Wieder mal eine Marginalie, die wirklich nur ein Randthema berührt; ein kleines Feuilleton: Die Rothirschkuh Ahornia hält sich an den Verlauf einer Grenzbefestigung, die es seit zwanzig Jahren nicht mehr gibt.
Aber wenn man es so sehen will, geht es dabei doch auch um Biologie und Kultur, um Mauern in den Köpfen, um männlich und weiblich.
Hehe, sie wissen immer wieder zu überraschen, lieber Zettel. Schöner Artikel.
Spontaner Gedanke: Menschen sind wohl keine Hirsche. Während die Jungkühe hierzulande bei struktureller Unzufriedenheit gen Westen oder Süden abwandern, bleiben die jungen Böcke, z.B. in der Uckermark, hocken und brunften um die verbliebenen Stücke.
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von CalimeroHehe, sie wissen immer wieder zu überraschen, lieber Zettel. Schöner Artikel. Spontaner Gedanke: Menschen sind wohl keine Hirsche. Während die Jungkühe hierzulande bei struktureller Unzufriedenheit gen Westen oder Süden abwandern, bleiben die jungen Böcke, z.B. in der Uckermark, hocken und brunften um die verbliebenen Stücke.
Das ist, lieber Calimero, nun wieder für mich ein überraschender Gedanke.
Aber ich glaube, Sie haben Recht. Ich erinnere mich jetzt, wo Sie es sagen, auch dunkel daran, das gelesen zu haben, daß die jungen Frauen, die in den Neuen Ländern aufgewachsen sind, mobiler sind als die jungen Männer.
Vielleicht liegt das ja wie bei Ahornia daran, daß sie mehr gelernt haben?
Zitat von ZettelAber wenn man es so sehen will, geht es dabei doch auch um Biologie und Kultur, um Mauern in den Köpfen, um männlich und weiblich.
Ahornia bleibt zuhause:
Der bei den Hirschen festgestellte Brauch "des Bleibens, und des Weggehens" erzeugt doch für sie so etwas wie "Heimat" und auch so etwas wie die "Fremde". Die Heimat tritt ja erst in Erscheinung, wenn es auch ein "Weggehen" gibt, oder wenn sie sonstwie in Gefahr gerät.
Ist vielleicht die von Aronia und ihren Freunden so hergestellte Heimat und Identität ("Ich bin die Ahornia vom Bayrischen Wald") eine notwendige Lebensgrundlage für alle Lebewesen jenseits des Regenwurms?
PS: Ein sehr schönes Thema, um grundsätzliche Dinge zu diskutieren, jenseits von EuGH,EMRK,EGMR und EuXYZ. Ahornia zeigt uns den Weg!
Zitat von UngeltIst vielleicht die von Aronia und ihren Freunden so hergestellte Heimat und Identität ("Ich bin die Ahornia vom Bayrischen Wald") eine notwendige Lebensgrundlage für alle Lebewesen jenseits des Regenwurms? PS: Ein sehr schönes Thema, um grundsätzliche Dinge zu diskutieren, jenseits von EuGH,EMRK,EGMR und EuXYZ. Ahornia zeigt uns den Weg!
Ich freue mich, lieber Ungelt, daß Sie das bemerkt haben (und Calimero ja auch schon). Die kleine Marginalie ist einerseits eine Schnurre. Andererseits war ich gespannt darauf, ob jemand darauf kommen würde, was Ahornia uns alles sagen kann, wie gegen Ende des Artikels angedeutet. Sie sind darauf gekommen.
Ich denke ja gern dort, wo es paßt, evolutionär. Der Mensch ist in diesem Punkt - wie in so vielem in seiner kuriosen, einmaligen, widersprüchlichen Evolutionsgeschichte (ein Pflanzenfresser, der zum Jäger umschulte; ein Vierbeiner, der zum Zweibeiner wurde; ein Hordentier, das zum Familientier wurde usw.) - in sich widersprüchlich. Er ist einerseits standorttreu, andererseits ein Wanderer.
Über Jahrmillionen haben unsere Vorfahren in einem vergleichsweise kleinen Gebiet gelebt, in Ostafrika, in der Gegend des Victoriasees. Das dortige Klima, die dortige Landschaft sind uns noch heute angemessen. Wir mögen es zwischen zwanzig und dreißig Grad, wir baden gern, wir träumen vom blauen Himmel und einer sanften Brise.
Das, wohin wir im Urlaub streben, zeigt das an, was unsere Gene für eine gute Umgebung halten. Wo es uns einmal gut ging, da ist es gut.
Und so ist es auch für das Individiuum. Es kennt das sweet, sweet grass of home, es weiß: "Wo meine Wiege stand, da ist mein Heimatland".
Wir haben, je älter wir werden, ein Bedürfnis, an die Stätten unserer Jugend zurückzukehren. Die deutschen Heimatvertriebenen strömen heute als Besucher in Scharen dorthin, wo sie ihre Kindheit verbrachten. Also die Jahrgänge bis ungefähr 1937; eine Kohorte, die nun freilich auch schon in Richtung kühles Grab unterwegs ist.
Das einerseits, lieber Ungelt. Andererseits ist der Mensch ein Wanderer. Die ganze Story begann mit der Auswanderung in die Savanne (auch wenn es neuerdings die Vermutung gibt, daß das Gehen auf zwei Beinen schon im tropischen Regenwald erübt worden sein könnte). Dann wanderten unsere Vorfahren weiter, out of Africa. Sie wanderten, getrieben von Nahrungsmangel, bis dorthin, wo es gar nicht mehr schön ist; ins kalte Europa der letzten Eiszeit. Paralell dazu nach Asien, von dort immer weiter, bis nach Feuerland und Australien.
Dabei wurden viele von ihnen hart und diszipliniert. Sie hatten nun auch das Wandern in den Genen, und sie konnten damit zäh überleben. Wo immer es unerträglich wurde, packten sie, Kulturvölker und -stämme geworden, ihr Ränzlein und wanderten. "Mein Vater war ein Wandersmann, und mir steckt's auch im Blut".
Auch wenn sich das, wie viele Wanderlieder ("Das Wandern ist des Müllers Lust"; "... ich will mein Glück probieren, marschieren") nicht auf den Auswanderer und erst recht nicht auf den Wandervogel mit dem Zupfgeigenhansel bezieht, sondern auf den wandernden Handwerksburschen.
Jetzt bin ich a bisserl ins Plaudern gekommen. Sei's drum.
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von RilkeWer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
dass ich diesen lyrischen Kracher vergessen habe ist unverzeihlich. Ich bin kein Lyrik-Fan, aber manches bleibt dann doch hängen ... Rilke gehört dazu. Danke für die Erinnerung.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Diese ersten Zeilen rühren mich immer stark an! Oh, Rilke kann so schön sein!
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