Das Bild der Frau mit den erhobenen Händen illustriert meines Erachtens sehr treffend die Stimmung, die nach dem Mauerbau herrschte. Zuerst konnten wir nicht fassen, daß die Kommunisten wirklich damit begonnen hatten, ihre Untertanen einzumauern. Als das klar wurde, herrschte Resignation, aber ein bißchen doch auch die Hoffnung, daß man den Kontakt zu den Eingemauerten würde aufrechterhalten können.
Eine Wiedervereinigung konnte ich mir damals und in den Jahrzehnten danach nicht vorstellen. Wie hätten die Kommunisten jemals freiwillig ihre Herrschaft aufgeben können, die sie so brutal zementiert hatten? Und wie hätte ein Volksaufstand sie besiegen sollen, wie er schon 1953 niedergeschlagen worden war?
Daß das Regime einfach zusammenbrechen würde, wie ein im Inneren verfaulter Baum umkippt, lag außerhalb der Grenzen meines Vorstellungsvermögens. Auch nach zwanzig Jahren finde ich noch, daß "Wunder" das richtige Wort dafür ist.
Von DDR-Bürgern hat man damals ein anderes Wort besonders häufig gehört: "Wahnsinn!"
Ein nicht mehr ernsthaft kommentierbarer Kommentar zum Jubiläum:
Zitat von Bruni de la Motte im GuardianOn 9 November 1989 when the Berlin Wall came down I realised German unification would soon follow, which it did a year later. This meant the end of the German Democratic Republic (GDR), the country in which I was born, grew up, gave birth to my two children, gained my doctorate and enjoyed a fulfilling job as a lecturer in English literature at Potsdam University. Of course, unification brought with it the freedom to travel the world and, for some, more material wealth, but it also brought social breakdown, widespread unemployment, blacklisting, a crass materialism and an "elbow society" as well as a demonisation of the country I lived in and helped shape. Despite the advantages, for many it was more a disaster than a celebratory event.
Denn das Ende der DDR bedeutete nur Reisefreiheit und ("für manche") mehr materiellen Reichtum. Und in der DDR gab es keine Jobverbote ("blacklisting")
Der größte Nachteil des Endes der DDR? Dass man derlei Leuten nicht mehr "dann geh doch nach drüben" antworten kann.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von GorgasalEin nicht mehr ernsthaft kommentierbarer Kommentar zum Jubiläum:
Zitat von Bruni de la Motte im GuardianOn 9 November 1989 when the Berlin Wall came down I realised German unification would soon follow, which it did a year later. This meant the end of the German Democratic Republic (GDR), the country in which I was born, grew up, gave birth to my two children, gained my doctorate and enjoyed a fulfilling job as a lecturer in English literature at Potsdam University. Of course, unification brought with it the freedom to travel the world and, for some, more material wealth, but it also brought social breakdown, widespread unemployment, blacklisting, a crass materialism and an "elbow society" as well as a demonisation of the country I lived in and helped shape. Despite the advantages, for many it was more a disaster than a celebratory event.
Erstens war die DDR ja durchaus das beschriebene Paradies für die Angehörigen der Nomenklatura, zu denen Bruni de la Motte offenbar zählte; sie ist jetzt in GB, wie es scheint, im Schuldienst.
Daß sie zur Nomenklatura gehörte, kann man daraus schließen, daß sie von sich sagte, sie habe "geholfen, die DDR zu gestalten".
Und daß sie das sagt, ist - zweite Anmerkung - ja in Ordnung. Ich wünsche mir mehr Angehörigen der DDR-Nomenklatura, die zugeben, daß sie das mitgestaltet haben, was es an Zuständen in der DDR gab.
Die meisten sagen ja, die Zustände seien nun mal so gewesen und sie hätten nichts dagegen tun können.
Zitat von HerrIch erlaube mir, in diesem Zusammenhang wieder auf einen eigenen Blog-Eintrag zu verweisen.
Vielen Dank! Ich habe das mit großem Interesse gelesen. Es macht für mich konkreter, wie es damals in der DDR gewesen ist.
In Berlin hat vor einer Viertelstunde die Feier begonnen. Als erster nach Wowereit durfte Sarkozy sprechen, als Staatsoberhaupt. Jetzt spricht das Staatsoberhaupt Medwedew.
Wäre es nicht richtiger gewesen, wenn man als ersten jemanden von denen hätte sprechen lassen, die damals an dieser Revolution beteiligt waren? Richard Schröder zum Beispiel, oder den Pfarrer Gauck.
Ich war sechzehn, erstes Lehrjahr. Wo ich die Schabowski-PK gesehen habe weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall hatte es schon einige Monate zuvor "gekribbelt" ... es lag Aufbruchsstimmung in der Luft.
Dann dieser Hammer! Und ich hatte Frühschicht! Am 10. November stand ich also früh an der Schichtbus-Haltestelle und wir zählten quasi durch, wer überhaupt noch antrat. Wir Lehrlinge waren total enthusiasmiert und überboten uns mit Zeitangaben, wann wir wohl nach Westberlin fahren würden.
Für mich war klar, dass ich erst nach meiner Frühschichtwoche Zeit hätte; für andere war klar, dass sie schnellstens den Westen besuchen würden. Im Betrieb dann wurde deutlich, dass die Führung auch nicht unbedingt darauf hoffte, dass alle Leute auch pünktlich zur Arbeit erschienen ... man hoffte, arbeitsfähig zu bleiben.
Es folgte eine Woche der Ungewissheit, ob die Kollegen auch am nächsten Tag noch da sein würden (sie kamen dann doch pünktlich).
Nach ein paar Tagen habe ich mich dann in einen völlig überfüllten Zug nach Berlin gequetscht. Eine Fahrkarte war nicht zu kriegen, aber ein Schaffner hätte auch keine Chance zur Kontrolle gehabt. Also stehend nach Schöneweide (Schönefeld?) und dann zu Fuß über Rudow nach Westberlin.
Visum in den Personalausweis geklatscht, und dann stand ich im Westen ... irre! Bin dann zur nächsten U-Bahn-Station gelatscht (überall Werbung ... bunt ... Westgeruch) und habe mir die Adresse meines Westberliner Onkels gesucht. Strecke rausfinden (wir konnten ja mit DDR-Perso umsonst fahren) und hin da.
Er hat mir dann ein kleines Postamt in Lichtenrade gezeigt, in dem ich mein "Begrüßungsgeld" abholen konnte (woanders standen riesige Schlangen!). Dann ab in die großen Kaufhäuser in der Hermannstraße (Hermannplatz?) ... Shopping? Nur kleines Geld dabei, aber ein Walkman und ein paar "Knöchelturnschuhe" waren drin. Es war einfach nur irre, obwohl ich ob der hohen Migrantendichte schon einen kleinen Kulturschock bekam.
Es war wirklich Wahnsinn, anders kann man es nicht nennen. Der Horizont wurde plötzlich weit und man konnte durchatmen!
Herzlich, Calimero
P.S. Ich bin ja ins kleine Zimmer gerutscht, weil ich Zettels Artikel zum DDR-Loch nicht unkommentiert lassen konnte. Es freut mich sehr, dass hier mittlerweile einige Zonis und Ex-Zonis kommentieren.
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
In Antwort auf:Wäre es nicht richtiger gewesen, wenn man als ersten jemanden von denen hätte sprechen lassen, die damals an dieser Revolution beteiligt waren? Richard Schröder zum Beispiel, oder den Pfarrer Gauck.
Das wäre sicher besser gewesen als das, was da jetzt stattgefunden hat bzw. noch stattfindet. Und gut, dass Sie diese beiden Namen genannt haben, denn sie waren, so weit ich sehe, die einzigen prominenten "Revolutionäre", die die Maueröffnung und die folgende deutsche Einheit von Herzen bejaht haben. (Schröder war übrigens mein erster Philosophie-Lehrer, und es war ein Genuss, wie er die marxistisch-leninistische "Philosophie", wie wir sie aus der Schule kannten, auseinandernahm.)
Ansonsten war es ja nach dem 9. November nicht mehr ganz so einfach mit den "Bürgerrechtlern". Eine Freundin, die Monate vorher noch bei einer demonstrativen Aktion verhaftet worden war, schrieb dieser Tage darüber, wie enttäuscht sie von der Maueröffnung war, weil damit Konsum und Reisefreiheit über den Wunsch nach einer Demokratisierung des Sozialismus gesiegt hatten. Dass das damals auch mein Glück etwas getrübt hat, habe ich angedeutet. Aber inzwischen sehe ich das natürlich ganz anders.
Zitat von HerrEine Freundin, die Monate vorher noch bei einer demonstrativen Aktion verhaftet worden war, schrieb dieser Tage darüber, wie enttäuscht sie von der Maueröffnung war, weil damit Konsum und Reisefreiheit über den Wunsch nach einer Demokratisierung des Sozialismus gesiegt hatten. Dass das damals auch mein Glück etwas getrübt hat, habe ich angedeutet. Aber inzwischen sehe ich das natürlich ganz anders.
Ich hattte damals Kontakt zu einem Kollegen, der an der Karl-Marx-Universität Leipzig unterrichtete. Er hatte als sogenannter Reisekader schon ab Anfang der achtziger Jahre "reisen dürfen", weil er ein Aushängeschild der DDR-Forschung war und weil seine Auftritte im Westen der DDR Devisen brachte. (Er mußte nämliches jedes Vortrags- und Buchhonorar bis auf den letzten Dollar der Unileitung abliefern - Begründung: Sein Gehalt liefe ja weiter, auch wenn er im KA sei; das war das "kapitalistische Ausland").
Dieser Kollege war in der SED, dachte aber vergleichsweise liberal. Anfang 1990 besuchte er uns wieder und sagte ziemlich genau das, was Sie zitieren, lieber Herr: Jetzt gebe es in der DDR die einmalige Chance, den wahren Sozialismus aufzubauen. Aber er fürchte, daß das an seinen Landsleuten scheitern werde, denen Bananen und Videorekorder wichtiger seien als der Sozialismus.
Auch im Westen war diese Haltung quer über die gesamte Linke weit verbreitet. Man wollte ausdrücklich nicht die Wiedervereinigung, sondern stellte sich vor, daß die eigenen Träume von einem wunderbaren Sozialismus jetzt in der DDR Realität werden würden. Irgendwer - ich weiß leider nicht mehr, wer - hat damals gesagt, in soundsovielen Jahren müßte die "BRD" eine Mauer bauen, weil ihr dann die Menschen in Richtung DDR davonlaufen würden.
Übrigens ist es auch mir so gegangen, daß ich das ganze Elend des SED-Staats erst allmählich begriffen habe. Im Grunde erst richtig, als wir im Sommer 1990 einige Wochen lang mit dem Wohnwagen in der DDR waren und sahen, wie heruntergekommen die Städte waren, wie armselig das Straßennetz, wie verängstlicht und selbstunsicher viele - nicht alle! - Menschen.
Zitat von ZettelDieser Kollege war in der SED, dachte aber vergleichsweise liberal. Anfang 1990 besuchte er uns wieder und sagte ziemlich genau das, was Sie zitieren, lieber Herr: Jetzt gebe es in der DDR die einmalige Chance, den wahren Sozialismus aufzubauen. Aber er fürchte, daß das an seinen Landsleuten scheitern werde, denen Bananen und Videorekorder wichtiger seien als der Sozialismus.
Das funktionierte so ähnlich, auch wenn man nicht gerade Mitglied der "Nomenklatura" war und nicht den "Sozialismus" im Sinn hatte.
Die Menschen verbinden gerne, denke ich, die Mißstäde mit konkreten Personen und dem von ihnen aufgebauten System. Die Abwesenheit dieser Personen bedeutet dann schon das "Gegenteil des Bestehenden". Natürlich MIT "Bananen", Meinungs- und Reisefreiheit. Aber eben auch ohne die zuvor täglich thematisierten und wohl auch verinnerlichten Nachteile der "Raubtierkapitalismus". Dem fühlt man sich nicht gewachsen, man wurde ja vollständig anders "konditioniert" und ausgebildet und müßte jetzt (im Falle der DDR) "in voller Fahrt" mit den bereits erfahrenen und reichen "Kapitalisten" in Wettbewerb treten. Keine guten Erfolgsaussichten, wenn man nicht gerade eine Ausnahmeerscheinung ist.
Im Prinzip ist es ja konservatives Denken - nur eben das zu verändern, was verändert werden muß. Die Rückkehr zum Kapitalismus ist dagegen in dieser Lage sehr "radikal", wenn man nur das bestehende System kennt.
Ich habe 1968 auch an eher kleine Schritte gedacht, natürlich auch mit Blick auf den "Großen Bruder". Wobei die Meinungs- und Reisefreiheit natürlich schon an sich einen riesigen Schritt für das persönliche Wohlbefinden darstellten. Für mich wäre das Erreichte auch absolut ausreichend gewesen, auch weil man damit den Abbau weiterer Mißstände erwarten konnte.
Den prinzipielle Webfehler des Systems sieht man nicht so leicht, denn "der Wille des Volkes" hat ja eben erst auch in dem undemokratischen System zu Ergebnissen geführt. Warum sollte es dann nicht von Dauer sein?
Zitat von UngeltIch habe 1968 auch an eher kleine Schritte gedacht, natürlich auch mit Blick auf den "Großen Bruder". Wobei die Meinungs- und Reisefreiheit natürlich schon an sich einen riesigen Schritt für das persönliche Wohlbefinden darstellten. Für mich wäre das Erreichte auch absolut ausreichend gewesen, auch weil man damit den Abbau weiterer Mißstände erwarten konnte.
So dachte ich damals als Westler auch, lieber Ungelt.
Viele haben ja den Traum vom "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" geträumt. Ich war damals als Juso regelrecht enttäuscht, daß sich Eduard Goldstücker und Jiří Pelikán nicht als die besseren Sozialisten erwiesen, sondern daß sie den Sozialismus abschaffen wollten.
Heute weiß ich, wie wahrscheinlich auch Sie, daß es keinen humanen Sozialismus geben kann. Aber der Glaube daran scheint unausrottbar zu sein.
Zitat von ZettelDieser Kollege war in der SED, dachte aber vergleichsweise liberal.
Und gehörte natürlich als Akademiker zu den Privilegierten, studieren durften ja auch fast nur Linientreue oder solche, die sich erfolgreich dafür ausgaben. Die waren also ganz anders sozialistisch imprägniert als die Normalbürger, das noch kombiniert mit der üblichen akademischen Realitätsferne.
Wir waren damals (eher zufällig in der Terminierung) mit einer Reisegruppe der Friedrich-Naumann-Stiftung in Leipzig (Anreisetag am Tag der großen Montagsdemo - wir durften erst spät abends in die Stadt). Da war es schon auffällig: Die gebildeteren Gesprächspartner waren sehr vorsichtig und redeten auch unter vier Augen nur von Reformen innerhalb des Systems. Dann gab es noch einige primitive Apparatschiks, die blind die offizielle Lehre runterbeteten - angesichts der schon völlig ins Rutschen geratenen Verhältnisse wirkten die wie Zombies, mit denen lohnte sich nicht zu reden.
Und dann waren die Arbeiter, z. B. in dem Traktorenwerk, das wir besichtigten. Und die hatten mit Sozialismus und Reform überhaupt nichts mehr am Hut, die setzten ganz offen auf Kapitalismus und Wiedervereinigung. Wir kamen ins Werk, der offizielle Führer wollte anfangen zu erzählen, da kamen schon die ersten Belegschaftsmitglieder und haben ihn beiseite geschoben "Ihr braucht Euch diese Parteilügen gar nicht erst anhören, wir zeigen Euch mal, wie es wirklich im Betrieb aussieht". Und dann haben sie uns geführt, der Führer trottelte nur noch trübe dreinschauend hinterher, und wir bekamen ungeschminkt alle Mißstände präsentiert: Die kaputten Maschinen, die desolate Bausubstanz, die veraltete Technik. Kommentar: "Hoffentlich kommt bald die Vereinigung, dann kann ein Kapitalist den Laden aufkaufen und die ganzen faulen Schmarotzer rausschmeißen".
Interessant die Reaktion des linken Teils der Besuchergruppe (bei der Stiftung laufen ja viele rum, die sich "linksliberal" nennen, aber letztlich Sozialisten sind): Denen war es sichtlich unangenehm, den Kapitalismus so gelobt zu hören. Und sie hatten am meisten Angst, wegen Beteiligung an dieser systemfeindlichen Zusammenrottung Schwierigkeiten zu bekommen. Die waren schon wirklich peinlich in ihrer Feigheit.
Zitat von ZettelDieser Kollege war in der SED, dachte aber vergleichsweise liberal.
Und gehörte natürlich als Akademiker zu den Privilegierten, studieren durften ja auch fast nur Linientreue oder solche, die sich erfolgreich dafür ausgaben. Die waren also ganz anders sozialistisch imprägniert als die Normalbürger, das noch kombiniert mit der üblichen akademischen Realitätsferne.
Ja, das stimmt. Dieser Kollege ist aber zugleich bis heute mein Freund. Ein ungewöhnlich anständiger Mensch.
Zitat von R.A. Wir waren damals (eher zufällig in der Terminierung) mit einer Reisegruppe der Friedrich-Naumann-Stiftung in Leipzig (Anreisetag am Tag der großen Montagsdemo - wir durften erst spät abends in die Stadt).
Da war es schon auffällig: Die gebildeteren Gesprächspartner waren sehr vorsichtig und redeten auch unter vier Augen nur von Reformen innerhalb des Systems.
Dann gab es noch einige primitive Apparatschiks, die blind die offizielle Lehre runterbeteten - angesichts der schon völlig ins Rutschen geratenen Verhältnisse wirkten die wie Zombies, mit denen lohnte sich nicht zu reden. Und dann waren die Arbeiter, z. B. in dem Traktorenwerk, das wir besichtigten.
Und die hatten mit Sozialismus und Reform überhaupt nichts mehr am Hut, die setzten ganz offen auf Kapitalismus und Wiedervereinigung.
Die Arbeiter- und Bauernmacht war dieses halt immer nur insofern, als sie die Arbeiter und Bauern ihre Macht besonders hat spüren lassen.
Die DDR war eine Klassengesellschaft, gegen die jede Gesellschaft im Kapitalismus verblaßt. Es herrschte dort wirklich eine weitgehend homogene Schicht von Leuten, denen es gut ging und die jedes Interesse daran hatten, den Sozialismus zu verteidigen. Der Aufstieg in diese Schicht war dem einfachen Bürger mehr verwehrt als der Aufstieg in den Adel vor 1789 in Frankreich. Es ist ja kein Zufall, daß Gysi dem sozialistischen Adel entstammt. Was in der DDR zählte, das waren die richigen Gene.
Die Arbeiter haben in der DDR lange gekuscht. Sie wußten ja, wie 1953 ein Arbeiteraufstand ausgegangen war. Sie hatten erlebt, wie es 1968 ihren Kollegen in der CSSR ergangen war. Das war 1989 gerade mal gut zwanzig Jahre her; so lange also, wie heute der Fall der Mauer.
Also traute man sich nicht, eine Revolution zu machen. Bis sich das Regime als morsch erwies. Dann allerdings trauten sich viele, zu sagen, daß sie nicht den besseren Sozialismus wollten, sondern ein menschenwürdiges Leben.
Zitat von ZettelIch war damals als Juso regelrecht enttäuscht, daß sich Eduard Goldstücker und Jiří Pelikán nicht als die besseren Sozialisten erwiesen, sondern daß sie den Sozialismus abschaffen wollten.
Ich habe es so nicht in Erinnerung, das kann aber natürlich an mir liegen, ich habe nicht alles gelesen und/oder im Kopf behalten. (Ich hatte ja auch andere Sorgen, kurz vor der "Maturita") Ich war der Meinung, daß keiner der bekannten Leute die "Abschaffung des Sozialismus" direkt gefordert haben. Es ging mehr um die "Wandlung des Sozialismus". ("Mir ist es egal, wie wir das Ding bezeichnen, wenn Freiheit herrscht" ;-) Nach der Invasion haben sich die Aussagen dann natürlich schon gewandelt.
Zitat von ZettelHeute weiß ich, wie wahrscheinlich auch Sie, daß es keinen humanen Sozialismus geben kann. Aber der Glaube daran scheint unausrottbar zu sein.
Man hat während des Prager Frühlings auch diskutiert, wie man Meinungsvielfalt und auch den Wettbewerb von Meinungen in einem solchen System sicherstellen könnte. Die Vorstellung, die "Partei" als "Schützende Hülle gegenüber dem Großen Bruder" beizubehalten und innen ein demokratisches und offenes System zu implementieren, schien mir jedenfalls nicht grundsätzlich abwegig zu sein.
Eigentlich bin ich aber kein Freund von dehnbaren Begriffen, oder umgekehrt, ich bin deren Freund, weil sich darin ALLES unterbringen läßt ;-) Den Gegensatz "wir sind eine lebendige Demokratie und der Sozialismus ist die Hölle" finde ich einfach nicht korrekt. Ich kann mir leicht ein sich "demokratisch" nennendes System vorstellen, daß in Wirklichkeit weniger demokratisch ist, als ein anderes, sich "sozialistisch" nennendes System.
Die EU-Kommission, die heute für ca 80% der für uns relevanten Gesetze verantwortlich ist, kommt z.B. nicht in einem demokratischen Verfahren zustande. Die Gesetze und Verordnungen entsprechen diesem Zustand. Und die "lokalen" Regierungen und Lobbys benutzen es, um Regelungen durchzusetzen, die sie selbst öffentlich nicht vertreten möchten. (z.B. Glühbirnen/Gabriel)
Ich finde es auch schwer erträglich, wenn über die Parteilisten Leute in die Parlamente gewählt werden, die in einer direkten Wahl nie eine Chance hätten. Die dann "der Partei" verpflichtet sind, und nicht den Wählern. Und die diese Partei dann in der Regel auch bedingungslos unterstützen. Für mich ist das antidemokratisch. Aber das ist ja eine andere Diskussion, mit großen Traditionen im ZkZ ;-)
Zitat von ZettelAuch im Westen war diese Haltung quer über die gesamte Linke weit verbreitet. Man wollte ausdrücklich nicht die Wiedervereinigung, sondern stellte sich vor, daß die eigenen Träume von einem wunderbaren Sozialismus jetzt in der DDR Realität werden würden.
Vorgestern war in der Tagesschau von vor 20 Jahren Antje Vollmer (Grüne) zu sehen, wie sie im Bundestag sagte, es wäre völlig verkehrt von der Wiedervereinigung zu reden, wo doch die Menschen in der DDR gerade begonnen hätten, eine eigene DDR-Identität auszubilden.
In Antwort auf:Übrigens ist es auch mir so gegangen, daß ich das ganze Elend des SED-Staats erst allmählich begriffen habe. Im Grunde erst richtig, als wir im Sommer 1990 einige Wochen lang mit dem Wohnwagen in der DDR waren und sahen, wie heruntergekommen die Städte waren, wie armselig das Straßennetz, wie verängstlicht und selbstunsicher viele - nicht alle! - Menschen.
Komisch, dass es uns im Osten ähnlich gegangen ist, obwohl wir das ganze Elend doch ständig vor Augen hatten.
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