Während der Hitzewelle in den ersten beiden Augustwochen des Jahres 2003, die (siehe diese Karte) ihren Schwerpunkt in Mittel- und Südfrankreich hatte, waren dort wahrscheinlich rund 15.000 Menschen, überwiegend im Alter von über 75 Jahren, durch die Einwirkungen der Hitze gestorben. Dieser Schätzwert ergibt sich aus einem Vergleich der Zahl der Todesfälle mit dem statistischen Mittel in derselben Jahreszeit.
Als Reaktion darauf verabschiedete die Nationalversammlung am 30. Juni 2004 die Loi du 30 juin 2004 relative à la solidarité pour l'autonomie des personnes âgées et des personnes handicapées; das Gesetz zur Solidarität für die Autonomie älterer und behinderter Menschen. Seinen Text finden Sie hier:
Durch das Gesetz wurde der Pfingstmontag zu einem nicht mehr arbeitsfreien Feiertag gemacht. Die Beschäftigten erhalten jedoch keine Bezahlung für ihre Arbeit an diesem Tag. Der Erlös aus der nicht bezahlten Arbeit fließt in einen staatlich verwalteten Fonds; fiskalisch funktioniert das so, daß die Unternehmen 0,3 Prozent ihrer Lohnsumme an diesen Fonds überweisen.
Daraus sollen hauptsächlich Pflegedienste für Alte und Behinderte finanziert werden.
Gestern nun meldete Le Monde - und dadurch bin ich auf das Thema aufmerksam geworden -, daß nach Angaben der zuständigen Dachorganisation der Pflegedienste, der AD-PA, nur ein Teil des eingenommenen Gelds bei ihnen ankomme.
Seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2004 seien, so der Vorwurf, rund zwei Milliarden Euro in andere Kanäle geflossen; vor allem in die Krankenversicherung und den allgemeinen Staatshaushalt. Die Regierung kontert, die betreffenden Gelder seien nicht abgerufen worden, und so habe man sie zwangsläufig anderweitig verwenden müssen.
Es ist offenbar einfach zu viel Geld da; eine "ubueske" Situation in einem chronisch defizitären Staat nennt das Le Monde. Das Wort ist abgeleitet vom König Ubu, einer Theaterfigur, die zur Personifizierung des Grotesken geworden ist.
Zitat von Zettel... die betreffenden Gelder seien nicht abgerufen worden ...
Das ist die Krux aller Bürokratien: für den Staat ist Geld einzunehmen eine Sache der Gesetzgebung; dem Staat das Geld wieder abzunehmen, ist ein bürokratischer Hürdenlauf und wahrscheinlich so gewollt. Aber es gibt doch einen Gesundheitsminister, der in seinem eigenen Interesse an einem möglichst effizienten Einsatz dieser Mittel interessiert sein müsste. Denn spätestens bei der nächsten Hitzewelle wird er zur Rechenschaft gezogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das während seiner Amtszeit passiert, ist allerdings winzig klein. Sollte in späteren Jahren nochmals ein Hitzewelle so viele Menschen wegraffen, wird ein anderer Gesundheitsminister weitere Mittel einfordern und geflissentlich übersehen, dass die Mittel nie bei den Zielgruppen ankommen.
So können sich Politiker aus misslichen Situationen fein herauswinden: Sie würden ja gerne ..., aber die Mittel fehlen ... Und der Bürger lässt sich beruhigen und freiwillig rupfen; es ist ja für eine gute Sache.
Ich dachte gestern schon bei Ungelts und meinem kleinen Satirethread an das Schmidt Zitat "Es ist nichts so absurd, daß Gläubige es nicht glaubten. Oder Beamte täten". Als ich eben die vier von Ihnen vorgestellten Möglichkeiten las blieb mir das Lachen im Halse stecken, eine war absurder als die andere. Und eine davon ist ja offenbar wahr. Unglaublich.
Das erinnert wirklich stark an die sozialistischen Subbotniks ... ist ja unfassbar!
Zwei Sachen würden mich dabei interessieren. Werden die sowieso regulär feiertags arbeitenden Menschen (z.B. Kraftwerker ) an diesem Tag auch nicht bezahlt? Und, wie hoch steigt der allgemeine "Krankenstand" an diesem speziellen Tag?
Warum, zum Geier, sollte ich eigentlich meiner Vertragspflicht (Arbeitsleistung) nachkommen, wenn mein Vertragspartner seiner (Lohnzahlung) nicht nachkommt??? Hat da noch keiner geklagt? Ich finde es echt unglaublich.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Mein derzeitiger Avatar bezeugt meine Solidarität mit unseren Jungs, die derzeit in irgendwelchen politisch-medial nicht unterstützten Kriegen verheizt werden. Das Truppenabzeichen im Hintergrund ist das des Fallschirmjägerbataillons 373, dem ich mich persönlich stark verbunden fühle. Kameraden, Glück ab!
Schon lustig. Ob sie sich die Abschaffung des Buß- und Bettages in Deutschland zum Zweck der Finanzierung der Pflegeversicherung zum Vorbild genommen haben?
hui, das war wirklich schwer - ich bin auch hereingefallen und hatte auf "D" getippt. Diese Antwort erschien mir unter allen unglaublich klingenden Alternativen noch am ehesten plausibel, zumal ja "en France" die Gewerkschaften eine starke politische und gesellschaftliche Stellung haben.
Mich wundert's allerdings, dass die Franzosen gegen eine derart ungeheuerliche Regelung bis heute nicht auf die Straße gegangen sind, wie sie's ja sonst gerne wegen allem Möglichen zu tun pflegen :-)
Zitat Zitat Zettel: Es ist offenbar einfach zu viel Geld da; eine "ubueske" Situation in einem chronisch defizitären Staat nennt das Le Monde.
Hierzu eine Übersicht (letztes Update 1.4.2007)
Land (Kontinent) Bevölkerung über 65 Jahre - 1 Frankreich (Europa) 9.983.696, Sterberate je 1000 Einwohner 9,14, Ärzte je 1000 Einwohner 3,68, Staatshaushalt - Einnahmen ($) 1.137.000.000.000 (National Institute for Statistics and Economic Studies und Institut National d`Etudes Demographiques (INED) )
Land (Kontinent) Bevölkerung über 65 Jahre - 2 Deutschland (Europa) 16.072.348, Sterberate je 1000 Einwohner 10,62, Ärzte je 1000 Einwohner 3,73, Staatshaushalt - Einnahmen ($) 1.304.000.000.000 (Statistisches Bundesamt)
Edit:
Frankreich - Gesamtfläche (km2) 547.030, Bevölkerung gesamt 60.876.200, davon Städteeinwohner 46.482.000, Durchschnittsalter 39,10
Deutschland - Gesamtfläche (km2) 357.021, Bevölkerung gesamt 82.422.300, davon Städteeinwohner 73.280.000, Durchschnittsalter 42,60
Zitat von CalimeroWarum, zum Geier, sollte ich eigentlich meiner Vertragspflicht (Arbeitsleistung) nachkommen, wenn mein Vertragspartner seiner (Lohnzahlung) nicht nachkommt??? Hat da noch keiner geklagt? Ich finde es echt unglaublich.
Ja, so etwas geht eben in Frankreich, wo der Staat sich viel mehr als in Deutschland das Recht herausnimmt, sich auch in solche Vertragsverhältnisse einzumischen. Gesetzlich geregelte maximale Arbeitszeit, gesetzlich festgelegter Mindestlohn (SMIC) - alles kein Problem im Land des Sonnenkönigs und des Kaisers Napoléon Bonaparte.
Kallias hat auf die Abschaffung des Aschermittwoch als Feiertag in Deutschland hingewiesen. Das wurde in der Tat damals, wenn ich mich richtig erinnere, in Frankreich als Vorbild genannt. Aber es ist eben etwas ganz anderes - der Staat profitiert lediglich durch die an diesem Tag erwirtschafteten Steuern, und niemand muß ohne Lohn arbeiten.
Zitat von ZettelKallias hat auf die Abschaffung des Aschermittwoch als Feiertag in Deutschland hingewiesen. Das wurde in der Tat damals, wenn ich mich richtig erinnere, in Frankreich als Vorbild genannt. Aber es ist eben etwas ganz anderes - der Staat profitiert lediglich durch die an diesem Tag erwirtschafteten Steuern, und niemand muß ohne Lohn arbeiten.
Wobei ich den Unterschied zu folgendem Szenario nicht wirklich sehe: das gesamte Jahr bis zum 13. Juli wird zu nicht arbeitsfreien Feiertagen erklärt. Die Beschäftigten erhalten jedoch keine Bezahlung für ihre Arbeit an diesen Tagen. Der Erlös aus der nicht bezahlten Arbeit fließt in einen staatlich verwalteten Fonds; fiskalisch funktioniert das so, daß die Unternehmen 53,01 Prozent ihrer Lohnsumme an diesen Fonds überweisen. (Mit Dank an Zettel für die Vorformulierung .)
-- El liberalismo pregona el derecho del individuo a envilecerse, siempre que su envilecimiento no estorbe el envilecimiento del vecino. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
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) an diesem Tag auch nicht bezahlt? Und, wie hoch steigt der allgemeine "Krankenstand" an diesem speziellen Tag? 
.)