Eine Breaking News Alert der New York Times hat mich darauf aufmerksam gemacht: Einer der spektakulärsten Kriminalfälle der letzten Jahrzehnte ist jetzt mit der Hinrichtung eines der beiden Täter zu Ende gegangen.
In Antwort auf:Dieses Recht hat nicht der Einzelne, und dieses Recht hat auch der Staat nicht.
Um das zu ergänzen: denn auch der "Staat" wird letztendlich personifiziert durch einen oder mehrere Menschen, die immer (!) auch durch persönliche Erlebnisse und Motivationen geprägt sind. Leider zeigen gerade die USA, in welchem Masse Korruption und persönliche Beweggründe hinter Urteilen stehen, die Menschen das Leben kosten, auch völlig unschuldigen Menschen. Eine weitere Meinung dazu: Does the state ever have the right to kill a criminal? http://reason.com/blog/2009/11/10/john-a...mmad-and-the-de
Es gibt durchaus Taten, nach denen es dem Opfer oder dessen Hinterbliebenen nicht zuzumuten ist, daß der Täter am Leben bleibt. Schwierig ist allein die Frage, in welchen konkreten Fällen das so ist. Vorliegend habe ich daran nur geringe Zweifel.
(Bei einer Volksabstimmung über die Einführung der Todesstrafe in Deutschland würde ich gleichwohl mit Nein stimmen. Menschliche Gerichtsbarkeit ist immer fehlbar; ein unschuldig Hingerichteter wird durch 99 Fälle, in denen der Gerechtigkeit Genüge getan wird, nicht aufgewogen. Das ist m.E. aber auch das einzige prinzipielle Argument gegen die Todesstrafe.)
Zitat von FAB.Es gibt durchaus Taten, nach denen es dem Opfer oder dessen Hinterbliebenen nicht zuzumuten ist, daß der Täter am Leben bleibt.
Das ist, lieber FAB., in der Tat das einzige stichhaltige Argument für die Todesstrafe. Alle anderen - daß sie abschreckend wirke, daß eine lebenslängliche Haftstrafe zu teuer sei, daß man nur so die Gesellschaft vor dem Täter schützen könne usw. - sind widerlegt oder fallen gegenüber dem Tod eines Menschen nicht ins Gewicht.
Wie gewichtig Ihr Argument ist, kann ich nicht ermessen. Hauptsächlich aus den USA kommen Berichte über Hinterbliebene, die erst ihre innere Ruhe gefunden haben, nachdem sie der Hinrichtung des Mörders beigewohnt hatten. Aber es gibt natürlich auch Hinterbliebene, die verzeihen können. Sollte man wirklich die Gefühle derer, die nicht verzeihen können, zur Grundlage eines so schwerwiegenden Bruchs mit unseren Rechtsprinzipien machen, wie diese sich seit der Aufklärung entwickelt haben?
Die Todesstrafe ist erstens eine Körperstrafe. Köperstrafen waren bis zur Aufklärung gang und gäbe und sind es beispielsweise noch in der Scharia. Wir hacken Dieben nicht mehr die Hand ab und reißen Verleumdern nicht mehr die Zunge heraus; wir steinigen nicht Ehebrecher. Wenn die meisten von uns diese Strafen als barbarisch empfinden - wie können sie dann für die Todesstrafe sein?
Zweitens rekurriert das von Ihnen genannte einzige stichaltige Pro-Argument auf die Herstellung des Rechtsfriedens dadurch, daß dem oder den Geschädigten Genüge getan wird. Auch das war bis zur Aufklärung ein verbreitetes Rechtsprinzip. In zurückgebliebenen Gesellschaften ist es das noch heute. Den Hinterbliebenen eines Mordopfers muß beispielsweise Blutgeld gezahlt werden; es gibt Vorschriften, nach denen eine Strafe dann nicht vollstreckt wird, wenn die Angehörigen dem Täter verzeihen und dergleichen.
Seit der Aufklärung basiert unsere Rechtsordnung nicht auf diesem Prinzip, daß die Straftat eine Angelegenheit zwischen Täter und Opfer sei. Sondern wir betrachten sie als eine Angelegenheit der gesamten Gesellschaft, vertreten durch die Staatsgewalt.
Der Mord an einer alleinstehenden alten Frau, die keine Angehörigen hatte und um die niemand trauert, wird ebenso und genauso hoch bestraft wie der Mord an einem Menschen, der aus dem Schoß seiner Familie gerissen wurde. Es ist ein ganz unterschiedliches Rechtsdenken.
Es gibt für mich nur zwei akzeptable Gründe dafür, einen Menschen zu töten oder zu verletzen - Notwehr und Affekt. Die Todesstrafe hingegen ist barbarisch und jeden modernen Landes unwürdig. Egal welches monströse Verbrechen ein Mensch begangen hat, es ist absolut unmenschlich ihm zu sagen, dass er getötet werden wird, wie er getötet wird und wann er getötet wird.
Das ist schlicht und ergreifend ein geplanter Mord, bei dem das Opfer hilflos seinem bekannten Schicksal entgegensieht.
Natürlich gibt es Verbrechen (und Verbrecher), bei denen ich denke: "Knallt das A******** doch einfach ab!" ... Dies würde ich allerdings als Notwehr der Gesellschaft einordnen. Problem erkannt, Problem gebannt.
Die Todesstrafe aber ist inhuman und nutzt nix. Keine Abschreckungswirkung, teuer etc. - sie sollte endlich abgeschafft werden ... überall!
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von ZettelZweitens rekurriert das von Ihnen genannte einzige stichaltige Pro-Argument auf die Herstellung des Rechtsfriedens dadurch, daß dem oder den Geschädigten Genüge getan wird. Auch das war bis zur Aufklärung ein verbreitetes Rechtsprinzip. In zurückgebliebenen Gesellschaften ist es das noch heute.
Man korrigiere mich gegebenenfalls - aber meines Wissens ist in unserer Rechtsordnung als Zweck und Rechtfertigung der Kriminalstrafe nach wie wie vor auch die gerechte Vergeltung und Genugtuung des Geschädigten anerkannt. Ich halte das auch nicht für zurückgeblieben, sondern für ein legitimes Prinzip, das unbeschadet aller wechselnden geistigen Moden am Ende in jeder menschlichen Gesellschaft Gültigkeit beanspruchen wird.
Zitat von ZettelSeit der Aufklärung basiert unsere Rechtsordnung nicht auf diesem Prinzip, daß die Straftat eine Angelegenheit zwischen Täter und Opfer sei. Sondern wir betrachten sie als eine Angelegenheit der gesamten Gesellschaft, vertreten durch die Staatsgewalt.
Aber die Straftat ist, und zwar vor allen gesellschaftlichen Zweckerwägungen, eine Angelegenheit zwischen Täter und Opfer. Dem Staat mögen wir aus wohlerwogenen Gründen das Monopol auf die rechtsförmliche Feststellung der Schuld und die Durchführung der Strafe einräumen. Ohne Genugtuung des Geschädigten aber gibt es keinen Rechtsfrieden. Der Staat hat nicht das Recht, ihm diese zu versagen. Daß unsere Rechtsordnung konkret die Hinrichtung als Strafe nicht vorsieht (zurecht; siehe oben), steht auf einem anderen Blatt.
Zitat von ZettelZweitens rekurriert das von Ihnen genannte einzige stichaltige Pro-Argument auf die Herstellung des Rechtsfriedens dadurch, daß dem oder den Geschädigten Genüge getan wird. Auch das war bis zur Aufklärung ein verbreitetes Rechtsprinzip. In zurückgebliebenen Gesellschaften ist es das noch heute.
Man korrigiere mich gegebenenfalls - aber meines Wissens ist in unserer Rechtsordnung als Zweck und Rechtfertigung der Kriminalstrafe nach wie wie vor auch die gerechte Vergeltung und Genugtuung des Geschädigten anerkannt. Ich halte das auch nicht für zurückgeblieben, sondern für ein legitimes Prinzip, das unbeschadet aller wechselnden geistigen Moden am Ende in jeder menschlichen Gesellschaft Gültigkeit beanspruchen wird.
Wenn bei diesem Thema jemand jemanden korrigieren kann, dann Sie mich, lieber FAB.
Was ich geschrieben habe, ist nicht eigener Einsicht entsprungen; sondern das Ergebnis von gelegentlichen Diskussionen mit jemandem aus meiner Verwandtschaft, der Strafrecht und Rechtsphilosophie lehrt.
Ich habe jetzt einmal kurz nachgesehen und habe danach den Eindruck, daß das, was ich geschrieben hatte, jedenfalls dem Standardwissen von Jurastudenten entspricht; siehe zum Beispiel das Material zu dieser Vorlesung.
Die gerechte Vergeltung, also die Sühne, gehört natürlich zu diesem Kanon von Strafzwecken. Aber davon hatte ich ja nicht gesprochen. Die Frage ist, ob auch die Genugtuung des Geschädigten als ein Strafzweck anerkannt wird.
Da zwei Juristen ja bekanntlich immer drei Meinungen haben, vermute ich, daß es Autoren gibt, die das so sehen und die vielleicht auch beklagen, daß dies heute keine zentrale Rolle mehr spielt. Jedenfalls würde ich vorerst bei meiner Vermutung bleiben, daß rechtsgeschichtlich dieser Strafzweck einmal ganz im Vordergrund stand und daß er für das heutige Strafrecht an Bedeutung verloren hat.
Aber da ich auf diesem mir fremden Gebiet keinerlei Ehrgeiz habe, mit einer Vermutung richtig zu liegen, freue ich mich auf Ihre Korrektur - vielleicht mit der Angabe von Autoren?
Amnesty war einmal eine höchst ehrenwerte Organisation, die sich um die Betreuung von politisch Verfolgten kümmerte. Um sicherzustellen, daß es Amnesty nur um die Menschenrechte und nicht um politische Propaganda ging, betreute jede Gruppe einen Inhaftierten im kommunistischen Machtbereich und einen im Westen.
Lange ist's her. Heute sieht sich Amnesty als zuständig für Dies und Jenes; beispielsweise auch das Urteil gegen Muhammad. Die betreffende Stellungnahme findet man hier.
Mir fällt daran zweierlei auf. Zum einen scheint es für Amnesty außer Frage zu stehen, daß Muhammad keinen fairen Prozeß hatte. Das widerspricht allem, was ich dazu inzwischen gelesen habe.
Zum anderen tut Amnesty des Guten zuviel bei dem Versuch, nachzuweisen, daß Muhammad gar nicht voll schuldfähig gewesen sei.
Basierend auf Argumenten der Verteidigung wird behauptet, daß erstens "die geistigen Fähigkeiten von John Allen Muhammad stark eingeschränkt sind". Er soll also einen so niedrigen IQ haben, daß er für seine Taten nicht in vollem Umfang verantwortlich gemacht werden könne.
Zweitens zeige "sein Gehirn Merkmale, die teilweise mit Schizophrenie in Verbindung gebracht werden. Zwei zu Rate gezogene Experten kamen zu dem Schluss, dass John Allen Muhammad wahrscheinlich in der Tat an dieser schwerwiegenden psychischen Krankheit leidet. Auch Hinweise darauf, dass er unter wahnhaften und bizarren Gedanken leidet, stützen diese These."
Nun ist Schizophrenie etwas ganz anderes als mangelnde Intelligenz. Nach der Argumentation von Amnesty lag also der seltene Fall vor, daß jemand zugleich schwachsinnig und schizophren ist. Und damit nicht genug:
Zitat von AmnestyDie Anwälte hatten ihre Strategie zur Strafmilderung auf dem Gutachten eines Experten für psychische Erkrankungen aufgebaut. Nach Angaben der Anwälte erfuhr der Experte von Verwandten und Bekannten des Angeklagten "sehr bewegende Geschichten". John Allen Muhammad sei als Kind in kaum vorstellbarem Maße vernachlässigt und misshandelt worden, unter anderem durch Schläge mit Schläuchen und Stromkabeln sowie durch Entzug von Nahrung, Kleidung und anderen lebensnotwendigen Gütern.
Also nicht nur schwachsinnig und schizophren soll Muhammad gewesen sein, sondern auch noch das Opfer von Mißhandlungen im Kindesalter.
Immerhin hat es der nach Amnesty somit dreifach Geschädigte in der US-Armee, in der er als Mechaniker, LKW-Fahrer und Metallarbeiter ausgebildet wurde, bis zum Feldwebel gebracht. Als Scharfschütze erreichte er die höchste Dekoration (Expert Rifleman's Badge), die an Nichtoffiziere vergeben wird.
Es erscheint mir höchst fragwürdig, daß Amnesty den Kampf gegen die Todesstrafe im Fall Muhammad damit führt, daß dieser angeblich zu Unrecht verurteilt worden sei.
Ich bin gegen die Todesstrafe. Aber in Virginia gibt es sie nun einmal. Sie wurde in diesem Fall in einem - nach meinem Wissen - rechtlich einwandfreien Verfahren verhängt. Das Oberste Gericht der USA hat es abgelehnt, sich mit dem Fall auch nur zu befassen. Der Gouverneur von Virginia, selbst ein Gegener der Todesstrafe, hat eine Begnadigung abgelehnt, weil er dafür keine Rechtfertigung erkennen konnte.
Mit solchen Kampagnen macht sich Amnesty weiter unglaubwürdig. Statt innerhalb des amerikanischen Rechtssystems gegen die Todesstrafe zu arbeiten, versucht man dieses Rechtssystem zu diskreditieren.
Meine Befassung mit dem Strafrecht liegt inzwischen zehn Jahre zurück. Damals habe ich zum Thema "Zweck und Rechtfertigung staatlichen Strafens im allgemeinen" die folgenden grundlegenden Ausführungen des BVerfG aus dem Jahre 1977 rezipiert.
Zitat von BVerfGE 45, 187(Rz. 210) Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt mit Sinn und Zweck des staatlichen Strafens befaßt, ohne zu den in der Wissenschaft vertretenen Straftheorien grundsätzlich Stellung zu nehmen. (...) Das geltende Strafrecht und die Rechtsprechung der deutschen Gerichte folgen weitgehend der sogenannten Vereinigungstheorie, die - allerdings mit verschieden gesetzten Schwerpunkten - versucht, sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. (...) Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung nicht nur den Schuldgrundsatz betont, sondern auch die anderen Strafzwecke anerkannt. Es hat als allgemeine Aufgabe des Strafrechts bezeichnet, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen. Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht werden als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion bezeichnet.
Daran hat sich m.W. nichts wesentliches geändert. Im Mauerschützenurteil von 1996 heißt es etwa:
Zitat von BVerfGE 95, 96(Rz. 157) Die Strafe ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt.
Zum Unterpunkt "Genugtuung des Geschädigten als Strafzweck" verweise ich auf § 46a StGB. Danach ist die durch einen sog. Täter-Opfer-Ausgleich bewirkte "Wiedergutmachung" als Strafzumessungsgrund zu berücksichtigen. Der Bundesgerichtshof entscheidet zu dieser Vorschrift in ständiger Rechtsprechung:
Zitat von BGH NStZ 2008, 452Ein Täter-Opfer-Ausgleich setzt einen kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muß. Wenngleich ein "Wiedergutmachungserfolg" nicht zwingende Voraussetzung ist, so muß sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen.
Daraus meine ich entnehmen zu können, daß die - aus der subjektiven Sicht des Geschädigten zu bewertende - Genugtuung durchaus zu den Strafzwecken zu zählen ist. Denn wenn dem Gericht bei Zustimmung des Geschädigten die Möglichkeit der Strafmilderung eröffnet wird, so bedeutet das im Gegenschluß, daß im anderen Fall die Strafe höher ausfällt und der "Mehrbetrag" eben diese Genugtuungsfunktion erfüllt.
Aber bitte, das sind Überlegungen eines weitgehenden strafrechtlichen Laien; über Einzelheiten aktueller wissenschaftlicher Diskussion auf diesem Gebiet ist ein Strafrechtslehrer zweifellos besser im Bilde.
Ich glaube, was Sühne, Repression, Vergeltung angeht, ist der Sachverhalt eindeutig: Sie gehören zum Strafzweck so wie alles das andere, das die Vereinigungstheorie einschließt.
Nach wie vor bin ich nur unsicher, was die Genugtuung des Opfers oder seiner Angehörigen als Strafzweck angeht. Den § 46a StGB, auf den Sie hinweisen, kann ich - als juristischere Laie - nicht unmittelbar mit dem, was wir hier diskutieren, in Verbindung bringen.
Denn es geht da ja nicht um den Strafzweck auf rechtsphilosophischer Ebene, sondern darum, daß ein Täter, der sich um Wiedergutmachung und Entschädigung des Opfers bemüht hat, dafür mit einem milderen Urteil bedacht werden kann.
Vielleicht kann man von dort irgendwie einen Weg zur Frage des Strafzwecks finden, aber auf Anhieb sehe ich das nicht. Als - um das nochmal zu sagen - jemand, der von der Juristerei nichts versteht, sondern nur manchmal mit seinem Bruder diskutiert.
Zitat von ZettelUm sicherzustellen, daß es Amnesty nur um die Menschenrechte und nicht um politische Propaganda ging, betreute jede Gruppe einen Inhaftierten im kommunistischen Machtbereich und einen im Westen
Den Satz lasse ich mir gerade auf der Zunge zergehen...
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von ZettelUm sicherzustellen, daß es Amnesty nur um die Menschenrechte und nicht um politische Propaganda ging, betreute jede Gruppe einen Inhaftierten im kommunistischen Machtbereich und einen im Westen
Den Satz lasse ich mir gerade auf der Zunge zergehen...
Ich hab's geahnt, lieber Gorgasal, und deshalb "im Westen" geschrieben. Zum Westen gehörte auch Franco-Spanien, Algerien, wo die Franzosen hemmungslos folterten, der Iran des Schah usw.
Das Thema Todesstrafe beschäftigt mich seit einiger Zeit gedanklich. Früher gehörte ich zu den empörten Todesstrafe-Gegnern, die alle Todesstrafen-Befürworter für unbegreiflich hartherzig und geradezu bösartig hielt.
Seit ich einen Sohn habe, ist diese (wie ich nun meine sehr oberflächliche) Meinung ins Wanken geraten. Die Vorstellung, jemand könnte meinem Sohn etwas antun ist unerträglich. Dass 15 Jahre später der Mörder als freier Mensch theoretisch mein Nachbar werden dürfte, ist für mich so schlimm, dass es nicht in Worte fassen kann. Wenn ich heute neben Leuten wir Christian Klar wohnen müsste, würde ich fluchtartig ausziehen. Keine zweite Chance für Mörder, nicht mit mir. Gut, hier liegen Emotionen und sachliche Gerechtigkeit nahe beieinander und das eine vom anderen zu unterscheiden wäre eine eigene Diskussion.
ABER
Seit einiger Zeit hege ich den Verdacht, dass die Abschaffung der Todesstrafe, die zu einer PC empörten Todesstrafen-Gegnerschaft von 97% aller Deutschen führte, stark daran beteiligt ist, dass die konservative Auffassung von Selbstverantwortung und Willensfreiheit (Gewissensfreiheit, gut, böse) immer mehr einem Menschenbild Platz macht, das den Menschen als ein besseres Tier versteht, Verantwortung auf Umstände, Gesellschaft und materielle Verhältnisse schiebt, Moral als soziologisch erklärbar auflöst, ein großes Problem mit dem Wort "böse" hat usw.
Ich glaube nämlich, dass die Wut und der Hass auf einen Mörder, der (um ein deutliches Beispiel zu verwenden) ein Kind vergewaltigt und elendig zu Tode quält, natürliche Emotionen sind (ohne diese hier moralisch zu bewerten), die logisch in der Tötung des Mörders enden würden, hätten wir kein Rechtssystem, das uns an der Selbstjustiz hinderte. Die Abschaffung der Todesstrafe zwingt die Menschen dazu, ihre natürliche Emotionen zu unterdrücken, zu bändigen, sie umzuinterpretieren (was ja an sich nichts Schlechtes ist, sondern Zivilisation). Die Dissonanz zwischen himmelschreiendem Verbrechen und dem Unvermögen, das Verbrechen auch nur annähernd angemessen zu rächen oder den Urheber zumindest aus der Welt zu schaffen führt hier aber dazu, dass die Menschen sich intellektuell umorientieren: Der Verbrecher ist dann gar nicht mehr so böse, sondern ein Opfer seiner Sozialisation. Dies schafft einen Ausgleich zwischen der eigentlich milden Strafe des Freiheitsentzugs und der Schwere des Verbrechens, die jetzt gar nicht mehr so schwer ist, wie es auf den ersten Blick aussieht, da der Täter ja nun auch Opfer ist.
Das wiederum hat aber fatale Folgen für die Mentalität der Menschen, ihre Auffassung vom Menschen und ihr moralisches Urteilsvermögen finde ich (Stichwort: Kerzen und Herzchenbilder für den Mörder Tim K., der in einer Schule in Winnenden ein Blutbad anrichtete und Schülerinnen ermordete)
Ich bin also bzgl. der Todesstrafe sehr unsicher geworden. Die einzige Alternative die es vielleicht gibt, wäre eine wirklich lebenslängliche Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit, jemals wieder in Freiheit zu gelangen. Ich finde es schrecklich, dass es dies bei uns nicht gibt (außer in den Sonderfällen einer Sicherheitsverwahrung), nicht nur weil ich es nicht für gerecht halte, sondern weil ich meine, dass unsere Rechtsauffassung diesbzgl. großen Schaden anrichtet: ein verkorkstes Menschenbild und die daraus resultierende Unfähigkeit, moralisch klar zu denken, ja überhaupt an so etwas wie Moral im Sinn von gut und böse zu glauben.
Sie schreiben von ihrem Sohn. Aber jetzt drehen Sie es mal um: Wie würden Sie damit umgehen, wenn ihr Sohn in der Todeszelle sässe ? Dafür müssen Sie ihn nicht zum Mörder deklarieren, er kann da ganz unschuldig sitzen, Justizirrtümer gibt es gerade bei Schwerverbrechen jede Menge. Hängen Sie dann immernoch der Todesstrafe an ? Können Sie sich das vorstellen, von ihrem Sohn Abschied zu nehmen, weil der Staat der Meinung ist, "keine Chance für Mörder" ? Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was in Menschen vorgeht, die das erleben müssen.
Zum zweiten: Sie schreiben von der "milden Strafe der Freiheitsentzuges". Ich möchte da ganz ernst fragen, was Sie da für eine nicht milde Strafe emfinden ? Sie finden wirklich etwas mildes daran über Jahrzehnte in eine Zelle von vielleicht 10 oder 15 Quadratmetern eingeschlossen zu werden, ohne Freunde, ohne Familie, verurteilt zu einer stupiden Existenz ohne Sinn ? Mein Mitleid mit Mördern hält sich in Grenzen, aber von einer milden Strafe würde ich dabei nicht sprechen.
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