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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 32 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 02:19
KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Unter denen, die einen Lehrberuf und keine (jedenfalls keine verlangte) universitäre Ausbildung haben, gehören die Buchhändler sicher zu den Klügsten und den Gebildetsten. Und nun erfahren wie in "Zeit-Online", daß ausgerechnet der Beruf des Buchhändlers eine besonders "geringe Achtung" genieße.

Was hinter dieser scheinbaren Kuriosität steckt, das erfahren Sie in diesem KKK.

WillhelmTell Offline



Beiträge: 1

02.03.2010 06:43
#2 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Ein sehr guter Kommentar. Aufgrund solcher und ähnlicher Interpretationen von Statistiken durch Journalisten, würde für deren Beruf wohl auch in Ihrer Version der Befragung ein relativ tiefes Ansehen in der Bevölkerung resultieren.

Noch etwas: Da ich mich nun schon bald an die Arbeit machen muss, habe ich keine Zeit mehr, mir kluge Bemerkungen zu überlegen :-) Ich möchte aber gerne dieses Blog loben: Ich bin schon vor einiger Zeit auf einen Bericht in "Zettels Raum" gestossen, welcher erörterte, in welchem Zeitalter wir uns derzeit befinden.
Vor kurzem stiess ich dann wieder auf dieses Weblog und schaue seither (fast) täglich kurz rein.
Ich mag Ihren Schreibstil und finde die Themenauswahl gut.

So, Lob am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen (hoffe ich) ;-) Freundliche Grüsse aus der Schweiz,

W.T.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

02.03.2010 07:58
#3 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Nuja, da hätte man statt Buchhändler auch Fleischfachverkäuferin, oder Elektronik-Dealer einsetzen können. Buchhändler sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren. Meine heißt übrigens Jutta, und sieht auch so aus (große, runde Brille, knielange Strickjacke, 70-er Jahre Frisur) ... und sie ist ein Goldstück!

"Ach! Hallo Herr XXX, schön, dass sie mal wieder vorbeischauen! Wie gehts ihrer Freundin? Wissen sie schon wonach sie suchen? Ich hätte da was, ganz nach ihrem Geschmack ... und ihre Mutter mag doch dieses Genre, da gibt es einen einen ganz tollen, neuen Roman. Er handelt von..."

Meist kaufe ich dann fünf bis sechs Bücher und weiß schon vor dem Lesen, dass Jutta zu 90 Prozent richtig gelegen hat.

Wie traurig dagegen der Service, wenn einem in einer fremden Stadt mal der Lesestoff ausgehen sollte. Die Ketten kann man eh vergessen, aber selbst in kleinen, inhabergeführten Läden wird man zuerst zur Auslage der Spiegel-Bestsellerliste geführt, sollte man einen Genre-Wunsch haben. Wenn man von da nix möchte, werden die vermeintlichen Bestseller-Autoren abgeklappert. Inspirierende Offerten? Fehlanzeige.

Aber, wie dem auch sei ... oberhalb von Journalisten, Politikern und Gewerkschaftsführern würde ich Buchhändler auf jeden Fall einsortieren.

Grüße, Calimero

----------------------------------------------------
Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.03.2010 10:57
#4 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Lieber Zettel,

herzlichen Dank für diesen Beitrag.
Ich hatte mich auch sehr über diese Darstellung gewundert und konnte nicht glauben, daß die Buchhändler so ein schlechtes Image hätten (ich würde ihnen deutlich mehr als "neutral" zutrauen). Und da wollte ich schon recherchieren.

War also wieder mal "Qualitätsjournalismus".
In den letzten Jahren ist meine Einschätzung des klassischen Journalismus immer mehr in den Keller gegangen. Gute Qualität scheint es nur noch bei wenigen Ausnahmen zu geben (die man sich dann merken sollte), und bei Blogs.

Wenn ich mir überlege, was ich früher alles geglaubt habe, nur weil es in der Zeitung stand. Die Nachprüfbarkeit per Internet hat da viel verändert.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

02.03.2010 11:04
#5 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Ein schoener Beitrag, vielen Dank dafuer. - Die Statitsik muesste wohl eigentlich 'die 5 haufigst genannten Berufe' heissen. Nieschen sind da nicht vorgesehen. Orchideenfaecher auf dem Arbeitsmarkt.

vielleichteinlinker ( gelöscht )
Beiträge:

02.03.2010 13:32
#6 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Ich seh mal wieder das Problem nicht. Wenn Buchhändler den Leuten egal sind dann genießen sie eben wenig Achtung. Wenn nur zwei von 100 Leuten Buchhändler zu den fünf Berufen zählt, die sie selbst achten, dann sind die Buchhändler den Leuten anscheinend egal.

Am Rande noch: Weder kann mit Ihrem Vorschlag das Ansehen von Berufen messen, noch bedeutet wenig Achtung dass die Leute etwas nicht mögen (Kann es zwar aber das müsste man dann erst einmal rausfinden).

Und der Knaller zum Schluss: "Daran, daß der Stand des Journalisten sich eines kaum höheren Ansehens erfreut, arbeiten viele Journalisten emsig. Was in aller Welt haben aber die Buchhändler getan, daß sie in der Rangreihe des Ansehens noch hinter den Journalisten und den Politikern rangieren?" Warum haben Journalisten, wenn Sie in der Allensbach-Umfrage fast den gleichen Wert haben wie Buchhändler, tatsächlich ein schlechtes Ansehen wenn es bei den Buchhändlern doch nur scheinbar so ist? Ihre Auslassung dazu lese ich genau so, das wundert mich.

Meine Vermutung: Der klassische Fehler beim Lesen von quantitativen Untersuchungsergebnissen. Wenn man vorher schon weiß WARUM etwas rauskommt, interessiert das WAS so wenig, dass man es im Zweifel einfach ignorieren kann. Solche Umfragen sagen nur etwas über das WAS aus, nichts über das WARUM. Das mach Steffen - im Gegensatz zu Ihnen - völlig richtig.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 14:05
#7 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Ich freue mich, lieber Wilhelm Tell, daß Ihnen ZR gefällt, und begrüße Sie herzlich im kleinen Zimmer.

Zitat von WillhelmTell
Ich bin schon vor einiger Zeit auf einen Bericht in "Zettels Raum" gestossen, welcher erörterte, in welchem Zeitalter wir uns derzeit befinden.


Oh, das ist aber schon wirklich lange her! Dann gehören Sie ja zu den allerersten Lesern.

Sie meinen sicher diesen Artikel vom 22. Juni 2006. Da war ZR gerade knapp drei Wochen alt; der erste Artikel war am 4. Juni 2006 erschienen.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 14:22
#8 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat von R.A.
Wenn ich mir überlege, was ich früher alles geglaubt habe, nur weil es in der Zeitung stand. Die Nachprüfbarkeit per Internet hat da viel verändert.

Das geht mir auch so. Ich glaube etwas erst, wenn ich es nachgegoogelt habe.

Wie hat man sich früher beholfen? Lange habe ich dem "Spiegel" vertraut, und zwar durchaus zu Recht. In den fünfziger und sechziger Jahren war er zwar frech, oft gnadenlos. Aber er war politisch nicht einseitig. Dann, ab den sechziger Jahren, habe ich ausländische Presse gelesen; englisch erst Time Magazine und dann Newsweek, französisch den Nouvel Observateur. Dazu habe ich mir manchmal, wenn etwas Wichtiges passiert war, Le Monde gekauft oder die New York Herald Tribune. Mehr konnte man eigentlich nicht tun, wenn man halbwegs objektiv informiert sein wollte.
Heute dagegen ...

Herzlich, Zettel

PS: Das ging mir eben noch durch den Kopf: Werner Höfer, nicht nur ein großer Journalist, sondern auch ein unermüdlicher Leser, hat auf die Frage, wovon er träume, sinngemäß einmal geantwortet: Davon, daß er ständig die neuesten Nachrichten aus aller Welt zur Verfügung hätte. Das war in den siebziger Jahren, glaube ich.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 14:36
#9 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat von vielleichteinlinker
Ich seh mal wieder das Problem nicht. Wenn Buchhändler den Leuten egal sind dann genießen sie eben wenig Achtung. Wenn nur zwei von 100 Leuten Buchhändler zu den fünf Berufen zählt, die sie selbst achten, dann sind die Buchhändler den Leuten anscheinend egal.


Es ist ein Unterschied, ob nur wenige der Befragten den Buchhändlern eine besonders hohe Achtung entgegenbringen, oder ob die Buchhändler bei den Deutschen besonders wenig Achtung genießen. Ich fürchte, lieber Vielleichteinlinker, besser als in dem Artikel kann ich das leider nicht erläutern.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.03.2010 15:10
#10 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat von Zettel
Lange habe ich dem "Spiegel" vertraut, und zwar durchaus zu Recht.


Wirklich zu Recht? Ist wirklich der Spiegel schlechter geworden, oder wäre er uns damals (wenn wir schon Internet gehabt hätten) schon problematisch erschienen?

M. W. hatte der Spiegel schon immer die Neigung, seine Artikel gnadenlos auf eine Richtung zu bürsten. Wohlgemerkt nicht immer dieselbe Richtung, da kamen schon verschiedene Standpunkte zu Wort (heute durchaus auch noch).
Aber innerhalb eines Artikels war klar, was die Aussage sein sollte, ob gut oder böse angesagt war - und dann kamen konsequent auch nur die Fakten, die in dieses Bild paßten.

Ich kann mich an einen Leitartikel erinnern (muß in den frühen 70ern gewesen sein), da beschrieb der Spiegel ausführlich die Mißstände bei der Telekom (damals noch Post). Diese hätte systematisch verpennt, daß die Leute immer mehr in der Freizeit telephonieren. Das Leitungsnetz wäre auf Geschäftskunden ausgelegt, an den Wochenenden wäre alles überlastet, ein weiterer Zuwachs gar nicht mehr möglich - und so weiter. Eigentlich war die Aussage, daß ein völliger Zusammenbruch des Telephonnetzes nur noch eine Frage kurzer Zeit wäre.

Das hat mich damals sehr beeindruckt (der Spiegel war ja bei uns zu Hause oberste Autorität, noch vor den Fernsehnachrichten). Aber irgendwie hat es mich irritiert, daß von den beschriebenen Problemen in Praxis nichts zu erkennen war. Weder unterwegs noch zu Hause hatte ich es jemals erlebt, daß das Telephon nicht problemlos funktionierte. Und es war auch in der Folgezeit nie auch nur ein Hauch der prophezeiten Katastrophen zu sehen - ich habe aufmerksam darauf gewartet.

Über die 50er Jahre kann ich nichts sagen. Aber die Qualitätsprobleme beim Spiegel sind vielleicht keine Erscheinung erst der letzten Jahre.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

02.03.2010 15:55
#11 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Lange habe ich dem "Spiegel" vertraut, und zwar durchaus zu Recht.


Wirklich zu Recht? Ist wirklich der Spiegel schlechter geworden, oder wäre er uns damals (wenn wir schon Internet gehabt hätten) schon problematisch erschienen?




Ich kann mich erinnern - leider ohne die Fundstelle noch zu wissen, es war entweder in einem Buch über Walraff oder über die Hitler Tagebuch-Affäre - gelesen zu haben, daß ein Medienkritiker verschiedene Artikel an jeweils für das spezielle Gebiet kompetente Fachleute gesandt habe mit der Bitte, sie auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen und zugleich ihre Einschätzung mitzuteilen, wie sie über die Qualität der Spiegel-Berichterstattung generell denken. Alle kritisierten den ihnen zugesandten Artikel als sachlich falsch, tendenziös und mit fehlerhaften Schlußfolgerungen garniert. Ebenso waren alle davon überzeugt, daß der Spiegel an sich gute Arbeit leistet, sauber recherchiert und die Fakten korrekt wiedergibt.

Ein Teil des Ansehens, daß der Spiegel besitzt oder früher besaß, könnte auf diesen Effekt zurückzuführen sein, also letztlich darauf, daß er die Vorurteile seiner Leser gut zu bedienen wußte. Man sah sich selbst bestätigt und setzte das mit gutem Journalismus gleich.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

02.03.2010 16:02
#12 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat
Alle kritisierten den ihnen zugesandten Artikel als sachlich falsch, tendenziös und mit fehlerhaften Schlußfolgerungen garniert. Ebenso waren alle davon überzeugt, daß der Spiegel an sich gute Arbeit leistet, sauber recherchiert und die Fakten korrekt wiedergibt.



Solche Dissonanzen scheinen gar nicht ungewöhnlich zu sein, wird doch gewöhnlich in Umfragen die eigene Lage besser beurteilt als die der Gesamtheit.

Bei uns zu Haus war's wie bei R.A.: Der Spiegel genoß großes Ansehen, nur wenn er sich mit der Ärzteschaft befaßte, schüttelte mein Vater den Kopf und beschwerte sich über die Ahnungslosigkeit der Redakteure. Nur Betriebsblindheit meines Vaters? Wohl kaum!

Herzlich, Thomas

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 16:04
#13 Der "Spiegel" Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Lange habe ich dem "Spiegel" vertraut, und zwar durchaus zu Recht.


Wirklich zu Recht? Ist wirklich der Spiegel schlechter geworden, oder wäre er uns damals (wenn wir schon Internet gehabt hätten) schon problematisch erschienen?



Schwer zu entscheiden. Ich bin da zugegebenermaßen auch ein parteilicher Zeuge. Ich habe den "Spiegel" mit ungefähr acht Jahren zu lesen angefangen; ich glaube, ich habe das schon einmal erwähnt:

Für das Wartezimmer meines Vaters gab es eine sogenannte "Lesemappe", und wenn diese wöchentlich ausgetauscht wurde, ging sie nicht sofort zurück, sondern sie stand eine weitere Woche der Familie zur Verfügung. So daß ich außer "Stern", "Quick", "Revue", "Kristall", der Neuen, der Frankfurter, der Münchner Illustrierten eben auch den "Spiegel" lesen konnte.

Mit ein paar Wochen Vespätung erfuhr ich also alles, was es in der Welt gab, und das hat mein Weltbild nachhaltig geprägt. Ein paar Jahre später habe ich es erreicht, daß ich ein "Spiegel"-Abo geschenkt bekam.

Zitat von R.A.
M. W. hatte der Spiegel schon immer die Neigung, seine Artikel gnadenlos auf eine Richtung zu bürsten. Wohlgemerkt nicht immer dieselbe Richtung, da kamen schon verschiedene Standpunkte zu Wort (heute durchaus auch noch). Aber innerhalb eines Artikels war klar, was die Aussage sein sollte, ob gut oder böse angesagt war - und dann kamen konsequent auch nur die Fakten, die in dieses Bild paßten.


Das stimmt. Es ist die Dramaturgie der "Story", so wie der "Spiegel" sie entwickelt hat (anders übrigens als bei den Vorbildern "Economist" und "Time").

Aber das politische Spektrum war eben bis Ende der sechziger Jahre wirklich breit. Einer der wichtigsten Redakteure war zB Georg Wolff, Ressortchef und, wenn ich mich recht erinnere, zeitweilig auch stellvertretender Chefredakteur, ein in der Wolle gefärbter Konservativer und Antikommunist, enger Freund Augsteins. Unter anderen einflußreichen Redakteuren waren zB der ebenfalls konservative Claus Jacobi (später "Welt am Sonntag") und Conrad Ahlers, ein rechter Sozialdemokrat und Militärexperte. Niemand von ihnen hätte heute beim "Spiegel" noch eine Chance.

Ein anderer Aspekt ist, daß der "Spiegel" bis zur Einführung der elektronischen Datenspeicherung und dann des Internet konkurrenzlos war, was die Fülle und Genauigkeit der Informationen anging. Kein deutsches Medium leistete sich ein auch nur entfernt so umfangreiches Dokumentations-Ressort. Kein Medium hat so konsequent die angelsächsische Tradition des investigativen Journalismus in Deutschland übernommen. (Heute macht das fast jeder; und manche haben es, wie Hans Leyendecker, beim "Spiegel" gelernt).

Ich habe dem "Spiegel" wirklich viel zu verdanken. Meine liberale Weltsicht ist durch die Lektüre des "Spiegel" als Jugendlicher entstanden. Die damals noch zahlreichen Artikel zu geschichtlichen und kulturellen Themen haben mich, weit mehr als die Schule, in viele Bereiche eingeführt - von Bismarck und Fritz von Holstein bis zu Rilke, Nietzsche und Arno Schmidt. Über diesen hat Gunnar Ortlepp, einer der vielen eigenwilligen Köpfe beim damaligen "Spiegel", eine glänzende Titelgeschichte geschrieben. Ich werde gleich mal nachsehen, wann das genau war. Der Titel des Artikels bestand, wenn ich mich recht erinnere, nur aus Satzzeichen.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 16:17
#14 RE: Der "Spiegel" Antworten

Zitat von Zettel
Ich werde gleich mal nachsehen, wann das genau war. Der Titel des Artikels bestand, wenn ich mich recht erinnere, nur aus Satzzeichen.


Hier ist der Artikel vom Mai 1959 als PDF (empfehlenswert) und hier als HTML.

Aus meiner Sicht immer noch die beste Einführung in den "frühen" Arno Schmidt.

Herzlich, Zettel

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

02.03.2010 16:26
#15 RE: Der "Spiegel" Antworten

Erstaunlich, wie sehr der SPIEGEL in Zettels Zimmer und unter seinen Bewohnern verbreitet war. Bei uns Zuhause gabs den SPIEGEL nicht.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

02.03.2010 16:27
#16 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat von Thomas Pauli

Bei uns zu Haus war's wie bei R.A.: Der Spiegel genoß großes Ansehen, nur wenn er sich mit der Ärzteschaft befaßte, schüttelte mein Vater den Kopf und beschwerte sich über die Ahnungslosigkeit der Redakteure. Nur Betriebsblindheit meines Vaters? Wohl kaum!



In meinem Umfeld war ich jahrelang der einzige Spiegel-Leser (auch erst als der schon im Farbdruck erschien) und fühlte mich immer top-informiert ... solange die Artikel nicht mein eigenes Metier betrafen, denn dann wars die blanke Oberflächenbeleuchtung. Teilweise stark simplifiziert, teilweise grob verzerrt (tendenziös), oder auch gleich ganz falsch. Ein Graus.

Bis zur Absägung Stefan Austs hatte ich aber trotzdem noch großes Vertrauen in das Blatt. Nach der Berufung Müller von Blumencrons zum Chefredakteur (welcher SpOn zur elektronischen "Bild-für-Besserwisser" hochgepusht hat) ist es aber aus mit der Liebe. Eigentlich schade drum, war auch 'ne schöne Zeit.

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Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

02.03.2010 17:05
#17 RE: Der "Spiegel" Antworten

Zitat von Zettel

Aber das politische Spektrum war eben bis Ende der sechziger Jahre wirklich breit. Einer der wichtigsten Redakteure war zB Georg Wolff, Ressortchef und, wenn ich mich recht erinnere, zeitweilig auch stellvertretender Chefredakteur, ein in der Wolle gefärbter Konservativer und Antikommunist, enger Freund Augsteins.



Ein wirklich breites Spektrum, das muß man schon sagen: SS-Hauptsturmführer Georg Wolff, 1938 Referent beim SD-Leitabschnitt Königsberg, 1940 bei einem SS-Einsatzkommando in Norwegen, dann bis Kriegsende Referatsleiter in der Abteilung III des SD beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Oslo, wo er die „Meldungen aus Norwegen“ an das Reichssicherheitshauptamt betreute.

In dieser kriegsentscheidenden Position war er - trotz seines Geburtsjahrgang 1914 - leider, leider am Fronteinsatz gehindert, obwohl er an der Ostfront bestimmt gern den jüdisch-bolschewistischen Feind bekämpft hätte.

Ganz sicher ein in der Wolle gefärbter Konservativer und genau der richtige Mann, um beim Spiegel den Deutschen die Demokratie beizubringen...

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 17:05
#18 Wikipedia Antworten

Zitat von Zettel
Aber das politische Spektrum war eben bis Ende der sechziger Jahre wirklich breit. Einer der wichtigsten Redakteure war zB Georg Wolff, Ressortchef und, wenn ich mich recht erinnere, zeitweilig auch stellvertretender Chefredakteur, ein in der Wolle gefärbter Konservativer und Antikommunist, enger Freund Augsteins.


Als ich, um meine Erinnerung zu verifizieren, daß Wolff es bis zum stellvertretenden Chefredakteur gebracht hatte, in der Wikipedia nachsehen wollte, habe ich diesen Artikel vorgefunden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Wolff_(Journalist)

Ein klassisches Beispiel für die Einseitigkeit, ja den agitatorischen Charakter vieler Beiträge in der deutschen Wikipedia.

Wolff war einer der wichtigsten deutschen Journalisten der Nachkriegszeit. Der Artikel enthält aber fast keine Informationen über seine Leistungen in dieser Zeit - also ungefähr von seinem dreißigsten bis zu seinem siebzigsten Lebensjahr -, sondern er konzentriert sich auf die Studentenzeit Wolffs und seine Karriere im Alter zwischen 25 und 30 Jahren; da war er nämlich in der SS und im SD der Nazis. Die Quellen sind linke Pamphlete; u.a. von dem notorischen Otto Köhler und dem seriöseren, aber extrem einseitigen Ernst Klee.

Meines Erachtens sollten solche Flecken auf einer Biografie nicht verschwiegen werden.

Ich habe kürzlich zB auf Tissy Bruns aufmerksam gemacht, die früher kommunistische, heute liberale Journalistin, die in ihrer Jugend u.a. Mitarbeiterin beim Parteivorstand der DKP war. Noch in den achtziger Jahren - da war sie immerhin schon älter als Georg Wolff während seiner Zeit bei der SS - war sie Journalistin bei der von der DKP gesteuerten und weitgehend aus der DDR finanzierten "Deutschen Volkszeitung".

Aber man kann die Biografie eines Menschen doch nicht auf die Verirrungen seines dritten Lebensjahrzehnts reduzieren.

Ihre kommunistische Verirrung haftet Tissy Bruns heute nicht mehr an; sie scheint ihrem Ansehen überhaupt nicht zu schaden. Wahrscheinlich zu Recht, denn sie scheint sich ja wirklich gewandelt zu haben.

Georg Wolff aber, der sich in seinen vielen Arbeiten für den "Spiegel" als untadeliger Demokrat erwiesen hat (er schrieb unter anderem eine große Serie über Konrad Adenauer), wird in Wikipedia so dargestellt, als sei das einzig Wichtige an seiner Biografie das, was er im Alter unter dreißig Jahren tat.

Gewiß, die Wikipedia ist so gut und so schlecht wie ihre Autoren. Was mir immer wieder auffällt: Bei irgendwie "gesellschaftlich relevanten" Themen engagieren sich offenbar gezielt linke Autoren. Sie sind fleißig; und es fehlt an liberalen und konservativen Autoren, die ihre Einseitigkeiten korrigieren könnten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 17:18
#19 RE: Der "Spiegel" Antworten

Zitat von JeffDavis
Ein wirklich breites Spektrum, das muß man schon sagen: SS-Hauptsturmführer Georg Wolff, 1938 Referent beim SD-Leitabschnitt Königsberg, 1940 bei einem SS-Einsatzkommando in Norwegen, dann bis Kriegsende Referatsleiter in der Abteilung III des SD beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Oslo, wo er die „Meldungen aus Norwegen“ an das Reichssicherheitshauptamt betreute.


Wir haben, lieber JeffDavis, dazu parallel etwas geschrieben.

Sind Sie der Meinung, daß jemand, der im Alter zwischen 25 und 30 Jahren in dieser Weise verstrickt war - ein persönliches Fehlverhalten ist ihm meines Wissens nie vorgeworfen, geschweige denn nachgewiesen worden -, für den Rest seines Lebens gebrandmarkt ist und man ihm nicht abnehmen darf, daß er ein Demokrat und ein Konservativer geworden ist?

Wenn Sie das meinen, wie sollten wir Ihres Erachtens mit Menschen wie Tissy Bruns verfahren; mit Leuten wie der ehemaligen Ministerin Ulla Schmidt, die ebenso wie die heute sehr angesehene Theologin Antje Vollmer Kommunistin war?

Ich bin der Meinung, daß wir mit gleichen Maßstäben messen sollten. Wer sich persönlich etwas hat zuschulden kommen lassen, der muß die Folgen tragen. Wer im Alter von unter 30 Jahren politisch geirrt hat, dem muß man das Recht einräumen, sich zu wandeln.

Und wenn er Journalist ist, dann muß man ihn an dem messen, was er in diesem Beruf schrieb und schreibt. Wolff hat ausgezeichnete Artikel und Serien im "Spiegel" geschrieben; nicht umsonst genoß er das besondere Vertrauen Augsteins (von allen dem steht in der Wikipedia, aus der Sie, liebe JeffDavis, vermutlich ihre Informationen haben, kein Wort). An seiner demokratischen Überzeugung besteht überhaupt kein Zweifel. Tissy Bruns ist heute eine überzeugende liberale Journalistin.

Was Sie zitieren, geht übrigens auf das Buch Otto Köhlers zurück, der bekanntlich eine Zeitlang Kolumnist beim "Spiegel" war, der das Blatt im Streit verließ (wenn ich mich recht erinnere, wurde er gefeuert) und der danach versuchte, es als Nazi-verseucht zu diffamieren.

Herzlich, Zettel

Pablo Offline




Beiträge: 3

02.03.2010 17:34
#20 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Ja, schöner Kommentar und Artikel zum Berufsansehen und was die Demoskopen dazu sagen. Dass jene, die mit den demoskopischen Daten arbeiten, selbst nicht so genau wissen, was sie tun, scheint mir aber im Fall der Allensbacher Berufsprestig-Umfrage eine überflüssige Bemerkung zu sein. Denn zu der hier besprochenen Umfrage gibt es im Netz eine Kommentierung des damals Verantwortlichen, die manches ähnlich zeigt, wie der hier kommentierte Artikel und doch manches sehr viel genauer sagt - finde ich: http://www.buchmarkt.de/content/31342-da...gsgespraech.htm. Mit Grüßen aus Tübingen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 17:52
#21 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Zitat von Pablo
Ja, schöner Kommentar und Artikel zum Berufsansehen und was die Demoskopen dazu sagen. Dass jene, die mit den demoskopischen Daten arbeiten, selbst nicht so genau wissen, was sie tun, scheint mir aber im Fall der Allensbacher Berufsprestig-Umfrage eine überflüssige Bemerkung zu sein. Denn zu der hier besprochenen Umfrage gibt es im Netz eine Kommentierung des damals Verantwortlichen, die manches ähnlich zeigt, wie der hier kommentierte Artikel und doch manches sehr viel genauer sagt - finde ich: http://www.buchmarkt.de/content/31342-da...gsgespraech.htm. Mit Grüßen aus Tübingen.


Vielen Dank für den Link, lieber Pablo! Ja, in der Tat - der Allensbach-Mitarbeiter Edgar Piel erläutert das im Kern genauso, wie ich es in dem Artikel zu tun versucht habe.

Habe ich - bezogen auf die Demoskopen - geschrieben, daß "jene, die mit den demoskopischen Daten arbeiten, selbst nicht so genau wissen, was sie tun"? Meine Meinung ist das jedenfalls keinesfalls; ich verteidige ja im Gegenteil mit schöner Regelmäßigkeit in den hiesigen Diskussionen die Demoskopie.

Ich habe den Artikel jetzt noch einmal daraufhin durchgelesen und sehe jetzt, welche Passage Sie mißverstanden haben. Ich habe geschrieben: "Demoskopische Daten werden immer gern zitiert. Selten verstehen diejenigen, die mit ihnen hantieren, aber die Demoskopie. Das führt immer wieder zu kuriosen Mißverständnissen und Irrtümern".

Ich hatte eigentlich gedacht, daß aus dem Kontext hervorgeht, wen ich mit "diejenigen, die mit ihnen hantieren" meine - nämlich gerade nicht die Demoskopen, sondern die ja auch sonst in dem Artikel kritisierten Journalisten, die demoskopische Daten herauspicken und sie falsch verstehen.

Herzlich, Zettel

PS: Willkommen im kleinen Zimmer!

Pablo Offline




Beiträge: 3

02.03.2010 18:08
#22 RE: KKK: Das Ansehen der Buchhänder Antworten

Lieber Zettel, ja danke. Es schien mir jedenfalls ein bisschen undifferenziert ausgedrückt zu sein im Artikel. Journalisten benutzen demoskopische Daten exakt wie es ihnen in den Kram passt. Das ist sicherlich wahr. Um den statistischen Hintergrund oder gar um einen genauen Blick auf die jeweilige Fragestellung scheren sie sich nicht. - Ich bin neu hier und schaue mich mal den den Räumen um. Noch mal Grüße.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

02.03.2010 20:49
#23 RE: Wikipedia Antworten

Zitat von Zettel

Ein klassisches Beispiel für die Einseitigkeit, ja den agitatorischen Charakter vieler Beiträge in der deutschen Wikipedia.
Wolff war einer der wichtigsten deutschen Journalisten der Nachkriegszeit. Der Artikel enthält aber fast keine Informationen über seine Leistungen in dieser Zeit - also ungefähr von seinem dreißigsten bis zu seinem siebzigsten Lebensjahr -, sondern er konzentriert sich auf die Studentenzeit Wolffs und seine Karriere im Alter zwischen 25 und 30 Jahren; da war er nämlich in der SS und im SD der Nazis. Die Quellen sind linke Pamphlete; u.a. von dem notorischen Otto Köhler und dem seriöseren, aber extrem einseitigen Ernst Klee.
Meines Erachtens sollten solche Flecken auf einer Biografie nicht verschwiegen werden.
Aber man kann die Biografie eines Menschen doch nicht auf die Verirrungen seines dritten Lebensjahrzehnts reduzieren.
Ihre kommunistische Verirrung haftet Tissy Bruns heute nicht mehr an; sie scheint ihrem Ansehen überhaupt nicht zu schaden. Wahrscheinlich zu Recht, denn sie scheint sich ja wirklich gewandelt zu haben.
Georg Wolff aber, der sich in seinen vielen Arbeiten für den "Spiegel" als untadeliger Demokrat erwiesen hat (er schrieb unter anderem eine große Serie über Konrad Adenauer), wird in Wikipedia so dargestellt, als sei das einzig Wichtige an seiner Biografie das, was er im Alter unter dreißig Jahren tat.
Gewiß, die Wikipedia ist so gut und so schlecht wie ihre Autoren. Was mir immer wieder auffällt: Bei irgendwie "gesellschaftlich relevanten" Themen engagieren sich offenbar gezielt linke Autoren. Sie sind fleißig; und es fehlt an liberalen und konservativen Autoren, die ihre Einseitigkeiten korrigieren könnten.



Lieber Zettel, in der Beurteilung der Wikipedia-Artikel stimme ich Ihnen zu. Die Artikel zu vielen Themen sind unzuverlässig und fragwürdig. Es wird auch sehr viel manipuliert. Ich nutze Wikipedia deshalb fast ausschließlich als Ausgangspunkt für eigene Recherchen, und fast nie als seriöse Quelle. Natürlich gibt es auch erstklassige Beiträge.


Was nun Herrn Wolff angeht, habe ich zuerst in meiner Bibliothek nachgesehen. Mir schwebte im Hinterkopf herum, daß ich in einem Buch oder Artikel gelesen hätte, Georg Wolff sei beim SD gewesen. Der Autor merkte - daran konnte ich mich erinnern - dann an, daß Wolff sein Metier im Grunde nicht geändert habe, er sei auch nach 1945 immer noch mit der Überwachung weltanschaulich Andersdenkender beschäftigt gewesen, nur eben in anderer Uniform.

Leider sind nach meinem Umzug aus Platzmangel noch viele Bücher in Kisten, ich kann nicht alles gleich nachprüfen. Nach mehreren Jahrzehnten lesen habe ich auch nicht mehr alle Daten im Kopf. Es war aber definitiv nicht Köhler, den Mann kenne ich nicht. Politisch linke Literatur lese ich nur ungern und äußerst selten. Ich hatte zuerst Kurt Ziesel vermutet, der ja in den 50ern ein Buch über das Thema geschrieben hat, aber im Personenregister taucht Wolff nicht auf. Jedenfalls habe ich erst auf Wikipedia nachgesehen, als ich im Ziesel nichts gefunden hatte. Und fand mein Gedächtnis bestätigt.


Was Herrn Wolff weiter angeht, so bin ich der letzte, der jemandem seine jugendliche oder auch nicht so jugendliche Biographie vorhält. Schon von Berufs wegen habe ich viel mit Personen zu tun gehabt, denen vorgeworfen wurde, das kommunistische System der UdSSR gestützt zu haben, während davon in Wirklichkeit keine Rede sein konnte. Im Gegensatz zur üblichen Praxis in diesem unserem Lande bin ich bei allen zurückhaltend und nachsichtig, die ihr Leben unter einer Diktatur verbringen mußten, nicht nur bei Linken. Ich kann differenzieren und - so denke ich - mich auch in gewisssem Umfang in deren Lage versetzen.

Ich weiß von den Taten des NKWD, aber auch von einem früheren Mandanten, daß ihn 1944 NKWD-Offiziere in Moskau nach seiner Flucht aus einem sibirischen Lager zu einer neuen Identität verhalfen. Ich weiß, das Parteimitglied nicht Parteimitglied ist, man sich aus allen möglichen Beweggründen zur Waffen-SS gemeldet hat, oder daß man gegen seinen Willen von der Kripo zur Gestapo versetzt werden konnte.

Wolff war aber nicht bei der Waffen-SS, dem NSKK oder der SA. Er war beim Sicherheitsdienst der SS, und zwar schon vor dem Krieg. Und da kam man nicht irgendwie zufällig hin, zum SD wurde man nicht einberufen oder abkommandiert, sondern mußte entweder weltanschaulich ein überzeugter Nationalsozialist oder aber ein Opportunist erster Klasse sein. Ich lasse mich gern durch Fakten eines Besseren belehren. Aber bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich nicht davon aus, daß Wolff "im Widerstand war". Einem Hauptsturmführer und Frontoffizier der Waffen-SS könnte man es nach dem Krieg abnehmen, aber ein Hauptsturmführer beim SD als untadeliger Demokrat? Das muß man mir erst beweisen...

Aufgrund seine Alters bezweifele ich eine konservative Sozialisation. Dazu war er zu jung. Alles spricht dafür, daß er als Student entweder einer dieser jungen Scharfmacher war, oder Karriere machen wollte. Den Antikommunisten glaube ich ihm ohne weiteres, den in der Wolle gefärbten Konservativen nicht. Solche Typen gab es damals und gibt es heute haufenweise. Den ganzen Krieg über hat er gemütlich und weit vom Schuß in Norwegen beim SD gesessen und die norwegische Bevölkerung überwacht. Ich wette, er hat den ganzen Krieg über keinen scharfen Schuß gehört, während seine Jahrgangskollegen an der Front waren.

Ergo, ein Drückeberger und entweder ein Karrierist oder einer der 150%igen Scharfmacher. Wenn dann so einer nach 1945 beim Spiegel auftaucht und den überzeugten Demokraten mimt, finde ich das unglaubwürdig.

Zumal Wolff nicht der einzige Journalist war, der vor 1945 ein strammer Nationalsozialist, nach 1945 Widerstandskämpfer war. Nannen war SS-Kriegsberichter bei der Standarte "Kurt Eggers", Karl Korn (FAZ), Wilhelm Emanuel Süskind (SZ), Dr.Hans Joachim Sperr (SZ), Friedrich Märker (nach dem Krieg Präsident des Bayer Schriftstllerverbandes), Jochen Wilke (SZ-Verlag, Die Abendzeitung, Münchener Illustrierte), Josef Müller-Marein (Die Zeit) stehen nur stellvertretend für viele Journalisten, Kritiker und Schriftsteller, die die gleiche "Karriere" durchliefen.

Ich bin gerne bereit, mein Urteil über Wolff zu revidieren, wenn Sie mir Informationen dazu oder zumindest einen Ausgangpunkt für seriöse Recherchen geben könnten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.03.2010 22:28
#24 RE: Wikipedia Antworten

Zitat von JeffDavis
Was nun Herrn Wolff angeht, habe ich zuerst in meiner Bibliothek nachgesehen. Mir schwebte im Hinterkopf herum, daß ich in einem Buch oder Artikel gelesen hätte, Georg Wolff sei beim SD gewesen. Der Autor merkte - daran konnte ich mich erinnern - dann an, daß Wolff sein Metier im Grunde nicht geändert habe, er sei auch nach 1945 immer noch mit der Überwachung weltanschaulich Andersdenkender beschäftigt gewesen, nur eben in anderer Uniform.


Hm, das klingt seltsam. Denn Wolff war zwar - was die Wikipedia richtig nennt - zusammen mit Dr. Horst Mahnke (auch er NS-belastet), bevor die beiden "Spiegel"-Redakteure wurden, Autor der Serie "Am Caffeehandel betheiligt", die in der Tat ein Stück investigativer Journalismus war (ich habe sie vor ein paar Jahren wiedergelesen, als ich die betreffende Bände erworben hatte). Mit Weltanschauung hatte das aber nichts zu tun; es ging um die kleinen und großen Ganoven der Nachkriegszeit. Später trat Wolff in die Redaktion des "Spiegel" ein und hat dann meines Wissens nie mehr als Reporter gearbeitet.

Er war - ich schreibe das jetzt alles aus der Erinnerung - zuständig für die Geisteswissenschaften, während Johannes K. Engel die Naturwissenschaften betreute. Er hat nicht nur die grandiose Serie über Konrad Adenauer geschrieben, sondern meines Wissens auch die Serie "Warten aufs letzte Gefecht" - mit das Beste, was ich jemals über die Geschichte des Kommunismus gelesen habe. Er hat "Spiegel"-Gespräche zum Beispiel mit Sartre und Herbert Marcuse geführt; er hat gemeinsam mit Rudolf Augstein das legendäre Gespräch mit Heidegger geführt, das auf Heideggers Wunsch erst nach dessen Tod veröffentlicht werden durfte.

Das sind Details, an die ich mich teils aus der Lektüre des "Spiegel" erinnere, teils aus der Lektüre des halben Dutzend Augstein-Biografien und Geschichten des "Spiegel", die ich gelesen habe. Ich kann nicht mehr sagen, wo ich was gelesen habe und bitte dafür um Nachsicht. Falls es Sie interessiert, lieber JeffDavis, und wir weiter darüber diskutieren sollten, hole ich diese Bücher aus meiner Bibliothek und sehe sie durch.

Zitat von JeffDavis
Wolff war aber nicht bei der Waffen-SS, dem NSKK oder der SA. Er war beim Sicherheitsdienst der SS, und zwar schon vor dem Krieg. Und da kam man nicht irgendwie zufällig hin, zum SD wurde man nicht einberufen oder abkommandiert, sondern mußte entweder weltanschaulich ein überzeugter Nationalsozialist oder aber ein Opportunist erster Klasse sein. Ich lasse mich gern durch Fakten eines Besseren belehren. Aber bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich nicht davon aus, daß Wolff "im Widerstand war". Einem Hauptsturmführer und Frontoffizier der Waffen-SS könnte man es nach dem Krieg abnehmen, aber ein Hauptsturmführer beim SD als untadeliger Demokrat? Das muß man mir erst beweisen...


Ich habe ja nicht behauptet, daß er vor 1945 ein untadeliger Demokrat war oder gar im Widerstand. Er mag ein Karrierist gewesen sein; vielleicht war er auch einmal gläubiger Nazi. Ich weiß darüber nichts. Nur erlaube ich mir noch einmal den Hinweis, daß er zwei Monate vor Kriegsende 31 Jahre geworden war.

Ich kenne keinen Anhaltspunkt dafür, daß er nach 1945 immer noch Nazi war; wenn er es denn je gewesen war. Er hat sich meines Wissens nie politisch betätigt. Ich kenne keine Zeile von ihm, die auf eine rechtsextreme Gesinnung hindeutet. Er war, soweit ich das beurteilen kann, zu einem liberalen bis konservativen Demokraten geworden; ein Bewunderer Konrad Adenauers. Wenn ich mich recht erinnere, hat Peter Merseburger in seiner Augstein-Biografie etwas zu ihm und seinem Verhältnis zu Augstein geschrieben; ich werde das gleich einmal nachsehen.

Zitat von JeffDavis
Aufgrund seine Alters bezweifele ich eine konservative Sozialisation. Dazu war er zu jung. Alles spricht dafür, daß er als Student entweder einer dieser jungen Scharfmacher war, oder Karriere machen wollte. Den Antikommunisten glaube ich ihm ohne weiteres, den in der Wolle gefärbten Konservativen nicht. Solche Typen gab es damals und gibt es heute haufenweise. Den ganzen Krieg über hat er gemütlich und weit vom Schuß in Norwegen beim SD gesessen und die norwegische Bevölkerung überwacht. Ich wette, er hat den ganzen Krieg über keinen scharfen Schuß gehört, während seine Jahrgangskollegen an der Front waren. Ergo, ein Drückeberger und entweder ein Karrierist oder einer der 150%igen Scharfmacher. Wenn dann so einer nach 1945 beim Spiegel auftaucht und den überzeugten Demokraten mimt, finde ich das unglaubwürdig.


Hm und nochmal hm, lieber JeffDavis. Ich habe mich ausgesprochen gefreut, als Sie in dieses Forum kamen, weil das, was Sie schreiben, eigentlich immer konkret und faktenbezogen ist. Jetzt erfinden Sie aber eine Biografie, die Sie doch, scheint mir, überhaupt nicht kennen. Alles könnte anders gewesen sein.

Zitat von JeffDavis
Zumal Wolff nicht der einzige Journalist war, der vor 1945 ein strammer Nationalsozialist, nach 1945 Widerstandskämpfer war. Nannen war SS-Kriegsberichter bei der Standarte "Kurt Eggers", Karl Korn (FAZ), Wilhelm Emanuel Süskind (SZ), Dr.Hans Joachim Sperr (SZ), Friedrich Märker (nach dem Krieg Präsident des Bayer Schriftstllerverbandes), Jochen Wilke (SZ-Verlag, Die Abendzeitung, Münchener Illustrierte), Josef Müller-Marein (Die Zeit) stehen nur stellvertretend für viele Journalisten, Kritiker und Schriftsteller, die die gleiche "Karriere" durchliefen.


Und die überwiegend gute Demokraten (geworden) waren. Wie Werner Höfer, den Sie auch noch hätten nennen können.

Wir haben das ja schon oft diskutiert: Meine persönliche Haltung ist, daß man niemanden dafür verurteilen sollte, daß er in einem totalitären Unrechtsstaat sich arrangiert hat, statt in den Widerstand zu gehen. Niemand von uns, die wir nicht in dieser Situation gewesen waren, weiß doch, wie er sich verhalten hätte.

Herzlich, Zettel

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

02.03.2010 23:35
#25 RE: Wikipedia Antworten

Lieber Zettel.

ich habe bestimmt nichts dagegen, mehr über Wolffs Tätigkeit nach dem Kriege, besonders beim Spiegel, zu erfahren. Wenn es die Möglichkeit gibt, seine Artikel zu lesen, würde ich das nutzen wollen (ohne ein kostenpflichtiges Abo oä.) Ich denke auch, daß die Bemerkung über Wolff, die ich in meinem Beitrag erwähnte, bissig/sarkastisch gemeint war. Aber weder die Zugehörigkeit zum SD noch seine Tätigkeit in Norwegen sind mW bestritten worden.

Ihren Vorwurf, ich würde bei Wolff eine Biographie erfinden, kann ich nicht teilen. Sie sind nach eigenem Bekunden militärhistorisch nicht bewandert. Ich bin zwar auch kein Historiker, aber mein militärgeschichtliches Wissen, speziell zu dieser Zeit, gestattet es mir, aus den nicht bestrittenen Fakten Schlüsse zu ziehen:

Seit 1938 beim SD bedeutet, daß er nicht als Polizeireservist, frontuntauglicher SS-Angehöriger oder Kriegsfreiwilliger dorthin gelangt sein kann, sondern er hat die zuständigen Vorgesetzen bzw. SS-Angehörigen davon überzeugt, mit Herz und Seele Nationalsozialist zu sein.

Seit April 1940 bis Kriegsende in Norwegen beim Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD bedeutet, daß er nie an der Front war. Der SD war nicht für den Fronteinsatz bestimmt, sondern eine Gestapo-ähnliche Teilorganisation der SS. Er war ua. bei der Judenverfolgung eingesetzt, bekämpfte Agenten der OSS, SOE und die Widerstandsbewegungen, überwachte die Bevölkerung in den besetzten Gebieten und im Reich, und unterhielt ein Netz an Agenten und V-Leuten.In dieser Funktion kam Wolff in Norwegen daher erst nach den kurzen Kampfhandlungen im April 1940 an und war den Rest des Krieges mit einem Bürojob gesegnet. In dieser Funktion mußte er nicht am schmutzigen Krieg gegen Agenten und Widerstand teilnehmen, auch nicht an der Judenverfolgung. Er hat Berichte verfaßt und die norwegische Bevölkerung überwacht.

Als Jahrgang 1914 hätte er - da nicht untauglich, denn dann hätten sie ihn 1938 nicht in den SD gelassen - unter normalen Umständen bei einer Kampfeinheit dienen müssen, beim Heer, der Marine oder der Luftwaffe, jedenfalls vorn. In seinem Fall hätte es nahegelegen, sich freiwillig zur Waffen-SS zu melden. Er war auch schließlich nicht als Bergmann, Lokführer oder Facharbeiter uk-gestellt, sondern ein gesunder junger Mann und SS-Angehöriger mit Schreibtischposten, der sich jederzeit hätte melden können. Das wurde sogar gern gesehen (Frontbewährung), war aber natürlich gefährlich. Er hat es nicht getan und ich nenne unter diesen Umständen einen solchen SS-Mann einen Drückeberger.

Im übrigen habe ich in 20 Berufsjahren sehr oft mit der Bewertung amtlicher Auskünfte zur Wehrmachtslaufbahn etcpp. zu tun gehabt und ein entsprechende Fachliteratur zusammengetragen. Ich muß nichts spekulieren, sondern meine Schlußfolgerungen haben in den historischen Umständen und Fakten eine tatsächliche Grundlage. Wenn mir andere Fakten bekannt werden, bin ich gern bereit, die Sache neu zu bewerten, das habe ich ja ausdrücklich geschrieben. Bis dahin bleibe ich aus oa. Gründen bei meinen Schlußfolgerungen.


Das gilt übrigens auch für den Wolff nach 45. Ich habe - so denke ich - sehr deutlich gemacht, daß ich niemanden per se vorverurteile. Das gilt auch für Wolff. Aber bei seiner Vorgeschichte und angesichts der zahlreichen von mir nur zT aufgeführten "Widerstandskämpfer" aus den Reihen unserer Pressevertreter und Schriftsteller, werden Sie es mir - wenn Sie fair sind - nicht verübeln können, daß ich erst mal skeptisch bleibe.

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