Der ehemalige Bürgerrechtler und langjährige Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg wurde nicht wieder als Direktkandidat aufgestellt und auch nicht auf der Liste der SPD abgesichert; er wird dem Bundestag nicht mehr angehören. Der ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des MfS Axel Henschke sitzt für die Kommunisten im Landtag Brandenburgs und wird also demnächst eine der Stützen der Regierung Platzeck sein.
Stichwort "Bürgerrechtler": Ich habe in dem hier behandelten, aber auch in anderen Fällen schon öfter den Eindruck gehabt, dass die "Bürgerrechtsbewegung" in der DDR erst entstanden ist, als die DDR schon in ihren (aller-)letzten Zügen lag. In den meisten Lebensläufen liest man was von ab 1988; wer noch pragmatischer war, hat sich, wie unsere Kanzlerin, erst aus der Deckung gewagt, als die DDR schon de facto tot war. Ein funktionierendes autoritäres Regime hätte all das einfach weggeblasen, im Extremfall halt auch mit massiver Gewalt. Die "Bürgerrechtler" - wohlgemerkt meine ich nur die, die uns mit Blick auf die Jahre 1988ff als solche verkauft werden - haben offenbar ein sich öffnendes Zeitfenster erkannt und unverschämtes Glück gehabt, "gegen" ein Staatswesen anzutreten, das ihnen nichts mehr entgegensetzen wollte oder konnte. Wer weiß schon, wie sie sich verhalten hätten, wenn es den ersten Toten gegeben hätte? Wahrscheinlich hätten sie sich nicht weniger pragmatisch verhalten als jeder andere DDR-Bürger auch.
Was genau sollte man also von ihnen lernen? Wieso sollte man es bedauern, dass einer eher kleinen Gruppe nun kein Gehör mehr geschenkt wird?
So ist es, wie es sich dann dargestellt hat. Ob die DDR-Führung nicht vielleicht ein wenig mehr Krawall gemacht, wenn der große Bruder seine Teilnahme zugesagt hätte, möchte ich mal offen lassen. Der Wille den Arbeiter- und Bauernstaat zu retten, wenn nötig mit allen Mitteln, war sicher da, allein die Kraft fehlte.
Zitat von automatStichwort "Bürgerrechtler": Ich habe in dem hier behandelten, aber auch in anderen Fällen schon öfter den Eindruck gehabt, dass die "Bürgerrechtsbewegung" in der DDR erst entstanden ist, als die DDR schon in ihren (aller-)letzten Zügen lag. In den meisten Lebensläufen liest man was von ab 1988; wer noch pragmatischer war, hat sich, wie unsere Kanzlerin, erst aus der Deckung gewagt, als die DDR schon de facto tot war. Ein funktionierendes autoritäres Regime hätte all das einfach weggeblasen, im Extremfall halt auch mit massiver Gewalt. Die "Bürgerrechtler" - wohlgemerkt meine ich nur die, die uns mit Blick auf die Jahre 1988ff als solche verkauft werden - haben offenbar ein sich öffnendes Zeitfenster erkannt und unverschämtes Glück gehabt, "gegen" ein Staatswesen anzutreten, das ihnen nichts mehr entgegensetzen wollte oder konnte.
Vielleicht können dazu diejenigen hier im Forum, die bis 1990 "Bürger der Deutschen Demokratischen Republik" gewesen sind, Kompetenteres sagen, als ich es kann.
Mein Eindruck ist, das man bis 1988 gar nicht die Wahl hatte, mehr zu machen als eine gewisse Distanzierung vom Regime, hauptsächlich innerhalb der Kirche. Jeder andere Versuch hätte in Hohenschönhausen sein Ende gefunden.
Daß sich das langsam änderte, lag wohl hauptsächlich an Gorbatschow. Den Herren der DDR war ja klar, daß ihr Regime an dem Tag fallen würde, an dem feststand, daß man nicht notfalls sowjetische Panzer würde anfordern können.
Zitat von automatWer weiß schon, wie sie sich verhalten hätten, wenn es den ersten Toten gegeben hätte? Wahrscheinlich hätten sie sich nicht weniger pragmatisch verhalten als jeder andere DDR-Bürger auch.
Also vernünftig. Gegen eine entschlossene Staatsmacht hat niemals eine Revolution eine Chance gehabt. Revolutionen gelingen nur dann, wenn das Regime schon innerlich verfault ist.
Zitat von automatWas genau sollte man also von ihnen lernen? Wieso sollte man es bedauern, dass einer eher kleinen Gruppe nun kein Gehör mehr geschenkt wird?
Diese Fragen verstehe ich nicht. Auch im Herbst 1989 gehörte noch großer Mut dazu, gegen das Regime aufzubegehren. Niemand konnte wissen, ob sich im Politbüro nicht doch die chinesische Lösung durchsetzen würde.
Daß Honecker sich nicht getraut hat, auf die Demonstranten schießen zu lassen, dürfte zwei Gründe gehabt haben: Erstens mußte er damit rechnen, daß Moskau ihn fallenlassen würde; dann wäre jedes Blutvergießen ohne Effekt gewesen. Zweitens konnte er sich seiner eigenen Truppen nicht mehr sicher sein. Die Betriebskampfgruppen waren offenbar nicht mehr einsatzfähig; sogar im Wachregiment Felix Tscherschinski kriselte es.
Und das, lieber Selbstbeweger, ist das zweite Moment einer revolutionären Situation: Wenn die Herrschenden sich ihres Repressionsapparats nicht mehr sicher sein können.
sie sollten nicht so skeptisch auf die Bürgerrechtler schauen. Es war damals eine irre Zeit, in der in wenigen Monaten enorm viel passiert ist - es hat sich das von ihnen angesprochene Freiheitsfenster geöffnet.
Ich werde mal versuchen, die damaligen Ereignisse aus meiner Sicht zu schildern. Wobei ich anmerken muss, dass ich damals voll in der Pubertät steckte und ich dadurch Einiges auch durchaus zeitlich verzerrt wahrgenommen haben werde.
Es fing mit dem Reihensterben der alten Sowjetführer an - Breschnjew, Andropow, Tschernjenko. Dann kam Gorbi.
Wir lebten damals in einem Land, in dem keiner so richtig zufrieden war. In einem Land, in dem politische Witze (Reagan, Breschnjew und Honecker sitzen in einem Flugzeug, oder stehen bei Petrus etc...) die populärsten sind, ist man offensichtlich unzufrieden. Aber ... es brodelte nicht. Man war eher lethargisch und belächelte die ökonomischen Siegesmeldungen der Partei- und Staatsführung ... jeder wusste ja, wie es in der Realität aussah.
Tja, dann ... Glasnost und Perestrojka in der SU und ein offensichtliches Zerwürfnis zwischen DDR- und Sowjetführung. Wir begannen Gorbi-Sticker und DDR-Fahnen-Anstecknadeln an unseren Jeansjacken zu tragen. Keine Ahnung, wo die herkamen und ob das nur ein Phänomen auf unserem Schulhof war, aber das war schon politisch korrekte Subversion.
Dann ging es auf einmal Schlag auf Schlag. Erst unter dem Schutz der Kirchen (Friedensgebete), dann runde Tische, Botschaftsbesetzungen, Genschers Ausreiserede, die Grenzöffnung in Ungarn, Montagsdemos, alle möglichen Bürgerrechtsgruppen formierten sich - es war Aufbruchsstimmung. Und doch war alles von Angst geprägt, das SED-Regime hätte jederzeit tabula rasa machen können.
Allerdings haben sich die Jugendmedien zunehmend rebellisch gegeben. Wahrscheinlich sollte ein Ventil geöffnet werden, als der Jugendsender DT64 anfing kritische Musik zu spielen. Ich glaube mich zu erinnern, dass auch in der Jugendzeitung Junge Welt erste kritische Artikel erschienen. Mit der Jugendsendung Elf 99 war dann der Gipfel erreicht. Es ging nicht mehr zurück.
Die Bürgerrechtler damals wollten keine Wiedervereinigung, sie wollten eine bessere DDR. Mir selbst war der Gedanke an eine Wiedervereinigung auch vollkommen fremd. Ich kannte ja kein Deutschland, sondern nur die kapitalistische BRD und meine dringend verbesserungsbedürftige Heimat.
Die Bürgerrechtler dazumal hatten nur ein kleines Zeitfenster und die Angst war allgegenwärtig. Erst als sie das Eis gebrochen hatten, erscholl der Ruf "Wir sind ein Volk!". Eigentlich sind sie die Wendeverlierer, weil sie den Anfang machten und dann vom Volk überrollt wurden. Es wundert mich nicht, dass schon kurz nach dem Umbruch die Fettaugen wieder oben schwammen, während die Bürgerrechtler meist in der Versenkung verschwanden. So ist halt Geschichte.
Ich freue mich über jeden DDR-Bürgerrechtler, der heutzutage noch eine Stimme hat ... es sind nicht mehr viele. Dass die SPD Stephan Hilsberg aus dem Rennen genommen hat sagt mehr über die SPD, als über einen Ex-DDR-Bürgerrechtler.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
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