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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 10 Antworten
und wurde 1.207 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.05.2010 05:59
Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Kürzlich habe ich in einer Talkshow einen jungen Mann erlebt, Empfänger von Sozialhilfe, der gefragt wurde, wie er es denn fände, wenn man ihm seine Hartz-IV-Bezüge kürzen würde, weil er nicht bereit sei, eine Arbeit anzunehmen. Seine sinngemäße Antwort: Das könnt ihr doch nicht tun, dann würde ich ja aus der Gesellschaft herausfallen.

Das ist die in diesem Fall vermutlich friedliche Mentalität eines wohlversorgten Lumpenproletariats, von dem ein Teil sein Leben gern auch einmal durch Randale abrundet.

vivendi Offline



Beiträge: 663

09.05.2010 10:45
#2 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Zitat
Was sie und uns verbindet, ist keine Ideologie oder feststehende Utopie, sondern die Unzufriedenheit und der Wunsch, dass etwas anders wird.


Diese Formulierung "etwas anders werden" ist passiver Art, d.h. man will nicht selbst die Änderungen (an sich selbst, in seinen eigenen mittelbaren Lebensumständem) vornehmen, sondern man nötigt die Anderen (durch Zerstörung und Eigentum und durch Gewaltanwendung) diese Änderungen, sozusagen im Auftrag der eigenen Utopien und unter Zwang, vorzunehmen.
Man will nicht selbst aktiv werden, um an seinen eigenen Lebensumständen etwas zu ändern, sondern man zerstört die Lebensumstände der Anderen, um Druck auszuüben.

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

09.05.2010 11:07
#3 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Achja. Wenn Schaumwein vom Rossmann die Sehnsucht dieser Leute ist, koennte man sich fast herablassen in einer kleinen goennerhaften Geste ein paar Schluecke Moet et Chandon zu spendieren.... - aber das dazu noetig gutsherrenartig - aristokratische gibt es ja nicht mehr im modernen Wohlfahrtsstaat.

[irgendwo ist sarkasmus versteckt]

OStirboeck Offline



Beiträge: 1

09.05.2010 15:20
#4 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

"Aber Sachbeschädigungen und die Formulierung von Begehren durch das Aufbrechen des Straßenpflasters empfinden wir als konstruktiven Ausdruck, um die stumme Gewalt, die uns umgibt, überhaupt sichtbar zu machen." Das ist nichts anderes als ein indirekter Bezug auf Ulrike Meinhofs Wort vom "konstruktiven Element eines Warenhausbrandes" - ich meine - seinerzeit in "Konkret".

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.05.2010 15:23
#5 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Zitat von vivendi
Diese Formulierung "etwas anders werden" ist passiver Art, d.h. man will nicht selbst die Änderungen (an sich selbst, in seinen eigenen mittelbaren Lebensumständem) vornehmen, sondern man nötigt die Anderen (durch Zerstörung und Eigentum und durch Gewaltanwendung) diese Änderungen, sozusagen im Auftrag der eigenen Utopien und unter Zwang, vorzunehmen.
Man will nicht selbst aktiv werden, um an seinen eigenen Lebensumständen etwas zu ändern, sondern man zerstört die Lebensumstände der Anderen, um Druck auszuüben.


Ausgezeichnet zusammengefaßt.

Dieses moderne Lumpenproletariat ist die Karikatur des Wohlfahrtsstaats, oder der Wohlfahrtsstaat, an seine absurden Grenzen geführt: Man sieht es als selbstverständlich an, ohne eigene Leistung alimentiert zu werden. Und zu den Rechten, die man selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt, gehört es auch, die Lust an der Gewalt ausleben zu können.

Man trifft mit dem allen ja nicht auf den Widerstand der Gesellschaft, den man verdient hätte, sondern auf Verständnis und Wohlwollen. Der - ja erkennbar intelligente - Autor des zitierten Artikels würde es vermutlich als bescheuert ansehen, sich das zu erarbeiten, was er gern haben möchte.

Er nimmt gern entgegen, was man ihm bietet, und beißt zum Vergnügen in die Hand, die ihn füttert. Es funktioniert, also hat er aus seiner Sicht recht.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.05.2010 15:46
#6 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Zitat von OStirboeck
"Aber Sachbeschädigungen und die Formulierung von Begehren durch das Aufbrechen des Straßenpflasters empfinden wir als konstruktiven Ausdruck, um die stumme Gewalt, die uns umgibt, überhaupt sichtbar zu machen." Das ist nichts anderes als ein indirekter Bezug auf Ulrike Meinhofs Wort vom "konstruktiven Element eines Warenhausbrandes" - ich meine - seinerzeit in "Konkret".


Stimmt, da dürfte das herkommen. Meinhof schrieb damals, 1968, vom progressiven Moment einer Warenhaus-Brandstiftung. Ich hatte auch eher "konstruktiv" in Erinnerung, aber Googeln hilft ja stets, unsere Erinnerungen zu präzisieren.

Herzlich, Zettel

PS: Willkommen im kleinen Zimmer!

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.05.2010 16:50
#7 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Zitat von Zettel
Meinhof schrieb damals, 1968, vom progressiven Moment einer Warenhaus-Brandstiftung.


Was mir übrigens beim Wiederlesen dieses Artikels, den ich damals toll fand, aufgefallen ist: Wie unbeholfen, wie in endlosen Bandwurmsätzen sich Meinhof ausgedrückt hat. Beispiel:

Zitat von Ulrike Meinhof
Noch versucht die Industrie, der Übersättigung des Gebrauchsgütermarktes beizukommen durch "alle zwei Jahre ein neues Modell"; durch die Verschwendung von von Millionen auf eine Forschung, die weniger der Verbesserung der Produkte, als ihrer Absetzbarkeit dient; durch den individuellen Mülleimer für sinnlose, nur teure, Profit ermöglichende Verpackungen (die Kosten für die Müllabfuhr trägt der Verbraucher); durch eine ebenso radikal verlogene wie kostspielige Werbung; Millionen an Arbeitszeit und -kraft werden vergeudet für den eingebauten Verschleiß ("Obsoleszent"), das geplante Todesdatum, so daß die Eisschränke, Rasierapparate, Damenstrümpfe, das Spielzeug, die Glühbirnen viel eher kaputt gehen, als bei dem für sie aufgewndeten Material und der in sie vertane Zeit und Kraft notwendig wäre, um eine Nachfrage künstlich in Gang zu halten, um durch Produktion und Verbrauch Profitraten zu erziehlen, die wieder privat investiert werden, nicht um gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern die Akkumulation von Kapital zu ermöglichen.


Ein einziger Satz. Welch eine Hektik, welch eine Übersteigerung.

Philipp Offline



Beiträge: 78

09.05.2010 19:23
#8 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Zitat
Zitat von Zettel

Ein einziger Satz. Welch eine Hektik, welch eine Übersteigerung.



Ich denke, dass Wichtigtuerei die wesentlichste Rolle spielt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Journalisten und Schriftsteller, die sich selbst als "links" bezeichnen, durch einen aufgeblasenen Schreibstil zu punkten versuchen. In verschachtelten, unverständlich konstruierten Sätzen lassen sich seichte Gedanken zu großartigen, "gesellschaftskritischen" Einsichten aufbauschen. Banalitäten und fehlerhafte Schlussfolgerungen werden zu intellektuell formulierten "Weisheiten" mit Zitat-Charakter.

Die Narzisstin Meinhof sucht sich durch ihre schwülstige Schreibweise zu differenzieren. Was Sie, lieber Zettel, und ich als unbeholfene Satzkonstruktionen wahrnehmen, hat meiner Einschätzung nach eine schlichte Botschaft: Seht her, ihr könnt meine Gedankengänge ja noch nicht einmal verstehen, wenn ihr meine Sätze mehrmals lest! Das bedeutet natürlich: Ich bin viel klüger als ihr, weil ich die Wahrheit, die ihr nicht zu verstehen vermögt, mit dem Löffel gefressen habe.

Frau Meinhof hielt sich, als sie den von Ihnen zitierten Satz schrieb, für etwas Besonderes, für etwas Besseres, für auserwählt, die Gesellschaft durch Revolution umzukrempeln. Das kommt auch in ihrem Schreibstil zum Ausdruck.

Palmström, etwas schon an Jahren,

wird an einer Straßenbeuge

und von einem Kraftfahrzeuge

überfahren.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

09.05.2010 19:56
#9 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Frau Meinhof war sicher sehr intelligent und hätte in einer anderen Entwicklung viel aus sich machen können. Leider ist sie im Prozess ihrer Radikalisierung zur Verbrecherin geworden.

Möglicherweise hat sie ihre Sätze nicht redigiert, weil sie zu viele Pamphlete zur gleichen Zeit geschrieben hat. Oder sie hat einfach den Eindruck beabsichtigt: seht, da ist eine junge und tatkräftige Revolutionärin, die sich nicht mit gutem Deutsch aufhalten will, sondern der es um die Sache geht. Ganz gewiss kommt noch eines hinzu: die Menschen aus ihrem unmittelbaren Umfeld haben die Sätze zweifellos so akzeptiert — also hat sie nach ihrem eigenen Eindruck zielgruppengerecht geschrieben. Und wer hätte denn die Rolle des Lektors spielen sollen?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.05.2010 20:08
#10 Ulrike Marie Meinhof Antworten

Zitat von Philipp
Die Narzisstin Meinhof sucht sich durch ihre schwülstige Schreibweise zu differenzieren. Was Sie, lieber Zettel, und ich als unbeholfene Satzkonstruktionen wahrnehmen, hat meiner Einschätzung nach eine schlichte Botschaft: Seht her, ihr könnt meine Gedankengänge ja noch nicht einmal verstehen, wenn ihr meine Sätze mehrmals lest! Das bedeutet natürlich: Ich bin viel klüger als ihr, weil ich die Wahrheit, die ihr nicht zu verstehen vermögt, mit dem Löffel gefressen habe.


Das ist sicherlich ein Aspekt. Er geht zurück auf Hegel, dessen Ruhm darauf beruht, daß niemand ihn versteht, aber viele ihn für immens klug halten. Marx hat es übernommen, obwohl er im Vergleich zu Hegel ein Ausbund an Klarheit war. Aber die Tradition bleibt; Adorno ist auch so ein Beispiel für diese dröhnenden Nichtigkeiten.

Bei Ulrike Meinhof kam aber, glaube ich, noch etwas anderes hinzu. Ich habe ihre Artikel damals gern gelesen, und ich sehe sie auch aus heutiger Sicht nicht so negativ, wie viele das tun. (Siehe Das Leben von Ulrike Marie Meinhof). Sie war hochintelligent, sie war engagiert und ehrlich. Sie geriet als eine Waise, die ihr Leben lang auf Suche nach Gemeinschaft gewesen war, in den Strudel dieser Solidaritäts-Besoffenheit der Achtundsechziger, und sie ist darin untergegangen.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.05.2010 20:10
#11 RE: Zitat des Tages: Das Lumpenproletariat des Wohlfahrtsstaats Antworten

Zitat von stefanolix
Frau Meinhof war sicher sehr intelligent und hätte in einer anderen Entwicklung viel aus sich machen können. Leider ist sie im Prozess ihrer Radikalisierung zur Verbrecherin geworden.

Da haben wir, lieber Stefanolix, parallel fast wörtlich dasselbe geschrieben.

Herzlich, Zettel

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