe Ihnen nun auf Ihren ersten Beitrag deutlich widersprochen. Aber das heißt nicht, daß ich ihn nicht interessant fand. Und mich auf Ihre Antwort freue.

vielleichteinlinker ( gelöscht )
Beiträge:

02.02.2009 14:51
#20 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von Zettel
Es ist wie so oft: Im Rückblick stellt sich eine Situation ganz anders dar als für die Zeitgenossen.

Was soll das anderes bedeuten als den historischen Kontext zu berücksichtigen, also die Realität der handelnden Personen 1933? Wie gesagt, ich kann mich immer irren. Aber mit diesem Satz sagen Sie genau das: Das man bei der Bewertung - und über die sprechen wir ja gerade - das Wissen und die Realität der Parlamentarier bedenken sollte. Ich bin selbst kein Freund davon Maßstäbe aus dem Mitteleuropa des 21. Jahrhunderts an alles und jeden anzulegen. Dennoch bin ich noch nicht überzeugt davon dass Sie etwas anderes gesagt haben. Trotz - eigentlich wegen - sehr genauer Lektüre Ihres Textes. Aber wir brauchen über diesen Punkt nicht zu streiten. Er macht mein Argument nur charmanter.

Denn den genauen Unterschied zwischen
Zitat von Zettel
Aber es gab auch Demokraten [...] die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.
und
Zitat von vielleichteinlinker
Dann sei das Ermächtigungsgesetz [Im Gegensatz zu der von Ihnen angeführten zweiten Möglichkeit]die Chance gewesen, die Demokratie zu erhalten und irgendwann zu ihr zurückzukehren.

sehe ich noch immer nicht. Vielleicht hilft mir hier ebenfalls eine präzisere Antwort.

Der eigentliche Knackpunkt bleibt aber dieser Gegensatz:
Zitat von Zettel
Hätte Hitler keine Mehrheit für sein Ermächtigungsgesetz bekommen (ein rein hypothetischer Fall), dann wäre er ja nicht zurückgetreten, sondern er hätte vielleicht die Verfassung für ungültig erklärt.

was Ihre Ansicht ist - eben das kontrafaktische Argument, und
Zitat von Zettel
Es gab ein gutes Argument, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen: Damit blieb die Verfassung der Republik formal erhalten. Das diente natürlich Hitler, der legal an die Macht kam. Aber es gab auch Demokraten - im Zentrum, in der DStP -, die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.


Womit Sie es für ein gutes Argument halten dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen, da es formal die Republik (Über die Unterscheidung zwischen Republik und Demokratie in diesem Zusammenhang wollen wir uns hoffentlich nicht streiten) und die Rückkehr zu ihr erhält aber auch anführen, dass das Ermächtigungsgesetz nicht der einzige Weg gewesen wäre, Hitler an die Macht zu bringen. Genau das halte ich an Ihrer Argumentation für absurd.

Vielleicht sollten wir darüber weiter reden. Ich würde das gerne tun.

Was den Geburtsfehler angeht, erlauben Sie mir die Bemerkung das ich nicht behauptet habe, dass die Republik 1933 vor einem Putsch von links stand und auch nicht, dass die SPD (sic!) ein Wahlergebnis von 70% hätte erreichen können. Gefürchtet hat sich davor auch niemand. Aber Sie werden mir doch zustimmen dass beides nach 1918 in Deutschland im Raum stand, dass es nach dem Rat der Volksbeauftragten tatsächlich zur realen Gefahr beschworen wurde. Und - wenn Sie mir so weit zustimmen - vielleicht auch einsehen, wie man zu der Einschätzung kommen kann, dass ein so wichtiger Bestandteil der politischen Mentalität eines Staats auch nach 15 Jahren noch eine Rolle spielen kann. Im Grunde genommen stütze ich damit den nicht-absurden (mir fällt kein milderes Wort ein...) Ihres Argumentes.

In Erster Linie möchte ich Ihnen aber für die sehr nette Antwort danken.

Daniel


PS.: Ich bin mir keine Schuld bewusst was die unsäglichen Zitate angeht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2009 15:56
#21 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Zitat von vielleichteinlinker
Zitat von Zettel
Es ist wie so oft: Im Rückblick stellt sich eine Situation ganz anders dar als für die Zeitgenossen.

Was soll das anderes bedeuten als den historischen Kontext zu berücksichtigen, also die Realität der handelnden Personen 1933? Wie gesagt, ich kann mich immer irren. Aber mit diesem Satz sagen Sie genau das: Das man bei der Bewertung - und über die sprechen wir ja gerade - das Wissen und die Realität der Parlamentarier bedenken sollte.

Ich hatte Sie, lieber Daniel, anders verstanden. Aber so, wie Sie es jetzt erläutern, sind wir uns einig.
Zitat von vielleichteinlinker
Denn den genauen Unterschied zwischen
Zitat von Zettel
Aber es gab auch Demokraten [...] die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.
und
Zitat von vielleichteinlinker
Dann sei das Ermächtigungsgesetz [Im Gegensatz zu der von Ihnen angeführten zweiten Möglichkeit]die Chance gewesen, die Demokratie zu erhalten und irgendwann zu ihr zurückzukehren.

sehe ich noch immer nicht. Vielleicht hilft mir hier ebenfalls eine präzisere Antwort.

Ich hatte nicht behauptet, daß daß es diese Chance objektiv gab; sondern nur, daß manche sie damals sahen. Ich hatte nicht von einer Erhaltung der Demokratie gesprochen, sondern von der Möglichkeit, zu ihr zurückzukehren.

Die Nazis haben damals viele überrascht. Diese Wucht, diese absolute Skrupellosigkeit, diese Gesetzlosigkeit, die mit den Aktionen der SA sofort einsetzte - das haben sie nicht erwartet.

Man hatte Hitler "einrahmen" wollen. Man erwartete innere Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP (wie sie ja dann beim "Röhm-Putsch" auch zutage traten). Man rechnete damit, daß der "Trommler" Hitler unter den Anforderungen des Amts eines Reichskanzlers schon vernünftig werden würde. Viele hielten die Nazis für überhaupt nicht fähig, einen Staat zu regieren. Der "Spuk" werde schnell vorbei sein.

Also, Hitler sich austoben lassen, ihn scheitern lassen - und dann wieder zurück zu verfassungsrechtlich normalen Verhältnissen. Das dachten, das hofften viele.
Zitat von vielleichteinlinker
Der eigentliche Knackpunkt bleibt aber dieser Gegensatz:
Zitat von Zettel
Hätte Hitler keine Mehrheit für sein Ermächtigungsgesetz bekommen (ein rein hypothetischer Fall), dann wäre er ja nicht zurückgetreten, sondern er hätte vielleicht die Verfassung für ungültig erklärt.

was Ihre Ansicht ist - eben das kontrafaktische Argument, und
Zitat von Zettel
Es gab ein gutes Argument, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen: Damit blieb die Verfassung der Republik formal erhalten. Das diente natürlich Hitler, der legal an die Macht kam. Aber es gab auch Demokraten - im Zentrum, in der DStP -, die argumentierten, durch das Fortbestehen der Republik mit ihrer demokratischen Verfassung gebe es die Möglichkeit einer Rückkehr zur Demokratie.


Womit Sie es für ein gutes Argument halten dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen

Nein. Ich sage, daß es damals als ein gutes Argument betrachtet wurde. Ich schreibe aus der Perspektive derer, die damals zugestimmt haben. Sie haben das offenbar mißverstanden; vielleicht war es auch wirklich mißverständlich formuliert.
Zitat von vielleichteinlinker
(Über die Unterscheidung zwischen Republik und Demokratie in diesem Zusammenhang wollen wir uns hoffentlich nicht streiten) und die Rückkehr zu ihr erhält aber auch anführen, dass das Ermächtigungsgesetz nicht der einzige Weg gewesen wäre, Hitler an die Macht zu bringen. Genau das halte ich an Ihrer Argumentation für absurd.

Ich glaube, in dieser Passage stimmt grammatisch was nicht. Jedenfalls bin ich nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen.

Also sage ich nochmal, was ich gemeint habe: In den Augen von Parlamentarieren, die damals zugestimmt haben (nicht in meinen) sah es so aus: Bei einer Zustimmung zum Ermächtigungsgestz blieb die Verfassung in Kraft. Auf dieser Grundlage bestand die Hoffnung, (auf welchem Weg auch immer) wieder zur Legitimität der Weimarer Republik zurückzukehren.

Wäre aber - immer in den Augen dieser Parlamentarier, ich spreche nicht von meiner Meinung! - Hitler mit dem Ermächtigungsgesetz gescheitert, dann hätte er die Verfassung außer Kraft setzen (dh auch im formalen Sinn putschen) können; der verfassungskonforme Weg zurück zur Weimarer Demokratie wäre dann verbaut, mindestens erschwert gewesen.

Ich sehe, lieber Daniel, überhaupt nichts Absurdes an diesen Überlegungen. Wir wissen heute, daß sie auf einer falschen Einschätzung der Nazis basierten. Das macht sie aber nicht absurd.
Zitat von vielleichteinlinker
Was den Geburtsfehler angeht, erlauben Sie mir die Bemerkung das ich nicht behauptet habe, dass die Republik 1933 vor einem Putsch von links stand und auch nicht, dass die SPD (sic!) ein Wahlergebnis von 70% hätte erreichen können.

Jetzt müssen wir aber aufpassen, lieber Daniel, daß wir nicht zur Gaudi der Mitlesenden unfreiwillig satirisch werden.

Sie hatten geschrieben:
Zitat von vielleichteinlinker
Man kann zu der Einschätzung kommen dass die Weimarer Republik einige Gebrutsfehler hatte die dazu führten, dass dieses Gesetz den Reichstag passiert hat. Dazu gehört sicherlich die Angst vor einem Putsch von links wie auch die Furcht davor, dass die SPD Wahlergebnisse um die 70% erreicht.

Zitat von vielleichteinlinker
Gefürchtet hat sich davor auch niemand. Aber Sie werden mir doch zustimmen dass beides nach 1918 in Deutschland im Raum stand, dass es nach dem Rat der Volksbeauftragten tatsächlich zur realen Gefahr beschworen wurde.

Wir reden jetzt aber nicht vom November 1918, sondern vom März 1933.
Zitat von vielleichteinlinker
Und - wenn Sie mir so weit zustimmen - vielleicht auch einsehen, wie man zu der Einschätzung kommen kann, dass ein so wichtiger Bestandteil der politischen Mentalität eines Staats auch nach 15 Jahren noch eine Rolle spielen kann.

Nein. Im März 1933 gab es weder eine Angst vor einem Linksputsch noch gar die Angst vor einer 70-Prozent-Mehrheit der SPD.
Zitat von vielleichteinlinker
In Erster Linie möchte ich Ihnen aber für die sehr nette Antwort danken.

Ganz meinerseits. Wir werden uns schon zusammenraufen.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

02.02.2009 19:21
#22 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Lieber Herr Zettel

Amtliches Protokoll der fraglichen Reichtagssitzung
http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichsblat...0141,00049.html

Verhandlungen des Reichstags, stenographischer Bericht, 23. März 1933, S. 38
http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichsblat...0141,00042.html
Im unteren Viertel beginnt die Rede von Dr. Maier, nach dem Kriege der einzige liberale Ministerpräsident der FDP. Er sagt deutlich, was nicht nur nach seiner Meinung das Ermächtigungsgesetz begrenzt.

Das die Liberalen nicht naiv Ja sagten, zeigen diese Erklärungen bzw Reden

Erklärung Reinhold Maiers vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags von Nordbaden und Nordwürttemberg http://www.zum.de/psm/ns/maier_ns_macht.php
Reinhold Maier – Rede Anfang Februar 1947 in einer Versammlung der Demokratischen Volkspartei in Stuttgart über die Zustimmung seiner Partei zum Ermächtigungsgesetz
http://www.zum.de/psm/ns/maier2_ns_macht.php
Die Zustimmung der Demokratischen Partei zum Ermächtigungsgesetz. Nach Diktat geschrieben von Elfriede Kaiser-Nebgen http://www.zum.de/psm/ns/heuss1958_ns_macht.php

In Antwort auf:
Ich bestreite jede Kausalität des Ermächtigungsgesetzes für den Ablauf der Dinge. Es wären alle Dinge genau so gegangen, es wäre mit oder ohne Ermächtigungsgesetz so gegangen.

Ich denke, Maier hat recht, auch wenn es schmerzlich ist, ihm recht geben zu müssen. Gewählte Abgeordneten waren mit Mob im Parlament konfrontiert, das vergessen einige der nach 1945 geborenen Widerstandskämpfer, die ihr Reckentum leider in unserer Zeit beweisen müssen. Zweifelsohne wären sie wie Arnold von Winkelried alleine mit allen SA Männern fertig geworden.

Herzlicher Gruß
Libero

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2009 19:46
#23 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Vielen Dank für diese ausgezeichnete Recherche, lieber Libero!

Was Reinhold Maier mitteilt, bestätigt konkret das, was ich in der Diskussion mit vielleichteinlinker abstrakter geschrieben hatte: Man fürchtete ein "Auffliegen" des Reichstags, wenn man nicht zustimmte; und man hoffte auf beispielsweise den Gegensatz zwischen NSDAP und Reichswehr, so daß eine Rückkehr zur Legitimität vielleicht doch noch möglich sein würde.

Herzlich, Zettel

Libero Offline



Beiträge: 393

02.02.2009 21:16
#24 RE: Ermächtigungsgesetz Antworten

Lieber Herr Zettel

Ich darf noch anfügen die Rede von Otto Wels

Vollständiges Tondokument der Rede Otto Wels' vor dem Reichstag am 23. März 1933 zum Ermächtigungsgesetz (30 min.) - http://www.nationalsozialismus.de/dokume...setz-30-min-mp3

Die Atmosphäre dieser Reichstagssitzung geht zumindest etwas daraus hervor. Man hat sich nicht die Mühe gemacht, die Liberalen unter Druck zu setzen, sondern konzentrierte sich auf die wesentlich größere Fraktion des Zentrums. Man hat ihnen ziemlich unverhohlen gedroht.

In Antwort auf:
Wenn man […] das ganze Zentrum nicht durch physische Bedrohung gezwungen hätte, für dieses Ermächtigungsgesetz zu stimmen, wäre auch in diesem Reichstag keine Mehrheit zustande gekommen. Ich entsinne mich, daß nahe Freunde […] aus […] der Zentrumsfraktion, insbesondere Herr Kollege Dessauer, nach der Abstimmung weinend zu mir kamen und sagten, sie seien überzeugt gewesen, dass sie ermordet worden wären, wenn sie nicht für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hätten“


Hinzu kommt das Trauma des deutschen Zentrums, erneut in einem Kulturkampf wie zu Bismarcks Zeiten zu geraten. Es ist einfach für uns Nachgeborenen, über die damaligen Abgeordneten zu urteilen.

Ich darf auch noch darin erinnern, daß die Stimme in Anwesenheit des SA Mobs abgegeben wurde.

Herzlicher Gruß
Libero

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