Mal wieder eine Meckerecke, in der ich sozusagen aus tiefstem Herzen heraus meckere.
Denn sie liegt mir am Herzen, die Pflege des klassischen Erbes.
Und was machen die Gutmenschen daraus, die sich an Erhebungen der "Zeit" zu den deutschen Klassikern beteiligt haben? Politik. Linke Politik der traurigen Art.
Das sind keine Gutmenschen sondern Absolventen unserer Schulen. Ihre Vorschläge sind allesamt eher unbekannt. Die kritisierte Auswahl ist aus der Schule bekannt. Wobei ich die Kritik an Heines Wintermärchen nicht nachvollziehen kann. Ich habe leider gerade meine Bücher nicht zur Verfügung, falls ich also etwas verwechsle, bitte ich um Korrektur. Ich habe noch nie ein so sarkastisches und trauriges Werk gelesen, so voller Heimweh und voller Wut und Verzweiflung am Zustand der Heimat. Ja, die Ironie ist billig und schlecht und vorgetäuscht und nie so billig und schlecht wie beim Grenzübertritt. Da spricht der Angshase, der Emigrant, der nach Hause kommt und sich vor seinen eigenen Gefühlen fürchtet, vor der Bombe im Bauch. Und er verrät sich endgültig als er zu seiner Mutter kommt und bekocht wird. Dazwischen sein Versuch, die Loreley ironisch zu nehmen und seine wütende Attacke gegen den Erlöser Barbarossa. Als ich nach mehrere Jahren Bayern wieder nach Sachsen gefahren bin, habe ich Heine rezitiert. Es sind Verse zum Heulen. Niemand hat Heimweh und Entfremdung je so schlimm in Worte gepackt wie Heine.
Die meist von rechts kommende Kritik an Heine ist ein Spiegelbild der linken Kritik an Körner. Körnr war auch kein eiserner Patriot, kein Blut-und-Boden-Dichter, als der er oft vergewaltigt wird. Körner hatte bei seinen Soldatenliedern schlicht Todesangst, nackte grauenvolle Angst vor dem Ritt auf feindliche Schützenlinien. Die wollte er sich und seinen Kameraden von der Seele reimen. Und seine schönsten Gedichte sind die ganz einfachen, leisen, fast schüchternen Liebesreime. Aber die Körnerfans zitieren immer nur die Schlachtengesänge. Und seine Feinde übersehen ebenso wie die Eisenfresser die Umstände und die Bedeutung dieser Kriegsverse.
Heine und Körner sind für mich zwei Eckpfeiler. Sie haben Dinge ausgedrückt, die man selbst nicht in Worte gefaßt bekommt.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von califaxWobei ich die Kritik an Heines Wintermärchen nicht nachvollziehen kann. (...) Niemand hat Heimweh und Entfremdung je so schlimm in Worte gepackt wie Heine.
Das ist auch meine Meinung. Nur hat er es sich mit der Reimerei einfach gemacht, indem er unterbrochene Reime verwendet (xaya). Und wenn es mal mit dem Versmaß nicht hinkommt, dann eben nicht:
Ein Passagier, der neben mir stand, Bemerkte, ich hätte Jetzt vor mir den preußischen Zollverein, Die große Douanenkette..
Vielleicht hätte er "bemerktete" schreiben sollen?
Oder:
Das ist so rittertümlich und mahnt An der Vorzeit holde Romantik, An die Burgfrau Johanna von Montfaucon, An den Freiherrn Fouqué, Uhland, Tieck.
Oder:
Zu Köllen kam ich spätabends an, Da hörte ich rauschen den Rheinfluß, Da fächelte mich schon deutsche Luft, Da fühlt ich ihren Einfluß -
Reim dich, oder ich freß dich, haben wir in der Schule dazu gesagt.
Jaja, alles ironisch. Mir scheint eher: A bisserl geschludert.
Auf dergleichen zielte meine Kritik, lieber Califax. Daß es rührend ist, bestreite ich nicht. Und nachdem ich Ihren Beitrag gelesen hatte, habe ich nochmal in meinen Artikel geguckt und die Anmerkung zum Wintermärchen ein wenig abgemildert.
Zitat von califaxDas sind keine Gutmenschen sondern Absolventen unserer Schulen.
Den Eindruck hatte ich auch sofort. Die Zusammenstellung der Werke könnte original dem Lehrplan Literatur einer deutschen Schule entnommen sein. Ein paar dieser Bücher musste ich damals selbst lesen, ein paar kenne ich als Lehrstoff jüngerer Freunde.
Meine Meinung ist, dass solche Editionen eine Entsprechung von Coffee Table Books für die Wohnzimmerschrankwand sind. Vielleicht als Geburtstags-, oder Weihnachtsgeschenk für den Gatten, die Gattin. Hingestellt und nie gelesen. Wobei ich heftig grinsen müsste, sähe ich sowas bei jemandem rumstehen ... allein schon der bunte Einheitslook der Buchrücken - da wird eindeutig "Bildungsbürgertum" vorgetäuscht.
Nebenbei bemerkt hat mir der schulische Zwang die Lust auf so manchen Autoren gründlich vermiest, da ich lesen musste, obwohl ich in der Pubertät echt andere Prioritäten hatte. Nathan der Weise, Effie Briest, der Schimmelreiter ... da habe ich keine guten Erinnerungen dran. Schön, dass in Blogs wie diesem meine Lust auf Klassiker geweckt wird. Körner klingt interessant - gibt's da empfehlenswerte Prosa? (Lyrik ist nur in Ausnahmefällen mein Ding, aber absolut nicht ausgeschlossen!)
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von califaxKörnr war auch kein eiserner Patriot, kein Blut-und-Boden-Dichter, als der er oft vergewaltigt wird. Körner hatte bei seinen Soldatenliedern schlicht Todesangst, nackte grauenvolle Angst vor dem Ritt auf feindliche Schützenlinien. Die wollte er sich und seinen Kameraden von der Seele reimen. Und seine schönsten Gedichte sind die ganz einfachen, leisen, fast schüchternen Liebesreime. Aber die Körnerfans zitieren immer nur die Schlachtengesänge. Und seine Feinde übersehen ebenso wie die Eisenfresser die Umstände und die Bedeutung dieser Kriegsverse.
Mir ging es bisher so, wie Sie schreiben - ich habe Körner nur als den Dichter der nationalen Erhebung gesehen. Jetzt werde ich ihn mir mal genauer ansehen.
Es ist ja wirklich so, daß Vielen ein Etikett verpaßt wird, das davor abschreckt, sich überhaupt mit ihnen zu befassen. Jean Paul - der Liebling der Damenwelt. Wieland - Rokoko und also irgendwie schlüpfrig. E.T.A. Hoffmann - der "Gespenster-Hoffmann".
Am meisten ärgere ich mich über die Etikettierung von Gottfried Keller als "poetischen Realisten". Niedlich, gell? Nur hat niemand die Abgründe des Schuldigwerdens so geschildert wie er im "Grünen Heinrich". Nur hat niemand im 19. Jahrhundert ihm sprachlich das Wasser reichen können.
Der "Grüne Heinrich" ist eines meiner Lieblingsbücher. Kellers Erzählungen sind ganz große Kunst.
Und was macht sie, die Schule? Sie setzt ihren Eleven "Das Fähnlein der sieben Aufrechten" vor, und dazu sinniert der Lehrer über die Bedeutung handwerklicher Tugenden.
Es ist zum Heulen, wie den Schülern die Lust an der Literatur durch den Unterricht in Literatur vermiest wird.
"Was will uns der Dichter damit sagen?" Darauf gibt es nur eine Antwort: Was er sagen wollte, das hat er auch gesagt.
Die Dagny, die sich ja nicht zu den klassisch-humanistischen Bildungsbuergern, sondern zu Technikern / Unternehmern / Naturwissenschaftlern zaehlt, kennt aus Schule und eigener Lektuere auch nur die Werke des 'Zeit' Kanons. Die weiteren von Zettel genannten Buecher sind ihr weitgehend allenfalls dem Namen nach bekannt. Das ein oder andere wird die Dagny sich vielleicht zulegen und lesen, insofern vielen Dank fuer die Anregung.
In Antwort auf:Und was machen die Gutmenschen daraus, die sich an Erhebungen der "Zeit" zu den deutschen Klassikern beteiligt haben?
Nun ja, auf eine dumme Frage kriegt man in der Regel (nicht immer) auch dumme Antworten.
Das ganze Konzept einer solchen "best of"-Reihe ist doch eigentlich schon peinlich bildungsfern. Hier geht es doch darum, Bildung zu demonstrieren, indem man sich eine solchen Regalmeter ins Wohnzimmer stellt (mit "ZEIT"-Etikett kann man bei den anderen Spießern natürlich besonders Eindruck schinden). Es wird wohl in den wenigsten Fällen darum gehen, diese Bücher auch zu lesen!
Deswegen befürchte ich auch, lieber Zettel, daß Sie den Bildungshorizont dieser Leute überschätzen. Wieland, Brentano oder Keller fehlen nicht, weil sie zu konservativ wären. Sondern weil diese Namen den ZEIT-Lesern fast nichts mehr sagen - geschweige denn daß sie diese politisch einordnen könnten.
Die Liste ist schlicht eine Mischung aus dem gängigen Schulstoff (und da spielt bei der Auswahl natürlich linkes Gedankengut die wesentliche Rolle) und dem, was man irgendwo schon mal gehört hat und vermutet, daß es hohe Bildung sein könnte.
Ich selber habe zum Beispiel nur einen Teil der hier diskutierten Autoren schon gelesen. Von Nietzsche etwa bisher gar nichts. Was also fällt mir zu diesem Namen daher ein? Natürlich nur der Zarathustra - wegen der Musik dazu.
Oder Thomas Mann (den mir der Deutschunterricht mit der "königlichen Hoheit" verdorben hat) - natürlich können da nur die "Buddenbrocks" rauskommen, bekannt aus Film und Fernsehen. Was soll da der Zauberberg mit irgendwelcher literarischen Qualität? Wobei mich eigentlich wundert, daß nicht "Tod in Venedig" rausgekommen ist - da ist der intellektuelle Protzfaktor wegen des Visconti-Films doch viel größer ;-)
Ich fürchte, die Sache liegt noch einfacher. Derlei Abstimmungen reizen auch dann zur Teilnahme, wenn man mit der Materie gar nicht vertraut ist. Man stimmt also nicht für dieses oder jenes Buch, das man gut findet, sondern für das Buch, dessen Titel man schon einmal gehört hat. Dieser Effekt ist auch bei Kommunalwahlen zu beobachten, bei denen kumuliert und panaschiert werden kann: Häufiger werden völlig unbekannte neue Kandidaten nach vorne gewählt - wegen Namensgleichheit mit einem Prominenten.
Zitat von Calimero Meine Meinung ist, dass solche Editionen eine Entsprechung von Coffee Table Books für die Wohnzimmerschrankwand sind. Vielleicht als Geburtstags-, oder Weihnachtsgeschenk für den Gatten, die Gattin. Hingestellt und nie gelesen.
Früher gab es dafür solche dicken Leineneditionen mit Vorwort und Kupferstich, in denen man gekürzte Stichproben eines ganzen Künstlerlebens mit hochtrabend geschwafeltem Kommentar finden konnte. Allgemeinwissen fürs Wohnzimmerregal. Gelesen wurden die Dinger nie.
Zitat von Calimero Wobei ich heftig grinsen müsste, sähe ich sowas bei jemandem rumstehen ... allein schon der bunte Einheitslook der Buchrücken - da wird eindeutig "Bildungsbürgertum" vorgetäuscht.
Man soll solche Großauflagen nicht geringschätzen! Da kann man sich immer nach Weihnachten am Grabbeltisch mit Literatur eindecken, in die man schon immer mal reinschnuppern wollte. 5 Bücher für € 15,- ;) Auf die Weise bin ich unter anderem an Nietschelektüre gekommen. Natürlich Zarathustra und Aphorismen, wie das hier sicher gleich vermutet wurde. Man muß allerdings schmerztolerant sein, denn diese Reihen werden gerne mal in irgendeine Version der Reformschreibung übersetzt, was vielen Texten gar nicht gut tut.
Zitat von Calimero Nebenbei bemerkt hat mir der schulische Zwang die Lust auf so manchen Autoren gründlich vermiest, da ich lesen musste, obwohl ich in der Pubertät echt andere Prioritäten hatte. Nathan der Weise, Effie Briest, der Schimmelreiter ... da habe ich keine guten Erinnerungen dran.
Ich bin eigentlich ungewollt, aber wie von einem Gummiband gezogen, auf den Spuren meiner Schulbildung unterwegs und lese Sachen wie Goethe und Schiller zum ersten Mal im Leben mit Genuß. Die Schulzeit ist endlich lange genug her. Was mich dabei verblüfft, ist, wieviel ich während meiner Kindheit tatsächlich gelesen habe. Immer wenn ich mal wieder ein "noch nie gelesenes" Buch vornehme, um zu gucken, was denn nun dran ist, stelle ich nach einer Weile fest, daß ich wenigstens Auszüge davon schon kenne. Effi Briest habe ich übrigens schon in der Schule gemocht. Es war ein sehr verregneter Sommer, und ich hab mich abends mit Kerzen und Rotwein im Zimmer eingeschlossen.
Zitat von Calimero Körner klingt interessant - gibt's da empfehlenswerte Prosa? (Lyrik ist nur in Ausnahmefällen mein Ding, aber absolut nicht ausgeschlossen!)
Gute Frage, Körner hat ja nicht lange gelebt. Ich bin an ihn geraten, weil mir eine Jugendstilausgabe in die Hände gefallen ist, die ich einfach mitnehmen mußte. Die enthält seine Kriegslieder, Liebesgedichte und Verschiedenes aus seiner Leipziger Zeit, Sachen übers Riesengebirge und ein paar Theaterstücke. Wenn man es wie ich nicht so sehr mit Lyrik hat, sind seine Spott- und Liebesgedichte sehr zu empfehlen. Seine Prosa kenne ich noch nicht.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
In Antwort auf:Zitat Zettel: Der "Grüne Heinrich" ist eines meiner Lieblingsbücher. Kellers Erzählungen sind ganz große Kunst.
Das wundert mich nicht, lieber Zettel, könnte es (unter anderem) hiermit zu tun haben?
Der grüne Heinrich Seite 584 – „Vom freien Willen“
Die Schule des freien Willens kann man am füglichsten mit einer Reitbahn vergleichen. Der Boden derselben ist das Leben dieser Welt, über welches auf gute Manier hinwegzukommen es sich handelt, und er kann zugleich den festen Grund der Materie vorstellen. Das wohlgeartete und geschulte Pferd ist das besondere, immer noch materielle Organ, der Reiter darauf der gute menschliche Wille, welcher jenes zu beherrschen und zum freien Willen zu werden trachtet, um auf edlere Weise über jenen derben Grund hinwegzukommen; der Stallmeister endlich mit seinen hohen Stiefeln und seiner Peitsche ist das moralische Gesetz, das aber einzig und allein auf die Natur und Gestalt des Pferdes gegründet ist und ohne dieses gar nicht vorhanden wäre. Das Pferd aber würde ein Unding sein, wenn nicht der Boden existierte, auf welchem es traben kann, so dass also sämtliche Glieder dieses Kreises durch einander bedingt sind und keines sein Dasein ohne das andere hat, ausgenommen den Boden der Materie, welcher daliegt, ob jemand darüber reite oder nicht.
Nichtsdestoweniger gibt es gute und schlechte Reitschüler, und zwar nicht allein nach der körperlichen Befähigung, sondern vorzüglich auch infolge des entschlossenen Zusammennehmens. Den Beweis liefert das erste beste Reiterregiment, das über den Weg reitet. Die Scharen der Gemeinen, welche keine Wahl hatten, mehr oder weniger aufmerksam zu lernen, und nur durch eine eiserne Disziplin in den Sattel gewöhnt wurden, sind alle beinahe gleich zuverlässige Reiter; keiner zeichnet sich besonders aus und keiner bleibt zurück, und um das Bild eines ordentlichen Schlendrians des Lebens zu vollenden, kommen ihnen die zusammengedrängten und in die Reihe gewöhnten Pferde auf halbem Wege entgegen, und was etwa der Reiter versäumen sollte, tut sein Organ, das Pferd von selbst. (…)
„Ja ein verantwortlichkeitsschwangeres Wesen treibt in den Dingen und kräuselt den Spiegel der ruhigen Seele: Die Frage nach einem gesetzmäßigen freien Willen ist zugleich in ihrem Entstehen die Ursache und Erfüllung deselben, und wer einmal diese Frage getan, hat die Verantwortung für sittliche Bejahung auf sich genommen!“
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Es gäbe ja noch soviel mehr aus dem 810 Seiten umfassenden Buch zu zitieren, wunderbar auch die Beschreibung der Spinne nebst vermeintlicher Beute der Fliege und die Faszination über die Entschlußfähigkeit der Spinne (dieses kleinen Gehirnchen) das sich nur den blinden Naturgesetzen unterwirft aber mit leidenschaftlichem Antrieb oder etwa doch aus freiem Willen?
Man müßte öfter umziehen oder einfach Bücherregale neu ordnen, dann findet man alle feinen Bücher wieder und ist auf lange Zeit mit Literatur versorgt. Auf den "Grünen Heinrich" konnte ich jetzt auf Anhieb wieder zugreifen. Danke für diese Erinnerung.
Zitat von califax Man soll solche Großauflagen nicht geringschätzen! Da kann man sich immer nach Weihnachten am Grabbeltisch mit Literatur eindecken, in die man schon immer mal reinschnuppern wollte. 5 Bücher für € 15,- ;)
Natürlich ist das ein prima Deal, aber ich meinte, dass es albern ist, wenn man sich, unausgewählt, einen Meter Weltliteratur für 200 Schleifen ins Regal stellt. - Sage ich, der neben einem Regal mit 20 Bänden Welt- und Kulturgeschichte aus der "Zeit"-Edition sitzt.
Zitat von califaxEffi Briest habe ich übrigens schon in der Schule gemocht.
Effi Briest hatte ich in der Schule, glaube ich, nicht. Aber, als ich so Mitte Zwanzig war, kam eine gute Freundin (damals Gymnasiastin) auf mich zu und bat mich, doch bitte einen Aufsatz über das Buch zu schreiben, da sie total überlastet sei und keine Zeit zum Lesen hätte. Ich hab mir dann das schmale Büchlein genommen, hab mir die Charaktere rausgeschrieben, ihnen Eigenschaften zugesprochen und ihre Beziehungen untereinander analysiert ... naja, ich habs jedenfalls versucht. Die Abschlussfrage "Was will uns der Autor damit sagen?" immer im Hinterkopf.
Also, es war kein Lesegenuss, sondern Auftragsarbeit ... drei, vier Seiten zusammengeschustert (nächste Woche ist Abgabetermin!) und dann aus dem Kopf damit. Heute weiß ich nichts mehr vom Inhalt - weil es mich nicht interessierte. Die Note war, so glaube ich mich zu erinnern, auch entsprechend dürftig.
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Meine Vermutung ist eher: Es wird das gewählt, was die Wähler selbst gelesen haben. Das sind halt nun mal immer diese Werke, damit bringen sich diese Bücher selbst zum Leben zurück... wobei ich endlich mal voller Stolz sagen darf: Nein, ich hab die Räuber nicht gelesen; und werde es vermutlich niemals tun.
Nebenbei: Ich war ja noch nie ein E-Buch Liebhaber (um im Rahmen E- und U-Musik zu bleiben), sondern immer jemand, der beim Lesen Spass hat (ohne wichtige Dinge zu lernen), musste aber in der Schule durch.
Mein Fazit:
Goethe: Das findet sogar ein Literatur-Analphabeth wie ich gut (spreche aber nur von Faust, kenne sonst nix)
Thomas Mann: Abartig. Der Zauberberg? Vergiss es, das Buch hat 450.000 Seiten absurde Langeweile, das liest kein Mensch, der bei Verstand ist. Hab von Mann mal 'Der Tod in Venedig gelesen'... was für ein Bullshit. Warum ist das wichtige Literatur und nicht irgendein Unsinn?
ETA Hoffman fand ich ganz gut... eher aus schierer, morbider Neugeier heraus. Hat sich aber auch nicht bestätigt.
Gibt's in der Bibliothek was von Arno Schmidt? vermutlich nicht.
Zitat von F.AlfonzoThomas Mann: Abartig. Der Zauberberg? Vergiss es, das Buch hat 450.000 Seiten absurde Langeweile, das liest kein Mensch, der bei Verstand ist.
Dann bin ich offensichtlich nicht bei Verstand.
Aber im Ernst: Könnte es nicht sein, daß Sie urteilen, ohne sich mit dem Buch befaßt zu haben?
Zitat von F.AlfonzoGibt's in der Bibliothek was von Arno Schmidt? vermutlich nicht.
Nein. Das habe ich in dem Artikel ja erwähnt.
Aber in der SZ-Bibliothek war er mit "Das steinerne Herz" vertreten. Und das wird im Augenblick bei Zweitausendeins verramscht, für 2.95 Euro. Bestellnummer 107687
In Antwort auf:Zitat Zettel: Der "Grüne Heinrich" ist eines meiner Lieblingsbücher. Kellers Erzählungen sind ganz große Kunst.
Das wundert mich nicht, lieber Zettel, könnte es (unter anderem) hiermit zu tun haben?
Eigentlich nicht, liebe Nola.
Ehrlich gesagt kann ich mich an diese Passage, die Sie zitieren, gar nicht erinnern. Keller hat ja mit Begeisterung bei Feuerbach studiert; und ich hätte eher gedacht, daß er auch in diesem Punkt ihm treu geblieben war. Aber das Zitat ist schon sehr interessant; muß mir mal den Kontext ansehen.
Mir ist es mit Keller gegangen wie vermutlich den meisten: Ich mußte in der Schule "Das Fähnlein der sieben Aufrechten" lesen, weil das offenbar als seine leichteste Erzählung gilt. Und ich fand es nicht nur arg langweilig, sondern auch geradezu modrig, so wie unser Deutschlehrer uns das angebliche Lob der Gediegenheit nahebrachte.
Dann irgendwann habe ich angefangen, Dies und Jenes von ihm zu lesen. Erst nicht den ""Grünen Heinrich", sondern zum Beispiel "Romeo und Julia auf dem Dorfe"; ein solches Meisterwerk, daß einem über den Inhalt die Tränen kommen können, während man zugleich bei jedem Satz vor Begeisterung nickt, weil es ein so unglaublich gutes Deutsch ist.
Dann habe ich den "Grünen Heinrich" gelesen; zum Glück hatte ich die erste Fassung erwischt. Ein angeblicher "Bildungsroman", in dem aber von Bildung gar nicht die Rede ist, sondern nur von Schuld, von ständigem Scheitern, von unerwiderter Liebe. Die zweite Fassung ist natürlich sprachlich noch glänzender, aber doch arg entschärft.
Da hatte mich Keller also erwischt. Ich habe mir dann die Gesammelten Werke gekauft und alles gelesen. Ein Vergnügen, ein Staunen über diese Meisterschaft, wie ich das nur bei wenigen Autoren erlebt habe. Bei Goethe natürlich, bei Kafka, bei Flaubert, bei Arno Schmidt.
Nicht bei Thomas Mann. Der konnte zwar ganz, gaaanz toll schreiben, ach was sage ich: die allerliebst gedrechselten Sätze flossen ihm nur so aus der Feder. Aber alle diese zierlichen Pirouetten machen eben noch keine große Kunst aus.
So geht es mir übrigens auch mit Voltaire, mit Nietzsche, mit Oscar Wilde und auch mit Heine: Zuviel der Artistik.
"Thomas Mann: Abartig. Der Zauberberg? Vergiss es, das Buch hat 450.000 Seiten absurde Langeweile, das liest kein Mensch, der bei Verstand ist."
Was ich damit eigentlich meinte: Dieses Buch passt nicht ein einen schönen Katalog von Klassikern rein, weil's einfach viel zu groß und viel zu komliziert ist.
"Aber im Ernst: Könnte es nicht sein, daß Sie urteilen, ohne sich mit dem Buch befaßt zu haben?"
Ein dickes NEIN. Ich weiss nicht warum, aber ich hatte, immer schon und werde immer haben, eine tiefe Abneigung gegenüber dem was Thomas Mann als Unterhaltung verstanden hat. Und ich hab einiges gelesen, es trifft einen in der Schule ja nach Murphy's Gesetz immer mit den Sachen, die man vermiden will.
"Aber in der SZ-Bibliothek war er mit "Das steinerne Herz" vertreten. Und das wird im Augenblick bei Zweitausendeins verramscht, für 2.95 Euro. Bestellnummer 107687"
Interessant... muss mal wieder Bücher einkaufen, anstatt irgendwelchen IT-Crap :)
Zitat von DagnyDie Dagny, die sich ja nicht zu den klassisch-humanistischen Bildungsbuergern, sondern zu Technikern / Unternehmern / Naturwissenschaftlern zaehlt, kennt aus Schule und eigener Lektuere auch nur die Werke des 'Zeit' Kanons. Die weiteren von Zettel genannten Buecher sind ihr weitgehend allenfalls dem Namen nach bekannt. Das ein oder andere wird die Dagny sich vielleicht zulegen und lesen, insofern vielen Dank fuer die Anregung.
Ich schließe mich dem an und bitte um allgemeines literarisches Herzausschütten in diesem Thread. Ich sammle hier schon fleißig Leseempfehlungen (wann auch immer ich dazu kommen werde).
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von GorgasalIch schließe mich dem an und bitte um allgemeines literarisches Herzausschütten in diesem Thread. Ich sammle hier schon fleißig Leseempfehlungen (wann auch immer ich dazu kommen werde).
Auch ich möchte mich anschließen, denn mir fehlt sogar die in den Schulen "verordnete" deutsche Literatur, und diese Empfehlungen hier sind sicher besser. Aber wann ich denn dazu komme? Wohl erst in der Rente, wenn nicht zuvor irgendeine böse Schweinegrippe meine Leseempfehlungsliste von der Platte löscht ;-)
Zitat von Zettel Aber in der SZ-Bibliothek war er mit "Das steinerne Herz" vertreten. Und das wird im Augenblick bei Zweitausendeins verramscht, für 2.95 Euro. Bestellnummer 107687
In Schmidts Orthographie? Bei ihm wäre eine Anpassung wahrscheinlich eine Katastrophe.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von Gorgasal Ich schließe mich dem an und bitte um allgemeines literarisches Herzausschütten in diesem Thread. Ich sammle hier schon fleißig Leseempfehlungen (wann auch immer ich dazu kommen werde).
Wenn es nicht immer die gekräuselte Stirn sein muß, hätte ich aus der Abteilung Fortschrittskritik S. Lems "Der Flop" zu empfehlen. Ich hab immer wieder Tränen gelacht.
-- Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.
Zitat von califaxIn Schmidts Orthographie? Bei ihm wäre eine Anpassung wahrscheinlich eine Katastrophe.
Im "Steinernen Herzen" war seine orthografische Eigenwilligkeit noch weitgehen darauf beschränkt, Mundart auszudrücken und durch Satzzeichen den Sinn einer Aussage zu verdeutlichen.
Die kühnen orthografischen Experimente begannen erst in "Kaff auch Mare Crisium" und wurden dann in den Typoskripten fortgesetzt. Da braucht es dann in der Tat eine gewisse Zeit, um sich einzulesen.
Zitat von ZettelIch habe mir dann die Gesammelten Werke gekauft ...
Eben - so läuft das normalerweise. Erst kauft man sich einzeln, was direkt interessiert. Und wenn ein Autor besonders überzeugt, komplettiert man die Sammlung - vielleicht auch aus Sammlerleidenschaft mit einigen Werken, die man dann nicht liest.
Demgegenüber ist mir eigentlich unverständlich, wer sich eine Sammlung wie die der Zeit kauft. Je mehr ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher scheint mir, das diese Leute gar kein echtes Literaturinteresse haben.
Wenn ich so mal unsere Büchersammlung anschaue (oder sollte man mangels Systematik "Bücheranhäufung" schreiben?): Zugegeben spielen die Klassiker da eine ziemliche Nebenrolle. Wir haben hunderte von Krimis, SF- und Fantasy-Literatur, Unterhaltungsbücher der Kategorie "Sonnenallee", Sachbücher - alles was halt Spaß macht. Und an Klassikern ist da auch nur reingerutscht, was diesem Kriterium entspricht: Keller, Fontane, Hesse, Frisch, Heinrich Mann, Lenz ... Abstrakte Bildungsideale haben beim Kauf überhaupt keine Rolle gespielt.
Trotzdem haben wir schon locker ein Drittel der Zeit-Kollektion im Regal stehen. Was nun bedeutet, daß ich mir doch nicht entsprechend viele Dubletten zulege.
Wer also so wenig Klassiker besitzt, daß ihm die Zeit-Edition interessant erscheint, der scheint bisher kurz vor Analphabet rangiert zu haben. Genauer betrachtet ist der Erwerb dieser Sammlung also weniger der gewünschte Ausweis von Bildungsbeflissenheit, sondern eher das Gegenteil davon.
Zitat von R.A. Wer also so wenig Klassiker besitzt, daß ihm die Zeit-Edition interessant erscheint, der scheint bisher kurz vor Analphabet rangiert zu haben. Genauer betrachtet ist der Erwerb dieser Sammlung also weniger der gewünschte Ausweis von Bildungsbeflissenheit, sondern eher das Gegenteil davon.
Vor 10 Jahren (damals war ich wohl was die deutschen Klassiker angeht ein Analphabet) hab ich mir eine ähnliche Sammlung gekauft, und tatsächlich alle Bücher bis auf Eines gelesen. Allerdings enthielt der von MRR zusammengestellte Kanon deutscher Romane auch den Grünen Heinrich und den Zauberberg.
Schon richtig - für den Start mag so eine Sammlung ganz gut geeignet sein. Insbesondere, wenn sie irgendwo verramscht wird. Als Studenten habe ich mir einiges so zusammen gekauft.
Der Zeit-Preis zielt aber eher auf andere Käuferschichten.
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