Zitat von JeffDavisZumal Wolff nicht der einzige Journalist war, der vor 1945 ein strammer Nationalsozialist, nach 1945 Widerstandskämpfer war. Nannen war SS-Kriegsberichter bei der Standarte "Kurt Eggers", Karl Korn (FAZ), Wilhelm Emanuel Süskind (SZ), Dr.Hans Joachim Sperr (SZ), Friedrich Märker (nach dem Krieg Präsident des Bayer Schriftstllerverbandes), Jochen Wilke (SZ-Verlag, Die Abendzeitung, Münchener Illustrierte), Josef Müller-Marein (Die Zeit) stehen nur stellvertretend für viele Journalisten, Kritiker und Schriftsteller, die die gleiche "Karriere" durchliefen.
Und die überwiegend gute Demokraten (geworden) waren. Wie Werner Höfer, den Sie auch noch hätten nennen können.
Nun, wenn ich mir die wörtlichen Zitate und Ausschnitte durchlese, die Ziesel bringt (fast das ganze Buch besteht aus Gegenüberstellungen vor und nach 45), wenn ich vergleiche, was diese Leute vor und nach 45 so alles geschrieben haben, dann sind das nach meinem Verständnis keine guten Demokraten. Diese Zitate dürften sich - soweit die Originale in einem Archiv greifbar sind - ja auch verifizieren lassen. Und ich hätte noch eine Liste mit weiteren Namen anfertigen können, das war nur ein Ausschnitt. Höfer habe ich absichtlich nicht genannt, denn man kennt zwar seine Zeilen über Kreiten, aber - da sind Sie aber wieder besser orientiert als ich - ich kann mich nicht erinnern, daß er nach 45 in so schäbiger Weise genau das Gegenteil von dem geschrieben hat wie vor dem "Endsieg". Ich könnte - wenn sie wollen - ein paar konkrete Beispiel aus dem Buch bringen (solange das Urheberrecht nicht berührt wird)
Um das nochmals zu betonen: Mein Vorwurf richtet sich im Zweifel nicht gegen das, was diese Leute in der Zeit der Diktatur geschrieben haben, sondern gegen ihre Haltung danach.
Zitat von JeffDavisUm das nochmals zu betonen: Mein Vorwurf richtet sich im Zweifel nicht gegen das, was diese Leute in der Zeit der Diktatur geschrieben haben, sondern gegen ihre Haltung danach.
In dieser Hinsicht kann man Georg Wolff meines Erachtens aber keinen Vorwurf machen. Ich habe inzwischen meine Augstein-Biografien durchgesehen (von Jaene, Greiwe, Brawand, Schröder, Merseburger; dazu Brawands Erinnerungen "Wie die Pressefreiheit nach Deutschland kam"). Das, was ich zu Georg Wolff weiß, habe ich aus diesem letztgenannten Buch und aus der Biografie von Peter Merseburger.
Brawand und Merseburger sind sich einig: Wolff war einer der wichtigsten Gesprächspartner Augsteins in der "Spiegel"-Redaktion. Wohl (das füge ich jetzt hinzu), weil er historisch gebildet und philosophisch interessiert war wie sonst nur Augstein selbst. Er galt sogar als möglicher Chefredakteur, was Augstein aber (so Merseburger) wegen Wolffs Vergangenheit nicht gewollt hätte.
Zu Wolffs Zeit in Norwegen schreibt Merseburger (die Passage zu Wolff steht auf S. 145ff), daß er lediglich Berichte über die Stimmung der Bevölkerung verfaßt hätte und sich nichts hätte zuschulden kommen lassen. Er sei nach Kriegsende einige Monate von den Norwegern interniert worden. Hätte gegen ihn etwas vorgelegen, schreibt Merseburger, dann hätten die Norweger ein Verfahren eröffnet, statt ihn zu entlassen.
Augstein stellte Wolff erst nach langen Gesprächen ein, in denen er sich offenbar von dessen demokratischer Gesinnung überzeugte. 1996 sagte er zu Stefan Aust über diese Gespräche: "Sein Entsetzen über die Untaten, von denen er ja nur zum Teil wissen konnte, war echt".
Brawand (der es miterlebt hat; er war damals schon beim "Spiegel") und Merseburger schildern übereinstimmend, wie Wolff zum "Spiegel" kam: Er war nach seiner Entlassung aus Norwegen zunächst als Sicherheitsbeauftragter des Kaffeehandels im Hamburger Hafen untergekommen und kannte dadurch die Probleme des Kaffeschmuggels, die er gemeinsam mit Mahnke in der schon erwähnten Serie für den "Spiegel" darlegte. Vermittelt wurde der Kontakt zu Augstein vermutlich durch den Kriminalrat Bernhard Wehner, der für den "Spiegel" eine - übrigens ebenfalls ausgezeichnete - Serie über den Polizeichef Nebe und die Kriminalität in der Weimarer Republik geschrieben hatte.
Nachdem ich das jetzt, lieber JeffDavis, nachgesehen habe, sehe ich mich in meinem Urteil bestätigt: Wolff hatte sich, soweit bekannt, nichts zuschulden kommen lassen. Er war entnazifiziert worden. Er hat sich zu einem der wichtigsten Journalisten des "Spiegel" entwickelt.
Ein Linker freilich ist er nie geworden; das mag es erklären, daß ihn Linke wie Otto Köhler und Lutz Hachmeister so aufs Korn genommen haben. Er war - um auf meinen Ausgangspunkt zurückzukommen - einer der durchaus nicht seltenen Konservativen beim "Spiegel" der fünfziger und sechziger Jahre. Der heutige "Spiegel", ein im wesentlichen linkes Blatt, entstand erst in den siebziger Jahren.
Ich stimme Ihnen darin zu, daß sich Wolff in seiner Zeit in Norwegen wohl nichts hat zuschulden kommen lassen. In seiner Position in der Abt.3 beim Befehlshaber Sipo SD wäre das - wie ich ja auch ausgeführt habe - sehr unwahrscheinlich gewesen. Wenn die Norweger kein Verfahren gegen ihn einleiten, ist das zwar kein Beweis, es mag auch an Informationen gefehlt haben, aber doch ein gewichtiges Indiz. Auch später ist er offenbar nicht strafrechtlich verfolgt worden.
Gibt es denn andere Artikel von ihm im Spiegel, die sich zB. mit der Vergangenheitsbewältigung im weiteren Sinne beschäftigen? Kennzeichen der anderen von mir erwähnten Personen ist stets, daß sie in der NS-Zeit jubelnde und willfährige Schreiberlinge in durchaus nicht unbedeutenden Positionenen gewesen sind, zT. klassische Karrieristen, während sie nach 45 alle ausnahmslos im Widerstand, mindestens aber in der inneren Immigration gewesen sein wollten, ihre Biographie verfälschten, und sehr oft gegen alle hetzten, die sie vor 1945 noch gefördert und bejubelt hatten. Zufällig habe ich gestern noch einen alten Artikel in der Criticon gefunden, wo auf Karl Korn und seine diesbezüglichen Aktivitäten eingegangen wird.
Wenn Wolff nicht zu diesen Personen gehört, werde ich meine Meinung über ihn gern revidieren. Allein der Umstand, daß Augstein ihn für würdig befunden hat, genügt mir dafür allerdings nicht. Schließlich sind auch die anderen entnazifisziert und geprüft worden, und sie haben sich trotzdem in der geschilderten Weise verhalten.
Zitat von ZettelMeine persönliche Haltung ist, daß man niemanden dafür verurteilen sollte, daß er in einem totalitären Unrechtsstaat sich arrangiert hat, statt in den Widerstand zu gehen. Niemand von uns, die wir nicht in dieser Situation gewesen waren, weiß doch, wie er sich verhalten hätte.
Prinzipiell stimme ich Ihnen da ja zu, und auch die Bewertung Wolffs sollte sich nicht allein an der Zeit vor 1945 festbeißen. Aber die Mitgliedschaft im SD ist doch etwas schwerwiegender als ein "sich arrangieren", wie es JeffDavis ja darlegt.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von JeffDavisGibt es denn andere Artikel von ihm im Spiegel, die sich zB. mit der Vergangenheitsbewältigung im weiteren Sinne beschäftigen? Kennzeichen der anderen von mir erwähnten Personen ist stets, daß sie in der NS-Zeit jubelnde und willfährige Schreiberlinge in durchaus nicht unbedeutenden Positionenen gewesen sind, zT. klassische Karrieristen, während sie nach 45 alle ausnahmslos im Widerstand, mindestens aber in der inneren Immigration gewesen sein wollten, ihre Biographie verfälschten, und sehr oft gegen alle hetzten, die sie vor 1945 noch gefördert und bejubelt hatten.
Das Problem ist, lieber JeffDavis, daß damals die Artikel im "Spiegel" in der Regel anonym erschienen. Es war ein besonderes Zeichen der Wertschätzung für Wolff, daß Rudolf Augstein in diesem Text die wichtigsten Artikel, die Wolff geschrieben hat, nannte. Sie können sie über die Suchfunktion leicht finden. Der Abruf ist kostenlos und verlangt keine Anmeldung.
Wolff hat die beiden schon erwähnten Serien geschrieben. "Warten aufs letzte Gefecht" beginnt in Heft 8/1961, "Mein Gott, was soll aus Deutschland werden?" beginnt in Heft 40/1961.
Ich denke, wenn Sie das gelesen haben und vielleicht einige der von Augstein genannten Titelgeschichten, die Wolff geschrieben hat, werden Sie Ihr Urteil über Wolff revidieren.
Zitat von Gorgasal Aber die Mitgliedschaft im SD ist doch etwas schwerwiegender als ein "sich arrangieren", wie es JeffDavis ja darlegt.
Aber auch sie macht es, lieber Gorgasal, nicht überflüssig, sich um den Einzelfall zu kümmern. Wolff hat, soweit bekannt, in einer Abteilung gearbeitet, die Berichte über die Stimmung in der norwegischen Bevälkerung erstellte und nach Berlin sandte. Er war ja gelernter Journalist und konnte das also. Daß er irgendwann geheimdienstlich gearbeitet oder gar sich an der Verfolgung von Menschen beteiligt hätte, ist nicht bekannt.
Übrigens habe ich auch keinen Hinweis darauf gefunden, daß Wolff in der NSDAP war. Auch Otto Köhler - ich war gerade noch einmal in meiner Bibliothek und habe dessen Buch mit spitzen Fingern in die Hand genommen - behauptet das nicht.
Zitat Übrigens habe ich auch keinen Hinweis darauf gefunden, daß Wolff in der NSDAP war.
Im Wikipedia-Artikel heißt es, W. sei NSDAP-Mitglied Nr. 4.982.494 gewesen. Demnach wäre er irgendwann in den 30er Jahren, nach 1933, eingetreten. Als Quelle ist gegeben Lutz Hachmeister: Ein deutsches Nachrichtenmagazin, 101.
Zitat Zu Wolffs Zeit in Norwegen schreibt Merseburger (die Passage zu Wolff steht auf S. 145ff), daß er lediglich Berichte über die Stimmung der Bevölkerung verfaßt hätte und sich nichts hätte zuschulden kommen lassen. Er sei nach Kriegsende einige Monate von den Norwegern interniert worden. Hätte gegen ihn etwas vorgelegen, schreibt Merseburger, dann hätten die Norweger ein Verfahren eröffnet, statt ihn zu entlassen.
Das sagt erst einmal nur, dass den Norwegern zum Zeitpunkt der Entlassung nichts vorlag, was ein Verfahren gerechtfertigt hätte. Es gibt ja durchaus Fälle - ich kenne einige -, wo Personen, die durchaus "Dreck am Stecken" hatten, aus der Internierung entlassen wurden, weil einfach bestimmte Sachverhalte unbekannt waren. Damit will ich aus Unkenntnis nichts über W. behaupten, nur darauf hinweisen, dass man wohl nur sagen kann: "Derzeit ist nichts Nachteiliges bekannt."
Zitat Er war entnazifiziert worden.
Das erfolgreiche Bestehen des Entnazifizierungsverfahrens sagt m.E. nur wenig aus. Das kann auch immer in der in sich problematischen WEise der Entnazifizierung liegen oder an der GEschicklichkeit des Betroffenen.
Man müsste nachforschen im Bundesarchiv, ehemaliges BDC. Dort müsste es u.a. eine Personalakte der SS geben.
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