Das Rätsel, das in den Ferienmonaten seit vielen Jahren wochentlich im Nouvel Observateur erscheint und auf das sich also Hunderttausende Franzosen Woche für Woche einlassen, heißt Le jeu de la langue française (Das Spiel der Französischen Sprache).
Gefragt wird in dieser Woche beispielsweise nach der korrekten Verwendung von Singular und Plural. (Heißt es richtig Plus d'un blessé a succombé oder Plus d'un blessé ont succombé?)
Oder man soll angeben, was das Wort "Hybris" seinem griechischen Ursprung nach bedeutet.
Es wird nach der richtigen Verwendung des Konjunktivs gefragt (Heißt es korrekt a) Si j'ai le temps et qu'il fasse beau oder b) Si j'ai le temps et qu'il faisait beau oder c) Si j'ai le temps et qu'il ferait beau?).
Oder es geht um die Bedeutung von seltenen Wörtern wie éponyme und dol.
Können Sie sich, lieber Leser, vorstellen, daß Hunderttausende Deutsche in diesen Wochen am Strand liegen und über ähnlichen Fragen, betreffend die deutsche Sprache, grübeln?
Beim Grammatikregel(n?)-Fetischismus der Franzosen dürfte es sich um die kulturelle Erscheinungsform ihrer Bürokratiegläubigkeit handeln, während die Deutschen, des langen Strammstehens müde, den korrekten Konjunktiv lieber einen guten Mann sein lassen, n'est-ce pas?
Aber ich wäre mir nicht sicher, ob Bastian Sick die richtigen Lösungen finden würde. In seiner Grammatikkompetenz wird B.S. doch etwas überschätzt. Von Sprachgeschichte hat er eher wenig Ahnung.
Zitat von KalliasBeim Grammatikregel(n?)-Fetischismus der Franzosen dürfte es sich um die kulturelle Erscheinungsform ihrer Bürokratiegläubigkeit handeln, während die Deutschen, des langen Strammstehens müde, den korrekten Konjunktiv lieber einen guten Mann sein lassen, n'est-ce pas?
Non, mon cher, cela n'est pas.
Mit Bürokratie hat diese tiefe Liebe der Franzosen zu ihrer Sprache nichts zu tun. Wohl aber mit ihrem Cartesianismus.
Egon Friedell hat das sehr schön beschrieben: Wie sich viele Merkmale der französischen Kultur aus diesem cartesianischen Rationalismus verstehen lassen. Nicht nur die gezirkelten "Französischen Gärten".
Die meisten Franzosen sind davon überzeugt, daß ihre Sprache etwas so Rationales ist wie ein mathematisches Kalkül. Mein durch und durch frankophiler Französischlehrer brachte es fertig, uns jede Absurdität des Subjonctif als etwas ausnehmend Rationales zu verkaufen. (Je crains qui'l ne vienne - Ich fürchte, daß er kommt. Im Französischen werde das richtig ausgedrückt, erstens, weil man ja nicht will, daß er kommt; zweitens, weil er noch gar nicht da ist, also nur von einer Möglichkeit die Rede ist).
Wenn es vielen Franzosen Spaß macht, ihren Geist an den Feinheiten ihrer Sprach zu üben, dann steckt dahinter ein Vertrauen in die Rationalität der Welt und in die Académie Française, die diese Rationalität im Auftrag des Weltgeistes hütet.
Allenfalls indirekt, cher Kallias, kann man vielleicht einen Bogen zur Bürokratie schlagen: Denn auch der Staat des 17. und 18. Jahrhunderts wurde als Ausdruck dieser Rationalität angesehen; und von ihm haben die Franzosen ihre Bürokratie.
Na ja, so ein bißchen hat das schon mit unterschiedlicher (bürokratischer) "Verwaltung" der Sprache zu tun.
In Frankreich gibt es mit der Academie francaise quasi ein Sprach-Ministerium, das die offiziellen Grammatik-Regeln festlegt.
In Deutschland gibt es nichts vergleichbares. Der Duden geht ja (zumindest vom Selbstverständnis her) genau den umkehrten Weg: Er schaut, wie die Sprache in der Realität gehandhabt wird und versucht, diese Realität widerzugeben. Er ist also überwiegend deskriotiv und (anders als die Academie francaise) nicht normativ. Er hat daher (auch im Selbstverständnis) bei weitem nicht die gleiche Autorität wie die Academie Francaise. Ein paar Jahre lang heftete er sich das Emblem "Maßgeblich in allen Zweifelsfällen der Rechtschreibung" an. Mittlerweile wurde ihm dieser Status aber entzogen. Und in der Grammatik hatte der Duden ohnehin immer nur deskriptive Funktion aber keine normative. Hinzu kommt, dass der Duden in der Schweiz und in Österreich noch weniger als bindend gilt. In Österreich gibt es z.B. für den amtlichen Verkehr ein eigenes "Österreichisches Wörterbuch".
(Deswegen war die Rechtschreibreform ja etwas so systemfremdes: Da wurde nun wirklich "von oben" eine neue Rechtschreibung durchgedrückt. So etwas stand - anders als in Frankreich - quer zur deutschen Sprachtradition. Entsprechend wurde das auch ein Fiasko. Hätte die Academie francaise etwas ähnliches gemacht, dann wäre es - jede Wette - butterweich durchgegangen).
was das unterschiedliche Selbstverständnis der Académie Française und der Duden-Redaktion angeht, stimme ich Ihnen völlig zu.
Allerdings sehe ich in der Académie Française keine Bürokratie. Sie ist so etwas wie das Parlament, oder sagen wir der Senat, des Geistes. Eine Versammlung der klügsten Vertreter des französischen Geisteslebens. Das sind keine Bürokraten, sondern Hüter der Kultur, zu der eben nach französischem Verständnis zentral die Sprache gehört.
Zitat von FlorianDeswegen war die Rechtschreibreform ja etwas so systemfremdes:
Da wurde nun wirklich "von oben" eine neue Rechtschreibung durchgedrückt. So etwas stand - anders als in Frankreich - quer zur deutschen Sprachtradition. Entsprechend wurde das auch ein Fiasko. Hätte die Academie francaise etwas ähnliches gemacht, dann wäre es - jede Wette - butterweich durchgegangen).
Sie hätte es nie und nimmer gemacht. Denn zur Bewahrung der Sprache gehört auch die Bewahrung ihrer Orthographie.
Ich habe eine Molière-Ausgabe in der Original-Schreibweise. Bis auf ganz wenige Änderungen (Molière schrieb "je savois" statt "je savais") ist die heutige Rechtschreibung noch mit der des 17. Jahrhunderts identisch!
Zitat von ZettelDie richtie Antwort im Quiz ist (C). Das Rätsel, das in den Ferienmonaten seit vielen Jahren wochentlich im Nouvel Observateur erscheint und auf das sich also Hunderttausende Franzosen Woche für Woche einlassen, heißt Le jeu de la langue française (Das Spiel der Französischen Sprache). Gefragt wird in dieser Woche beispielsweise nach der korrekten Verwendung von Singular und Plural. (Heißt es richtig Plus d'un blessé a succombé oder Plus d'un blessé ont succombé?) Oder man soll angeben, was das Wort "Hybris" seinem griechischen Ursprung nach bedeutet. Es wird nach der richtigen Verwendung des Konjunktivs gefragt (Heißt es korrekt a) Si j'ai le temps et qu'il fasse beau oder b) Si j'ai le temps et qu'il faisait beau oder c) Si j'ai le temps et qu'il ferait beau?). Oder es geht um die Bedeutung von seltenen Wörtern wie éponyme und dol. Können Sie sich, lieber Leser, vorstellen, daß Hunderttausende Deutsche in diesen Wochen am Strand liegen und über ähnlichen Fragen, betreffend die deutsche Sprache, grübeln?
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass viele Normalfranzosen schlicht nicht (mehr?) in der Lage sind, beispielsweise den Subjonctif richtig anzunehmen. Dazu passt, dass die Mehrzahl meiner muttersprachlichen Französischlehrer nicht in der Lage war, die bloße Existenz, d.h. den Zweck, des Subjonctif zu begründen. Auch wenn der Nouvel Observateur eher eine gehobene Leserschaft haben wird, kann ich mir vorstellen, dass vielen Franzosen die Regeln ihrer Sprache irgendwie fremd geworden sind und sie deswegen darüber nachgrübeln. Das würde auch mit dem Cartesianismus, der Gralshüterschaft der Sprache durch die Académie francaise und Ihrer Beobachtung zu Molière zusammenpassen. Schließlich ist es ja schon ein enormes Unterfangen, eine Sprache mit dem Mittel der Vernunft bändigen zu wollen.
Zitat von FTT_2.0Ich habe den Eindruck gewonnen, dass viele Normalfranzosen schlicht nicht (mehr?) in der Lage sind, beispielsweise den Subjonctif richtig anzunehmen.
Aus der Umgangssprache ist er wohl so gut wie verschwunden. Et je doute qu'il ne revienne.
Zitat von FTT_2.0Dazu passt, dass die Mehrzahl meiner muttersprachlichen Französischlehrer nicht in der Lage war, die bloße Existenz, d.h. den Zweck, des Subjonctif zu begründen.
Oh, das war bei meinem Französischlehrer auf dem Gymnasium aber ganz anders! Deutscher, aber - wie schon geschrieben - frankophilissimus. Der Subjonctif, habe ich bei ihm gelernt, ist unerläßlich, weil zum cartesianischen Denken - clare et distincte - gehört, daß man auch sprachlich Reales von nicht Realem unterscheidet.
Etwas, was man nur befürchtet, ist nicht real. Wenn man etwas bewertet oder eine Emotion dazu hat(Je me réjouis que vous soyez membre de ce forum), dann drückt das eine Subjektivität aus, die für den Cartesianer eben nicht zur Realität gehört.
Und so rational sind sie, die Franzosen, sagte mein alter Lehrer, daß sie einerseits sagen J'espère que tu viendras demain, weil das ja Realität werden soll, aber J'espère que tu ne viennes plus jamais ici, weil man ja hofft, das der betreffende Fall nicht eintritt.
Zitat von FTT_2.0Schließlich ist es ja schon ein enormes Unterfangen, eine Sprache mit dem Mittel der Vernunft bändigen zu wollen.
Ja, es ist ein absurdes Unterfangen. (Califax wird da sicher zustimmen). Leibniz wollte ja eine Universalsprache schaffen (characteristica universalis), die jeden überhaupt möglichen Gedanken formal ausdrücken sollte; Schlüsse sollten in ihr wie in der Mathematik durch bestimmte formale Operationen gezogen werden können.
Leibniz hat da den Grundgedanken der Aussagenlogik vorweggenommen; aber eine formale Sprache hat er nicht schaffen können.
Da bin ich ja doch etwas enttäuscht. Ich hätte gehofft, daß es bei diesem Rätsel um etwas kulturell Anspruchsvolles, Geistreiches oder etwas Witziges geht. Statt dessen öde Grammatik-Knobelei.
Zitat von ZettelMit Bürokratie hat diese tiefe Liebe der Franzosen zu ihrer Sprache nichts zu tun. Wohl aber mit ihrem Cartesianismus.
Tja, und ich dachte immer, Descartes sei lediglich das Idol der Dorfschulmeister... Hatte er allen Ernstes Einfluß auf die Hochkultur: Académie française? Gärten? Das klingt nach König; und der einzige Hof, an dem er wirkte, war doch der schwedische - und was kam davon? Swedenborg. Bellman.
Die Kunst der abgezirkelten Gärten - ist das nicht ballet royal in Blumen, Synthese aus spanischem Zeremoniell und italienischer Musik? Und das soll von Descartes herkommen? Echt?
Hat man sich da zum Zwecke des Geschichtsbuchschreibens etwa den Denker herausgesucht, der zum Thron paßte, um dann den Thron zur Folge seines Denkens zu erklären?
Zitat von ZettelDie meisten Franzosen sind davon überzeugt, daß ihre Sprache etwas so Rationales ist wie ein mathematisches Kalkül.
Da ist durchaus was dran. Französisch ist eine platonistische Sprache: hat man die Idee des französischen Satzes erfasst, muß man nur noch die Vokabeln einfüllen, und schon ergibt sich eine Phrase, die französisch klingt. Wie anders Englisch, dieses strukturlose Chaos von einer halben Million Redewendungen!
Zitat von ZettelWenn es vielen Franzosen Spaß macht, ihren Geist an den Feinheiten ihrer Sprache zu üben, dann steckt dahinter ein Vertrauen in die Rationalität der Welt und in die Académie Française, die diese Rationalität im Auftrag des Weltgeistes hütet.
Le weltgeist! An Ihrem eigenem Wort können Sie erkennen, lieber Zettel, wie der Cartesianismus in Frankreich untergegangen ist. Der letzte französische Philosoph, der noch etwas von clare et disctincte wußte, war vermutlich Henri Poincaré. Dann wurde Frankreich bekanntlich von den Deutschen überrollt; doch während die Panzerdivisionen wieder weg sind, besteht die occupation des Geistes durch Hegel, Heidegger, Marx und Nietzsche anscheinend bis heute fort. (Denker, die man in Deutschland liest, weil die Franzosen einen solchen Rummel um sie machen... insofern kann man sich fragen, wer wen mit wem okkupiert.) Jedenfalls gibt es kaum noch einen Rationalismus mehr chez nos amis d'outre-Rhin, der sie zu Grammatik-Rätseln anregen könnte.
Wir bräuchten ein andere Art von Quiz für den Strand. Was den Franzosen ihre Grammatikregeln, das könnte den Deutschen ihre Hypotaxen sein. Und zwar so: man nehme einen möglichst umständlichen Schachtelsatz aus der klassischen Literatur, entferne ein Stückchen daraus, und fertig ist das Quiz. Zum Beispiel:
Zitat von schwergewichtigem deutschen KlassikerMußte nicht der Hang zu phantasierten Entzückungen, so geistig auch immer ihre Gegenstände sein mochten, endlich nach denenjenigen lüstern machen, vor welchen ihm ein unbekanntes, verworrenes, aber desto lebhafteres innerliches Gefühl [...], wovon bisher nur vorüberblitzende Ahnungen seine Einbildung berührt, und durch diese leichte Berührung schon außer sich selbst gesetzt hatten?
Steht an Stelle der Pünktchen:
a) den wirklichen Genuß dieser vollkommensten Wonne versprach b) eigentlich hätte zur Genüge warnen sollen c) welches alle seine Willenskräfte sich untertan zu machen anschickte d) zusammen mit den wunderlichsten äußeren Veränderungen bewegte
Zitat von KalliasMußte nicht der Hang zu phantasierten Entzückungen, so geistig auch immer ihre Gegenstände sein mochten, endlich nach denenjenigen lüstern machen, vor welchen ihm ein unbekanntes, verworrenes, aber desto lebhafteres innerliches Gefühl [...], wovon bisher nur vorüberblitzende Ahnungen seine Einbildung berührt, und durch diese leichte Berührung schon außer sich selbst gesetzt hatten?
Steht an Stelle der Pünktchen: a) den wirklichen Genuß dieser vollkommensten Wonne versprach b) eigentlich hätte zur Genüge warnen sollen c) welches alle seine Willenskräfte sich untertan zu machen anschickte d) zusammen mit den wunderlichsten äußeren Veränderungen bewegte
Und worum geht es eigentlich?
b) mit Tippfehler im 'ihm" oder a) mit Tippfehler im 'vor'
Und mir kommt der Satz seltsam bekannt vor. Goethe über Geilheit? Könnte einer der zahllosen Besinnungsaufsätze in Dichtung und Wahrheit sein.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster <hl> The Outside of the Asylum
Zitat von KalliasMußte nicht der Hang zu phantasierten Entzückungen, so geistig auch immer ihre Gegenstände sein mochten, endlich nach denenjenigen lüstern machen, vor welchen ihm ein unbekanntes, verworrenes, aber desto lebhafteres innerliches Gefühl [...], wovon bisher nur vorüberblitzende Ahnungen seine Einbildung berührt, und durch diese leichte Berührung schon außer sich selbst gesetzt hatten? Steht an Stelle der Pünktchen: a) den wirklichen Genuß dieser vollkommensten Wonne versprach b) eigentlich hätte zur Genüge warnen sollen c) welches alle seine Willenskräfte sich untertan zu machen anschickte d) zusammen mit den wunderlichsten äußeren Veränderungen bewegte
Und worum geht es eigentlich?
b) mit Tippfehler im 'ihm" oder a) mit Tippfehler im 'vor' Und mir kommt der Satz seltsam bekannt vor. Goethe über Geilheit? Könnte einer der zahllosen Besinnungsaufsätze in Dichtung und Wahrheit sein.
Ich tippe auch auf a). Es ist die einzige Ergänzung, die einen stimmigen Gedanken ergibt: Da ahnt jemand Wonnen, die er gar nicht ahnt.
b) klingt mir stilistisch moderner als der Text.
c) wäre mit der Aneinanderreihung von welches ... wovon ein schauderhafter Stil; paßt also auch nicht zum Text
d) paßt nicht wg. Erzählperspektive. Diese ist die Perspektive dessen, der das erlebt; da haben äußere Veränderungen keinen Platz.
Und der Autor? Goethe geht immer; das haben Sie, lieber Califax, uns ja seinerzeit in Ihrem schönen Quiz vorgeführt.
Ich hatte allerdings damals zunächst, bevor Sie weitere Informationen gegeben habe, einen viel moderneren Autor vermutet.
Jetzt kommt mir das für Goethe reichlich verschachtelt vor; aber wer weiß. Ich könnte mir Jean Paul vorstellen, oder einen der schwülstigeren Romantiker. Also nicht Hoffmann oder Tieck, aber vielleicht Eichendorff, Fouqué oder Brentano?
nicht verdient es mehr, ernstgenommen zu werden, als Proben Ihres Unernstes.
Zitat von Kallias
Zitat von ZettelMit Bürokratie hat diese tiefe Liebe der Franzosen zu ihrer Sprache nichts zu tun. Wohl aber mit ihrem Cartesianismus.
Tja, und ich dachte immer, Descartes sei lediglich das Idol der Dorfschulmeister... Hatte er allen Ernstes Einfluß auf die Hochkultur: Académie française? Gärten? Das klingt nach König; und der einzige Hof, an dem er wirkte, war doch der schwedische - und was kam davon? Swedenborg. Bellman.
An Swedenborg ist er auch schuld, der arme Descartes?
Nein, die Gärten hat er nicht zu verantworten; die hat er ja schon vorgefunden und die hydraulisch betriebenen Statuen darin, die dann zum Vorbild für sein Modell der Sensorik und Motorik in "De l'Homme" wurden.
Hat er den französischen Rationalismus zu verantworten? Auch gewiß nicht. Aber er hat ihm als erster philosophischen Ausdruck verliehen. Ja, richtig, er galt nicht viel in seinem Vaterland und ja auch sonst nicht soo viel, zu Lebzeiten. Aber keiner hat die Nachfolgenden so beeinflußt - auf dem Kontinent mit seinem Rationalismus den Spinoza ebenso wie den Malebranche und den Leibniz; jenseits des Kanals alle mit seinem Skeptizismus und seinem Subjektivismus.
Zitat von KalliasDie Kunst der abgezirkelten Gärten - ist das nicht ballet royal in Blumen, Synthese aus spanischem Zeremoniell und italienischer Musik? Und das soll von Descartes herkommen? Echt?
Hatte ich das geschrieben? Dann streichen Sie's, lieber Kallias. Dann hatte ich mich schluderig ausgedrückt. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich Egon Friedell zitiert, der ja ähnlich wie Spengler sehr in Kategorien des Geists einer Kultur und einer Epoche dachte. Descartes war für ihn der perfekte philosophische Ausdruck dieser rationalen französischen Kultur, aber natürlich nicht als eine Art Prometheus, Superman und Herkules in Personalunion deren Urheber.
Zitat von Kallias
Zitat von ZettelWenn es vielen Franzosen Spaß macht, ihren Geist an den Feinheiten ihrer Sprache zu üben, dann steckt dahinter ein Vertrauen in die Rationalität der Welt und in die Académie Française, die diese Rationalität im Auftrag des Weltgeistes hütet.
Le weltgeist! An Ihrem eigenem Wort können Sie erkennen, lieber Zettel, wie der Cartesianismus in Frankreich untergegangen ist. Der letzte französische Philosoph, der noch etwas von clare et disctincte wußte, war vermutlich Henri Poincaré. Dann wurde Frankreich bekanntlich von den Deutschen überrollt; doch während die Panzerdivisionen wieder weg sind, besteht die occupation des Geistes durch Hegel, Heidegger, Marx und Nietzsche anscheinend bis heute fort. (Denker, die man in Deutschland liest, weil die Franzosen einen solchen Rummel um sie machen... insofern kann man sich fragen, wer wen mit wem okkupiert.) Jedenfalls gibt es kaum noch einen Rationalismus mehr chez nos amis d\'outre-Rhin, der sie zu Grammatik-Rätseln anregen könnte.
Sie haben Jünger vergessen, cher Kallias.
Ich sehe aber in Frankreich keinen so sehr großen Einfluß der Genannten, mit Ausnahme natürlich von Marx und vielleicht von Heidegger, aber das ist auch schon wieder mehr als ein halbes Jahrhundert her. Dieses Interesse an deutscher Tiefe hat aus meiner Sicht etwas von dem Staunen, mit dem man früher in einer Völkerschau die Tänze der Wilden beobachtete.
So, wie die deutsche Kultiviertheit von Zeit zu Zeit durch Anfälle von Barbarei durch- und unterbrochen wird, so haben die rationalen Franzosen ihre Anfälle von Tiefsinn. Am schlimmsten war das in den Nachkriegsjahren, als Kierkegaard und Heidegger eingemeindet wurden. Oder sagen wir assimiliert. Denn viel geblieben ist von ihnen zB bei Sartre ja nicht.
Da haben Sie viel länger über den Satz nachgedacht als ich. C und D fielen raus, weil in ihnen die Vollverbphrase. Da ich gerade ein bißchen syntaxgeschädigt, und überdies sehr faul im genauen stilistischen Analysieren, rein materiell, also nur als Werkstoff, nicht aber als Botschaft oder Kunstwerk, gegebener Texte bin, wären mir ihre Überlegungen auch nie. Die Satzklammer. Und so einen gravierenden Fehler hätte Kallias. Nee, das hätte er meiner Meinung nach. Tonstörung?
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a) ist richtig, "vor" ist entweder ein Druckfehler oder war seinerzeit korrekt.
Goethe ist soweit richtig, als der Autor ebenfalls dem 18. Jh. und Thüringen zugeordnet werden kann.
Zitat von califaxUnd mir kommt der Satz seltsam bekannt vor.
Jaja, dieses klassische Zeugs klingt oft ähnlich. Daher eignet es sich auch so gut für solche Ratespiele.
Zitat von ZettelIch könnte mir Jean Paul vorstellen, oder einen der schwülstigeren Romantiker. Also nicht Hoffmann oder Tieck, aber vielleicht Eichendorff, Fouqué oder Brentano?
Ich könnte mir vorstellen, daß Ihnen, lieber Zettel, der Fehlgriff mit dem "schwülstigeren Romantiker" noch ein wenig leid tun wird.
Die geschraubte Hypotaxe ist hier nicht als Stil des Autors anzusehen - obwohl es in dem Werk von solchen Eiertänzen wimmelt -, sondern als ein Mittel, mit dem er einen bestimmten Effekt erzielen wollte. Er konnte nämlich auch anders:
Zitat von KlassikerBraucht es mehr als einen einzigen Fehler, um den Glanz des schönsten Lebens zu verdunkeln?
Zitat von KlassikerWie? rufen hier einige Leser, schon wieder Betrachtungen? Allerdings, meine Herren; und in seiner Situation würde es ihm nicht zu vergeben gewesen sein, wenn er keine angestellt hätte. Desto schlimmer für euch, wenn ihr, bei gewissen Gelegenheiten, nicht so gerne mit euch selbst redet als ****; vielleicht würdet ihr sehr wohl tun, ihm diese kleine Gewohnheit abzulernen.
Zitat von Kallias a) ist richtig, "vor" ist entweder ein Druckfehler oder war seinerzeit korrekt.
Nach erneutem Lesen gibt es eine Interpretation, die auch heute formal korrekt wäre. Aber so redet und schreibt eigentlich niemand mehr. Naja, Übersetzer von Derrida vielleicht. Es wird doch sehr nebulös dadurch.
Zitat von Kallias Goethe ist soweit richtig, als der Autor ebenfalls dem 18. Jh. und Thüringen zugeordnet werden kann.
Also ein Klassiker. Ohne nachzuschlagen, hilft mir Thüringen nicht weiter. Die sind ja alle durch Mitteldeutschland getigert. Und die Landesgrenzen haben sich auch noch verschoben, wenn mich meine Erinnerung an die Schulzeit nicht täuscht.
Zitat von Kallias Die geschraubte Hypotaxe ist hier nicht als Stil des Autors anzusehen - obwohl es in dem Werk von solchen Eiertänzen wimmelt -, sondern als ein Mittel, mit dem er einen bestimmten Effekt erzielen wollte.
Das gilt für alle Klassiker. Jeder Schriftsteller will mit jedem Satz einen bestimmten Effekt erzielen.
Aber gut. Der Author könnte also versucht haben, jemanden oder bestimmte Gruppen ironisch aufs Korn zu nehmen. Oder was auch immer. :)
Oder: Da ich nicht nachschlagen will, versetze ich Nietzsche jetzt einfach per Willensbefehl in das 18 Jhd. und nach Thüringen. War der's? Der hat gerne kurze gegen lange Sätze ausgespielt. Aber nee, der wars wohl nicht. Die Beispiele klingen alle zu positiv. Nietzsche war grausam und unerbittlich in seiner Sprache. Manchmal fast fatalistisch. Immer äußerst selbstsicher. Er hätte nie seine Leser danach gefragt, ihm etwas "abzulernen".
Egal. Ich kaufe eine Frage: Ist mit Thüringen Weimar gemeint?
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Zitat von KalliasIch könnte mir vorstellen, daß Ihnen, lieber Zettel, der Fehlgriff mit dem "schwülstigeren Romantiker" noch ein wenig leid tun wird.
Tut er schon jetzt, tut er schon jetzt, lieber Kallias. Denn das war nicht das richtige Wort. "Empfindsameren" hätte das besser getroffen, was ich meinte.
Ist des Autors Beziehung zu Thüringen nicht nur mit Weimar, sondern auch mit Erfurt assoziiert? Könnte man sagen, daß das gesuchte Buch "vom Guten" handelt?
Da bin ich jetzt aber gespannt. 18. Jhd. Erfurt. Schriftsteller. Schwergewichtiger deutscher Klassiker. Ich hab jetzt doch im Netz nachgeschaut und niemanden gefunden, auf den diese Beschreibung zutrifft. Vielleicht einfach falsch gegoogelt. Und ich werde nicht in die Uni-Bibliothek gehen, um dort zu suchen. Wäre ja auch nur eine andere Version des Googlens. Wer sollte das sein?
Welche Schwergewichte gibt es in der Klassikergang? Goethe (in Arbeit - mit Spott und Hochgenuß) Schiller (in Arbeit - mit Genuß) Herder (Nie gelesen, selber schuld. Kommt noch.) Wieland (? Wohl nie etwas von ihm gelesen. Ich stoße seltsamerweise nie auf eines seiner Werke. "Aus der Mode" in Extremform.) Körner (Naja, one of the boys, aber eher Nationaldichter als Griechentümler. (Für mich ein Gott.)) Seume (Klassik? Er war in der Gang. Allerdings von dem wenigen, was ich bisher von ihm lesen konnte, so ziemlich das Gegenteil von dem, was die harmoniesuchenden Aufklärer und Fürstenerzieher der Klassik anstrebten.
Klug und fleißig - Illusion Dumm und faul - das eher schon Klug und faul - der meisten Laster Dumm und fleißig - ein Desaster The Outside of the Asylum
Zitat von califaxIch kaufe eine Frage: Ist mit Thüringen Weimar gemeint?
Weimar und Erfurt treffen beide zu. Noch ein kleiner Tip: wenn ich richtig errate, wen Zettel mit seinen letzten Mutmaßungen im Auge hat, dann hat er das Rätsel gelöst.
Zitat von califaxIch kaufe eine Frage: Ist mit Thüringen Weimar gemeint?
Weimar und Erfurt treffen beide zu. Noch ein kleiner Tip: wenn ich richtig errate, wen Zettel mit seinen letzten Mutmaßungen im Auge hat, dann hat er das Rätsel gelöst.
Vielleicht lösen es ja auch noch andere?
Das Buch, oder die Bände, habe ich mal angefangen zu lesen, bin aber nicht sehr weit gekommen; wie auch bei seinen schönen und lustigen Geschichten vom hellenischen Schilda. Bis zum Ende genossen habe ich viele seiner Essays, zum Beispiel über das Ballonfahren, das er erst lächerlich gemacht und dann sehr verständig, informiert und fast schon begeistert kommentiert hat.
Warum habe ich keines seiner Bücher zu Ende gelesen? Weil ich es anstrengend finde, diesen immens intelligenten Autor zu lesen. Es geht mir mit ihm wie mit Jean Paul: Wunderbar, voller Witz und Esprit. Aber nach ein paar Dutzend Seiten merke ich, daß ich nicht mehr genügend aufpasse.
Zum Teil liegt das natürlich daran, daß es die Sprache einer anderen Zeit ist. Aber die Texte der beiden stellen, glaube ich, unabhängig davon schon höhere Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration, als das, was die meisten Autoren des 20. Jahrhunderts ihren Lesern zumuteten.
Warum konnten die Damen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts das verkraften? Vielleicht, weil wohl überwiegend vorgelesen wurde. Also mit rund der Hälfte der Geschwindigkeit wie beim leisen Lesen. Und allein schon durch das gemeinsame Lauschen entsteht Konzentration.
Zitat von ZettelWarum habe ich keines seiner Bücher zu Ende gelesen? Weil ich es anstrengend finde, diesen immens intelligenten Autor zu lesen. Es geht mir mit ihm wie mit Jean Paul: Wunderbar, voller Witz und Esprit. Aber nach ein paar Dutzend Seiten merke ich, daß ich nicht mehr genügend aufpasse.
Freut mich, das von Ihnen zu erfahren: mir ging's genauso. Manche Seite habe ich zweimal lesen müssen, als ich beim Umblättern feststellen mußte, nicht das Geringste vom Inhalt mitbekommen zu haben. Diese Perioden haben so eine einlullende Melodie, die Augen hüpfen routiniert von Haltepunkt zu Haltepunkt, und wenn man nicht scharf mitdenkt, versteht man einfach gar nichts.
Zitat von ZettelZum Teil liegt das natürlich daran, daß es die Sprache einer anderen Zeit ist. Aber die Texte der beiden stellen, glaube ich, unabhängig davon schon höhere Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration, als das, was die meisten Autoren des 20. Jahrhunderts ihren Lesern zumuteten.
Geben Sie hier in Ihrer autopunitiven Art unserem Autor nicht etwas zuviel Ehre? Er wollte sich mit seinem Schachtelsatz-Rokoko als überlegen, witzig und ironisch präsentieren, und tat so viel des Guten, daß ihm die große Mühe, die das machte, allzu deutlich anzumerken ist. Dieser Fieldings-Epigone schien sich eingebildet zu haben, den Meister des geistvollen Erzählens und gemeinen Zwerchfellfaltens übertreffen zu können und blieb dabei ein schwitzend bemühter Nachahmer. (So, finde ich, sollte man mit Autoren umspringen, deren Texte anstrengend sind.)
Zitat von ZettelWarum konnten die Damen in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts das verkraften? Vielleicht, weil wohl überwiegend vorgelesen wurde.
Das glaube ich nicht. Es ist sicher nicht eines jener Bücher, die man "nur mit einer Hand" lesen konnte, und die aufgrund ihrer großen Verbreitung im 18. Jh. mehr als alles andere die Gewohnheit des stillen Lesens durchgesetzt haben, aber doch eines, das mit seinen ständigen Andeutungen, Getue und Drumherumreden die Backen und die Ohren der Damen zum Glühen brachte, so daß die Leserinnen gewiß die Einsamkeit bevorzugt haben. Möglich ist allenfalls, daß intime Freundinnen einander diesen Text vorgelesen haben, doch werden sie wohl vor lauter Kichern und Tuscheln kaum weiter gekommen sein als Sie, lieber Zettel.
Wissen Sie was, lieber Kallias? Ich nehme mir jetzt Wielands "Geschichte des Agathon" - denn darum handelt es sich; ich verrate das jetzt allen Interessierten, denn eine weitere Lösung wird wohl nicht mehr kommen -, den ich vor Jahren beiseite gelegt, wieder vor, und zwar in jener Reprint-Ausgabe aus dem Verlag 2001, die allerdings den Nachteil hat, daß man sehr dünnes Papier gewählt hat, so daß der Text der Rückseite ein wenig durchscheint (zwar habe ich auch noch eine Taschenbuch-Ausgabe, aber ich bin nicht sicher, ob ich sie in den Untiefen meiner Bibliothek finde, während die Gesamtausgabe einen Ehrenplatz hat) - ich nehme mir, sage ich, diese Geschichte jetzt wieder vor, zum einen, weil ich nun doch, nach Ihrem Rätsel und vor allem Ihrem jetzigen Kommentar, begierig bin, zu erfahren, ob ich mich Ihrem harschen Urteil über den großen, ja auch von Arno Schmidt sehr bewunderten Wieland anschließen kann (zumal dieses Ihr Urteil ja nah bei dem Klischee ist, das Wieland schon gegen Ende seines Lebens traf, als das Rokoko vom Sturm und Drang gemeuchelt und dann von der Klassik begraben wurde); zum anderen, weil ich mit dem Friedell demnächst zu Ende bin und mir ein ähnlich leichtfüßiger, wenn auch weitschweifiger Nachfolger gerade gelegen kommt.
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