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Dieses Thema hat 31 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

20.02.2010 18:43
Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Es gibt Themen, auf die ich immer wieder zurückkomme, weil es Themen sind, die nun einmal immer wieder auftauchen. Dazu gehört die politische Instabilität, wie sie für Länder mit einem Verhältniswahlrecht typisch ist. Das aktuelle Beispiel ist Holland.

Forentourist Offline



Beiträge: 36

20.02.2010 21:54
#2 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Werter Zettel,

ich lese schon einige Jahre ihr Blog und finde nun endlich Zeit und Muße, mich einmal als Kommentator zu Wort zu melden.
Ihre Vorliebe für das Mehrheitswahlrecht haben sie ja schon des öfteren kundgetan. Als positives Beispiel führten sie meist die Mehrheitswahlsysteme im engeren "angelsächsischen" Raum auf, namentlich Großbritannien und die USA.
Das Mehrheitswahlrecht bietet im Regelfall klarere Verhältnisse, was parlamentarische Mehrheiten anbelangt, und verzichtet dafür auf eine breitere Repräsentation kleinerer Gruppen. Dies mag zwar die Arbeitsfähigkeit des Parlaments erhöhen, jedoch halte ich persönlich den dabei unter Umständen auftretenden Verlust reeller Mitbestimmungsmöglichkeiten für einen gravierenden Nachteil, den ich in ihren bisherigen Beiträgen zu dem Thema leider nur wenig gewürdigt fand.
Dies will ich an zwei Punkten verdeutlichen:
1. Theoretisch: Dem sogenannten "Gerrymandering" (Der deutsche Wikipedia-Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Gerrymandering liefert hier eine gute Erläuterung des Problems, der englische ist noch etwas ausführlicher), also der bewußten Zuschneidung von Wahlkreisen, um die Zahl der Abgeordneten einer Partei zu erhöhen. Solches Verhalten führt zu einer Marginalisierung von Bürgern, die das Pech haben, in einem Wahlkreis zu wohnen, in dem sie keine realistische Chance haben, den Kandidaten ihrer Wunschpartei zum Sieg zu verhelfen. Für Obama-Anhänger in Wyoming war es beispielsweise sinnlos, überhaupt zur Wahl zu gehen. Für McCain-Änhänger in Kalifornien oder New York galt das gleiche.

2. Praktisch: Durch den bewußten Zuschnitt von Wahlkreisen können auch "Erbhöfe" einzelner Parteien entstehen, die praktisch nicht mehr umkämpft werden und in denen es im Prinzip nur um die Entscheidung geht, wer für die "Sieger-Partei" aufgestellt wird, und kaum noch um den Wettstreit zwischen den Parteien. In USA und UK kommt es trotzdem regelmäßig zu Regierungswechseln auf gesamtstaatlicher Ebene. In Singapur, wo die Peoples Action Party seit 1959 mit absoluter Mehrheit regiert, oder Japan, das - mit einer kurzen Ausnahme in den 90ern - von den 1955 bis 2009 von der LDP verwaltet wurde, bildete sich jedoch eine starre politische Landschaft heraus, geprägt durch Gemauschel zwischen einer faktischen Staatspartei und anderen Interessengruppen. In Japan brauchte es etliche Parteiaffären der LDP und den Zusammenschluß überaus heterogener Gruppen zur "Demokratische Partei Japans", um endlich einen Regierungswechsel herbeizuführen - zumindest für eine Legislaturperiode.

Bei der "Wahl der Wahlsysteme" sehe ich daher nicht nur die Gefahr, keine handlungsfähige Regierung zu bekommen (Verhältniswahl), sondern auch die Möglichkeit, per Mehrheitswahl eine Regierung zu bekommen, die man kaum noch los wird, weil sie es versteht, die Opposition auseinander zu halten und sich durch die Abgrenzung der Wahlkreise selbst Mehrheiten zu schaffen. USA und UK haben lange etablierte Zweiparteiensysteme. In den relativ jungen Demokratien Japan und Singapur führte das gleiche System zur Erstarrung.
Ich erinnere mich auch noch an Trotzki, der über das "Wunder der Demokratie in Bulgarien" vor dem 1. Weltkrieg schrieb: Der König beruft eine bisher marginale Partei an die Regierung und läßt Neuwahlen abhalten: Die Regierungspartei gewinnt haushoch, weil ihr eine relative Mehrheit und die Zersplitterung der übrigen Parteien reicht. Wenig später wird eine neue Partei mit der Regierungsbildung beauftragt und bei der folgenden Wahl stürzt die alte wieder in die Bedeutungslosigkeit. (Unter http://books.google.de/books?id=tEJmenVP...mocracy&f=false habe ich eine englische Version "The Enigma of Bulgarian Democracy" gefunden). Eine ungeeignete Verfassung oder Parteienlandschaft führt also offenbar nicht zur gewünschten Stablilität, trotz Mehrheitswahlrecht.

Liebstes Beispiel der Kritiker des Verhältniswahlrechts ist meist der Reichstag der Weimarer Republik. Dieser war sicher sehr zersplittert, was die Regierungsbuildung verkomplizierte.
Auf der anderen Seite: Hätte es 1933 ein Mehrheitswahlrecht gegeben, die NSDAP hätte haushoch gewonnen. Wer hätte sie dann aber bei den nächsten Wahlen 1937 realistischerweise schlagen können? Eine sozialdemokratisch-katholisch-kommunistisch-konservativ-liberale Partei vielleicht - aber wer hätte eine solche Allianz bilden können? Die damalige SPD war noch keine Volkspartei, das wurde sie erst in den 50ern nach Godesberg und dem Beitritt bürgerlicher Kräfte um Heinemann.
Auch die CDU tat sich anfangs in einigen Gegenden schwer, blieb deutlich hinter anderen bürgerlichen Parteien wie der DP (und in meinem Heimatkreis auch DRP und SRP). Ein Mehrheitswahlrecht hätte 1949 also kaum zu einer größeren Stablilität geführt, weil die notwendigen Blöcke - ein "Halblinker" und ein "Halbrechter" - noch fehlten.
Deutschlands Bevölkerung war seit dem späten Kaiserreich dreigeteilt: sozialistisch(marxistisch, atheistisch, sozialdemokratisch etc.), katholisch, protestantisch-konservativ, dazwischen irgendwo ein paar liberale Einsprengsel. Um unter diesen Verhältnissen eine Mehrheit zu erlangen, bedurfte es der Koalition von mindestens 2 dieser Blöcke, die kaum miteinander zu vereinbaren waren. In einem Verhältniswahlsystem kann dies temporär und nur für bestimmte Themen sein, vorzugsweise durch Absprachen im Parlament. In einem Mehrheitssystem hätte dies jedoch auch organisatorisch geschehen müssen, also durch gemeinsame Listen oder gemeinsame Wahlvorschläge, wie dies zur Weimarer Zeit bei den Präsidentschaftswahlen der Fall war. Das Ergebnis war, daß Hindenburg erst durch eine vereinte Rechte an die Macht gebracht wurde, den Machterhalt aber im Wesentlichen einer antihitlerschen Mittelinks-plus-preußischkonservativ-Koalition verdankte - ein seltenes (und seltsames) Schauspiel und sicher nicht das, was ich unter "Stabilität" verbuchen würde.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

20.02.2010 22:46
#3 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Lieber Forentourist,

vielen Dank für diesen inhaltsreichen Beitrag, und herzlich willkommen als Aktiver! (Mancher fährt ja als Tourist wohin und bleibt dann dort; jedenfalls für eine gewisse Zeit, wie der Hans Castorp . Das würde mich bei Ihnen freuen).

Zitat von Forentourist
Das Mehrheitswahlrecht bietet im Regelfall klarere Verhältnisse, was parlamentarische Mehrheiten anbelangt, und verzichtet dafür auf eine breitere Repräsentation kleinerer Gruppen. Dies mag zwar die Arbeitsfähigkeit des Parlaments erhöhen, jedoch halte ich persönlich den dabei unter Umständen auftretenden Verlust reeller Mitbestimmungsmöglichkeiten für einen gravierenden Nachteil, den ich in ihren bisherigen Beiträgen zu dem Thema leider nur wenig gewürdigt fand.


Ich kann diesen Nachteil nicht sehen, jedenfalls nicht als generelles Problem. Auch unter dem Mehrheitswahlrecht können doch kleine Gruppen vertreten sein. Unter dem Dach der großen Parteien gibt es viele Gruppen, Strömungen, caucuses. In Frankreich mit (jetzt) einem Dreiparteiensystem sehr ähnlich dem in der alten Bundesrepublik (UMP, PS und MoDem) wimmeln die Parteien geradezu von courants; nach dem Vorbild der römischen Antike oft um eine Leitfigur geschart - es gab also früher mitterandistes und rocardiens, heute fabiusiens und strauss-kahniens usw.

Es geht aus meiner Sicht nicht um die Vielfalt der Meinungen - die bleibt in beiden Systemen im Prinzip gewahrt -, sondern nur darum, wie sie organisiert ist. Als die CDU in den fünfziger Jahren die DP, Teile des BHE, Teile der FDP aufgesogen hat, wurde sie eben zugleich breiter und vielfältiger. Aus der Vielfalt von Parteien wurde eine Vielfalt innerhalb der Union. Vielfalt blieb sie.

Zitat von Forentourist
1. Theoretisch: Dem sogenannten "Gerrymandering" (Der deutsche Wikipedia-Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Gerrymandering liefert hier eine gute Erläuterung des Problems, der englische ist noch etwas ausführlicher), also der bewußten Zuschneidung von Wahlkreisen, um die Zahl der Abgeordneten einer Partei zu erhöhen. Solches Verhalten führt zu einer Marginalisierung von Bürgern, die das Pech haben, in einem Wahlkreis zu wohnen, in dem sie keine realistische Chance haben, den Kandidaten ihrer Wunschpartei zum Sieg zu verhelfen. Für Obama-Anhänger in Wyoming war es beispielsweise sinnlos, überhaupt zur Wahl zu gehen. Für McCain-Änhänger in Kalifornien oder New York galt das gleiche.


Lag das tatsächlich am Zuschnitt der Wahlkreise? Obama hat in Kalifornien 61 Prozent des popular vote bekommen, McCain 37,2 Prozent. Andererseits hat Kalifornien den Republikaner Schwarzenegger (wenn auch einen demokratisch angehauchten) zum Gouverneur gewählt, und früher einmal Ronald Reagan.

Aber ich stimme Ihnen zu: Der Zuschnitt der Wahlkreise kann problematisch sein. Aber ich sehe kein generelles Problem für das Mehrheitswahlrecht. Man kann den Zuschnitt unabhängigen Kommissionen übertragen, man kann ihn gerichtlich nachprüfbar machen. Wenn ich mich recht erinnere, ist das bei uns sogar verfassungsrechtlich geboten, weil jede Stimme eines Wählers (anähernd) dasselbe Gewicht haben muß.

Zitat von Forentourist
2. Praktisch: Durch den bewußten Zuschnitt von Wahlkreisen können auch "Erbhöfe" einzelner Parteien entstehen, die praktisch nicht mehr umkämpft werden und in denen es im Prinzip nur um die Entscheidung geht, wer für die "Sieger-Partei" aufgestellt wird, und kaum noch um den Wettstreit zwischen den Parteien.


Ja, das ist ein Problem. In der alten Bundsrepublik gab es für gewissen Wahlkreise in Bayern oder auch in Paderborn oder Vechta den Spruch: Wenn man einen Kehrbesen aufstellen würde, dann würde der auch gewählt werden, nur schwarz angestrichen müßte er sein.

Aber bedenken Sie bitte, daß jedenfalls im Prinzip der Wähler stets die Möglichkeit hat, auch einen solchen Erbhof zu kippen, und das geschieht ja auch regelmnäßig im UK. "Sichere" Wahlkreise wandern zur Gegenseite, wenn der nationale swing groß genug ist; oder jemand wird abgewählt, weil er sich persönlich etwas hat zuschulden kommen lassen.

Beim Listenwahlrecht hingegen hat der Wähler überhaupt keinen Einfluß auf die personelle Zusammensetzung der Gruppe im Parlament. Es entscheidet allein der Parteiapparat. Unser Wahlrecht modifiziert das immerhin durch die Erststimme.

Zitat von Forentourist
In Singapur, wo die Peoples Action Party seit 1959 mit absoluter Mehrheit regiert, oder Japan, das - mit einer kurzen Ausnahme in den 90ern - von den 1955 bis 2009 von der LDP verwaltet wurde, bildete sich jedoch eine starre politische Landschaft heraus, geprägt durch Gemauschel zwischen einer faktischen Staatspartei und anderen Interessengruppen. In Japan brauchte es etliche Parteiaffären der LDP und den Zusammenschluß überaus heterogener Gruppen zur "Demokratische Partei Japans", um endlich einen Regierungswechsel herbeizuführen - zumindest für eine Legislaturperiode.


Ich sehe da eigentlich keinen Zusammenhang mit dem Wahlrecht, lieber Forentourist. In Schweden hatten die Sozialdemokraten unter dem Verhältniswahlrecht eine ähnlich lange Regierungsperiode. Und wie leicht andererseits unter dem Mehrheitswahlrecht Regierungswechsel möglich sind, zeigen ja die beiden von Ihnen genannten klassischen Länder des Mehrheitswahlrechts UK und USA.

Zitat von Forentourist
Beispiel der Kritiker des Verhältniswahlrechts ist meist der Reichstag der Weimarer Republik. Dieser war sicher sehr zersplittert, was die Regierungsbuildung verkomplizierte.
Auf der anderen Seite: Hätte es 1933 ein Mehrheitswahlrecht gegeben, die NSDAP hätte haushoch gewonnen.


Sie wäre unter einem Mehrheitswahlrecht seit 1919 sehr wahrscheinlich niemals so stark geworden, um irgendwann gewinnen zu können. Ein Motiv (natürlich neben anderen) für die Wahl der NSDAP war die Unzufriedenheit mit der "Schwatzbude", mit den ständigen Krisen und Regierungswechseln. Unter stabilen Regierungen hätte sich die Republik damals ganz anders entwickeln können, als es tatsächlich geschah.

Ich weiß, "was wäre gewesen, wenn ..."

Aber ein schlagendes Beispiel ist Frankreich: Von 1945 bis 1958, also in der Vierten Republik, der "kranke Mann Europas"; unfähig, sich unter den ständig wechselnden Regierungen zu modernisieren. Außenpolitisch mit minimalem Einfluß und entscheidungsschwach; siehe Indochina, siehe Nordafrika.

Seit der Gründung der Fünften Republik ist Frankreich politisch stabil und hat sich zu einem der modernsten Länder Europas gewandelt. Wobei auch dort Stabilität keineswegs die Dauerregierung einer Partei bedeutet, sondern den regelmäßigen demokratischen Wechsel. Entscheidend war - neben der Persönlichkeit des Generals de Gaulle - das Wahlrecht.

Das Mehrheitswahlrecht sicherte den Gaullisten lange Zeit - bis 1980 - die Mehrheit. Es zwang aber auch die zersplitterte demokratische Linke, sich im PS zu vereinigen und legte damit die Grundlage für die sozialistischen
Regierungen ab 1980.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

21.02.2010 11:15
#4 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Sehr schön, die alten Beiträge und damit die Diskussionen dazu sind verlinkt.

Dann muß ich meine Beiträge von damals nicht wiederholen.

Nur kurz das Fazit: Das Mehrheitswahlrecht bringt eine Reihe von Nachteilen, aber KEINE Vorteile.

Insbesondere ist es ein Trugschluß zu glauben, es würde zu weniger Parteien im Parlament führen (das Parlament in Europa mit den meisten Parteien ist das in London!).
Und noch deutlicher falsch ist die Vorstellung, ein Mehrheitswahlrecht hätte irgendeinen Bezug zur politischen Stabilität.

Die USA sind als Beispiel sowieso kaum brauchbar, weil die Parteien dort nur eine Nebenrolle spielen. Und im UK liegt die Stabilität weniger am Wahlrecht selber, als am Mißbrauch des Wahlkreiszuschnitts durch die Regierung - nicht umsonst gibt es dort starke Bestrebungen, endlich vom alten Mehrheitswahlrecht wegzukommen.

Eine durchaus wünschenswerte Reform des reinen Listenwahlrechts erreicht man nicht durch die Rückkehr zu antiquierten Wahlformen, sondern durch die Einführung von Personalisierungselementen, dafür gibt es gute Vorbilder (z. B. in Irland).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

21.02.2010 11:35
#5 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von R.A.
Sehr schön

Als ich diesen Anfang las, dachte ich schon, ich hätte Sie bekehrt?

Aber werch ein Illtum ...

Zitat von R.A.
Das Mehrheitswahlrecht bringt eine Reihe von Nachteilen, aber KEINE Vorteile. Insbesondere ist es ein Trugschluß zu glauben, es würde zu weniger Parteien im Parlament führen.


Wann gab es im UK die letzte Koalitionsregierung? Wann gab es in Frankreich die letzte Regierung, die sich nicht auf eine Koalition ausschließlich aus verbündeten Parteien stützte (entweder der Linken oder der Rechten, die einander schon bei den Wahlen geholfen hatten)?

Wann mußte in einem dieser beiden Länder das letzte Mal eine Regierung zurücktreten oder wurde sie gestürzt, weil sie ihre Mehrheit im Parlament verloren hatte?

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

21.02.2010 12:27
#6 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Zettel
Als ich diesen Anfang las, dachte ich schon, ich hätte Sie bekehrt?


Ein verstockter Ketzer, da muß ein Grad gesteigert werden

Zitat
Wann gab es im UK die letzte Koalitionsregierung?


Nun ja, 1974 mußte es Neuwahlen geben, weil die 12 Parteien im Parlament sich nicht auf eine Mehrheit einigen konnten.

Ansonsten ist das UK eben ein ganz schlechtes Beispiel, weil dort die Regierung ganz absurde Möglichkeiten hat, das Wahlergebnis zu manipulieren (siehe Beitrag von Forumstourist zum Gerrymandering).
Ein paar Beispiele:
1951 haben die Tories mit 44,3% die Wahl gewonnen (gegen Labour mit 48,8%).

1983 reichten ihnen 42,3% fast für eine Zweidrittelmehrheit.
Das war auch die Wahl, wo die Liberalen mit 25,4% nur 23 Sitze bekamen, Labour mit 27,6% dagegen 209.
Dieses völlig abstruse Beispiel einer Wahlauswertung reicht für mich eigentlich schon, um das Verfahren völlig zu diskreditieren.
1987 lief es ähnlich.

1992 reichten sogar magere 41,9% für eine absolute Mehrheit im Parlament, 2001 waren es nur noch 40,7%

Und der Tiefpunkt war dann 2005. Durch noch aggressiveres Gerrymandering konnte sich Labour mit gerade einmal 35,3% eine breite Mehrheit an Sitzen sichern - da hat man dann schon Schwierigkeiten, das noch als demokratische Legitimation zu sehen.

Die Stabilität einer Regierung ist durchaus ein Wert, aber doch nicht so hoch zu hängen, daß alle anderen Aspekte so marginalisiert werden. Wobei es ja auch Beispiele gibt, daß diese englischen Regierungen nur auf dem Papier stabil waren. Siehe die Endphase der Regierung Major, wo dauernd merkwürdigste Zugeständnisse an irgendwelche Hinterbänkler gemacht werden mußten, um die Regierung noch ein paar Monate weiter im Amt zu halten. Ein Regierungssturz mit vorzeitigen Neuwahlen wäre da deutlich besser und ehrlicher gewesen.

Und Frankreich? Das hat halt seine sehr speziellen politischen Strukturen, mit vielen Parteien, Parteienbündnissen, Wahlverabredungen, der starken Stellung der Präsidenten - da ist das Wahlverfahren eher nachrangig. Sieht man ja daran, daß einige Male zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gewechselt wurde, ohne daß das am Politikbetrieb strukturell viel geändert hätte.

Zitat
Wann mußte in einem dieser beiden Länder das letzte Mal eine Regierung zurücktreten oder wurde sie gestürzt, weil sie ihre Mehrheit im Parlament verloren hatte?


Wie schon beim Major-Beispiel: Ich halte es nicht für einen Vorteil, daß selbst eine innerlich kaputte Regierung um jeden Preis an der Macht gehalten wird.
Wir hatten in Deutschland nach 1945 bisher drei Fälle von vorzeitiger Parlamentsauflösung. Das ist m. E. nicht zuviel für ein halbes Jahrhunder. Jedes Mal gab es auch einen wichtigen innenpolitischen Grund und es hätte nur unnötige Stagnation gebracht, wenn man die alte Regierung noch über die volle Amtsperiode geschleppt hätte.

Umgekehrt war Italien über Jahrzehnte auch nur vordergründig instabil. Was dort als "Regierungskrise" galt, wäre in anderen Ländern einfach nur eine Kabinettsumbildung gewesen. De facto haben dort aber dieselben Parteien und Personen über lange Zeit regiert, das hätte mit einem anderen Wahlrecht auch nicht besser laufen können.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

21.02.2010 14:30
#7 Unternehmen; UK Antworten

Lieber R.A.

ich antworte in zwei Teilen, damit es nicht zu unübersichtlich wird.

Zuerst will ich zu begründen versuchen, warum ich so großen Wert auf Stabilität lege.

Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen würde so geführt wie die Regierungstätigkeit gegenwärtig in Holland, zuvor in der Vierten Republik usw.; ich brauche sie ja nicht immer alle aufzuzählen.

Das Unternehmen wäre vermutlich in kurzer Zeit am Ende. Denn kaum hat ein Unternehmenskonzept zu greifen begonnen, ist schon wieder ein neuer Vorstand mit einem anderen Konzept da. Kaum haben sich Mitarbeiter eingearbeitet, da werden sie schon wieder durch neue ersetzt, die zunächst keine Ahnung haben.

Stellen Sie sich weiter vor, daß die jeweiligen Vorstände Koalitionen aus Gruppen sind, die völlig gegensätzliche Ziele verfolgen. Die einen wollen expandieren, die anderen konsolidieren; dritten geht es nur um die Erhaltung von Arbeitsplätzen, wieder anderen nur um ihr eigenes Salär. Mit jedem Vorstandswechsel wird das Kaleidoskop geschüttelt, und es purzelt eine neue Konstellation heraus.

Sie haben dann geradezu ein Horror-Unternehmen. So funktioniert das Regieren in der Regel unter dem Verhältniswahlrecht.

Zitat von R.A.
Nun ja, 1974 mußte es Neuwahlen geben, weil die 12 Parteien im Parlament sich nicht auf eine Mehrheit einigen konnten.


Sie haben ja die Zahl der Parteien im House of Commons schon einmal angeführt, ich bin nicht darauf eingegangen. Denn die Zahl ist doch belanglos, solange eine dieser Parteien die absolute Mehrheit hat. Niemand erwartet ja eine monolithische Opposition. In aller Regel hat im Unterhaus eine Partei die absolute Mehrheit.

Zitat von R.A.
Ansonsten ist das UK eben ein ganz schlechtes Beispiel, weil dort die Regierung ganz absurde Möglichkeiten hat, das Wahlergebnis zu manipulieren (siehe Beitrag von Forumstourist zum Gerrymandering).

Ein paar Beispiele:
1951 haben die Tories mit 44,3% die Wahl gewonnen (gegen Labour mit 48,8%).
1983 reichten ihnen 42,3% fast für eine Zweidrittelmehrheit.
Das war auch die Wahl, wo die Liberalen mit 25,4% nur 23 Sitze bekamen, Labour mit 27,6% dagegen 209.


Ja und? Wo steht denn geschrieben, daß die Zahl der Mandate proportional zum popular vote sein sollte?

Ich habe das nie verstanden. Beim Fußball ist ja auch so gut wie egal, wie hoch jemand gewonnen hat, sofern er nur gewonnen hat (es sei denn, daß es einmal Punktegleichheit gibt; und ich rede jetzt von der Bundesliga). Beim Tennis kann es ohne weiteres passieren, daß jemand siegt, obwohl er weniger Punkte gewonnen hat als der Gegner.

Es geht bei den Zahlen, die Sie nennen, um zwei ganz verschiedene Fragen. Erstens ist das Mehrheitswahlrecht eben dieses und kein Proportional-Wahlrecht; das ist ja gerade sein Sinn. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sollen ausdrücklich nicht proportional zur Stimmenverteilung im popular vote sein. Ich wüßte nicht, was dagegen zu sagen wäre.

Zweitens kann der Zuschnitt der Wahlkreise zu Verzerrungen führen. Nicht immer ist das Manipulation; meist kommen die Verzerrungen durch Bevölkerungsbwegungen zustande. Also muß der Zuschnitt gelegentlich korrigiert werden, wie es in Deutschland ja auch geschieht.

Manipulationen können vorkommen und sollten gesetzlich unterbunden werden. Aber wie ich schon Forumstourist geantwortet habe: Das hat nichts mit dem Mehrheitswahlrecht als solchem zu tun. Und es wäre in Deutschland ja gar nicht möglich, wo das BVerfG darüber wacht, daß alle Stimmen annähernd denselben "Erfolg" haben.

Zitat von R.A.
1992 reichten sogar magere 41,9% für eine absolute Mehrheit im Parlament, 2001 waren es nur noch 40,7%
Und der Tiefpunkt war dann 2005.


So soll es sein. So entsteht eben Stabilität. Gerade in einem Land ist das gut, in dem es viele kleine Parteien gibt. Siehe Israel, wo die Religiösen sich meistbietend an diejenige Koalition verkaufen, die ihnen das meiste Geld für ihre Einrichtungen und die strengsten Gesetze bietet. Wollen Sie, daß im UK die Scottish Nationalists der Partei, der sie zur Macht verholfen haben, ähnlich erpressen? Und wenn Labour nicht genug Subsidien nach Schottland schickt, dann wechselt man eben zu den Tories?

Zitat von R.A.
Wobei es ja auch Beispiele gibt, daß diese englischen Regierungen nur auf dem Papier stabil waren. Siehe die Endphase der Regierung Major, wo dauernd merkwürdigste Zugeständnisse an irgendwelche Hinterbänkler gemacht werden mußten, um die Regierung noch ein paar Monate weiter im Amt zu halten. Ein Regierungssturz mit vorzeitigen Neuwahlen wäre da deutlich besser und ehrlicher gewesen.


Vorzeitige Neuwahlen sind gerade im UK ja leicht möglich; dh im Grunde gibt es sie gar nicht, weil die Regierung jederzeit innerhalb der Legislaturperiode reguläre Neuwahlen ausrufen kann.

Im übrigen sind solche Fälle von Erpressung ja kein Argument gegen das Mehrheitswahlrecht, denn sie kommen beim Verhältniswahlrecht - s.o. - viel regelmäßiger vor.

Soweit erst einmal.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

21.02.2010 15:10
#8 Frankreich; Deutschland Antworten

Lieber R.A.,

weiter geht's:

Zitat von R.A.
Und Frankreich? Das hat halt seine sehr speziellen politischen Strukturen, mit vielen Parteien, Parteienbündnissen, Wahlverabredungen, der starken Stellung der Präsidenten - da ist das Wahlverfahren eher nachrangig. Sieht man ja daran, daß einige Male zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gewechselt wurde, ohne daß das am Politikbetrieb strukturell viel geändert hätte.


In der Vierten Republik gab es das Verhältniswahlrecht. 1958 wurde mit der Verfassung der Fünften Republik das Mehrheitswahlrecht für die Nationalversammlung eingeführt.

Es gilt bis heute, lediglich unterbrochen von einer kurzen Periode, als Mitterand das Verhältnisrecht hatte einführen lassen. Ein typisches Mitterand-Manöver: Er wollte erreichen, daß dadurch der Front National gestärkt und damit die demokratische Rechte geschwächt werden würde. Aber diesem Gesetz vom 15. Juli 1985 war nur ein kurzes Leben beschieden, denn bereits bei den Wahlen im März 1986 verlor Mitterand - trotz der versuchten Manipulation - seine Mehrheit in der Nationalversammlung; die neue bürgerliche Mehrheit führte sofort wieder das Mehrheitswahlrecht ein.

Zitat von R.A.
Wir hatten in Deutschland nach 1945 bisher drei Fälle von vorzeitiger Parlamentsauflösung. Das ist m. E. nicht zuviel für ein halbes Jahrhunder. Jedes Mal gab es auch einen wichtigen innenpolitischen Grund und es hätte nur unnötige Stagnation gebracht, wenn man die alte Regierung noch über die volle Amtsperiode geschleppt hätte.


Eine vorzeitige Auflösung des Parlaments sieht das Grundgesetz nur unter sehr speziellen Bedingungen vor; und interessanterweise hat dann der Bundespräsident das Heft in der Hand (dessen Amt 1949 viel politischer angelegt war, als es sich dann entwickelt hat, aber das ist eine andere Geschichte); zB wenn bei der Wahl des Kanzlers auch im dritten Wahlgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht oder wenn ein Kanzler das Vertrauen der ihn tragenden Mehrheit verloren hat. In allen drei Fällen war das nicht der Fall, und es mußte bekanntlich mehr oder weniger getrickst (naja, sagen wir: das GG ausgeschöpft) werden.

Das Grundgesetz tut sozusagen alles für Stabilität, gegeben das Verhältniswahlrecht (5-Prozent-Hürde; konstruktives Mißtrauensvotum; keine Selbstauflösung des Bundestags). Ich sehe deshalb auch das Problem bei uns nicht so sehr darin, daß während einer Legislaturperiode die Regierung zerbricht und keine neue zustandekommt, sondern daß nur unnatürliche Koalitionen möglich sind; also solche zwischen Parteien, die ganz verschiedene Ziele verfolgen.

Das scheint ja jetzt sogar bei der Tigerente der Fall zu sein. Im Presseclub hat heute Thomas Schmid dazu etwas Kluges gesagt: Die früheren Koalitionen aus Union und FDP paßten zusammen wie zwei Legosteine, weil die Union den konservativen und die FDP den liberalen Aspekt des bürgerlichen Lagers abdeckte. Die Union ist aber immer weniger eine konservative Partei.Und in der Tat: Die FDP ist heute nicht mehr der natürliche Partner der Union. (Das ist mir auch erst allmählich klargeworden).

Wenn jetzt auch noch die Grünen nach rechts wandern, indem bei ihnen die Generation der besserverdienenden Edelgrünen endgültig das Heft übernimmt, und wenn die SPD in einen sozialdemokratischen und einen sozialistischen Flügel zerfällt, dann haben wir schon so ziemlich holländische Verhältnisse: Jeder kann mit jedem eine Regierung bilden; keiner kann mit irgendwem stabil regieren.

Jetzt fehlen nur noch eine rechtskonservative und eine rechtsextreme Partei im Bundestag, dann haben wir Weimarer Verhältnisse.

Herzlich, Zettel

Florian Offline



Beiträge: 3.180

22.02.2010 13:30
#9 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Lieber Zettel,

vielleicht unterschätzen Sie etwas die möglichen Verzerrungs-Effekte bei den Wahlkreis-Zuschnitten.

Erstens einmal gibt es ganz "harmlose" Effekte, die auch ohne bösen Willen der Regierung auftauchen.

Zum Beispiel gewinnen in England die Tories ihre Wahlkreise im Schnitt wesentlich deutlicher als Labour.
Wenn Labour jeden Kreis mit 5% Vorsprung gewinnt und die Tories ihre mit 20%, kann ganz leicht eine konservative Wähler-Mehrheit eine Mandatsmehrheit verfehlen. (Nota bene wäre der Effekt in Deutschland ähnlich nachteilhaft für die Union: die ganzen schönen 70%-Mehrheiten in Altötting würden der CSU nicht mehr nutzen, als der SPD ihre 35% in Potsdam).

Im übrigen bin ich mir nicht sicher, ob wir in Deutschland nicht schon den Punkt überschritten haben, bei dem ein Mehrheitswahlrecht für klare parlamentarische Mehrheiten sorgen würde.
Schauen wir uns einmal die Direktmandate bei der Wahl 2005 an:
CDU+CSU: 150, SPD: 145, Die Linke: 3, Grüne: 1
Es hätte also eine hauchdünne (und wahrlich nicht stabile, da bei jeder Nachwahl kippbare) Mehrheit von CDU+CSU gegeben (die ja selbst auch schon 2 Parteien sind und keinesfalls ein monolithischer Block).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

22.02.2010 13:56
#10 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Lieber Florian,

Zitat von Florian
vielleicht unterschätzen Sie etwas die möglichen Verzerrungs-Effekte bei den Wahlkreis-Zuschnitten.


Ich räume durchaus ein, daß sie beträchtlich sein können. Aber wie schon geschrieben: Man kann diese Verzerrung vermeiden, indem die Wahlkreise von einer unabhängigen Institution oder Kommission in regelmäßigen Abständen der Bevölkerungsentwicklung angepaßt werden. Und auch das noch einmal gesagt: In Deutschland wacht das BVerfG darüber, daß alle Stimmen ungefähr dasselbe Gewicht haben.

Zitat von Florian
Im übrigen bin ich mir nicht sicher, ob wir in Deutschland nicht schon den Punkt überschritten haben, bei dem ein Mehrheitswahlrecht für klare parlamentarische Mehrheiten sorgen würde. Schauen wir uns einmal die Direktmandate bei der Wahl 2005 an: CDU+CSU: 150, SPD: 145, Die Linke: 3, Grüne: 1

Es hätte also eine hauchdünne (und wahrlich nicht stabile, da bei jeder Nachwahl kippbare) Mehrheit von CDU+CSU gegeben (die ja selbst auch schon 2 Parteien sind und keinesfalls ein monolithischer Block).


Diese Rechnung setzt voraus, daß sich die Wähler unter einem Mehrheitswahlrecht so verhalten würden, wie sie das jetzt in Bezug auf die Erststimmen tun. Ich glaube nicht, daß diese Voraussetzung zutrifft.

Ich plädiere für die französische Variante des Mehrheitswahlrechts mit zwei Wahlgängen. Im ersten Wahlgang ist gewählt, wer die absolute Mehrheit erreicht. Im zweiten Wahlgang genügt die relative Mehrheit.

In den zweiten Wahlgang kann jeder Kandidat gehen, der mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erreicht hat, also ein Achtel. Faktisch gehen aber nur aussichtsreiche Kandidaten in den zweiten Wahlgang. Die anderen scheiden freiwillig aus (désistement), aber natürlich nicht uneigennützig: Aufgrund von Absprachen zwischen den Parteien innerhalb eines (also des linken oder des rechten) Lagers ziehen sich die Kandidaten jeweils zugunsten eines Kandidaten desselben Lagers zurück.

Da das auf Gegenseitigkeit beruht, kommen am Ende alle Parteien eines Lagers ins Parlament. Insofern gibt es trotz des Mehrheitswahlrechts eine Koalition; aber sie ist stabil, weil man aufeinander angewiesen ist.

Unter einem solchen Wahlrecht wählen die Wähler im ersten Wahlgang in der Regel "ihrem Herzen folgend" und im zweiten taktisch. Das Wahlverhalten wäre also auch in Deutschland sehr wahrscheinlich ganz anders, als es dem jetzigen Bild der Zweitstimmen entspricht.

Herzlich, Zettel

Korrektur: Im letzten Satz sollte es "Erststimmen" heißen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.02.2010 14:27
#11 RE: Unternehmen; UK Antworten

Zitat von Zettel
Zuerst will ich zu begründen versuchen, warum ich so großen Wert auf Stabilität lege.


Gar nicht nötig, da sind wir uns schon einig.
Stabilität ist ein wichtiges Ziel - aber eben nicht das alleinige.
Sonst müßte man die Einparteien-Diktatur wieder einführen, die ist stabilitätsmäßig nicht zu übertreffen.

Es geht auch darum, daß die Wähler eine Regierung auswechseln können - so ein Wechsel widerspricht zwar dem Prinzip der Stabilität, diese Möglichkeit ist aber explizit gewünscht. Und das sollte auch nicht dadurch erschwert werden, daß sich die Regierung per Wahlrecht unfaire Vorteile sichern kann.

Zitat
Ja und? Wo steht denn geschrieben, daß die Zahl der Mandate proportional zum popular vote sein sollte?


Das ist im Prinzip direkt aus dem Demokratieprinzip ableitbar. Demokratie bedeutet letztlich, daß Entscheidungen mit dem Mehrheitsprinzip entschieden werden. Die Legitimation einer Regierung beruht darauf, daß sie die Mehrheit vertritt.

In der direkten Demokratie ist völlig klar, daß Entscheidungen nur gefaßt werden können, wenn es eine absolute Mehrheit dafür gibt. Das ist die Normalität auch in jedem Verein, in jeder Bürgerversammlung, wo immer abgestimmt wird.

Da 60 Millionen wahlberechtigte Deutsche sich nicht auf dem Marktplatz versammeln können, wird indirekt über Repräsentanten abgestimmt. Und dabei müssen technisch bedingt leicht Verzerrungen in Kauf genommen werden - aber grundsätzlich sollte es schon so sein, daß die Mehrheit im Parlament auch eine Mehrheit in der Bevölkerung repräsentiert.

Zitat
Erstens ist das Mehrheitswahlrecht eben dieses und kein Proportional-Wahlrecht; das ist ja gerade sein Sinn.


Das Mehrheitswahlrecht hat keinen "Sinn" der Art, daß man es gezielt auf irgendeinen Zweck konstruiert hätte. Schon gar nicht auf den Zweck "Stabilität" - denn das Mehrheitswahlrecht garantiert in keiner Weise eine absolute Mehrheit im Parlament. Es ist historisch gewachsen, war einfach die erste praktizierbare Möglichkeit, "das Volk" zu repräsentieren. Und es war sinnvoll, solange in jedem Wahlkreis unabhängige Einzelkandidaten antraten - ohne übergreifende Parteiorganisation.

Zitat
Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament sollen ausdrücklich nicht proportional zur Stimmenverteilung im popular vote sein.


Das ist falsch. Es gab nie einen Gestaltungswillen in dieser Richtung. Das popular vote gab es früher nicht (das kann man nur berechnen, wenn es Parteien gibt).

Zitat
Nicht immer ist das Manipulation; meist kommen die Verzerrungen durch Bevölkerungsbwegungen zustande.


Bei uns - weil sich bei unserem Wahlrecht Manipulation nicht lohnt. In den Ländern mit Mehrheitswahlrecht ist Manipulation ständige Praxis und kann auch nicht durch Formalia oder "unabhängige Kommissionen" unterbunden werden. Man kann maximal einen zu starken Größenunterschied zwischen den Wahlkreisen vermeiden, den Manipulationseffekt durch den Zuschnitt aber nicht.

Zitat
So soll es sein.


Lieber Zettel, wenn Sie selbst ein mageres Drittel der Wählerschaft für ausreichend halten, um ein Land mit absoluter Mehrheit regieren zu dürfen - wie stark dürfen denn dann die Verzerrungen sein, um die heilige Stabilität zu erreichen?
Wenn 20 Parteien bei 5% liegen - fänden Sie dann auch die eine Partei mit 5,5% für legitimiert, das Land alleine zu regieren?

Mal abgesehen davon, daß selbst eine in meinen Augen so krass undemokratische Parlamentsbesetzung keine Stabilität garantiert - die hängt nämlich viel stärker davon ab, wie stark die interne Parteidisziplin ist.
Die Regierung Major hatte immer eine formale Mehrheit, und war doch die schwächste und unstabilste seit dem Krieg. Die Erpressung einer Regierung durch einzelne Hinterbänkler ist viel problematischer als ein Koalitionskrach - der ist meistens wenigstens transparent.

Es fragt sich überhaupt, warum Sie überhaupt ein Parlament wollen. Denn eigentlich müßte es Ihnen doch viel lieber sein, wenn ein Regierungschef gewählt würde, der dann vier Jahre freie Hand hat und sich keine Mehrheit im Parlament suchen muß.
Ich wüßte jedenfalls wenig Existenzberechtigung für ein Parlament, daß die Positionen in der Bevölkerung nicht repräsentiert und nur für die Stabilität der Regierung zuständig ist.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.02.2010 14:40
#12 RE: Frankreich; Deutschland Antworten

Zitat von Zettel
weiter geht's


Tja, ehrlich weiß ich nicht, was ich zur zweiten Hälfte sagen soll.

Ihre Ausführungen zu Frankreich sind alle richtig, bestätigen aber m. E. meine Aussage "daß einige Male zwischen Mehrheits- und Verhältniswahlrecht gewechselt wurde, ohne daß das am Politikbetrieb strukturell viel geändert hätte."

Dito:

Zitat
Eine vorzeitige Auflösung des Parlaments sieht das Grundgesetz nur unter sehr speziellen Bedingungen vor ...


Richtig. Und das ist bisher dreimal passiert.
Und diese drei Beispiele von "Instabilität" hatten keine Koalitionsquerelen zur Ursache, sondern drei Mal ging es um internen Zwist bei der SPD (auch 1982, wo formal die FDP wechselte).
Auch beim Mehrheitswahlrecht wären das typische Fälle gewesen, wo der Regierungschef sich in Neuwahlen flüchten muß.

Zitat
Ich sehe deshalb auch das Problem bei uns nicht so sehr darin, daß während einer Legislaturperiode die Regierung zerbricht und keine neue zustandekommt, ...


Also kein Stabilitätsproblem.

Zitat
... sondern daß nur unnatürliche Koalitionen möglich sind


Das ist nicht ganz richtig. Die "große Koalition" war nicht "unnatürlich", sondern nur "ungewollt" - die beiden Parteien haben aber relativ gut harmoniert.

Zitat
Jeder kann mit jedem eine Regierung bilden; keiner kann mit irgendwem stabil regieren.


Das sehe ich nicht!
Selbstverständlich können diese Regierung auch stabil regieren - sie werden allerdings nur wenige Entscheidungen und Veränderungen zustande bringen, wenn ihre Ziele zu konträr sind, um Kompromisse zu finden.
Und das ist dann auch in Ordnung so.
Wenn es keine entsprechenden Mehrheiten gibt (im Volk wie im Parlament), dann wird eine Maßnahme auch nicht gemacht!

So mal als Beispiel: Wenn in einem Verein 31 Mitglieder das Vereinsheim neu streichen wollen, und 30 Mitglieder den Garten neu gestalten, und andere 30 ein entsprechendes Geld in eine Feier stecken wollen - dann wird eben nichts dergleichen gemacht.
Da wird nicht wegen "Stabilität" durchgeführt, was die 31 wollen - sondern eine Maßnahme ist erst dann legitimiert, wenn sich eine echte Mehrheit dafür gefunden hat.

R.A. Offline



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22.02.2010 14:47
#13 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Zettel
Insofern gibt es trotz des Mehrheitswahlrechts eine Koalition; aber sie ist stabil, weil man aufeinander angewiesen ist.


Das sehe ich nicht so.
Das sind taktische Wahlabsprachen, die nach der Wahl zu nichts mehr verpflichten, weil die inhaltliche Fundierung z. B. durch einen Koalitionsvertrag fehlt.
Im Parlament agieren die verschiedenen Gruppen und Strömungen dann oft recht unabhängig, wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat ein Premierminister auch öfters mal KEINE Mehrheit - beim deutschen Kanzler ist das höchst selten.

Ob nun der französische Politikbetrieb insgesamt dem deutschen vorzuziehen wäre, da bin ich skeptisch.
Aber die "Stabilität" dort ist nicht größer als hier, und sie beruht im wesentlichen auf der starken Rolle des Präsidenten (der halt den Premierminister ernennt, das Parlament und seine Mehrheit sind da nur indirekt relevant), nicht auf dem Wahlrecht.

Florian Offline



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22.02.2010 15:54
#14 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat
Zitat von Florian
--------------------------------------------------------------------------------
vielleicht unterschätzen Sie etwas die möglichen Verzerrungs-Effekte bei den Wahlkreis-Zuschnitten.
--------------------------------------------------------------------------------

Ich räume durchaus ein, daß sie beträchtlich sein können. Aber wie schon geschrieben: Man kann diese Verzerrung vermeiden, indem die Wahlkreise von einer unabhängigen Institution oder Kommission in regelmäßigen Abständen der Bevölkerungsentwicklung angepaßt werden. Und auch das noch einmal gesagt: In Deutschland wacht das BVerfG darüber, daß alle Stimmen ungefähr dasselbe Gewicht haben.





Ich glaube wir reden immer noch aneinander vorbei.
Ja, es ist richtig, dass man gewährleisten kann, dass alle Wahlkreise (in etwa) gleich groß sind.
Eine Verzerrung durch unterschiedlich große Wahlkreise (wie sehr eklatant in England der Fall) kann man also vermeiden.

Was aber bei einem Mehrheitswahlrecht systemimmanent und somit NICHT vermeidbar ist (und wo auch kein BVerfG hilft), ist folgendes:

(Vorab: Der nachfolgnd beschriebene Effekt wirkt bei vielen Parteien und RELATIVER Mehrheit noch viel stärker. Im Beispiel zeige ich, dass er selbst bei nur 2 Parteien und absoluten Mehrheiten in den Wahlkreisen auftritt).

Es gebe 100 Wahlkreisen mit je 100.000 Wählern (also alle Wahlkreise mit perfekt angepasster Größe! Das BVerfG hat nichts zu meckern, denn alle Wähler haben "das gleiche Gewicht").
Jeder Wahlkreis entsendet einen Abgeordndeten.
In 70 Wahlkreisen stimmen jeweils 51.000 Wähler für die SPD.
In 30 weiteren stimmen jeweils 20.000 Wähler für die SPD.
Der Rest der Stimmen geht jeweils an die Union.

Ergebnis:
Stimmen für die SPD gesamt 4,17 Millionen. Daraus ergeben sich 70 Abgeordnete.
Stimmen für die CDU gesamt 5,83 Millionen. Daraus ergeben sich 30 Abgeordnete.

Trotz absolut fairen Ausgansbedingungen erreichte die Union mit 58% der "Popular Vote" nur 30% der Mandate und wird von der deutlich schwächeren SPD im Parlament deutlich übertrumpft.

Dieser realt vorkommende Effekt ist in diesem Beispiel natürlich etwas überzeichnet.
Aber er tritt tendenziell immer auf, wenn die Parteien ihre Mandate unterschiedlich knapp gewinnen.
Und nota bene: genau dies ist in Deutschland der Fall. Die Union gewinnte ihre Mandate mit größeren Vorsprung als die SPD.
Das liegt daran, weil die Union im ländlichen Raum und z.T. in Süddeutschland sehr deutliche Hochburgen hat.

Jetzt einmal abgesehen davon, dass das oben skizzierte Ergebnis wohl kaum noch demokratisch zu nennen ist, möchte ich Sie daher auch rein parteitaktisch davor warnen, sich für die konservative Position in Deutschland von einem Mehrheitswahlrecht nach französischem Muster allzu viel zu versprechen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

22.02.2010 17:19
#15 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Insofern gibt es trotz des Mehrheitswahlrechts eine Koalition; aber sie ist stabil, weil man aufeinander angewiesen ist.


Das sehe ich nicht so. Das sind taktische Wahlabsprachen, die nach der Wahl zu nichts mehr verpflichten, weil die inhaltliche Fundierung z. B. durch einen Koalitionsvertrag fehlt.



Man braucht keinen Koalionsvertrag, weil die gegenseitige Abhängigkeit viel stärker zusammenschmiedet als jeder Koalitionsvertrag.

Es sind, lieber R.A., im Frankreich der Fünften Republik eben nicht beliebige taktische Absprachen, sondern es sind feste Bündnisse, die über viele Legislaturperioden reichen. Kommunisten und Sozialisten helfen sich gegenseitig, seit es die Fünfte Republik gibt; ähnlich haben es immer die großen rechten Parteien gehalten (lange Zeit die gaullistische RPR und die liberalkonservative UDF; die Namen wechselten aber mehrfach).

Zitat von R.A.
Im Parlament agieren die verschiedenen Gruppen und Strömungen dann oft recht unabhängig, wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat ein Premierminister auch öfters mal KEINE Mehrheit - beim deutschen Kanzler ist das höchst selten.


Ich kann mich an keinen Fall erinnern, daß ein Premierminister die Mehrheit verloren hätte; jedenfalls nicht dadurch, daß eine Partei der majorité (das ist faktisch die Koalition, obwohl es diesen Begriff nicht gibt) ihm die Zustimmung verweigert hätte; aber ich kann das nicht ausschließen.

Um etwas sicherer zu sein, habe ich jetzt in der französischen Wikipédia nachgesehen. Meine Erinnerung stimmt nicht ganz: Es hat seit 1958 zwei Versuche gegeben, der Regierung das Vertrauen zu entziehen; der eine (erfolgreiche) gegen Pompidou 1962; der andere (erfolglose) gegen Bérégovoy 1992.

Vielleicht meinten Sie mit "hat keine Mehrheit" aber auch nicht das, sondern einfach den Fall, daß eine Regierung mit einem Gesetzesvorhaben scheitert. Das kommt natürlich vor; oft aber eher aufgrund des Drucks der Straße (wie bei Sozialreformen oder Reformen des Schulsystems) als wegen Widerständen in der Nationalversammlung. Wie in Deutschland ist der Regelfall aber der, daß ein Gesetzesvorhaben ggf. solange modifiziert wird, bis es mehrheitsfähig ist.

Zitat von R.A.
Ob nun der französische Politikbetrieb insgesamt dem deutschen vorzuziehen wäre, da bin ich skeptisch.
Aber die "Stabilität" dort ist nicht größer als hier, und sie beruht im wesentlichen auf der starken Rolle des Präsidenten (der halt den Premierminister ernennt, das Parlament und seine Mehrheit sind da nur indirekt relevant), nicht auf dem Wahlrecht.

Bis jetzt ist die Stabilität in Deutschland so, als hätten wir ein Mehrheitswahlrecht. Aber ich werde nicht müde, das zu schreiben: Das ist ein historisches Glück; das Zusammentreffen vieler glücklicher Faktoren. Nichts an unserem Wahlrecht, nichts an unserem Parteiensystem spricht dagegen, daß wir demnächst Verhältnisse bekommen, wie sie jetzt in Holland herrschen (einmal ein Land, politisch so stabil wie Deutschland).

Was Frankreich angeht, spielt sicher eine wesentliche Rolle, daß es wie die USA eine Präsidialdemokratie ist. Aber der Präsident kann nicht ohne oder gar gegen das Parlament regieren (deshalb gab es ja die Cohabitations). Neben der starken Stellung des Präsidenten ist das Mehrheitswahlrecht mit den resultierenden klaren Mehrheiten in der Nationalversammlung die zweite Säule.

Insofern sind die Verhältnisse ähnlich wie in den USA. Aber die checks and balances sind aus zwei Gründen schlechter: Erstens ist die Nationalversammlung nicht so mächtig wie der Kongreß. Zweitens fehlt in Frankreich eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die dem Supreme Court entsprechen würde. Der Conseil Constitutionel hat längst nicht dessen Bedeutung.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.02.2010 17:45
#16 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Zettel
Vielleicht meinten Sie mit "hat keine Mehrheit" aber auch nicht das, sondern einfach den Fall, daß eine Regierung mit einem Gesetzesvorhaben scheitert.


Richtig. So hatte ich Ihre Vorstellung von Stabilität verstanden - das nämlich "durchregiert" werden kann, ohne daß beim Kurs geschlingert wird.

Zitat
oft aber eher aufgrund des Drucks der Straße (wie bei Sozialreformen oder Reformen des Schulsystems) als wegen Widerständen in der Nationalversammlung.


Richtig. Wo die Deutschen vors Gericht gehen, gehen die Franzosen auf die Straße. So sind eben die nationalen Besonderheiten.

Insgesamt kann ich überhaupt nicht verstehen, daß Sie die französischen politischen Verhältnisse für ein positives Beispiel oder gar vorbildhaft halten.
So sehr ich Frankreich in vielen anderen Dingen mag - die politische Szene dort ist im europäischen Vergleich eher korrupt und wenig handlungsfähig, es werden enorme Strukturprobleme immer wieder vertagt und die großen Lobbies können sich meist ungeniert durchsetzen. Ich bin ja nun nicht geneigt, die hiesigen Zustände schön zu färben - aber unterm Strich hat die deutsche Politik in den letzten Jahrzehnten bessere Ergebnisse gebracht als die französische.

Zitat
Bis jetzt ist die Stabilität in Deutschland so, als hätten wir ein Mehrheitswahlrecht.


Das ist jetzt aber eine niedliche Art, ein offensichtliches Gegenbeispiel umzudrehen.

Ihre These vom "instabilen Verhältniswahlrecht" vs. dem "stabilen Mehrheitswahlrecht" wird von den Beispielen nicht wirklich gestützt, es gibt auch keinen logische Begründung dafür, weil ein Wahlrecht erst in Verbindung mit einem konkreten Parteiensystem und anderen politischen Traditionen seine Wirkung hat.
Wenn überhaupt, dann führt ein Mehrheitswahlrecht nur dann zu einer Parlamentsmehrheit, wenn die politischen Verhältnisse in allen Landesteilen halbwegs homogen sind - ansonsten ergäbe sich eher ein Mehrparteienparlament mit diversen regionalen Schwerpunkten.

Ich bin mir auch recht sicher, daß es in Deutschland bei einem Mehrheitswahlrecht keine absolute Mehrheit einer Partei gäbe - aber es wäre rein zufällig, welches Lager am Ende regiert.

Zitat
daß wir demnächst Verhältnisse bekommen, wie sie jetzt in Holland herrschen


Ja was ist denn Schreckliches in Holland passiert? Wegen einer sehr zentralen Frage ist die Regierung zerbrochen. Wie es bei einer Einparteienregierung auch passieren kann.
Und jetzt wird neu gewählt und gut ist.
Insgesamt halte ich Holland für ein ziemlich gut regiertes Land, obwohl (oder weil?) es dort schon immer Koalitionen mehrerer Parteien gab. Die politische Bilanz sieht dort m. E. besser aus als in Frankreich oder dem UK.
Und ähnliches gilt für die meisten europäischen Länder (in fast allen gibt es Verhältniswahlrecht und ein bunteres Parteienspektrum als in Deutschland). Ich sehe nicht die Gefahren, die Sie an die Wand malen.

Zettel Offline




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22.02.2010 18:12
#17 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Vielleicht meinten Sie mit "hat keine Mehrheit" aber auch nicht das, sondern einfach den Fall, daß eine Regierung mit einem Gesetzesvorhaben scheitert.


Richtig. So hatte ich Ihre Vorstellung von Stabilität verstanden - das nämlich "durchregiert" werden kann, ohne daß beim Kurs geschlingert wird.


Gott bewahre!

In den USA kann niemand "durchregieren", und doch ist das System von ganz ungewöhnlicher Stabilität. Wenn ich von Stabilität spreche, dann meine ich ja nicht eine Autokratie.

Zitat von R.A.
Insgesamt kann ich überhaupt nicht verstehen, daß Sie die französischen politischen Verhältnisse für ein positives Beispiel oder gar vorbildhaft halten.


Habe ich das geschrieben? Ich hoffe nicht. Ich bin für das Mehrheitswahlrecht in der französischen Variante. Vieles andere am französischen politischen System gefällt mir überhaupt nicht; zum Beispiel der nach wie vor starke Zentralismus, die zu schwache Stellung der Nationalversammlung, das Fehlen eines Äquivalents zum BVerfG oder zum Supreme Court. Das sind die Institutionen. Wenn Sie mit "Verhältnisse" die aktuelle Lage meinen, dann gefällt mir noch viel mehr nicht - aber das alles aufzuschreiben habe ich jetzt nicht die Zeit.

Zitat von R.A.

Zitat
Bis jetzt ist die Stabilität in Deutschland so, als hätten wir ein Mehrheitswahlrecht.


Das ist jetzt aber eine niedliche Art, ein offensichtliches Gegenbeispiel umzudrehen.



Na, das ist jetzt aber unfaire Rhetorik, lieber R.A. Ich habe doch in anderen Beiträgen schon dargelegt, wie es zu dieser besonderen Entwicklung in Deutschland gekommen ist (Erfolge Adenauers und Erhards, keine Kraft links von der SPD).

Hinzu kommen die Weimarer Erfahrungen, aus denen das Konzept der CDU als einer Volkspartei hervorgegangen ist; hinzu kommt die Erfahrung des Dritten Reichs, die es verhindert hat, daß eine relevante rechtsextreme Kraft entstehen konnte. Hinzu kommt, daß aufgrund der Umwälzungen der Kriegs- und Nachkriegszeit das soziale Gefüge zerbrochen war, aus dem die typischen Interessenparteien (Bauernpartei, Mittelstandsparteien, die DNVP als Partei des alten Bürgertums und Adels usw.) hervorgegangen waren. In Frankreich hat sich das alles bis 1958 erhalten.

Es liegt doch auf der Hand, daß das Wahlrecht nicht die einzige Determinante politischer Stabilität oder Instabilität ist; aber es ist eben ein sehr entscheidender Faktor.

Herzlich, Zettel

Florian Offline



Beiträge: 3.180

22.02.2010 18:30
#18 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat
In den USA kann niemand "durchregieren", und doch ist das System von ganz ungewöhnlicher Stabilität. Wenn ich von Stabilität spreche, dann meine ich ja nicht eine Autokratie.



Wobei m.E. die USA für Deutschland in der Wahlrechtsfrage keine sinnvollen Rückschlüsse erlauben.
Denn in den USA gibt es ja nicht nur (teilweise) ein Mehrheitswahlrecht - vielmehr ist das komplette politische System komplett anders.

Die "Stabilität der Regierung" beruht in den USA z.B. nicht auf dem Wahlrecht.
Sondern auf der Tatsache, dass die Regierung schlicht nicht auf das ständige Vertrauen des Parlaments angewiesen ist.

Umgekeht ist jedoch - trotz Mehrheitswahlrecht - in den USA keineswegs garantiert, dass die Regierung für ihre Vorhaben im Parlament eine Mehrheit hat. Über Jahre hinweg kann dort ein Präsident mit allen seinen politischen Projekten am Parlament scheitern.

Fazit daher:
So sehr mir persönlich das amerikanische politische System gefältt - sowohl von der Theorie als auch vom praktischen Ergebnis her -, so wenig taugt es als Begründung für eine Wahlrechtsänderung in Deutschland (sofern man nicht gleich das gesamte politische System mit austauscht).

john j Offline




Beiträge: 591

22.02.2010 21:22
#19 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

"Wenn überhaupt, dann führt ein Mehrheitswahlrecht nur dann zu einer Parlamentsmehrheit, wenn die politischen Verhältnisse in allen Landesteilen halbwegs homogen sind - ansonsten ergäbe sich eher ein Mehrparteienparlament mit diversen regionalen Schwerpunkten."

Voellig richtig - und gut zu beobachtem am Beispiel Kanada's das zwar das angelsaeschische Wahlrecht und -system uebernommen hat aber eben ein Mehrparteienparlament mit regionalen Schwerpunkten hat, und das schon seit Jahrzehnten. Was eben an den regionalen Unterschieden (englisch und franzoesisch, konservativer Midwest, sozialliberale Ost- und Westkueste) liegt. Das Wahlrecht aendert daran wenig, im Gegenteil, es verzerrt das politische Bild gewaltig.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

22.02.2010 22:39
#20 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Florian
Ja, es ist richtig, dass man gewährleisten kann, dass alle Wahlkreise (in etwa) gleich groß sind.
Eine Verzerrung durch unterschiedlich große Wahlkreise (wie sehr eklatant in England der Fall) kann man also vermeiden.
Was aber bei einem Mehrheitswahlrecht systemimmanent und somit NICHT vermeidbar ist (und wo auch kein BVerfG hilft), ist folgendes:
(Vorab: Der nachfolgnd beschriebene Effekt wirkt bei vielen Parteien und RELATIVER Mehrheit noch viel stärker. Im Beispiel zeige ich, dass er selbst bei nur 2 Parteien und absoluten Mehrheiten in den Wahlkreisen auftritt).
Es gebe 100 Wahlkreisen mit je 100.000 Wählern (also alle Wahlkreise mit perfekt angepasster Größe! Das BVerfG hat nichts zu meckern, denn alle Wähler haben "das gleiche Gewicht").
Jeder Wahlkreis entsendet einen Abgeordndeten.
In 70 Wahlkreisen stimmen jeweils 51.000 Wähler für die SPD.
In 30 weiteren stimmen jeweils 20.000 Wähler für die SPD.
Der Rest der Stimmen geht jeweils an die Union.
Ergebnis:
Stimmen für die SPD gesamt 4,17 Millionen. Daraus ergeben sich 70 Abgeordnete.
Stimmen für die CDU gesamt 5,83 Millionen. Daraus ergeben sich 30 Abgeordnete.
Trotz absolut fairen Ausgansbedingungen erreichte die Union mit 58% der "Popular Vote" nur 30% der Mandate und wird von der deutlich schwächeren SPD im Parlament deutlich übertrumpft.

Ja, das kann im Extremfall passieren. Aber wo ist das Argument? Knapp gewonnen ist eben auch gewonnen. Ich habe schon in einer früheren Antwort auf Beispiele aus dem Sport aufmerksam gemacht: Eine Mannschaft A mit einem besseren Torverhältnis als die Mannschaft B kann im Fußball trotzdem in der Tabelle weit hinter ihr rangieren. Im Tennis kann ein Spieler mehr Punkte machen als der Gegner und trotzdem verlieren.

Ich stoße, lieber Florian, in dieser Diskussion immer wieder auf dasselbe Problem: Nach meinem Eindruck wollen diejenigen, die für ein Verhältniswahlrecht plädieren, so etwas wie "Gerechtigkeit" bei der Repräsentation im Parlament in dem Sinn, daß die Zahl der Parlamentssitze proportional der Zahl der Wählerstimmen im popular vote ist.

Aber warum eigentlich? Für mich besteht das Wesen und der ungeheure Vorzug des demokratischen Systems darin, daß es eine legale Möglichkeit gibt, eine Regierung loszuwerden. Solange sie gute Arbeit leistet, soll sie im Amt bleiben dürfen. Wenn sie schlecht regiert, dann wird sie abgewählt werden, gerade unter dem Mehrheitswahlrecht. Dann gibt es einen swing zugunsten der Opposition; und nun profitiert diese von den Merkmalen des Mehrheitswahlrechts, die der bisherigen Regierung ihre stabile Mehrheit beschert hatten.

Jedenfalls ist es im Prinzip so; natürlich kann es einmal anders ausgehen.

Herzlich, Zettel

Florian Offline



Beiträge: 3.180

22.02.2010 22:58
#21 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat
Ich stoße, lieber Florian, in dieser Diskussion immer wieder auf dasselbe Problem: Nach meinem Eindruck wollen diejenigen, die für ein Verhältniswahlrecht plädieren, so etwas wie "Gerechtigkeit" bei der Repräsentation im Parlament in dem Sinn, daß die Zahl der Parlamentssitze proportional der Zahl der Wählerstimmen im popular vote ist.




Ja, genau dies scheint in Deutschland als fair und angemessen angesehen zu werden.
(Und genau deshalb wird Ihr Wunsch auch nie Realität werden).

Genau wie Sie sehe auch ich das etwas lockerer. Eine präzise Proportionalität ist m.E. nicht notwendig. Und es ist m.E. auch ok, wenn eine Partei mit unter 50% der Stimmen auf über 50% der Sitze kommt (auch die aktuelle Regierung hat ja keine absolute Mehrheit in der "popular vote").

Wo allerdings m.E. die Grenze des erträglichen überschritten wird, ist ein System, bei dem die Reihenfolge auf den Kopf gestellt wird. Wenn also eine Partei A deutlich mehr Stimmen und zugleich aber deutlich weniger Sitze als eine Partei B bekommt.
Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein solches System in der Bevölkerung auf viel Akzeptanz stösst.
("Akzeptanz beim Wahlvolk" ist übrigens m.E. ein sehr wichtiges Gütekriterium für ein gutes Wahlrecht).

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.02.2010 11:19
#22 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Zettel
Ich habe schon in einer früheren Antwort auf Beispiele aus dem Sport aufmerksam gemacht


Auf die bin ich nicht weiter eingegangen (und auch sonst niemand), weil ich sie so völlig daneben empfinde. Ich sehe keine brauchbare Vergleichbarkeit zwischen dem Gewinn eines Fußballspiels und der Besetzung eines Parlaments.

Ich habe überhaupt das Gefühl, Sie reduzieren den politischen Prozeß rein auf die Frage einer Regierungsbildung. Dann könnte man aber auch auf vier Jahre einen Diktator auf Zeit wählen (nach welchem Verfahren auch immer) und fertig.
Ein Parlament hat aber deutlich mehr Aufgaben, es geht nicht nur darum, einen Sieger zu küren.

Zitat
Nach meinem Eindruck wollen diejenigen, die für ein Verhältniswahlrecht plädieren, so etwas wie "Gerechtigkeit" bei der Repräsentation im Parlament in dem Sinn, daß die Zahl der Parlamentssitze proportional der Zahl der Wählerstimmen im popular vote ist.
Aber warum eigentlich?


Das hatte ich versucht darzustellen: Das ist die logische Folge aus dem Demokratie-Prinzip.
Wenn das Volk aus praktischen Gründen Entscheidungen ans Parlament delegiert, dann sollten die Mehrheiten im Parlament auch bestmöglich die Mehrheiten im Volk widerspiegeln.

Zitat
Für mich besteht das Wesen und der ungeheure Vorzug des demokratischen Systems darin, daß es eine legale Möglichkeit gibt, eine Regierung loszuwerden.


Ein ganz wichtiger Aspekt, aber eben nicht der einzige.

Zitat
Wenn sie schlecht regiert, dann wird sie abgewählt werden, gerade unter dem Mehrheitswahlrecht.


Nein, gerade nicht!
Gerade beim Mehrheitswahlrecht hat eine schlechte Regierung eben die Möglichkeit, ihre Abwahl mit Manipulationen zu erschweren. Und wie hier schon ausgeführt wurde, läßt sich das nicht mit BVerfG oder einer "unabhängigen Kommission" verhindern.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.02.2010 11:31
#23 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Zettel
Ich bin für das Mehrheitswahlrecht in der französischen Variante.


Obwohl Sie mir beipflichten, daß das französische Politiksystem insgesamt eher schlechter ist als das deutsche?
Das legt doch erst einmal die Vermutung nahe, daß ein wesentliches Element wie das Wahlrecht dort NICHT positiv zu bewerten ist. Ich persönlich halte es auch für einen Teil des Problems.

Wenn Sie das französische Wahlrecht TROTZ der ansonsten schlechteren Verhältnisse dort für vorbildlich halten, dann müßten Sie schon mehr Begründung liefern als nur persönliche Vorliebe.

Zitat
Na, das ist jetzt aber unfaire Rhetorik, lieber R.A. Ich habe doch in anderen Beiträgen schon dargelegt, wie es zu dieser besonderen Entwicklung in Deutschland gekommen ist (Erfolge Adenauers und Erhards, keine Kraft links von der SPD).


Dargelegt schon - aber ich dieser Art Argumentation nicht folgen.

Ihre These ist, daß das Mehrheitswahlrecht zu einer besseren Politik im Land beiträgt.
Eine direkte Begründung dafür kann es nicht geben. Also müssen wir indirekt folgern und beobachten, wie sich diverse Länder mit der einen oder anderen Wahlrechtsvariante entwickelt haben.

Und da muß ich feststellen, daß bei den Beispielen kein Vorteil des Mehrheitswahlrechts und vor allem kein Nachteil des Verhältniswahlrechts erkennbar ist.

Und darauf wischen Sie ein wichtiges Beispiel (nämlich Deutschland) vom Tisch, weil da angeblich Adenauer die vermuteten Nachteile des Wahlrechts verhindert hätte. Das halte ich für methodisch nicht sehr überzeugend - umgekehrt könnte ich sagen, daß nur die Person Thatcher ein völliges Desaster des Mehrheitswahlrechts im UK verhindert hat. So etwas bringt uns aber nicht weiter.

Zitat
Es liegt doch auf der Hand, daß das Wahlrecht nicht die einzige Determinante politischer Stabilität oder Instabilität ist; aber es ist eben ein sehr entscheidender Faktor.


Richtig.
Und die Indizien lassen m. E. eher vermuten, daß ein modernes Wahlrecht, daß die Veränderungen in der Wählerschaft gut abbildet, besser für eine stabile und erfolgreiche Politik geeignet ist als ein Mehrheitswahlrecht mit seinen Manipulationsmöglichkeiten und der Zufälligkeit vieler Wahlergebnisse.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

23.02.2010 11:53
#24 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Florian
Wo allerdings m.E. die Grenze des erträglichen überschritten wird, ist ein System, bei dem die Reihenfolge auf den Kopf gestellt wird. Wenn also eine Partei A deutlich mehr Stimmen und zugleich aber deutlich weniger Sitze als eine Partei B bekommt.


Es kommt, lieber Florian, auf die Betrachtungsweise an. Die Wahlkreise repräsentieren - sieht man von den Stimmbezirken ab, die administrative Einheiten sind - die kleinsten politischen Einheiten, geographisch betrachtet. Unter dem Mehrheitswahlrecht entscheiden sich die Wähler in jedem Wahlkreis, wer sie im Parlament vertritt. Dabei ist es gleichgültig, ob er mit knapper oder mit großer Mehrheit gewählt wird. Das ist gängiges demokratisches Verfahren. Auch bei der Direktwahl eines Bürgermeisters kann es sein, daß, sagen wir, nur ein Drittel der Wähler für den Siegreichen und zwei Drittel in heftiger Opposition zu ihm sind.

Ich habe nie verstanden, was eigentlich so Erstrebenswertes daran sein soll, daß "jede Stimme gleich viel zählt". Ich sehe nicht, wie man die Demokratie aus diesem Prinzip heraus rechtfertigen kann; einem Prinzip, unter dem der Greis im Pflegeheim, der sich nie für Politik interessiert hat, mit seiner Stimme denselben Einfluß hat wie ein politisch Interessierter wie Sie und ich.

Die Demokratie rechtfertigt sich aus meiner Sicht, ich wiederhole es, dadurch, daß man eine Regierung auf legale Weise loswerden kann. Nur das zähmt die insolence of office; nur das verhindert, daß Unmut sich in Gewalt entlädt.

Das Mehrheitswahlrecht ist dafür das geeignete Instrument, weil es wie ein Verstärker wirkt. Relative kleine Schwankungen in der Haltung der Wähler setzen sich in große Veränderungen im Parlament um.

Zitat von Florian
Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein solches System in der Bevölkerung auf viel Akzeptanz stösst.


Für Deutschland stimmt das, leider.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

23.02.2010 12:09
#25 RE: Marginalie: Holland und das Verhältniswahlrecht Antworten

Zitat von Zettel
Die Demokratie rechtfertigt sich aus meiner Sicht, ich wiederhole es, dadurch, daß man eine Regierung auf legale Weise loswerden kann.


OK, auch wenn das eben nicht die einzige Begründung ist.

Zitat
Das Mehrheitswahlrecht ist dafür das geeignete Instrument ...


NEIN!!!
Das macht mich jetzt ganz fiddelig, daß Sie diese logisch unhaltbare Behauptung dauernd wiederholen!

Selbst wenn es beim Wahlrecht wirklich nur diesen einzigen Aspekt gäbe, dem alles unterzuordnen wäre, daß man nämlich möglichst klar eine schlechte Regierung abwählen kann - genau dann ist das Mehrheitswahlrecht denkbar ungeeignet!

Weil es eben wie hier mehrfach dargelegt der schlechten Regierung die Möglichkeit gibt, durch Wahlkreismanipulation diese Abwahl zu erschweren!
Das Mehrheitswahlrecht ist genau dann am schärfsten abzulehnen, wenn man IHR Kriterium anlegt!

Zitat
..., weil es wie ein Verstärker wirkt. Relative kleine Schwankungen in der Haltung der Wähler setzen sich in große Veränderungen im Parlament um.


Nein.
Es gibt da keine Systematik!
Es kann kleine Schwankungen geben, die zu großen Veränderungen im Parlament führen. Es kann große Schwankungen geben, die im Parlament kaum spürbar werden. Die Veränderungen in der Wählerschaft können im Parlament sogar gegenläufig abgebildet werden - eine Partei verliert Stimmen, gewinnt aber Sitze. Oder umgekehrt, beim Mehrheitswahlrecht sind Zufallsergebnisse aller Art möglich!

Wir können so gerne unterschiedlicher Meinung bei Bewertungen sein, bei unterschiedlichen Prioritäten was wichtig ist oder nicht, wie ein Staat am besten zu regieren sei und so weiter.

Aber hier reden wir konkret über ein Verfahren mit klar faßbaren Effekten, die lassen sich nicht vernünftig bestreiten.


So, und jetzt gehe ich mal Mittagessen und versuche mich wieder zu beruhigen

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