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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 5 Antworten
und wurde 808 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.03.2010 01:07
Zitat des Tages: Die Logik der EU-Bürokratie Antworten

Die Kaderschmiede für französische Spitzenbeamte, die ENA, hatte seit ihrer Gründung ihren Sitz in Paris, wie die meisten Grandes Écoles. 1992 wurde sie nach Straßburg verlegt. Deutlicher hätte die französische Regierung kaum zum Ausdruck bringen können, wofür sie einen wesentlichen Teil ihrer hohen Beamten ausbildet: Für Europa. Seit den Zeiten der EWG hat Frankreich darauf gesetzt, seinen europäischen Einfluß auf dieser Ebene seiner Dominanz in der europäischen Bürokratie zu sichern.

Das muß man im Auge behalten, um zu verstehen, welche Logik in dieser Bürokratie dominiert. Es ist die Logik etatistischen, zentralistischen Denkens. Europa soll zentral von Brüssel aus regiert werden; und wenn es auch nur darum geht, wie sauer der Boden in Oberkleinwaldleben sein darf.

Natürlich sind die Franzosen nicht die einzigen, die von Brüssel aus herrschen wollen; herrschen zu wollen ist das Wesen jeder Bürokratie. Und keiner Bürokratie steht so wenig an Gegenmacht gegenüber wie derjenigen in Brüssel, samt allen sonstigen dortigen Institutionen.

Florian Offline



Beiträge: 3.171

09.03.2010 15:42
#2 RE: Zitat des Tages: Die Logik der EU-Bürokratie Antworten

zur Semantik:
"Richtlinie" trifft den Sachverhalt m.E. besser als "Direktive".

Entscheidend ist nämlich folgendes:
Es bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, wie sie die Richtlinien umsetzen.
Sie haben da also einen Spielraum. Es wird zwar das Ziel vorgegeben, aber nicht der Weg dorthin.

Zum Beispiel kann die EU in einer Richtlinie vielleicht gewisse Hygienestandards in Restaurants vorschreiben.
Wie diese Standards erreicht werden, ist aber den Mitgliedstaaten überlassen.
Sie können z.B. eine Menge Kontrolleure einsetzen. Oder sie verzichten auf Kontrolleure und werden nur bei konkreten Beschwerden von Gästen aktiv.
Sie können die Informationen über die neuen Standards als Holschuld für die Gastronomen definieren. Oder Zwangs-Schulungen für alle Gastronomen anordnen.
Vielleicht fordert man einen Hygiene-Beauftragten. Oder man belässt es bei einer obligatorischen Hinweistafel an der Küchentür.
Man kann die Maßnahmen festschreiben ("stündlich Händeputzen") oder nur das Ergebnis ("Fleischgerichte dürfen nicht mehr als X Krankheitserreger pro Gramm Fleisch enthalten").
Die Zuständigkeit für die Maßnahmen kann beim Gesundheitsministerium liegen. Oder bei der IHK. Oder sogar bei einer privaten Organisation wie dem Gaststättenverband.
Verstösse können mit Geldstrafen geahndet werden. Oder mit Berufsverbot. Oder man führt ein öffentliches Register mit allen Übeltätern.

etc.etc.
Die nationalen Regierungen haben somit in der Umsetzung einen Spielraum.
Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass die Umsetzung dadurch an die Situation vor Ort angepasst werden kann.
(Und daher finde ich "Richtlinie" auch einen passenden Begriff).


Wenn nun eine EU-Richtlinie sich als bürokratisches Monstrum entpuppt, dann muss man im Einzelfall daher auch genau hinschauen, woran das liegt. Es kann nämlich auch die nationale Umsetzung sein, die das eigentliche Problem darstellt.
(Dass die dafür verantwortlichen nationalen Politiker dann wegen der entstandenen Probleme immer gerne auf Brüssel zeigen, ist auch klar).


[Disclaimer:
Ich bin weit davon entfernt, alles toll zu finden, was die EU sich ausdenkt. Auch bei Ihrem aktuellen Beispiel mit dem Bodenschutz bin ich 100% bei Ihnen. Nach jeder inneren Logik sollte das rein nationales Recht sein.
Allerdings halte ich es für sehr wichtig, sich darüber im klaren zu sein, was nun wirklich die Verantwortung bzw. das Verschulden der EU ist und wo die Verantwortung der nationalen Regierungen beginnt.
Man sollte es den nationalen Regierungen nämlich nicht zu leicht machen, einfach alle Schwierigkeiten auf "die in Brüssel" zu schieben.]

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

09.03.2010 16:04
#3 RE: Zitat des Tages: Die Logik der EU-Bürokratie Antworten

Wenn ich diesen ZR-Artikel lese, anschließend solche Videos von report-München sehe, und dann auch noch einer so hübschen FAZ-Grafik ansichtig werde, freue ich mich direkt über die neuen Möglichkeiten des Lissabon-Vertrags (Ausstiegsklausel).

Überlassen wir die EU doch ganz den ENA-Bürokraten und holen unsere Politiker aus Brüssel zurück. Die werden hierzulande bestimmt ganz dringend gebraucht.

Deutschland raus ... der Restladen klappt finanziell zusammen ... weitere Länder folgen ... Neuanfang. Mal ehrlich, diese EU hat nichts mehr mit der europäischen Idee zu tun, sondern ist nur noch eine überdimensionierte Bürokratenspielwiese mit angeschlossenem Politiker-Abladeplatz.

Gruß, Calimero

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Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.03.2010 16:18
#4 RE: Zitat des Tages: Die Logik der EU-Bürokratie Antworten

Zitat von Florian
zur Semantik:
"Richtlinie" trifft den Sachverhalt m.E. besser als "Direktive".
Entscheidend ist nämlich folgendes:
Es bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, wie sie die Richtlinien umsetzen.
Sie haben da also einen Spielraum. Es wird zwar das Ziel vorgegeben, aber nicht der Weg dorthin.


Es wird, lieber Florian, vor allem angeordnet, daß dieses Ziel erreicht werden muß. Das deutsche Wort "Richtlinie" würde ich normalerweise mit guideline übersetzen; es ist eine Sammlung von Anhaltspunkten gemeint. Wenn jemand ein Haus bauen möchte, dann muß er sich zum Beispiel an bestimmte Richtlinien halten. Aber keine Richtlinie ordnet an, daß er ein Haus bauen muß.

Genau das aber ist bei einer Direktive der EU der Fall. Sie hat deshalb den Charakter einer Anordnung, auch wenn sie, wie Sie richtig schreiben, die Einzelheiten der Ausführung nicht festlegt. Aber das ist ja bei Anordnungen die Regel; es gibt dazu dann Ausführungsverordnungen.

Und genau dazu werden bei Direktiven aus Brüssel die nationalen Parlamente degradiert: Sie dürfen die Ausführungsverordnungen zu den Anordnungen aus Brüssel formulieren.

Zitat von Florian
[Disclaimer:
Ich bin weit davon entfernt, alles toll zu finden, was die EU sich ausdenkt. Auch bei Ihrem aktuellen Beispiel mit dem Bodenschutz bin ich 100% bei Ihnen. Nach jeder inneren Logik sollte das rein nationales Recht sein.
Allerdings halte ich es für sehr wichtig, sich darüber im klaren zu sein, was nun wirklich die Verantwortung bzw. das Verschulden der EU ist und wo die Verantwortung der nationalen Regierungen beginnt.
Man sollte es den nationalen Regierungen nämlich nicht zu leicht machen, einfach alle Schwierigkeiten auf "die in Brüssel" zu schieben.]

Die nationalen Regierungen haben in der Tat schon bei der Unterzeichnung der Verträge von Lissabon versagt. Wenn das die Geburtsstunde von Europa sein sollte, dann war es die einer Totgeburt. Man hat den Verfassungsvertrag, nachdem er von den Franzosen und den Niederländern abgelehnt worden war, einfach so umformuliert, daß er nun keiner Referenden mehr bedurfte, und so durchgepeitscht. Das war eine Verhohnepiepelung der Wähler.

Ansonsten gebe ich Ihnen Recht: Die nationalen Regierungen könnten sich mehr tun, sich gegen die Anmaßungen aus Brüssel zu wehren. Aber wer macht sich schon gern diesen Ärger? Wie man als nachgerade vogelfrei behandelt wird, wenn man sich zur Wehr setzt, das hat ja der tschechische Staatspräsident Klaus eindrucksvoll erfahren dürfen. Sowohl bei dem Besuch einer Delegation des europäischen Parlaments als auch bei seiner Rede vor diesem Parlament wurde er behandelt, als sei er kein Staatsoberhaupt, sondern ein hergelaufener Quatschkopf.

Herzlich, Zettel

Florian Offline



Beiträge: 3.171

09.03.2010 16:55
#5 RE: Zitat des Tages: Die Logik der EU-Bürokratie Antworten

Zitat
Ansonsten gebe ich Ihnen Recht: Die nationalen Regierungen könnten sich mehr tun, sich gegen die Anmaßungen aus Brüssel zu wehren.



Das ist zwar richtig, ist aber nicht das, was ich oben meinte.

Zur Illustration ein Beispiel:
Ich war einmal bei einer CSU-Veranstaltung, bei der auf dem Podium u.a. die CSU-Europa-Abgeordnete Angelika Niebler und ein CSU-Landtagsabgeordneter saß.
Aus dem Publikum kam die Wortmeldung eines Metzgers, der sich über ein schlimmes neues "EU-Gesetz" beklagte, dass ihm bei der Organisation seiner Metzgerei viele Probleme verursachte (an die Details kann ich mich nicht erinnern. Ist für mein Argument aber auch nicht wichtig).

Daraufhin hat erst einmal der Landtagsabgeordnete geantwortet und sich wortreich über dieses "bürokratische Monstrum aus Brüssel" beklagt.

Dann sprach die EU-Abgeordnete Niebler.
Sie sagte, dass sie in der Tat von vielen bayrischen Metzgern wütende Briefe erhalten hatte, die sich über die neue EU-Richtlinie beklagten. Daher habe sie bei ihren CDU-Kollegen (d.h. mit nichtbayrischen Wählern) nachgefragt, ob die auch entsprechende Briefe bekämen.
Nein, bekamen sie nicht. Auch den EU-Abgeordneten aus anderen Ländern war nichts von irgendwelchen Problemen der Metzger bekannt.
Daraufhin, so Frau Niebler, hat sie sich einmal die bayrische Durchführungsverordnung zur EU-Richtlinie angeschaut. Und siehe da, diese ging weit über das von Brüssel geforderte Maß hinaus und führte zudem zu einer extrem bürokratischen Umsetzung.

In diesem Fall "Brüssel" für schuldig zu erklären ist also unfair. Allerdings werden die bayrischen Metzger, wenn sie sich bei ihren Landespolitikern beschweren, natürlich nie die Wahrheit hören: dass nämlich die bayrische Umsetzungsverordnung ganz offenbar die bürokratischste der ganzen EU ist...

[Natürlich ist Frau Niebler hier keine neutrale Berichterstatterin. Allerdings in sofern in diesem Punkt eine vertrauenswürdige Quelle, als ja ihr Argument im wesentlichen eine Spitze gegen die eigene Partei war].

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.03.2010 22:05
#6 RE: Zitat des Tages: Die Logik der EU-Bürokratie Antworten

Zitat von Florian

Zitat:Ansonsten gebe ich Ihnen Recht: Die nationalen Regierungen könnten sich mehr tun, sich gegen die Anmaßungen aus Brüssel zu wehren.


Sollte nicht "sich mehr tun" heißen, sondern "sicher mehr tun". Issich aber ja klar.

Zitat von Florian
... siehe da, diese ging weit über das von Brüssel geforderte Maß hinaus und führte zudem zu einer extrem bürokratischen Umsetzung.

In diesem Fall "Brüssel" für schuldig zu erklären ist also unfair. Allerdings werden die bayrischen Metzger, wenn sie sich bei ihren Landespolitikern beschweren, natürlich nie die Wahrheit hören: dass nämlich die bayrische Umsetzungsverordnung ganz offenbar die bürokratischste der ganzen EU ist...


Das will ich nicht bestreiten, lieber Florian. Bürokraten sind überall ähnlich; und warum sollten die in München nicht auch einmal die in Brüssel übertreffen?

Was mich stört und was ich in diesem Artikel (wieder einmal) attackiere, das ist das Bestreben der EU zur Vereinheitlichung, wo überhaupt nichts gegen Vielfalt spricht.

Kein Staat der USA würde sich das von Washington vorschreiben lassen, was wir uns bereits heute von der EU vorschreiben lassen müssen. Und die "Harmonisierung" steht ja erst am Anfang.

Herzlich, Zettel

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