Eines der erstaunlichsten Werke der Zukunftsforschung ist Walter Greiling "Wie werden wir leben?" Ich habe es, als ich es 1954 geschenkt bekam, mit Begeisterung gelesen - und fast alle Prognosen sind eingetroffen; ganz anders als später zum Beispiel die des "Club of Rome".
Zu Greilings erstaunlichsten Treffern gehört der Satz auf Seite 63f: "Die angeführten Beispiele und das genaue Studium der Geographie des Bevölkerungswachstums lassen erkennen, daß die Voraussage einer Bevölkerungszahl von 9 Milliarden auf der Erde um die Mitte des kommenden Jahrhunderts kaum widerlegt werden kann". Bei dieser Zahl werde sich die Weltbevölkerung stabilisieren.
Just das ist die aktuelle Prognose. Mit den Problemen, die mit der geographischen Verteilung dieses Wachstums einhergehen, befaßt sich diese Marginalie.
Zitat (1) the relative demographic weight of the world's developed countries will drop by nearly 25 percent, shifting economic power to the developing nations; ... (2) most of the world's expected population growth will increasingly be concentrated in today's poorest, youngest, and most heavily Muslim countries, which have a dangerous lack of quality education, capital, and employment opportunities; (3) and, for the first time in history, most of the world's population will become urbanized, with the largest urban centers being in the world's poorest countries, where policing, sanitation, and health care are often scarce.
(1) einerseits und (2) und (3) andererseits passen nicht so richtig gut zusammen, oder? Was denn nun?
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat ältere Menschen sollten in die Länder der Dritten Welt auswandern, um dort ihren Lebensabend zu verbringen!
Englische Senioren zieht es ja auch schon in Scharen nach Spanien und Frankreich...
Aber ernsthaft: erst detailliert er, dass die Dritte Welt von "instability ..., economic strife, lawlessness, and potential terrorist activity" geplagt sei, "policing, sanitation, and health care are often scarce", und dann meint er, Erstwelt-Rentner könnten dazu bewogen werden, dort ihren Lebensabend zu verbringen? Indem jeder seinen eigenen Bodyguard/Klempner/Arzt mitbringt?
Taugt denn der Rest des Artikels mehr?
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Zitat Aber ernsthaft: erst detailliert er, dass die Dritte Welt von "instability ..., economic strife, lawlessness, and potential terrorist activity" geplagt sei, "policing, sanitation, and health care are often scarce", und dann meint er, Erstwelt-Rentner könnten dazu bewogen werden, dort ihren Lebensabend zu verbringen? Indem jeder seinen eigenen Bodyguard/Klempner/Arzt mitbringt?
Auf den ersten Blick erscheint das unplausibel. Nachdem ich darüber nachgedacht habe, erkenne ich aber den Charme der Idee.
Mal durchgedacht: Im Jahr 2050 werde ich im Rentenalter sein. Vielleicht schon ein Pflegefall. Für das folgende Argument subsumiere ich aber einmal alle altersbedingten persönlichen Dienstleistungen unter "Pflege" (Hilfe bei Besorgunen etc.)
Ich werde zwar (hoffe ich) ganz ordentlich Geld auf dem Konto haben - aber angesichts des fehlenden Nachwuchses in Deutschland stellt sich die Frage, wer mich dann betreuen soll. Wie gesagt: Am Geld läge es vielleicht nicht. Aber an der Verfügbarkeit von Pflegekräften. Vielleicht haben wir ja bis dahin tolle "Pflege-Roboter", wer weiß. Eine Alternative wäre aber tatsächlich, im Alter dorthin zu ziehen, wo es bezahlbare Pflegekräfte gibt. Es muss ja nicht gerade mitten in die Slums von Lagos sein. Sondern vielleicht ein nettes Senioren-Ressort irgendwo an der indischen Küste. Wer weiß?
(Die Alternative zu diesem Szenario wäre natürlich, die Pflegekräfte selbst aus den bevölkerungsreichen, jungen Ländern nach Deutschland einreisen zu lassen).
Zitat von FlorianEine Alternative wäre aber tatsächlich, im Alter dorthin zu ziehen, wo es bezahlbare Pflegekräfte gibt. Es muss ja nicht gerade mitten in die Slums von Lagos sein. Sondern vielleicht ein nettes Senioren-Ressort irgendwo an der indischen Küste. Wer weiß?
Naja, Indien ist wohl eher Zweite als Dritte Welt Natürlich hat das etwas für sich. Ich persönlich hoffe ja, dass meine Kinder und etwaige Enkel mich dann noch ab und zu besuchen, und dafür ist Indien doch ein wenig weit weg. Außer sie arbeiten mittlerweile in Indien, weil in Deutschland mittlerweile wieder die SED regiert...
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Zitat Eine aktive Geburtenpolitik, wie sie erfolgreich Frankreich und Schweden betreiben, Förderung der Einwanderung ...
Eine aktive Geburtenpolitik würde in gewissem Masse das Problem des Bevölkerungswachstums noch verschärfen. Diese Empfehlung klingt mir allzu sehr nach "geht hin und vermehret euch", nach der Verteidigung eines Besitzanspruchs (entweder Nationalität oder genetische/kulturelle Abstammung). Inwiefern die Förderung der Einwanderung irgendein Problem lösen soll, ist mir unklar. Es kann wohl nicht das Ziel sein, einen Wettlauf darüber zu veranstalten, welche Nation die meisten Pässe ausgibt. Sonst wäre eine sehr viel elegantere Lösung, die Pässe direkt im Herkunftsland (z.B. Türkei, China) grosszügig unter der Bevölkerung zu verteilen, unter der Bedingung, dass diese so nationalisierten Menschen nicht einwandern. Mir scheint, Westerwelle hatte kürzlich eine ähnliche Idee in bezog auf Terrorismus geäussert.
Zitat von ZettelDie angeführten Beispiele und das genaue Studium der Geographie des Bevölkerungswachstums lassen erkennen, daß die Voraussage einer Bevölkerungszahl von 9 Milliarden auf der Erde um die Mitte des kommenden Jahrhunderts kaum widerlegt werden kann
Es ist natürlich faszinierend, wenn eine solche Behauptung dann auch eintrifft - ich halte sie aber dennoch für Humbug. Zum damaligen Zeitpunkt konnte man sehr wohl seriös ein Einpendeln der Bevölkerungszahl abschätzen, vielleicht auch eine Größenordnung - aber nicht eine solche Punktlandung. Wenn es wirklich ausgerechnet 9 Milliarden werden, hat der Autor schlicht Glück gehabt.
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Zitat von ZettelDie angeführten Beispiele und das genaue Studium der Geographie des Bevölkerungswachstums lassen erkennen, daß die Voraussage einer Bevölkerungszahl von 9 Milliarden auf der Erde um die Mitte des kommenden Jahrhunderts kaum widerlegt werden kann
Es ist natürlich faszinierend, wenn eine solche Behauptung dann auch eintrifft - ich halte sie aber dennoch für Humbug.
Humbug war das, lieber R.A., ganz gewiß nicht. Es war die best bet eines Autors, der sich gründlicher mit "Futurologie" befaßt hat als (soweit mir bekannt) alle diejenigen, die später unter diesem Etikett auftraten und sich nie ernsthaft in Daten vertieft haben; à la Ossik K. Flechtheim. Oder heute Matthias Horx.
Zitat von R.A.Zum damaligen Zeitpunkt konnte man sehr wohl seriös ein Einpendeln der Bevölkerungszahl abschätzen, vielleicht auch eine Größenordnung - aber nicht eine solche Punktlandung. Wenn es wirklich ausgerechnet 9 Milliarden werden, hat der Autor schlicht Glück gehabt.
Ich habe das Buch gerade ins Regal zurückgestellt. Falls es Sie interessiert, krame ich es wieder raus und lese nach, wie er das begründet hat. Es war jedenfalls eine sehr empirische und sehr detaillierte Argumentation.
Da ich es das Buch das letzte (und erste ) Mal im Jahr 1954 gelesen habe, ist die Erinnerung an die Details leider nicht mehr ganz präzise.
Zitat von ZettelHumbug war das, lieber R.A., ganz gewiß nicht.
Das kommt jetzt darauf an, was genau seine Prognose war. Wenn er 9 Milliarden gesagt hat, bleibe ich beim Humbug. Wenn er ein plus/minus 2 Milliarden dazu gesetzt hat, fände ich die Prognose völlig vernünftig.
Zitat Es war die best bet eines Autors, der sich gründlicher mit "Futurologie" befaßt hat ...
Das bestreite ich gar nicht, offenbar hat er ja auch in vielen anderen Punkten (die Sie nur summarisch erwähnt haben) gut prognostiziert.
Aber auch ein "best bet" kann bei so vielen Randbedingungen nur eine ungefähre Größenordnung sein. Wir reden hier schließlich von einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal die Pille erfunden war - daß die einen gewissen Einfluß auf die Bevölkerungsentwicklung hatte ist wohl kaum zu bestreiten.
Ich fände es schon beachtlich, wenn er gegenüber den üblichen blind exponentialen "Vorhersagen" eine Stabilisierung prophezeit hätte.
Zitat von ZettelHumbug war das, lieber R.A., ganz gewiß nicht.
Das kommt jetzt darauf an, was genau seine Prognose war. Wenn er 9 Milliarden gesagt hat, bleibe ich beim Humbug. Wenn er ein plus/minus 2 Milliarden dazu gesetzt hat, fände ich die Prognose völlig vernünftig.
Gut, ich krame das Buch wieder raus. Vielleicht lese ich es heute Nacht.
Aber ohne diese Lektüre will ich jetzt schon zu diesem Punkt antworten: Es ist bei Prognosen allgemein üblich, daß man konkrete Zahlen nennt. Nicht, weil man meint, sie würden genau so eintreffen, sondern eben als best bet. Das, was Statistiker den Erwartungswert nennen. Eine Varianz kann man häufig dazu nicht angeben.
Wenn jemand sagt: "Die Weltbevölkerung wird sich bei 9 Milliarden stabilisieren" dann heißt das nicht, daß er behaupten will, es werde exakt so kommen. Sondern er sagt, daß er diesen Wert für wahrscheinlicher hält als jeden anderen; daß er ihn eben als den Erwartungswert sieht.
Vielleicht kann Gorgasal uns da noch ein wenig belehren. Ich glaube, er ist nicht nur ein Experte für Statistik allgemein, sondern befaßt sich speziell auch mit Prognostik.
Zitat von ZettelHumbug war das, lieber R.A., ganz gewiß nicht.
Das kommt jetzt darauf an, was genau seine Prognose war. Wenn er 9 Milliarden gesagt hat, bleibe ich beim Humbug. Wenn er ein plus/minus 2 Milliarden dazu gesetzt hat, fände ich die Prognose völlig vernünftig.
Gut, ich krame das Buch wieder raus. Vielleicht lese ich es heute Nacht. Aber ohne diese Lektüre will ich jetzt schon zu diesem Punkt antworten: Es ist bei Prognosen allgemein üblich, daß man konkrete Zahlen nennt. Nicht, weil man meint, sie würden genau so eintreffen, sondern eben als best bet. Das, was Statistiker den Erwartungswert nennen. Eine Varianz kann man häufig dazu nicht angeben.
Eine Prognose, die keine Aussage über die erwartete Streuung des tatsächlich eintreffenden Wertes macht, halte ich für nahezu wertlos. Wenn die Prognose für morgen 0 Grad Celsius ist, mit einer Streuung von +/- 1 Grad, dann lasse ich die Handschuhe und die Mütze daheim. Wenn die Streuung +/- 15 Grad ist, dann kann es morgen so pervers werden, dass ich lieber von zu Hause arbeite. Wenn ein Webserver 10.000 +/- 200 Anfragen pro Sekunde schafft, dann ist das in Ordnung - wenn er 10.000 +/- 10.000 schafft, dann wird er irgendwann furchtbar in die Knie gehen, typischerweise mit grausigen Folgen (siehe auch: Programmers Need To Learn Statistics Or I Will Kill Them All). Und genau deswegen ist die Angabe einer Variabilität auch eine Art von Signaling: wer nur eine Punktprognose abgibt, der versteht nichts von wissenschaftlicher Prognostik. (Gut, das ist jetzt ein wenig hart formuliert...)
Dabei ist es letzten Endes gar nicht so wichtig, ob man Standardabweichungen, Intervallprognosen oder am besten fan charts liefert. Der Leser sollte in der Lage sein zu beurteilen, ob die Prognose mit viel oder wenig Unsicherheit behaftet ist. Und das ist alles kein Hexenwerk, zumindest Fehlerfortpflanzung und Standardfehler von Regressionen waren 1954 schon bekannt, die sollten einfließen. Deutlich sinnvollere Methoden, verschiedene Fehlerquellen einzubeziehen (bei einer Bevölkerungsprognose etwa Ungenauigkeiten in der Bezifferung der aktuellen Bevölkerung, Schätzfehler für geschätzte Modellparameter, Unsicherheiten in den zukünftigen Kriegsausbrüchen, Naturkatastrophen oder Bevölkerungspolitik), gibt es erst mit Computern - dann baut man schöne Monte Carlo-Simulationen und gibt Intervallprognosen aus.
Und mit all diesen Verfahren unterschätzt man typischerweise die Variabilität der Zukunft noch immer massiv.
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Zitat Wenn jemand sagt: "Die Weltbevölkerung wird sich bei 9 Milliarden stabilisieren" dann heißt das nicht, daß er behaupten will, es werde exakt so kommen. Sondern er sagt, daß er diesen Wert für wahrscheinlicher hält als jeden anderen; daß er ihn eben als den Erwartungswert sieht.
Das. lieber Zettel, ist exakt der Grund, warum ich ein solches Buch in den Ofen werfen würde. Wenn sich jemand nicht mehr Mühe macht, seinen Fehler abzuschätzen, ist jede Prognose auf dem Niveau von Kaffeesatzleserei!
Zitat Wenn jemand sagt: "Die Weltbevölkerung wird sich bei 9 Milliarden stabilisieren" dann heißt das nicht, daß er behaupten will, es werde exakt so kommen. Sondern er sagt, daß er diesen Wert für wahrscheinlicher hält als jeden anderen; daß er ihn eben als den Erwartungswert sieht.
Das. lieber Zettel, ist exakt der Grund, warum ich ein solches Buch in den Ofen werfen würde. Wenn sich jemand nicht mehr Mühe macht, seinen Fehler abzuschätzen, ist jede Prognose auf dem Niveau von Kaffeesatzleserei!
Das ist, lieber Thomas, aber ein a bisserl vorschnelles Urteil über ein Buch, das du nicht kennst und über das du vermutlich außer dem, was ich geschrieben habe, auch nichts gelesen hast.
Das Buch basierte auf sehr sorgfältigen Analysen. Ich habe es mir aus dem Regal geholt; mal sehen, wie schnell ich es parallel zu dem lese, was sonst so noch auf meinem Nachttisch liegt. Vielleicht heute Nacht; vielleicht dauert es auch ein paar Tage.
Zitat Das ist, lieber Thomas, aber ein a bisserl vorschnelles Urteil über ein Buch, das du nicht kennst und über das du vermutlich außer dem, was ich geschrieben habe, auch nichts gelesen hast.
Das ist, lieber Zettel, meine Art, Zeit zu sparen! Ich habe in meinem Leben so viele Prognosen gelesen, die sich im Nachhinein fast allesamt als grob danebenliegend erwiesen haben (Meine Regale enthalten noch etliche dieser Bücher), daß ich Voraussagen nur noch lese, wenn ich beruflich dazu gezwungen bin. Ich gebe zu, ich amüsiere mich manchmal köstlich!
Zitat von ZettelDas Buch basierte auf sehr sorgfältigen Analysen. Ich habe es mir aus dem Regal geholt; mal sehen, wie schnell ich es parallel zu dem lese, was sonst so noch auf meinem Nachttisch liegt. Vielleicht heute Nacht; vielleicht dauert es auch ein paar Tage.
Greilings Prognosen basieren im wesentlichen auf zwei Faktoren: Der technischen Entwicklung und der demographischen Entwicklung. Aus ihrem Wechselspiel leitet er seine Vorhersagen ab.
Für die Abschätzung der technischen Entwicklung benutzt er Erfahrungswerte aus der Vergangenheit: Wie lange dauert es, um eine Erfindung zur Serienreife zu bringen? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein bestimmter Entwicklungsschritt getan werden kann? Dabei ist er sich natürlich im Klaren darüber, daß es unerwartete Durchbrüche geben kann und daß für die Umsetzung von Wissenschaft in Technik auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen eine Rolle spielen.
Beispiel Raumfahrt: Greiling untersucht, wie lange es jeweils dauerte, um eine technische Neuerung im Bereich des Transports "vom Entwurf bis zur vollen Entfaltung" zu bringen. Beim Motorflug rund zwanzig Jahre zwischen dem Flug der Gebrüder Wright 1903 und der kommerziellen Luftfahrt ab Mitte der zwanziger Jahre. Die Eisenbahn habe zwischen 1840 und 1860 "ihre typische Form gefunden". Eine ähnliche Spanne beim KfZ.
Das extrapoliert Greiling auf die Raketentechnik: Sie begann mit der V2; also werde sie rund zwanzig Jahre später - Mitte der sechziger Jahre - so weit entwickelt sein, daß Raketen für bemannte Raumflüge eingesetzt würden werden können.
Und er schreibt: "Wahrscheinlich ist das aber schon früher der Fall, da aus militärischen Erwägungen aller Raketenarbeiten beschleunigt vorangetrieben werden". Keine schlechte Prognose, nicht wahr? Gagarin flog 1961.
Bis zu einer Weltraumstation veranschlagte Greiling weitere zehn Jahre; er prognostizierte sie also für 1975. Das Salyut-Programm lief von 1971 bis 1982. Da er annahm, daß eine Mondexpedition von einer Raumstation starten würde und er auch für diesen Schritt den Erfahrungswert von 20 Jahren ansetzte, erwartete er sie für 1990.
Damit lag er falsch; aber nur, weil man den Weg des direkten Flugs ging. Und auch hier hatte er ein caveat: "... fiele die erste Mondexpedition großen Stils in die Zeit um 1990, vorausgesetzt, daß militärische Gründe nicht auch dieses Projekt beschleunigen und schon lange vor diesem Zeitpunkt verwirklichen". Publiziert 1954.
Ähnlich geht Greiling bei seinen demographischen Prognosen vor. Er beginnt mit Erfahrungswerten und versucht abzuschätzen, wieweit man sie extrapolieren kann.
Seit dem Beginn der Industrialisierung um 1830 gibt es, schreibt er, ein exponentielles Wachstum der Bevölkerung mit einem relativ konstanten Exponenten. Extrapoliert man das, dann ergibt sich auf der Basis einer Weltbevölkerung von 2,40 Milliarden zu dem Zeitpunkt, als Greiling das Buch publizierte, für 2010 beispielsweise eine Weltbevölkerung von 5,14 Milliarden. (Ich habe eben nachgesehen: der tatsächliche Wert liegt bei 6,80 Milliarden).
Nun kann, schreibt er, das exponentielle Wachstum natürlich nicht unbegrenzt weitergehen. Der bremsende Faktor ist just die Technik, die dieses Wachstum zunächst in Gang gebracht hat. Sie ermöglicht zunächst (dank besser Lebensbedingungen, ärztlicher Versorgung usw.) eine steigende Lebenserwartung, aber die Reproduktionsgewohnheiten bleiben noch weitgehend unverändert. Daher das schnelle Wachstum. Wächst mit der fortschreitenden Technik aber der allgemeine Wohlstand, dann ändern sich die Reproduktionsgewohnheiten. Die Geburtenrate sinkt.
Entscheidend ist nun, wann in den (zu Greilings Zeiten) noch kaum industrialisierten Ländern die Industrialisierung ein Niveau erreicht haben wird, das einen wachsenden allgemeinen Wohlstand und damit einen Rückgang der Geburtenrate bis zu dem Punkt zur Folge hat, an dem die Bevölkerung stabil bleibt.
Diesen Punkt sieht Greiling Mitte des 21. Jahrhunderts erreicht; und zwar aufgrund der europäischen Zahlen und vor allem der Zeit, die Japan bis zur Industrialisierung gebraucht hatte (knapp ein Jahrhundert). Also, argumentiert Greiling, ist zu erwarten, daß die (damals, um 1950) noch nicht industrialisierten Länder Asiens, Afrikas, Lateinamerikas bis Mitte des 21. Jahrhunderts industrialisiert sein werden.
Die demographische Extrapolation ergibt nun bis dahin - bis sich also die Weltbevölkerung stabilisiert - einen Wert von ungefähr 9 Millionen. Das ist für Greiling folglich der Erwartungswert, bei dem sich die Weltbevölkerung stabilisieren wird.
Er ist sich im Klaren, daß es sich um eine grobe Schätzung handelt. Immerhin war das eine Zahl, die damals als phantastisch galt. Greiling verwendet viele Details darauf, nachzuweisen, daß so viele Menschen überhaupt ernährt werden können, daß Wohlstand für so viele Menschen überhaupt geschaffen werden kann usw.
Ich finde, lieber Thomas, vor allem die Herangehensweise von Greiling beeindruckend. Demographie und Technik als die beiden dominierenden Faktoren; Berechnungen aufgrund von Extrapolationen zu ihnen und ihrer Interaktion: Das scheint mir eine rationale Art zu sein, Futurologie zu betreiben.
Herzlich, Zettel
Edit: "Die demographische Extrapolation ergibt nun bis dahin - bis sich also die Weltbevölkerung stabilisiert - einen Wert von ungefähr 9 Millionen" --> "Die demographische Extrapolation ergibt nun bis dahin - bis sich also die Weltbevölkerung stabilisiert - einen Wert von ungefähr 9 Milliarden". Dank an Uwe Richard für den Hinweis auf den Lapsus.
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