In einem Aufsatz bei Stratfor, den ich am Ende des Artikels zitiere, weist George Friedman darauf hin, daß der Krieg in Afghanistan ganz ungeeignet sei, die Kaida zu bekämpfen.
Denn diese hat längst kein Hauptquartier, keine Befehlszentrale mit angeschlossenen Ausbildungslagern mehr, wie das bis 2002 der Fall gewesen war. Sie ist heute dezentral organisiert, mit "Franchise-Nehmern" in vielen Ländern.
Diese Veränderung in der Struktur und der Taktik der Kaida zeichne ich in dem Artikel nach.
Calimero
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10.01.2010 08:59
#2 RE: Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (2): Der Wandel der Kaida
Zitat von Zettels RaumUnd nicht nur Unsicherheit soll erzeugt werden. Eine weitere Absicht der Dschihadisten sei es, meint Friedman, Feindseligkeit gegenüber Moslems zu schüren.
Je mehr man im Westen auf solche Anschläge mit einer Ablehnung des Islam reagiert, umso mehr spielt man den Dschihadisten in die Hände, "strengthening al Qaeda’s argument to Muslims that they are in an unavoidable state of war with the rest of the world": Was das Argument der Kaida gegenüber Moslems stärkt, daß sie sich in einem unvermeidlichen Kriegszustand mit der übrigen Welt befinden.
Verstehe ich das richtig, dass Friedman dem Westen hier eine Appeasement-Politik gegenüber den Islamisten empfiehlt?
Nachtrag: Dazu passend zornige junge Männer, denen man in UK anscheinend sehr entgegenkommt, obwohl sie sich gegen das UK wenden. Hm, vielleicht habe ich auch das Thema verfehlt.
Gruß, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von Zettels RaumUnd nicht nur Unsicherheit soll erzeugt werden. Eine weitere Absicht der Dschihadisten sei es, meint Friedman, Feindseligkeit gegenüber Moslems zu schüren. Je mehr man im Westen auf solche Anschläge mit einer Ablehnung des Islam reagiert, umso mehr spielt man den Dschihadisten in die Hände, "strengthening al Qaeda’s argument to Muslims that they are in an unavoidable state of war with the rest of the world": Was das Argument der Kaida gegenüber Moslems stärkt, daß sie sich in einem unvermeidlichen Kriegszustand mit der übrigen Welt befinden.
Verstehe ich das richtig, dass Friedman dem Westen hier eine Appeasement-Politik gegenüber den Islamisten empfiehlt?
Nein, keineswegs, lieber Calimero.
Zum einen enthalten die Analysen von Stratfor meist überhaupt keine Empfehlungen; es sind eben nur Analysen. Hier analysiert Friedman die Strategie der Dschihadisten: Je mehr Anschläge sie verüben, umso negativer wird das Bild werden, das Menschen im Westen vom Islam haben. Und je negativer dieses Bild wird, umso besser können die Dschihadisten den Moslems weismachen, ihnen bleibe keine Wahl, als gegen den Westen zu kämpfen.
Mein Kommentar: Ich habe das, lieber Calimero, hier immer wieder geschrieben (und darob jemanden als Mitglied verloren, den ich ganz besonders geschätzt hatte): Wenn wir im Westen den Fehler machen, nicht scharf zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden, dann arbeiten wir den Dschihadisten in die Hände.
Sie wollen gegenüber den islamischen Massen als deren Vorhut erscheinen, als ihre eigentlichen und besten Interessenvertreter. (So, wie das, nebenbei, jede Terrororganisation will; sie ETA, siehe IRA, siehe auch RAF).
Wenn sich die Ablehnung des Westens, die zu Recht den Islamismus trifft, auf den Islam ausdehnt, dann haben die Dschihadisten ein wesentliches Etappenziel erreicht. Sie haben eine allgemeine Konfrontation hergestellt, in der sie nicht mehr marginalisiert sind, sondern in der sie sich in der Tat als Avantgarde darstellen können.
Der Kampf gegen den Islamismus kann nur im Bündnis mit der großen Mehrheit der vernünftigen, friedlichen und an Wohlstand und Demokratie interessierten Moslems gewonnen werden.
Zitat von CalimeroNachtrag: Dazu passend zornige junge Männer, denen man in UK anscheinend sehr entgegenkommt, obwohl sie sich gegen das UK wenden.
Ich habe mir, lieber Calimero, das Video jetzt angesehen, und habe es offenbar ganz anders wahrgenommen als Sie:
Im UK leben rund 1,8 Millionen Moslems. Das Video zeigt, wie gering der Anteil der Islamisten unter ihnen ist. Gerade einmal ein paar hundert Gläubige in der größten Moschee Londons. Bei den Demonstrationen, die in dem Video gezeigt werden, auch nur ein paar hundert Jugendliche.
Wenn Islamisten jetzt laut dem Bericht einen "Aufmarsch" in Wootton Bassett planen, dann scheint mir das ungefähr so repräsentativ für die Moslems im UK zu sein, wie ein Aufmarsch der NPD repräsentativ für die Deutschen ist.
Das bestätigt doch alles eindrucksvoll, wie wenig die meisten Moslems im UK mit dem Islamismus zu tun haben wollen.
Das "sehr entgegenkommt" kann ich durch das Video auch nicht bestätigt sehen. Der Haßprediger Abu Hamza wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.
Nein, lieber Calimero, die Neigung - wie man sie ausgeprägt z.B bei PI findet -, Islamismus und Islam in einen Topf zu werfen, ist nicht nur sachlich falsch, sondern sie besorgt auch das Geschäft der Islamisten.
Diese versuchen, einen Keil zwischen die christliche und die moslemisch Bevölkerung zu treiben. Sie möchten erreichen, daß die Mehrheit der Briten bzw. Deutschen eine feindselige Einstellung gegenüber den Moslems einnimmt. Dann haben sie gewonnen, die Islamisten. Dann haben sie den ersten Schritt auf dem Weg in den Bürgerkrieg getan, den sie anstreben.
Und leider gibt es genug Deutsche und Briten, die sie durch eine undifferenzierte Haltung gegenüber dem Islam unterstützen, wenn auch unfreiwillig.
Zitat Nein, lieber Calimero, die Neigung - wie man sie ausgeprägt z.B bei PI findet -, Islamismus und Islam in einen Topf zu werfen, ist nicht nur sachlich falsch, sondern sie besorgt auch das Geschäft der Islamisten.
Diese versuchen, einen Keil zwischen die christliche und die moslemisch Bevölkerung zu treiben. Sie möchten erreichen, daß die Mehrheit der Briten bzw. Deutschen eine feindselige Einstellung gegenüber den Moslems einnimmt. Dann haben sie gewonnen, die Islamisten. Dann haben sie den ersten Schritt auf dem Weg in den Bürgerkrieg getan, den sie anstreben.
Und leider gibt es genug Deutsche und Briten, die sie durch eine undifferenzierte Haltung gegenüber dem Islam unterstützen, wenn auch unfreiwillig.
Im Prinzip stimme ich Ihnen schon zu, lieber Zettel: Islamisten und Islam in einen Topf zu werfen, ist zumindest äußerst ungeschickt. PI finde ich auch unmöglich. Meiner Ansicht nach sollte man aber hinzufügen:
- der Islam und seine enge Verbindung mit dem Staat sind in allen islamischen Ländern (ein Sonderfall ist nur die Türkei) ein großes Entwicklungshindernis. - der Islam isoliert auch tendenziell die Muslime in westlichen Ländern. - der Islam hat keine Tradition der Wertschätzung von Leistung und Bildung. - islamische Länder und muslimische Minderheiten haben vor allem deshalb große Entwicklungsdefizite. - andererseits stellt der Islam einen sehr hohen internationalen Führungsanspruch. - der Gegensatz zwischen Realität und Anspruch führt tendenziell zu einer aggressiven Abgrenzung von der westlichen Kultur, was die Entwicklung noch mehr behindert. - durch die Globalisierung spitzen sich diese Gegensätze zu. - der Terrorismus ist deshalb heute inn allererster Linie ein islamisches Gewächs.
Trotzdem gebe ich Ihnen im Prinzip Recht: Islam und Islamismus muss man auseinanderhalten. Langfristig können die Muslime ja nur aus ihren Sackgassen herausfinden, wenn sich ein anderer Islam entwickelt. Vom Islam abbringen kann sie sicher niemand.
Vielen Dank auch für den interessanten Artikel über die Entwicklung von al-Qaida. Wegen solcher Beiträge lese ich ZR, auch wenn ich oft anderer Meinung bin als Sie.
Ich sehe gerade, dass ich doch noch etwas hinzufügen muss. Ich bin nicht mit der Schlussfolgerung einverstanden, dass der Krieg in Afghanistan ungeeignet ist, al-Qaida zu bekämpfen. Wenn die Taliban in Afghanistan siegten, hätten wir wieder den idealen Terrorstaat. Wenn ihre Gesinnnungsgenossen auch noch in Pakistan an die Macht kämen, hätten wir eine ungeheure Bedrohung vor uns, Terroristen mit Atomwaffen. Die Entwicklung von al-Qaida erfordert eben, in weit mehr Ländern als nur Afghanistan einen Kampf gegen diese Pest zu führen.
Bevor ich meine - zugegeben dilettantische - Meinung in diesem Forum kundtue, möchte ich Zettel für seinen Blog danken, da er in meinen Augen einer der vernünftigsten und sorgfältig recherchiertesten ist.
...and now for something completely different:
Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass die Trennung zwischen Islam und Islamismus nicht ganz so einfach ist, wie von Zettel dargestellt. Gewalt (dies ist nun völlig wertfrei gemeint, da jede Religionsgemeinschaft mit Sendungsbewusstsein eine andere Form der Verbreitung wählt) nun mal eine nicht ein ganz unwichtige Konstante im Islam ist. Ich denke, dass ist auch einer der Gründe, warum viele Muslime sich so schwer mit einer Verurteilung von muslimischen Gewalt tun. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass jeder Moslem automatisch ein Terrorist ist (früher war ja wohl auch nicht jeder Muslim automatisch Soldat). Aber in vielen Kreisen der muslimischen Welt ist zumindest ein Grundverständnis für diese Tat vorhanden, da sie ja den Lehren (und dem Leben) Mohammeds nicht widersprechen.
Natürlich ergibt sich dabei das angesprochene Problem: wie soll man damit umgehen, wenn eine (daraus resultiernde) Ausgrenzung die Muslime in die Arme der Extremisten treibt?
Ein Problem, dass sich dadurch noch verschärft, da Appeasment (was die logische Konsequenz wäre)als Zeichen von Feigheit und Schwäche gedeutet wird und erst Recht zu einer verstärkten Gewaltanwendung animieren würde.
Ungelt
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11.01.2010 01:37
#8 RE: Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (2): Der Wandel der Kaida
Zitat von ZettelMein Kommentar: Ich habe das, lieber Calimero, hier immer wieder geschrieben (und darob jemanden als Mitglied verloren, den ich ganz besonders geschätzt hatte): Wenn wir im Westen den Fehler machen, nicht scharf zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden, dann arbeiten wir den Dschihadisten in die Hände.
Sehr geehrter Zettel,
ich war, wie sie wahrscheinlich ahnen, in diesen Fragen in der Regel der Meinung von C., die ich auch sehr geschätzt habe. Ich möchte nur einige kurze Anmerkungen anfügen.
Die schon traditionsreiche Diskussion zu diesem Thema hier im Zimmer wäre ja noch ganz lustig, wenn sie nur rein akademischer Natur wäre. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, um was es sich dabei handelt, kann es einem schon etwas schummrig dabei werden. Sollte sich die pessimistische Sicht der Dinge als richtig erweisen, dann haben WIR, unsere Generation, es auf dem Gewissen. Ein jämmerliches Ende wäre das, denn wir wurden nicht etwa besiegt - wir sind nur vollgefressen und verblödet aus unseren Fernsehsesseln gekippt worden.
Der Islam ist wohl nicht identisch mit dem Islamismus, es wäre ja auch Verschwendung, für genau die gleichen Sachverhalt zwei Begriffe zu benutzen. Da kann man auch "scharf unterscheiden", es gibt aber trotzdem diesen unangenehmen Zusammenhang: Das Maß der Freiheit der "gewöhnlichen Moslems" ("Islam") wird ganz wesentlich durch die Islamisten bestimmt. Die Methoden sind die gleichen, wie in jeder Diktatur - Angst, Gehirnwäsche und Dressur.
Ich bin auch sicher, daß die Mehrheit der Moslems gemäßigter Natur sind und daß sie sich, Verteilt innerhalb einer "andersartigen Mehrheitsgesellschaft", in der Regel schnell integrieren würden. (Das gilt aber wahrscheinlich für jede Gruppe von Menschen, mit Ausnahme der Gruppe der "Fanatiker" vielleicht.)
Die Gefahr besteht aber gerade darin, daß sie im Normalfall eben nicht innerhalb einer Mehrheitsgesellschaft verteilt leben. Sie sind im Gegensatz dazu in ihren Communities starken islamistischen Einflüssen ausgesetzt und sie haben immer weniger einen Grund, sich zu integrieren. Die Integration bildet außerdem, insesondere für Frauen, eine erhebliche Gefahr. Ich würde es mir, als "gemäßigter Moslem" oder sogar "gemäßigte Muslimin" auch gut überlegen, ob ich meine eher liberalen Tendenzen in einer solchen Umgebung offen ausleben würde.
Die Folgen dieses permanenten Druckes und der Dauerberieselung kenne ich aus eigener Anschauung aus Nordafrika, ich konnte die Entwicklung dort während mehrerer Jahrzehnte gut beobachten. In der Türkei ist genau die gleiche Entwicklung zu beobachten, obwohl der Staat ja geradezu als Bollwerk gegen solche Tendenzen angelegt war/ist. Leider gibt es für mich keine Zweifel daran, daß das im Prinzip überall funktionieren kann.
Das ganze bedeutet für mich natürlich nicht, daß die Entscheidung schon gefallen wäre. Hier ist auch schon öfters die Möglichkeit von überraschenden Wendungen diskutiert worden, für Beispiele brauchen wir nicht weit zurückzublicken. Verlassen würde ich mich auf ein solches Ereignis aber lieber doch nicht.
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