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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 23 Antworten
und wurde 3.279 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.08.2010 06:45
Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Vergangene Woche konnten Abonnenten nicht, wie üblich, den "Spiegel" ab 22 Uhr samstags im Internet lesen - aus "redaktionellen Gründen".

Die Gründe waren ein Scoop gemeinsam mit anderen Publikationen; nämlich Informationen über Afghanistan, die erst am Montag freigegeben wurden.

Und die zu enthüllen schlicht verbrecherisch war. Behaupte ich in dieser Marginalie.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

11.08.2010 10:00
#2 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Danke. Das sehe ich exakt genauso. Und ich hoffe, dass sowohl Assange als auch das ursprüngliche Leck (es gibt Hinweise darauf, dass es sich um einen unreifen Bubi handelt, der seine Beziehungsprobleme auf diese Weise verarbeitete ) dafür für lange Zeit hinter Gittern verschwinden.

--
La función didáctica del historiador está en enseñarle a toda época que el mundo no comenzó con ello. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

john j Offline




Beiträge: 591

11.08.2010 16:06
#3 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Was Wikileaks und Julian Assange betrifft - kein Widerspruch. Aber lesen wir mal ein bisschen zwischen den Zeilen: Obwohl die Taliban angeblich keinen grossen Rueckhalt in der Bevoelkerung in AF haben und die Stammesgesellschaften dort das Sagen haben koennen die Taliban dennoch einen Stammesfuehrer entfuehren und hinrichten ohne dass dies offensichtliche Konsequenzen hat? Wo ist das unbezaehmbare afghanische Kriegergen bei den Angehoerigen dieses Stammes?

Matin Offline



Beiträge: 14

11.08.2010 16:14
#4 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Hallo Zettel!

Wenn ich einen Text veröffentliche, in dem ich erkläre, wie eine Bombe gebaut werden kann und jemand nutzt nun diese Information und baut eine Bombe, mit der er Menschen tötet, bin ich dann ein Verbrecher? Bin ich also an diesem Verbrechen beteiligt, weil ich dem ausführenden Verbrecher jene Informationen gab, die er für sein Verbrechen nutzte?

Wenn ich jemandem Lesen beibringe (ihn über das Lesen informiere) und dieser dann mit diesem Wissen ausgestattet, ließt wie man Bomben baut oder eben welche Menschen mit der US-Army kooperierten, was zur Folge hat, dass mein Schüler dann Menschen ermordet, bin ich dann an diesem Verbrechen auch mitschuld?

Wenn ich in einem Text schreibe, dass die Erde sich um die Sonne dreht und jemand der dies ließt und bisher davon ausging, dass die Erde feststünde, dies zum Anlass nimmt einige Menschen zu ermorden (weil Gott beleidigt wurde, oder was weiß ich), bin ich dann für dieses Verbrechen verantwortlich?

Oder allgemein gefragt:
Bin ich ein Verbrecher, wenn Informationen die ich veröffentlich habe, zum Anlass genommen oder genutzt wurden, um ein Verbrechen zu begehen?

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

11.08.2010 16:23
#5 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Matin
Bin ich ein Verbrecher, wenn Informationen die ich veröffentlich habe, zum Anlass genommen oder genutzt wurden, um ein Verbrechen zu begehen?


Das kommt auf die Informationen an und was für Reaktionen man vernünftigerweise darauf erwarten kann.

Wenn jemand per Wikileaks die Adressen und Deckidentitäten von Zeugen gegen die Mafia aus Zeugenschutzprogrammen veröffentlicht, dann ist er ein Verbrecher. Wenn jemand die Namen von Kollaborateuren in Afghanistan veröffentlicht, wobei klar ist, dass die Taliban diese Namen einzeln abarbeiten werden, dann ist das ein Verbrecher. Wenn jemand die Privatadresse von Forschern auf den Foren von militanten Tierversuchsgegnern veröffentlich, dann ist er ein Verbrecher.

Bei der Bombe würde ich auch zum Verbrecher tendieren. Beim Lesenlernen auf jeden Fall nicht, einfach weil die allermeisten Menschen das Lesen eben nicht für Verbrechen missbrauchen.

--
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.08.2010 18:49
#6 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Matin
Wenn ich jemandem Lesen beibringe (ihn über das Lesen informiere) und dieser dann mit diesem Wissen ausgestattet, ließt wie man Bomben baut oder eben welche Menschen mit der US-Army kooperierten, was zur Folge hat, dass mein Schüler dann Menschen ermordet, bin ich dann an diesem Verbrechen auch mitschuld?


WikiLeaks, lieber Matin, hat die Namen von afghanischen Stammesführern veröffentlicht, die auf der Seite der Regierung stehen.

Diese Menschen werden jetzt von den Taliban ermordet.

Das ist nun mal so.

Herzlich, Zettel

FAB. Offline



Beiträge: 523

11.08.2010 21:16
#7 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Matin
Wenn ich einen Text veröffentliche, in dem ich erkläre, wie eine Bombe gebaut werden kann und jemand nutzt nun diese Information und baut eine Bombe, mit der er Menschen tötet, bin ich dann ein Verbrecher? Bin ich also an diesem Verbrechen beteiligt, weil ich dem ausführenden Verbrecher jene Informationen gab, die er für sein Verbrechen nutzte?


Wenn ich jemandem, von dem ich weiß, daß er, hätte er nur bestimmte Informationen, ein Verbrechen begehen würde, diese Informationen zugänglich mache, und er begeht das Verbrechen tatsächlich, dann ist das allemal Beihilfe. Nach deutschem Recht ist die Strafe für Beihilfe zum Mord Freiheitsentzug zwischen drei und 15 Jahren. Der wesentliche Punkt ist die Kenntnis von der Haupttat. Nicht genügt es, daß der potentielle Gehilfe nur weiß, daß der Täter generell geneigt ist, irgendwelche Taten zu begehen, bei denen ihm die Mitwirkungshandlung irgendwie nützlich sein könnte; andererseits muß der Gehilfe die Haupttat aber auch nicht in allen Einzelheiten kennen. Der BGH formuliert das so:

Zitat von BGH, Urt. v. 26.04.1995 - 3 StR 30/95
Die Teilnahmehandlung muß ... mit dem Willen und dem Bewußtsein geleistet worden sein, die Haupttat zu fördern, wobei der Vorsatz des Gehilfen die Haupttat nur in deren wesentlichen Unrechtsgehalt und ihrer Angriffsrichtung erfaßt haben muß.


Und das weiland Bayerische Oberste Landesgericht so:

Zitat von BayObLG NJW 1991, 2582
Der Gehilfe muß wissen, daß er eine bestimmte fremde Tat unterstützt, und daß es mit seiner Hilfe zur Vollendung des Delikts kommen wird. Er muß aber nur die wesentlichen Merkmale des vom Täter zu verwirklichenden strafbaren Tuns erkennen. Einzelheiten der Tat, wann, wo, wem gegenüber und unter welchen besonderen Umständen die Tat ausgeführt werden wird, braucht der Gehilfe nicht zu kennen.

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"I want my republic back!"

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

11.08.2010 21:46
#8 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Danke für diese kenntnisreich-juristische Erdung der Diskussion!

Zitat von FAB.
Der wesentliche Punkt ist die Kenntnis von der Haupttat. ...

Zitat von BGH, Urt. v. 26.04.1995 - 3 StR 30/95
Die Teilnahmehandlung muß ... mit dem Willen und dem Bewußtsein geleistet worden sein, die Haupttat zu fördern, wobei der Vorsatz des Gehilfen die Haupttat nur in deren wesentlichen Unrechtsgehalt und ihrer Angriffsrichtung erfaßt haben muß.



Das mit dem "Willen" hört sich für mich Laien aber danach an, als wäre "das habe ich aber doch nicht gewollt!" eine ernstzunehmende Verteidigung, oder nicht? Mithin die Kenntnis zwar notwendig, aber nicht hinreichend?

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FAB. Offline



Beiträge: 523

11.08.2010 22:34
#9 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Gorgasal
Das mit dem "Willen" hört sich für mich Laien aber danach an, als wäre "das habe ich aber doch nicht gewollt!" eine ernstzunehmende Verteidigung, oder nicht? Mithin die Kenntnis zwar notwendig, aber nicht hinreichend?


Auch beim Gehilfenvorsatz kommt sog. bedingter Vorsatz (Eventualvorsatz, dolus eventualis) in Betracht. Grundsätzlich ist Vorsatz nach der üblichen Kurzformel "Wissen und Wollen", dh es muß in der Tat ein kognitives und ein voluntatives Element vorliegen. Das Vertrackte ist, daß man "wollen" im Rechtssinne auch Dinge kann, die einem eigentlich unerwünscht sind, wenn man ihren Eintritt in Kauf nimmt, um ein anderes Ziel zu erreichen. Die Standardformulierung des BGH lautet:

Zitat von BGH NStZ-RR 2010, 178
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt bedingt vorsätzliches Handeln voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet.


Man kann sich also schon mit der Behauptung verteidigen, man habe den Eintritt einer bestimmten Folge seines Handelns zwar als möglich oder wahrscheinlich erkannt, gleichwohl aber darauf vertraut, daß er dennoch ausbleibt. Dann kommt es aber darauf an, ob es in der jeweiligen Situation nachvollziehbare Gründe gab für ein solches Vertrauen. Geht in der konkreten Konstellation die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Folge erkennbar gegen 1, dann wird man Schwierigkeiten haben, das Gericht davon zu überzeugen, daß und warum man gleichwohl darauf vertraut haben will, es werde dazu nicht kommen.

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"I want my republic back!"

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

11.08.2010 22:41
#10 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von FAB.
Das Vertrackte ist, daß man "wollen" im Rechtssinne auch Dinge kann, die einem eigentlich unerwünscht sind, wenn man ihren Eintritt in Kauf nimmt, um ein anderes Ziel zu erreichen.


Hm. Soweit ich den oben verlinkten Telegraph-Artikel lese, ist ja ein 22-Jähriger tatverdächtig, dem ich es fast abnehmen würde, dass er überhaupt nicht daran dachte, dass in den Dokumenten Klarnamen standen. In diesem Falle würde das kognitive Element ja wohl fehlen, ihm also nach deutscher Rechtsprechung zumindest die Beihilfe zum Mord nicht vorgeworfen werden können. Leider ist bodenlose Dummheit und Ichverliebtheit ja noch kein Straftatbestand...

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FAB. Offline



Beiträge: 523

11.08.2010 22:52
#11 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Gorgasal
Leider ist bodenlose Dummheit und Ichverliebtheit ja noch kein Straftatbestand...


Manchmal schon. Dafür genügt es, wenn er das Endergebnis nach seinen individuellen geistigen Fähigkeiten und Einsichtsmöglichkeiten hätte vorhersehen können und müssen. Hat natürlich einen weit weniger beeindruckenden Strafrahmen.

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"I want my republic back!"

Franz Offline



Beiträge: 44

12.08.2010 01:45
#12 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Ich schliesse mich Hoffmann von Fallersleben an:

* Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant." - August Heinrich Hoffmann von Fallersleben


http://de.wikiquote.org/wiki/Denunziant

Matin Offline



Beiträge: 14

12.08.2010 08:24
#13 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Danke für Deine Ausführungen.

Diese Rechtslage vorausgesetzt ist die Meinungs- und Redefreiheit faktisch nicht vorhanden, denn jede Information kann letztlich für eine Straftat - auch Mord - genutzt werden. Und das kann ich mir vorstellen, womit mir Absicht unterstellt werden kann.

Konkret: Wenn ich der Öffentlichkeit erkläre wie man programmiert (Fähigkeit Internetportale wie WikiLeak zu erstellen, die dann zur Ermordung von Menschne führen), die Gesetze der Physik, Chemie oder Biologie erläutere (Bomben, Waffen, Gifte), jemanden beibringe wie man ein Flugzeugt fliegt oder Auto fährt - ich bin mir immer bewusst, dass jedes Wissen für einen Mord genutzt werden kann.

Traumhaft für jede Regierung, der ein schweigender Bürger immer lieber ist.

Matin Offline



Beiträge: 14

12.08.2010 08:34
#14 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Zettel
WikiLeaks, lieber Matin, hat die Namen von afghanischen Stammesführern veröffentlicht, die auf der Seite der Regierung stehen.
Diese Menschen werden jetzt von den Taliban ermordet.
Das ist nun mal so.



Lieber Zettel,

natürlich und leider ist das so. Ich streite die von Ihnen beschriebenen Tatsachen nicht ab. Ich mache mir nur Sorgen um den Rechtsstaat, wenn die Schlüsse die Sie gezogen haben stimmen. Dann kann der Staat mich nämlich für jede Äußerung bestrafen, wenn er darlegt, dass die dadurch veröffentlichte Information zum Tod von Menschen führte - und das kann ich mir für so gut wie jede Information vostellen, womit mir sogar Vorsatz unterstellt werden kann.

Gruß
Matin

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

12.08.2010 11:06
#15 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Matin
Diese Rechtslage vorausgesetzt ist die Meinungs- und Redefreiheit faktisch nicht vorhanden, denn jede Information kann letztlich für eine Straftat - auch Mord - genutzt werden.


Haben Sie FAB.s Ausführungen gelesen? Noch einmal der Knackpunkt (Hervorhebung von mir):

Zitat von FAB.
Wenn ich jemandem, von dem ich weiß, daß er, hätte er nur bestimmte Informationen, ein Verbrechen begehen würde, diese Informationen zugänglich mache, und er begeht das Verbrechen tatsächlich, dann ist das allemal Beihilfe.


Wenn ich ein Küchenmesser herstelle, ist das keine Beihilfe zu irgendwas. Wenn ich meinem Nachbarn, der gerade seine Frau zusammengeschlagen hat und noch immer auf sie eintritt, ein Küchenmesser in die Hand drücke, das er dann seiner Frau zwischen die Rippen bohrt, dann ist das Beihilfe.

Natürlich ist hier abzuwägen. Das gilt aber in der Rechtsprechung immer. Eine gewisse Grundvernunft muss man Richtern zubilligen, sonst verliert man die Bodenhaftung.

--
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Matin Offline



Beiträge: 14

12.08.2010 12:17
#16 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Gorgasal
Haben Sie FAB.s Ausführungen gelesen? Noch einmal der Knackpunkt (Hervorhebung von mir):

Zitat von FAB.
Wenn ich jemandem, von dem ich weiß, daß er, hätte er nur bestimmte Informationen, ein Verbrechen begehen würde, diese Informationen zugänglich mache, und er begeht das Verbrechen tatsächlich, dann ist das allemal Beihilfe.




Diese allgemeine Regel konkretisiere ich jetzt:
Wenn ich jemandem, von dem ich weiß, daß er, hätte er nur Informationen über die Programmierung von Computerprogrammen, ein Verbrechen begehen würde, diese Informationen zugänglich mache, und er begeht das Verbrechen tatsächlich, dann ist das allemal Beihilfe.

Oder

Wenn ich jemandem, von dem ich weiß, daß er, hätte er nur Informationen darüber wie man liest, ein Verbrechen begehen würde, diese Informationen zugänglich mache, und er begeht das Verbrechen tatsächlich, dann ist das allemal Beihilfe.

Oder

Wenn ich jemandem, von dem ich weiß, daß er, hätte er nur Informationen über Kollaborateure, ein Verbrechen begehen würde, diese Informationen zugänglich mache, und er begeht das Verbrechen tatsächlich, dann ist das allemal Beihilfe.

Ich habe aus logischer Sichts nichts gegen den letzten Satz, nur sollten die beiden vorherigen Sätze dann auch gelten, setzt man den oberen allgemeinen Satz voraus.

Zitat von Gorgasal
Wenn ich ein Küchenmesser herstelle, ist das keine Beihilfe zu irgendwas.



Du hast doch aber das Wissen, dass es Menschen gibt, die Messer erwerben werden um damit ein Verbrechen begehen.
Oder gilt die Regel nur, wenn ich das entsprechende Gut (Messer, Information) direkt dem Verbrecher gebe?

Dann ist eine öffentliche Zurverfügungstellung (im Laden, im Netz) noch nicht strafbar, sondern erst die direkte Übergabe (per Briefkasten, per E-Mail)?

Entschuldige bitte meine Spitzfindigkeit. Ich weiss, das diese Fragen im (Rechts)Alltag niemanden jucken. Es ist die Freude an der Debatte im normativen Grenzbereich.

energist Offline




Beiträge: 322

12.08.2010 12:57
#17 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Werter Zettel,

so sehr ich Ihre Ansicht sonst teile, hier kann ich Ihnen nicht vollumfänglich zustimmen.

Selbstredend kann es nicht gutgeheißen werden, wenn aufgrund solcher Nachlässigkeiten Informanten und Doppelagenten enttarnt werden. Sollten sich tatsächlich derartige Informationen in den Dokumenten finden, ist das klar ein Fehler von „Wikileaks“.

Einige Punkte bitte ich aber doch vor der abschließenden Bewertung zu betrachten:

– Der Krieg in Afghanistan ist keine Selbstverteidigung und keine Auseinandersetzung aufgrund nationaler Interesse sondern ein „moralischer Krieg“. Umso wichtger ist es daher, daß die eigenen Kräfte hohen moralischen Ansprüchen genügen. Dazu gehört das Verfolgen und Aufklären von Fehlverhalten der Soldaten im Feld. Es gehört aber auch ein ehrlicher und wahrhaftiger Umgang mit der Realität an der „Heimatfront“ dazu. In beiden Fällen drängt sich zunehmend der Eindruck auf, daß ebendiese Standards von der Führung bewußt nicht eingehalten wurden sonden versucht wurde, die Informationslage den jeweiligen politischen Wünschen anzupassen, Verantwortung abzuweisen und Fehler zu vertuschen statt sie kritisch aufzuarbeiten und ein lessons learned daraus zu erstellen, wie es eigentlich üblich ist. „Wikileaks“ hat in beiden Fällen schon mehrfach erfolgreich solche Versuche unterbunden bzw. offengelegt (bspw. Dokumente zum Tod des Reuters-Fotografen, zum CAS-Zwischenfall in Kundus, zur Behandlung Gefangener in Guantanamo Bay,…).

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe selbst gedient, mehrere Freunde, die in Afghanistan waren und bald wieder dort sein werden – ich unterstütze den Einsatz und verstehe auch um die Notwendingkeit von „schwarzen“ Einsätzen, gezielten Tötungen von Anführern etc. Das entbindet uns jedoch nicht von der Pflicht, zum einen gegenüber unseren demokratischen Führungsstrukturen gehorsam zu sein (und ich habe das so meine Zweifel, ob all das, was da so im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr vor sich geht, vom Einsatzbefehl des Bundestags gedeckt ist) auch wenn diese unzweckmäßig erscheinen, zum anderen unseren Soldaten im Feld auch nötige Unterstützung ehrlich zukommen zu lassen. Die derzeitige Praxis, gleichzeitig seine Hände in Unschuld zu waschen, mit den Fingern auf andere zu zeigen und dann unter der Hand allerlei Schweinereien zu veranstalten ist hochgradig unwürdig, gefährlich für den Erfolg des Einsatzes und unehrenhaft.

– Im angelsächsischen Raum gibt es eine große Tradition des whistleblowing, meines Erachtens auch völlig zu Recht. Teile der Argumentation finden sich bereits oben. Das Veröffentlichen der Informationen ist übrigens sogar (in den USA) legal.

– Ein nicht unbedeutender Teil der durchgesickerten Informationen (knapp 16000 von 91000 Dokumenten) wurde offenbar eben aufgrund des Quellenschutzes und des Schutzes der allierten Einsatzkräfte von „Wikileaks“ nicht veröffentlicht sonden lediglich den drei Zeitungsredaktionen, die an der journalistischen Aufarbeitung beteiligt waren, vorgelegt. Außerdem wurde dem „Department of Defense“ angeboten, auch die weiteren Dokumente vor der Veröffentlichung einsehen und zensieren zu können, um eine Gefährdung von Einsatzkräften und Agenten auszuschließen – das Angebot wurde nicht angenommen. [Bemerkung: Der letzte Satz ist aus der Erinnerung wiedergegeben, auf die Schnelle konnte ich keine Quelle finden. Ich reiche sie bei Interesse dann aber gerne nach.]

Ich gebe gerne zu, daß sich „Wikileaks“ aufgrund des bei vorigen Veröffentlichungen mutigen, neutralen (z.B. wurden ja auch Dokumente über den Wissenschaftsbetrug einiger Klimaforscher veröffentlicht), wahrhaftigen und aus meiner Sicht besonnenen Vorgehens massiv Eindruck verdient hat, was nun natürlich meine Sicht nicht objektiv macht. Daher lasse ich mich gerne auf eine Diskussion über die Abwägung der verschiedenen Interessen in diesem Fall ein. Ihre Marginalie, werter Zettel, greift mir persönlich hier jedoch zu kurz.

Herzlich



energist

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

18.08.2010 09:03
#18 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Zettel
Und die zu enthüllen schlicht verbrecherisch war.


Die schwedische Piratenpartei stellt Wikileaks Server zur Verfügung. Da wächst zusammen, was zusammen gehört.

Assange ist noch immer in Schweden. Wahrscheinlich hält er sich erst einmal von den USA fern.

--
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Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

18.08.2010 09:04
#19 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von energist
Außerdem wurde dem „Department of Defense“ angeboten, auch die weiteren Dokumente vor der Veröffentlichung einsehen und zensieren zu können, um eine Gefährdung von Einsatzkräften und Agenten auszuschließen – das Angebot wurde nicht angenommen. [Bemerkung: Der letzte Satz ist aus der Erinnerung wiedergegeben, auf die Schnelle konnte ich keine Quelle finden. Ich reiche sie bei Interesse dann aber gerne nach.]


Interesse!

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energist Offline




Beiträge: 322

18.08.2010 13:33
#20 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von Gorgasal
Interesse!



Gerne. Habe meine Quelle wiedergefunden, es war folgender Abschnitt eines Artikels im Guardian. Hier ist allerdings vom Weißen Haus statt vom DoD die Rede, ich mag nicht ausschließen, daß mich meine Erinnerung da getäuscht hat.

Zitat

WikiLeaks withheld some 15, 000 intelligence reports to protect informants. But some of the posted texts contain details of Afghans who have dealt with the coalition.

Assange said today that they had tried to comply with a private White House request to redact the names of informants before publication. But the US authorities had refused to assist them.



Andere Quellen z.B. The Daily Beast (wobei ich diese Quelle nicht einschätzen kann) sprechen vom Pentagon/DoD, legen aber dessen Dementi bei:

Zitat
WikiLeaks has claimed that it was rebuffed by the Obama administration—and by the Pentagon, in particular—earlier this summer after requesting Washington’s help in removing the names of people who might be endangered if their identities were revealed in the library of Afghan war logs.

The Pentagon has described the website’s claim as fiction, saying the Defense Department was never approached by WikiLeaks about such a security vetting.



In nachfolgenden Artikeln hat auch der Guardian ein Dementi des Weißen Haus.


Nachtrag: Die Dementi waren mir zum Zeitpunkt des ersten Beitrages nicht bekannt. Im Augenblick gibt es außer der Angabe von WikiLeaks keine Nachweise, daß diese Kontaktversuche stattfanden, ich muß also die ursprünglich getroffene Aussage teilweise revozieren.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

18.08.2010 13:47
#21 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Danke schön!

Zitat

WikiLeaks withheld some 15, 000 intelligence reports to protect informants. But some of the posted texts contain details of Afghans who have dealt with the coalition.
Assange said today that they had tried to comply with a private White House request to redact the names of informants before publication. But the US authorities had refused to assist them.


Da stellen sich natürlich drei Fragen:

1) Inwieweit hätte das Pentagon oder das Weiße Haus an diesem Geheimnisverrat mitarbeiten sollen? Inwieweit hätten sie sich dadurch selbst strafbar gemacht? Selbst wenn man die Namen afghanischer Kollaborateure entfernt hätte, wäre sicher noch vieles übrig geblieben, was die Operationen der US-Truppen erhellt, dessen Offenlegung also die US-Truppen gefährdet hätte (soweit ich das sehe, interessiert sich Herr Assange für dieses Detail ja überhaupt nicht, oder?).

2) Warum hat Herr Assange das ohne Unterstützung durch die Behörden nicht selbst geschafft?

3) Vor diesem Guardian-Artikel hatte ich ja noch die Vorstellung, Assange hätte vielleicht nicht gewusst, dass er mit der Publikation Menschen in Lebensgefahr bringt. Aber wenn er erklärt, solch eine Anfrage an die Behörden gestellt zu haben, dann war ihm genau das offenbar klar! Wie kommt er dann auf die Idee, die Dokumente trotzdem zu publizieren? Und wenn er alleine nicht alle 91000 Dokumente säubern konnte, warum säubert er dann nicht eine Teilmenge und stellt die dann online? Die Argumentation hört sich an wie "der Bankangestellte wollte mir die Kasse nicht geben, also hatte ich keine Wahl als ihn zu erschießen".

Bislang hätte ich nur die ursprüngliche Quelle auf jeden Fall als Verbrecher bezeichnet, bei Assange hätte man mich auf "Idiot" herunterhandeln können. Jetzt hat sich diese Verwirrung geklärt.

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energist Offline




Beiträge: 322

18.08.2010 14:51
#22 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Werter Gorasal,

ich hatte den Text anders verstanden:

- Das ursprüngliche, unsortierte und -gesichtete Material umfaßte 91 000 Dokmente.
- Da klar war, daß Informanten und Quellen aufgedeckt würden, fragten Assange & Cie. (laut ihrer Aussage) bei US-Behörden an und baten um Mithilfe beim zensieren. (Mit dem einfachen Löschen von Namen ist es natürlich nicht getan. Orts- und Vorgangskundige können sicherlich auch aus den restlichen Details der Operation die Betreffenden herausfinden.) Diese wurde abgelehnt.
- Daraufhin hat Wikileaks selbst, ggf. unter Mitarbeit der drei beteiligten Presseorgane (die ja offensichtlich da ungefiltete Material hatten) die 91 000 Dokumente gesichtet und davon 76 000 als nicht gefährdend eingestuft. Diese wurden veröffentlicht, die übrigen 15 000 werden nun überarbeitet um die Beteiligten zu verschleiern (und sicherlich auch um das „Leck“ zu schützen). Dazu hat Wikileaks abermals Hilfer von US-Behören und auch von NGO wie Amnesty International (die sich über mögliche Sicherheitslücken für Dissidenden beklagt hatten) zur Mithilfe aufgefordert. Siehe dazu auch diese Zusammenfassung (stark parteiisch).

Damit dürften Ihre Fragen 2 und 3 beantwortet sein. Ich hatte es bereits in meinem ursprünglichen Beitrag gesagt: ich sehe das Vorgehen von Wikileaks als sehr verantwortungsbewußt an, jedoch eben fortiter in re.

Zu Frage 1 kann ich nicht so viel beitragen, zur Schuldfrage einer Zusammenarbeit nichts außer Vermutungen. Eine Gefährdung der regulären Operationen von ISAF- und AAN-Truppen in Afghanistan durch die Dokumente kann ich mir aber nicht vorstellen. Die veröffentlichten Dokumente sind zu alt um daraus verwertbaren militärischen Nutzen zu ziehen, eine Reihe Generäle und Minister aus den USA sowie aus Großbritannien dementierten auch mit dieser Begründung eine Gefährdung ihrer Truppen.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

18.08.2010 15:01
#23 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von energist
(Mit dem einfachen Löschen von Namen ist es natürlich nicht getan. Orts- und Vorgangskundige können sicherlich auch aus den restlichen Details der Operation die Betreffenden herausfinden.)


Recht haben Sie. Das unterstreicht noch einmal meinen Punkt 3 oben.

Zitat von energist
Damit dürften Ihre Fragen 2 und 3 beantwortet sein.


Ich zitiere aus dem von Zettel verlinkten Artikel:

Zitat von Marc A. Thiessen in der Washington Post
Then, just four days after the WikiLeaks documents were published death threats began arriving at the homes of Afghan tribal leaders.


Wenn das so schnell ging, dann waren Assange und die "drei beteiligten Presseorgane" ganz offensichtlich schlampig genug, um Menschenleben in Gefahr zu bringen. (Oder bei den "Presseorganen" waren auch schon Lecks, wie kommt man auf die Idee, solches Material gerade Journalisten zum Säubern zu geben??) Die Juristen hier können sicher besser darüber Auskunft geben, wo die Fahrlässigkeit aufhört und wo der Vorsatz anfängt, insbesondere in Anbetracht dessen, dass dieses Material ja mit Absicht in Umlauf gebracht wurde.

Als Nicht-Jurist kann ich bei meiner Einschätzung bleiben: kriminell.

Zitat von energist
Ich hatte es bereits in meinem ursprünglichen Beitrag gesagt: ich sehe das Vorgehen von Wikileaks als sehr verantwortungsbewußt an, jedoch eben fortiter in re.


Und offen gestanden kann ich diese Ihre Einschätzung absolut nicht nachvollziehen. Siehe oben.

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Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

28.09.2010 19:56
#24 RE: Marginalie: Die Verbrecher von WikiLeak Antworten

Zitat von FAZ
Wikileaks zerlegt sich: Führende Aktivisten künden dem Gründer die Gefolgschaft. Der soll mit einigen Medien die Publikation eines riesigen Irak-Konvoluts vorbereiten. Seine eigene Truppe begehrt auf: Assanges Vorgehen gefährde Menschenleben.


http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E...n~Scontent.html

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