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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 24 Antworten
und wurde 2.170 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.10.2010 11:39
Liu Xiaobo Antworten

Endlich einmal wieder ein würdiger Preisträger.

Carl von Ossietzky wurde es von den Nazis verboten, zur Entgegennahme des Friedensnobelpreises 1935 (rückwirkend 1936 verliehen) nach Oslo zu reisen. Die Sowjetkommunisten machten es ihnen nach und verboten Andrej Sacharow 1975 die Reise nach Oslo.

Auf die Reaktion der chinesischen Regierung darf man gespannt sein.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

08.10.2010 12:35
#2 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von Liu Xiaobo
keine Kraft der Welt kann dem menschlichen Drang nach Freiheit Einhalt gebieten


Außer dem menschlichen Drang nach Sicherheit, Beständigkeit und Berechenbarkeit. Und der Maslowschen Bedürfnispyramide.

--
Civilización es la suma de represiones internas y externas impuestas a la expansión informe de un individuo o de una sociedad. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

08.10.2010 12:45
#3 RE: Liu Xiaobo Antworten

Finde ich auch. Aber noch mehr freut mich der Literaturnobelpreis für Vargas Llosa. Und nicht einmal aus politischen Gründen, sondern weil ich ihn einfach unglaublich gerne lese.

Gruß Petz

Florian Offline



Beiträge: 3.171

08.10.2010 13:24
#4 RE: Liu Xiaobo Antworten

Na, da scheinen die Nobel-Komitees für Literatur und Frieden ja dieses Mal ganz gut gewählt zu haben.

Gerade die Friedens-Nobelpreise waren in der Vergangenheit ja öfters mal richtig peinlich. Ich meine Fälle wie Gore, Arrafat, Obama.
Der Literatur-Nobelpreis war aus der rein politischen Sicht heraus oft besser (Muster-Beispiel: Winston Churchill). Aber dafür werden da oft sehr obskure Autoren ausgesucht (das Thema hatten wir glaube ich schon mal letztes Jahr).

Aber wie gesagt:
Dieses Jahr kann man eigentlich nicht meckern.

123 Offline



Beiträge: 287

08.10.2010 13:53
#5 RE: Liu Xiaobo Antworten

In China werden die Menschenrechte heute weitaus mehr geachtet als jemals zuvor in dessen Geschichte.

Unbestreitbar ist die Situation in vielerlei Hinsicht problematisch. Aber man muß bedenken wie es noch vor wenigen Jahrzehnten um den Aspekt der Menschenrechte stand.

Heute wird China permanent wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Als noch Mao regierte, und Zigmillionen Chinesen unter seiner Herrschaft starben, waren viele westliche Linke jedoch von China begeistert. Heute sind es oft die selben Leute, die China wegen vergleichsweiser "Bagatellen" verurteilen. Warum ?

China steht am Pranger, weil es heute eine weitgehend offene, liberale, und vor allem marktwirtschaftliche Gesellschaft geworden ist. An solche Länder legt man strenge Maßstäbe an, um sie zu diskreditieren. Ähnlich wie gegenüber Israel, den USA, und im Kontrast dazu Kuba und die gesamte islamische Welt. Letztere werden gradezu glorifiziert für ihre Vielfalt und Toleranz.

Noch nie waren Menschenrechtsverletzungen ein Thema wenn ein islamischer Diktator auf Besuch im Westen war (Ausnahme Iran), jedoch immer werden chinesische Repräsentanten abgekanzelt. Diese anti-chinesische Einseitigkeit, bzw. die Bevorzugung einst linker und heute islamischer Mordregime ist in seiner Dimension gradezu sturkturell rassistisch.

Hier wird also ein inzwischen marktwirtschafliches, mit Abstrichen sehr liberales Land schlechter geredet als es in Wirklichkeit ist.

Ob nun Demokratie die Menschenrechtslage in China verbessern würde, ist mehr als zweifelhalft. Die Spannnungen unter den Ethnien würden das Land zerreißen. Es bräche ein interner Machtkampf aus, der von den schlimmsten Demagogen permanent geschürt würde. Die Kriminalität, derzeit prakisch Null, stellt eine ganz erhebliche Menschenrechtsverletzung dar, und würde rasch drastisch zunehmen.

Nein, dieser "Friedensnobelpreis" ist wieder politkorrekte Propaganda. Wilders hätte ihn verdient, Hirsi Ali, die Tea-Party, die Mutigen die sich dem Klimatotalitarismus entgegen stellen - aber nicht jemand, der gegenüber China Maximalforderungen postuliert, die jedoch in der Umsetzung zu einer drastischen Verschlechterung der Menschenrechtslage in China führen.

Wer China aus eigener Anschauung kennt, und nicht über die heute nahezu vollständig linken Medien, die China seine Abkehr vom linken Ideal des Sozialismus übel nehmen, und darum rachsüchtig das Land schlecht reden, weiß daß die Menschen in China froh sind um den Zustand ihres Landes. Sie sind zudem sehr gut informiret, über ihr Land und auch unsere westlichen.

Sie erkennen, daß wir uns selbst schaden, so wie wir uns regieren lassen. Und genau das will man in China lieber nicht.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

08.10.2010 14:28
#6 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von 123
Die Kriminalität, derzeit prakisch Null, stellt eine ganz erhebliche Menschenrechtsverletzung dar, und würde rasch drastisch zunehmen.


Aber zum Glück hat China ein funktionierendes Rechtssystem, dem die fast-Inexistenz von Kriminalität zu verdanken ist.

Zitat von Wikipedia
Capital punishment is applied flexibly to a wide range of crimes, some of which are punishable by death in no other judicial system in the world. Economic crimes such as tax fraud have appeared routinely among the dockets of those receiving the death sentence, as have relatively small-scale drug offenses. Capital punishment in China can be imposed on crimes against national symbols and treasures, such as theft of cultural relics and (before 1997) the killing of pandas. Corruption, property crimes such as theft, and smuggling gold, silver or other precious metals are also amongst the 68 crimes that are eligible for the death penalty in China.


Ein Glück, dass uns die VR vor diesen "ganz erheblichen Menschenrechtsverletzungen" bewahrt.

--
Civilización es la suma de represiones internas y externas impuestas a la expansión informe de un individuo o de una sociedad. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.10.2010 14:43
#7 Osloer Fehlentscheidungen Antworten

Zitat von Florian
Gerade die Friedens-Nobelpreise waren in der Vergangenheit ja öfters mal richtig peinlich. Ich meine Fälle wie Gore, Arrafat, Obama.

Der absolute Tiefpunkt war aus meiner Sicht die Verleihung des Friedensnobelpreises 1973 an Henry Kissinger und Le Duc Tho.

Der Letztere hat auf die Annahme verzichtet; die Nordvietnamesen hätten sich ja sonst am Ende in dem Krieg, den sie nach dem "Friedensabkommen" von Paris erst recht führten, zurückhalten müssen.

Diese Preisverleihung zeigte, wie auch die an Arrafat und Obama, eine unglaubliche politische Naivität des Komitees in Oslo.

Vernünftig wäre die Selbstbeschränkung, den Preis nie an a) Politiker, Diplomaten und dergleichen b) für Friedensverhandlungen, Friedensschlüsse und dergleichen zu vergeben.

Denn diese handeln, wie auch anders, im Interesse ihres Landes. Ein Friedensschluß kann in diesem Interesse liegen, ein bewaffneter Konflikt kann es, und ein Scheinfrieden wie der von Paris 1973 erst recht.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.10.2010 15:02
#8 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von Zettel
Auf die Reaktion der chinesischen Regierung darf man gespannt sein.

Sie reagierte, wie man es von einem kommunistischen Regime erwarten konnte. Bemerkenswert und für mich unerwartet aber dies:

Zitat von FAZ
Die Entscheidung des norwegischen Nobel-Komitees werde den Beziehungen zwischen Norwegen und China schaden, erklärte das chinesische Außenministerium am Freitag.

Besser konnten die chinesischen Kommunisten eigentlich nicht dartun, daß sie noch nicht einmal die Grundbegriffe eines demokratischen Gemeinwesens verstanden haben.

Offenbar stellen sie sich Norwegen so vor wie China: Bis in ein solches Komitee hinein ist der Staat für alles verantwortlich, hat er alles unter Kontrolle, kann man ihn also auch für alles bestrafen.

Vielleicht gibt es ja auch einmal eine Demarche des Washingtoner chinesischen Botschafters beim State Department, wenn in Hollywood der falsche Film einen Oskar bekommen hat.

123 Offline



Beiträge: 287

08.10.2010 15:19
#9 RE: Liu Xiaobo Antworten

Ich dachte mehr an das nahezu völlig fehlen von Raubkriminalität, Morden, speziell im Umfeld mafiöser Strukturen, sowie die Folgen von Drogenhandel, der eine enorme Kapitalmacht akkumuliert, und wie in Italien Protagonisten in höchste Staatsämter hiefen konnte, ähnlich auch in Mexiko oder Kolumbien.

Frauen können sich in China frei bewegen, ohen Angst haben zu müssen vor sexuellen Übergriffen. Das sieht in zwischen in Teilen Schwedens, Deutschlands, ect. in bestimmten Stadtvierteln schon anders aus.

Überhaupt - Frauenrechte ! Eines der wenigen Verdienste Mao´s. Allein die Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen, wie in der gesamten islamischen Welt und deren westlichen Siedlungsgebieten üblich, vom Verhüllungszwang, Scharia-Diskriminierung, Zwangsehe und Ehrenmord als dezentral angewandter Todesstrafe, - die jährlich über eine Million Genitalverstümmelungen an Frauen, eine unfaßbare Grausamkeit und weitgehend toleriert vom Westen - aber auch Aspekte in Indien, sind eine gigantische Dimension von Menschenrechtsverletzungen.

Stellt man das Gegenüber weshalb China permanent angeprangert wird, zeigt sich mehr als nur Willkür in den Bewertungsmaßstäben.

Es ist auch eine Mißachtung positiver Entwicklungen in China, und eine menschenverachtende Ignoranz gegenüber Frauendiskriminierung in andern Teilen der Welt. Und genau da zeigt sich die politische Dimension eines solchen "Friedensnobelpreises".

Man kann natürlich China auch vorwerfen, daß es die Frauendiskriminierung z.B. bei den islamischen Uiguren weitgehend duldet. Also nach derzeitigen westlichen Maßstäben exakt da Unrecht untertützt, wo man fälschlich für Toleranz lobt.

Aber das ist chinesische Minderheitenpolitik. Minderheiten haben in China viele Privilegien, die Han-Chinesen oft nicht haben. Z.B. mehrere Kinder zu bekommen. Zudem können sie ihre Sprachen und Kulturgüter pflegen wie sie wollen. Nur separatistisch zu sein wird nicht im geringsten Ansatz geduldet.

China und Menschenrechte ist ein sehr komplexes Thema das im Westen in ein einfaches Bewertungsraster gepresst wird. Und dieses Raster ist nicht automatisch "menschenrechtlich". Weil es Aspekte wie Wohlstand, medizinische Versorgung, Schutz vor Kriminalität, Frauenrechte, gesicherte Ernährung ect. nicht beachtet. Sondern sich beschränkt auf ganz wenige Teilsapsekte, wie Duldung von Regierungskritik, Todesstrafe ja oder nein, juristische Rechtsstaatlchkeit, ect. Kulturell- und religionsspezifische Menschenrechtsverletzungen werden gradezu ausgeschlossen von der Bewertung. Weshalb auch islamische Länder höchstens für polizeistaatliche Willkür gescholten werden, nicht aber für religiös bedingte Menschenrechtsverletzungen.

Also bei aller Kritik an China - das Positive wird bei diesem Land fast vollkommen ignoriert.


Nebenaspekt: Permanent wird davon geredet, daß es in China zu "Unruhen" kommen könnte, gelingt nicht die wirtschaftliche Fortentwicklung. Daß es überhaupt zu Unruhen kommt, ist ein Kennzeichen einer schon relativ liberalen Gesellschaft.

Als Mao herrschte gab es keine Unruhen, weil ein paar Preise stiegen, wie heute. Damals verhungerten Millionen, oder wurden verfolgt. Unruhen gibt es in totalitären Systemen nicht - sondern immer nur in liberalen. Das als Indikator für das wirkliche Ausmaß an "staatlicher Repression" in China. Die Leute sagen auch einem Ausländer ganz offen, was ihnen passt und was nicht. Ist nicht anders wie hier.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

08.10.2010 15:33
#10 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von 123
Überhaupt - Frauenrechte ! Eines der wenigen Verdienste Mao´s.


Ich erlaube mir, da nicht ganz so enthusiastisch zu sein. Die Ein-Kind-Politik zusammen mit der traditionellen Vorliebe für Söhne führt zu enthusiastischen Abtreibungen und Kindstötungen bei Mädchen.

--
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

08.10.2010 15:37
#11 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von 123
Frauen können sich in China frei bewegen, ohen Angst haben zu müssen vor sexuellen Übergriffen.


Das konnten sie freilich im Dritten Reich auch, lieber 123. Im Bekämpfen von Kriminalität sind totalitäre Regimes oft (nicht immer) gut. In einem Polizeistaat kann die Polizei halt viel ausrichten.

Ich gehe auf Ihre Beiträge zu diesem Thema, denen ich trotz dieser jetzigen Anmerkung in vielem zustimme, noch ausführlicher ein, wenn ich Zeit habe.

Herzlich, Zettel

123 Offline



Beiträge: 287

08.10.2010 15:44
#12 RE: Liu Xiaobo Antworten

Offenbar stellen sie sich Norwegen so vor wie China: Bis in ein solches Komitee hinein ist der Staat für alles verantwortlich, hat er alles unter Kontrolle, kann man ihn also auch für alles bestrafen.


Stimmt. Noch interssanter wird aber die Berichterstattung in den westlichen Medien sein. Als islamische Staat ähnlich auf die Karrikaturen reagierten, (die in islamsichen Ländern gezeigten waren allerdings gefälschte) nahmen alle Regierungen Europas und nahezu alle Medien die Position der islamischen Repression ein. Bei China wird es exakt umgekehrt sein.

Der Westen vertritt den Maßstab der Menschenrechte eben besonders gern gegen China aus politischen Gründen. Nicht aus menschenrechtlichen. In diesem Sinne reagiert China nun darauf. Dem Westen, und spziell diesem Friedensnobelpreiskomitee fehlt es eben vollkommen an Glaubwürdigkeit.

Abgesehen davon wird sich die Menschenrechtslage in China weiter verbessern, je mehr Marktliberalität zugelassen wird. Marktliberale Gesellschaften müssen fast zwangsläufig auch politisch liberal werden, weil der wirtschaftliche Erfolg mit gesellschaftspolitischer Liberalität korrelliert.

Im Gegensatz dazu wird der Westen immer anti-liberaler, und geht wirtschaftlich nieder.

Eine interessante gegensätzliche Entwicklung.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

08.10.2010 15:53
#13 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von FAZ
Die Entscheidung des norwegischen Nobel-Komitees werde den Beziehungen zwischen Norwegen und China schaden, erklärte das chinesische Außenministerium am Freitag.

Besser konnten die chinesischen Kommunisten eigentlich nicht dartun, daß sie noch nicht einmal die Grundbegriffe eines demokratischen Gemeinwesens verstanden haben.
Offenbar stellen sie sich Norwegen so vor wie China: Bis in ein solches Komitee hinein ist der Staat für alles verantwortlich, hat er alles unter Kontrolle, kann man ihn also auch für alles bestrafen.



Mit dieser Einschätzung hat China im Falle des Nobelpreiskomitees ja auch völlig recht.

Zitat von Wikipedia
The Norwegian Nobel Committee (Norwegian: Den norske Nobelkomité) awards the Nobel Peace Prize each year.

Its five members are appointed by the Norwegian Parliament and roughly represent the political makeup of that body.


Wenn fünf ehemalige Mitglieder des Bundestags, zwei von der CDU, je einer von SPD, Grünen und FDP, vom Bundestag nominiert werden und zusammen einen bekannten chinesischen Regimekritiker mit einem weltweit beachteten Preis auszeichnen, würde Sie dann eine Irritation Chinas auch wundern?

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123 Offline



Beiträge: 287

08.10.2010 16:06
#14 RE: Liu Xiaobo Antworten

Lieber Zettel,

ich habe mir schon gedacht daß dieser Einwand kommt. Dachte aber eher an die DDR.

Es bedarf allerdings keines Polizeistaates um Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Sondern Entschlossenheit entsprechende Vergehen so zu ahnden, daß die Täter sie möglichst nicht wiederholen können oder wollen. Bei den Strafmaßen in der BRD z.B. muß man von staatlicher Duldung von Kriminalität sprechen, insbesondere im Jugendstrafrecht.

Sind die Strafen in China auch hart - ich persönlich lehne die Todesstrafe mit aller Entschiedenheid ab - so muß man in der BRD die Anzahl der Opfer aufwiegen gegen die Strafmaße in China. Z.B. Vergewaltigung in China, eine sehr langjährige Haftstrafe, ebenso bei Raub, in der BRD ein paar Monate, fast nie mehr als 3 Jahre. Und danach vielfach Wiederholungstaten, oft (meist) mehrfach. Da ist mir die harte Strafe für den Kriminellen lieber, weil sie sich gegen den Täter richtet. Bei uns hingegen leiden unschuldige Opfer, und zwar vielfach.

Das andere ist die Ethik. Kriminelle sind in China geächtet. Hier sieht man sie als Opfer der (kapitalistischen) Gesellschaft. Das leistet Kriminalität gradezu Vorschub.


Man muß wohl auch Hintergrundwissen über die chinesische Kultur haben, um die sehr strenge Rechtssprechung in China zu verstehen. Z.B. die Anfälligkeit für Korruption.

Das ist ein Tradition, die sich aus Kennlern- und Beschenkungsritualen ergibt, die seit jeher Geschäftsbeziehungen eingeleitet haben. Nur - wo beginnt nach einem netten Geschenk die Bestechung ?

Mit Öffnung zur Marktliberalität wird diese Tradition virulent. Man fragt sich als Westler, wie jemand bei den bekannten Strafmaßen in China wagen kann korruput zu werden ? Zumal es viele Verurteilungen zum Tode gibt, oder sehr langen Haftstrafen.
Man ist sich wohl bewusst, daß die Kombination solcher Traditionen und Marktwirtschaft schnell zu Exzessen der Korruption führen würde. Und was wären die Folgen ? Die Marktwirtschaftliche Effizienz sinkt, Wirtschaftswachstum und Wohlstand ebenso, es enstehen Seilschaften mit immer mehr Macht. Machtkartelle eben - und das umso mehr, je demokratischer.

Demokratie in China wäre nicht das, was wir im Westen hier darunter verstehen. Unser Gesellschaftskonzept gründet auf westlichen Prägungen in einer 2500 jährigen Geschichte. In China wäre das nicht anders - chinesisch geprägt eben. Ob das besser wäre als das was jetzt ist, - dafür gibt es keine Indizien.

Was mich auch verwundert ist z.B. so ein Fall:

Wie kann jemand beim Bau eines Hochhauses am Beton sparen wo doch streng kontrolliert wird ? So gibt es in Lanzhou eine ca. 20 stöckige Bauruine mitten in der Stadt, weil sie statisch nicht sicher ist in einem Erdbebengebiet. Todesstrafe für den Bauunternehmer !

Drastisch, aber die Anzahl der Todesopfer eben noch mehr. Nun stelle man sich vor es gäbe westliche Strafen. Vielleicht 3 Jahre Knast. Wie viele Nachahmer hätte das zur Folge ? Und wie viele potentielle Opfer wenn solcher Pfusch zum Einsturz eine vielgestossigen Wohnhauses führt.

Die harten Strafen erscheinen, wenn man chinesische Kulturspezifika kennt, eher logisch als nur drastisch.

123 Offline



Beiträge: 287

08.10.2010 16:08
#15 RE: Liu Xiaobo Antworten

ach ja

ich wollte mich schon länger bedanken für diesen exzellenten Blog.

Für mich die beste Hintergrundlektüre die man im deutschsprachigen Netz finden kann.

Ich hoffe sie machen diese spitzenmässige Arbeit noch viele, viele Jahre.

Also tausend Dank auch.

C. Offline




Beiträge: 2.639

08.10.2010 16:17
#16 RE: Liu Xiaobo Antworten

Wenn Iran Horst Mahler den großen Khomeinipreis für seinen Einsatz für Meinungsfreiheit und gegen den Zionismus und damit verbunden seine sofortige Freilassung fordern würde, wäre mein Verständnis bei aller Liebe zur Meinungsfreiheit äußerst begrenzt, aber so scheint es China zu empfinden.

Der Preis ist sicherlich verdient, allerdings ist die Argumentation von 123 nicht so leicht vom Tisch zu wischen. Aber man kann es positiv sehen, China wird zugetraut, dass sie das aushalten, ohne jetzt Botschaften anzuzünden oder auf der norwegischen Flagge rumzumtrampeln.

http://www.iceagenow.com/

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

08.10.2010 19:02
#17 RE: Liu Xiaobo Antworten

Liebe C,
man brauch ja nicht unbedingt Botschaften anzünden, Nobelpreisträger Orhan Pamuk ist es so ergangen:

u.a. lt. Wiki
2005 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
2006 Nobelpreis für Literatur
2007: Ehrendoktorwürden der FU Berlin als „Ausnahmeerscheinung"

Von einem Istanbuler Bezirksstaatsanwalt wurde Pamuk wegen „öffentlicher Herabsetzung des Türkentums” angeklagt, worauf in der Türkei nach § 301 des Strafgesetzbuches bis zu fünf Jahre Haft stehen. Der Prozess begann am 16. Dezember 2005, wurde jedoch noch am selben Morgen wegen offener Verfahrensfragen auf Februar 2006 vertagt. Unter anderen Amnesty International und zahlreiche Schriftstellerorganisationen sowie der neue Präsident des Deutschen Bundestages Norbert Lammert protestierten gegen den Prozess, der EU-weit aufmerksam beobachtet wurde, auch weil er sich möglicherweise auf die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei hätte auswirken können.
Am 22. Januar 2006 wurde das Verfahren auf Grund einer fehlenden Weisung des türkischen Justizministers eingestellt.
---------------

Im Januar 2007 sagte Pamuk eine geplante Deutschlandreise ab. Nach Angaben seines Verlages sieht er sich nach dem Mord an Hrant Dink vermehrt mit Morddrohungen konfrontiert und könne nicht sicher reisen.[3]

♥lich Nola

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

08.10.2010 19:47
#18 RE: Liu Xiaobo Antworten

Und auch dieser Vorgang ist ein Eklat. Doğan Akhanlı hat sich als ein herausragender türkischer Autor einen Namen gemacht. Nun sitzt er der Türkei im Gefängnis, weil er nach 19 Jahren seinen kranken Vater besuchen wollte.

Zitat
http://www.deutscharmenischegesellschaft.de/?p=2114

Freiheit für Doğan Akhanlı
Als Doğan Akhanlı am 10. August 2010 in die Türkei einreiste, wurde er gleich am Flughafen festgenommen. Er sitzt seither im Gefängnis. Ihm wird unterstellt, zusammen mit zwei weiteren Personen in den 1980er Jahren für eine linke Organisation eine Wechselstube in Istanbul überfallen und deren Besitzer getötet zu haben. Akhanlı, Jahrgang 1957, saß von 1985 bis 1987 im berüchtigten Militärgefängnis Metris, wurde schwer gefoltert. 1991 kam er nach Deutschland, lebt seit 1992 in Köln und ist Deutscher Staatsbürger.


So schreibt der Spiegel, Nr. 40, 04.10.2010
"Die Willkür einer Diktatur"
Der deutsch-türkische Schriftsteller Dogan Akhanli, 53, über seine Festnahme und die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft in Istanbul gegen ihn erhebt.
[...] "Wenn ich nicht von einer lebenslangen Haftstrafe bedroht wäre, könnte ich über meine Situation wirklich lachen. Ich komme mir vor wie Franz Kafkas Romanfigur Josef K. - nicht nur, weil ich unschuldig verhaftet worden bin. [...]

http://www.hagalil.com/archiv/2010/09/29/dogan/
Uns ist bekannt geworden, dass der türkische, seit 19 Jahren in Köln lebende Schriftsteller und Menschenrechtsaktivist Doğan Akhanlı am 10. August in Istanbul verhaftet und in das Gefängnis in Tekirdag verbracht worden ist. Die Gründe, die für Akhanlıs Verhaftung vorgebracht wurden, sind offenkundig vollständig unbegründet und stellen einen außergewöhnlichen Verstoß gegen die Menschenrechte dar.

Wir sehen Akhanlıs Verhaftung im Zusammenhang mit den beschämenden Angriffen gegen seinen türkischen Kollegen Orhan Pamuk, der seinem Land die größte literarische Auszeichnung eingebracht hat, wie auch der mehrjährigen, völlig unbegründeten juristischen Angriffe gegen seine türkische Kollegin, die Soziologin Pınar Selek. Schriftsteller wie Nâzim Hikmet, Yaşar Kemal und Orhan Pamuk haben der türkischen Kultur mittels ihrer gedanklichen und künstlerischen Unabhängigkeit internationale Anerkennung verschafft.




Repressalien gegen unliebsame "abtrünninge" Mitbürger können auf viele verschiedene Arten erfolgen. Anwärter der EU zu sein, Verfassungsänderungen die der Türkei eine Belobigung der EU einbringt, das alles hat noch nichts mit vorgelebter Demokratie zu tun.

Außerdem wäre die juristische Frage noch zu klären, inwieweit die Türkei einen Deutschen Staatsbürger verhaften darf. Auch wenn er vielleicht noch den türkischen Paß besitzt. Lebensmittelpunkt war jedoch Köln. Ob Frau Merkel heute Abend ihren Amtskollegen danach fragt?

♥lich Nola

123 Offline



Beiträge: 287

08.10.2010 23:35
#19 RE: Liu Xiaobo Antworten

Noch ein Hintergrund:

In Europa weiß man über China fast nichts außer den üblichen Klischees.

Alle Chinesen mit denen ich mich unterhielt, und zwar in China wie auch hier, betonen wie wichtig die Einheit des Landes sei. Daß davon alles abhänge, insbesondere der Frieden.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß wann immer in China Machtkämpfe ausbrachen, diese extrem blutig waren. Dazu zählt auch die Machtergreifung von Mao. Aber auch im 19. Jahrhundert gab es Bürgerkriege, die was die Anzahl der Toten betrifft, mit dem ersten Weltkrieg gleichziehen können, wie den Taiping-Aufstand. http://de.wikipedia.org/wiki/Taiping-Aufstand

Man fürchtet sich in China in gewissem Sinne vor der Demokratie, weil man aus historischer Erfahrung weiß, daß das Land davon zerrissen wird. Nach Mao und seinen über 70 Millionen Toten, was man durchaus laut kritisiert, (während man in der BRD heute die DDR anfängt zu verherrlichen als Paradies der sozialen Gerechtigkeit) ist man unendlich froh und sich bewusst, wie wertvoll der innere Frieden und der wachsende Wohlstand sind.

Noch ein weiterer Aspekt ist der Konfuzianismus. Trotz der Hirnwäsche Mao´s hat diese uralte Ethik überlebt, und prägt China tief im Alltag. Fleiß, Verantwortung für die Familie, aber auch das sich zurücknehmen innerhalb der Gemeinschaft sind tief verwurzelte Werte, die den westlichen Idealen der individuellen Freiheit, wie ich persönlich sie entschieden vertrete, entgegen stehen. Von daher findet die aktuelle durchaus autoritäre Regierungsform ihren normativen positiven Widerhall in der Bevölkerung.

Und noch ein Aspekt ist den Chinesen bewusst: Demokratie ist relativ ineffizient. Man plant nur von Wahl zu Wahl. Was darüber hinaus geht ist westlichen Politiker vollkommen gleichgültig. Siehe Massenimmigration bildungsfeindlicher Schichten in die Sozialsysteme. In China plant man jedoch langfristig, auf Jahrzehnte angelegt. Wird verantwortungsvoll regiert, und nicht eigensüchtig bereichert durch die Eliten, so hat diese Regierungsform ihre Vorteile gegenüber eine populistischen Demokratie, die zudem die Bevölkerungen ständig emotional aufpeitscht und zwangsläufig Unzufriedenheit schürt, weil die Opposition naturgemäß die Erfolge schlecht reden muß, und Mißerfolge ggf. aufbauscht. Darin liegt die Wurzel des westlichen Selbsthaßes.

In China sieht man unseren Niedergang, und wie es so die Art der Ostasiaten ist, versucht man daraus zu lernen. Eine Lehre ist, daß westliche Demokratien erhebliche Schwächen aufweisen und sich selbst von innen heraus belasten. Ja sogar selbst zerstören. Siehe die Machtergreifung der Nazis, und die aktuelle kulturelle Selbstzerstörung zu Gunsten des Islam.

Die Haltung der KP zur Demokratie entspringt zu einem guten Teil sicher dem Machterhalt, aber nicht nur. Sondern auch aus Verantwortungsbewusstsein. Wirklich bedenklich wird es allerdings, sollten wieder totalitäre, maoistische Tendenzen aufkommen. Aber die hat man derzeit gut im Griff. Grade weil man politisch enge Spielräume setzt. Die akutellen Freiheiten in China wären durch eine demokratische Staatsform weitaus mehr bedroht als in der derzeitigen.

All dies gilt es zu bedenken in Bezug auf China und die Menschenrechte.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

09.10.2010 10:38
#20 RE: Liu Xiaobo Antworten

Liebe(r) 123,

mit großem Interesse habe ich Ihre Ausführungen gelesen und teile sie weitestgehend. Dennoch frage ich mich, wieso die chinesische Politik mit Einforderung der Menschenrechte und der damit verbundenen Kritk so schlecht umgehen kann. Ein Umsturz läßt sich wohl kaum damit begründen, denn es sind wohl zu wenig, die sich laut artikulieren.

Was hätte dagegen gesprochen, diesen Mann:

Liu, Ehrenvorsitzender des PEN-Clubs unabhängiger chinesischer Schriftsteller, war im Dezember 2009 wegen «Untergrabung der Staatsgewalt» zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Er gilt als führender Kopf hinter der «Charta 08», einem Aufruf für Demokratie und Menschenrechte in China in der Tradition der «Charta 77» tschechoslowakischer Bürgerrechtler. Liu ist seit zwei Jahrzehnten ein führender Denker der Demokratiebewegung. Er war auch an den blutig niedergeschlagenen Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 beteiligt und saß bereits vor seiner Verurteilung mehrfach in Haft.

im Sinne einer aufgeschlossenen Gesellschaft an entsprechender Position zu stellen. Und wenn das nicht möglich ist, dann wenigstens innerhalb einer Beratungskommision. Möglichkeiten das Potential positiv zu nutzen gäbe es doch viele. Stattdessen:

Zitat
http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1049817

Frau von Liu Xiaobo muss Peking verlassen
Peking (dpa) - Die Frau des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo ist von der chinesischen Polizei zur Abreise aus Peking gezwungen worden. Nach Berichten vom Samstag soll Liu Xia offensichtlich in die Stadt Jinzhou im Nordosten gebracht worden sein. Dort ist der Bürgerrechtler Liu Xiaobo inhaftiert.


Die Führung in Peking hatte mit aller Schärfe auf die Entscheidung des Komitees reagiert. Liu sei «ein Krimineller». Die Vergabe «an solche Leute» sei «eine Schmähung» des Nobelpreises, hieß es in Peking. Der norwegische Botschafter wurde einbestellt, wie die Regierung in Oslo mitteilte. Zudem habe der chinesische Vertreter in Oslo den «kräftigen Protest» der chinesischen Regierung zum Ausdruck gebracht. Dabei sei angedeutet worden, dass es Konsequenzen geben werde.

♥lich Nola

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

09.10.2010 11:36
#21 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von Nola
mit großem Interesse habe ich Ihre Ausführungen gelesen und teile sie weitestgehend. Dennoch frage ich mich, wieso die chinesische Politik mit Einforderung der Menschenrechte und der damit verbundenen Kritk so schlecht umgehen kann. Ein Umsturz läßt sich wohl kaum damit begründen, denn es sind wohl zu wenig, die sich laut artikulieren.


Liebe Nola,

mir geht es bezüglich der Thesen von "123" ähnlich. Hinter der chinesischen Politik wird wohl die chinesische Variante von "wehret den Anfängen" stecken.

Sonst traue ich mich nicht, angesichts der Probleme der westlichen Demokratien und angesichts der Andersartigkeit Chinas mehr dazu zu sagen. Ich traue auch grundsätzlich den Rezepten, mit denen der "Westen" China versorgt, nicht - ich befürchte, es geht in der Regel entweder um Selbstüberschätzung oder um politisch motivierte (nicht unbedingt im Sinne einer Verbesserung der Verhältnisse) Ratschläge.

Schönes Wochenende, Ungelt


EDIT: "Ratschläge" war "Hinweise"

123 Offline



Beiträge: 287

09.10.2010 13:52
#22 RE: Liu Xiaobo Antworten

Liebe Nola,

eine gute Fragestellung - warum reagiert man in China so hart auf einen Gesinnungsdissidenten ?

Sicher ist "wehret den Anfängen" ein Grund, wie bereits genannt wurde. Es gibt da noch einen Aspekt den man gern vergißt im Westen. Eine Demokratie ermöglicht auch Anhängern totalitärer Struktur mittels Demagogie die Machtergreifung. Siehe den Werdegang des "Demokraten" Hitler. Siehe auch Erdogan der die Türkei ihrer liberalen Errungenschaften beraubt. Vielleicht fürchtet man in China nicht nur die Demokratiebewegung, sondern ebenso eine Renaissance des Maoismus. Ausschlachten ließe sich da vieles, wie das Wohlstandsgefälle, und der Reichtum Einzelner im Kontast zu Einkommen von wenigen Euro am Tag. Davon kann man bei den Preisen im heutigen China kaum noch leben !

Wie gesagt - 11 Jahre für eine systemkritische Äußerung - das ist eine hohe Strafe. Aber eine extrem milde wenn man in die Geschichte Chinas zurück blickt. Auch wird der Kritiker nicht inoffiziell ermordet, also nicht direkt durch den Staat, sondern durch Anhänger eines totalitären Staates, wie der Ägypter und Islamkritiker Fouad durch Moslembrüder in den 80iger oder 90igern. Das wäre viel praktischer für ein totalitäres Regime, das sich dann nach außen als liberal darstellt, aber den Einschüchterungseffekt voll ausnutzen kann. Nicht so in China.

Es ist in China nicht so, daß man nicht kritisieren darf und kann, was die KP beschließt. Nur hat man letztlich relativ wenige Einflußmöglichkeiten. Obwohl die Rechtssprechung durchaus Klagen ermöglicht, ebenso wie es Anwälte gibt die ohne Repressalien die Interessen der Kläger vertreten können. Aber es gibt ganz klar ein Tabu: Wer die Machtsturktur hinterfragt, wird als Feind betrachtet. Und Xiaobo stellt die Systemfrage.

So wünschenswert es auch ist, daß man sagen kann was man für richtig hält, so wäre die Wirkung davon in China höchst wahrscheinlich nicht so wie bei uns im Westen, sondern eher hochgradig emotionalisierend, polarisierend, und würde Konflikte eher schüren als dämpfen. Bei all den unterschiedlichen Interessen in China ließe sich eine solche Entwicklung, einmal in Gang gekommen, nur noch durch einen Regierungsstil wie den von Mao im Zaume halten.

Die Alternative wäre ein Zerfall Chinas.

Man hat im Westen meist keine Vorstellung wie divers dieses Land ist. Nicht nur topgrafisch in schier unglaublicher Dimension, mit steilsten Gebirgen (selbst Mittelgebirgen) riesigen Flüssen, und dann noch die enorme Ausdehnung. Hinzu kommen die kulturellen Eigenheiten, längst nicht nur der Minderheiten sondern auch der Han-Chinesen selbst. Angefangen von der Küche, bis hin zu völlig unterschiedlichen Aussprachen der Schriftzeichen. Man wundert sich wirklich, wie es jemals möglich war in der Geschichte, dieses Land zentral zu verwalten ! Eine enorme organisatorische Leistung, und unendlich schwieriger zu bewältigen als beim Römischen Reich oder den Empire der Spanier und Briten.

Nun ist China vielfach in sich zerfallen. Nahezu immer begleitet von Kriegen und Bürgerkriegen mit Millionen Toten. Schon der erste Kaiser bot ein Heer auf von ca. 1 Million Soldaten, sein letzter ernsthafter Gegner, das "Südreich", hatte eine halbe Million Soldaten bei der letzten Entscheidungsschlacht aufgeboten. Zum Vergleich hatte das Römische Reich etwas später kaum mehr als 20 Legionen mit 5000 Mann unter Waffen. Daran sieht man die gigantische Dimension dieses China schon vro über 2000 Jahren !


In China ist man sehr geschichtsbewusst. Durchaus kritisch, aber eben auch mittlerweile sehr stolz. Eigentlich ist China vom Selbstverständnis nicht mehr sozialistisch, sondern nationalistisch. Die KP nimmt im Prinzip die Funktion des einstigen kaiserlichen Beamtenapparates ein. Der Ministerpräsident ist eher sowas wie der ranghöchste kaiserliche Beamte, also absetzbar bei Bedarf. Einzig die Kaiserfigur fehlt, und die nimmt symbolisch Mao ein, von dem man nur noch auf den Geldscheinen und ein einziges Bild im Land sieht - auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Ansonsten ist von Mao´s System nicht mehr viel übrig.

Es ist auch gradezu unfaßbar, wie lebendig all die chinesischen Traditionen geblieben sind, obwohl die "Umerziehung" durch Mao und seine Handlanger derartig extreme Ausmaße angenommen hatte. Sieht man sich dagegen die Ossis an, die haben die Passivität des sozialistischen Untertanen viel mehr verinnerlicht, bei weitaus weniger Druck als unter Mao. Wirklich phänomenal.

Zieht man all dies in Betracht, so kann ich mir vorstellen, was die Befürchtungen der KP sind, wenn sie demokratische Strukturen zulässt.

Es gibt natürlich Beispiele dafür, daß eine Demokratie relativ lange funktionieren kann. Mir fällt da aber nur die USA ein. Und hier ist eine demokratische, freiheitliche Ethik ein tief verwurzelte Grundlage. Nur dort wo demokratisches Denken sehr tief verinnerlicht ist, wo man den Andersdenkenden respektiert, und seine Entscheidungen hinnimmt, auch wenn sie einem mißfallen, kann Demokratie funktionieren.

Im Kontrast dazu Japan - eine Konsensgesellschaft, die zwar demokratisch wählt, aber über Jahrzehnte immer nur eine Partei an der Macht war. Ebenso in Schweden übrigens. Wo Abweichler ebenfalls Diffamierungen - einer Form von Repression - ausgesetzt sind. China könnte Systemkritiker zulassen, aber man befürchtet wohl, angesichts der chinesischen Geschichte, daß sich das Land dann rasch aufspaltet, daß die Identifikation mit dem Land abnimmt, und dann der Zerfall samt blutigen Konflikten droht.

Am Ende kommt Bürgerkrieg dabei heraus, oder ein neuer zentraler Herrscher. Wiegt man diese "Kosten" gegeneinander auf, also die Inhaftierung von Systemkritikern und genannten Szenarien, und so denken höchst wahrscheinlich die KP-Regenten, so ist das eine Opfer gradezu winzig im Vergleich zum anderen.

Noch was: Man bedenke die Ressentiments gegen Stoiber und Strauß in Nordeutschland, weil sie eben süddeutsche Katholiken waren. Nun Demokratie in China - wo Nord- und Südchinesen ebenfalls ihre "Differenzen" haben. Spielend leicht ließen sich hier negative Emotionen gegen die kulturellen Eigenarten der jeweils anderen schüren. Und dann eben noch all die Minderheiten als Würze in diesem Gemisch.

Hinzu kommt, daß es derzeit keinen Anlaß für einen Systemwechsel gibt weil sich das Leben der Chinesen, und zwar für nahezu alle ! Eine grandiose Leistung, die einfach für selbstverständlich hingenommen wird, ja sogar für ungenügend kritisiert wird.
Man kann vielleicht sogar sagen, daß diese Leistung in der Menschheitsgeschichte einziartig ist. Und das auch noch nach all dem was Mao angerichtet hat.

Aber heute tanzen die Chinesen wieder, singen Liebeslieder. Was unter Mao verboten war. Heute lacht man über die roten Schriftzeichen auf Ruinen und alten Gebäuden, die rot geschriebenen Propagandalosungen, für die so viele im Westen schwärmten. Abends wird auf den Straßen getanzt, Paartanz, Formationstanz, oft westlich inspriert. Morgens Fächergymnastik, Tai Chi, Jogging, neuerdings auch so Technozeugs. Dann geht´s zur Arbeit.

Man könnte so unendlich viel Positives über China berichten, aber im Westen konzentiert man sich primär auf die realtiv wenigen Negativaspekte. Allerdings ist das Leben in China hart für die einfachen Leute. Aber das war es ebenfalls schon immer.

Nola ( gelöscht )
Beiträge:

09.10.2010 22:10
#23 RE: Liu Xiaobo Antworten

Lieber 123,

Danke für Ihre Mühe und ausführliche Antwort. Auch ich glaube, daß man das heutige China nur im historischen Kontext sehen kann und gemessen daran, ist ein wirtschaftlicher Aufschwung mit dem verbunden Fortschritt und das innerhalb der chinesischen Traditionen schon enorm.

Beeindruckt hat mich der Tanz auf öffentlichen Plätzen. Das habe ich mal im TV gesehen und habe es für eine Ausnahme bzw. für TV produziert gehalten.

Was nun die politischen Machtverhältnisse angeht, komme ich doch stark ins Zweifeln, ob ein demokratisches Gefüge wie hier praktiziert (zu 99% jedenfalls) auf China anzuwenden wäre. Oft entwickelt sich ein politisches Programm über jahrzehnte verbunden mit den Erfahrungen hoffentlich zum besseren. Gemessen an der Vergangenheit haben die Chinesen wieder neue "Freiheiten". Für eine so konservative Kultur bedeutet jede Öffnung Fortschritt.
Und da denke ich, ist der Großteil der Bevölkerung erstmal mit zufrieden.

In unseren Medien wird alles an grüner Klimakultur gemessen und an rotsozialer Propaganda. Da kann man eine tiefergehende Berichterstattung nicht erwarten, wohl aber immer noch die Vermittlung einer "gelben Gefahr".

Dennoch wünsche ich, das Liu Xiaobo ebenso von fortschrittlichen Denkweisen profitieren wird und freigelassen bzw. "begnadigt" wird, daß ist natürlich nur insoweit möglich, als das die chinesische Regierung dabei "nicht ihr Gesicht verliert".

♥lich Nola

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

10.10.2010 11:08
#24 RE: Liu Xiaobo Antworten

Zitat von 123
Schon der erste Kaiser bot ein Heer auf von ca. 1 Million Soldaten, sein letzter ernsthafter Gegner, das "Südreich", hatte eine halbe Million Soldaten bei der letzten Entscheidungsschlacht aufgeboten.


Haben Sie dafür Quellen? Eine Million Menschen unter Waffen könnte ich mir unter Qin gerade noch vorstellen - wenn man zu dem einen Mann pro Familie noch einen Haufen mit Sensen und Mistgabeln "Bewaffnete" hinzunimmt. Aber nicht eine halbe Million Menschen auf einer Seite in einer einzigen Schlacht. Das ist vergleichbar mit der Normandielandung 1944, und allein die Logistik dafür war im 3. Jh. v. Chr. völlig unmöglich. Solche Zahlen können gerne in den Annalen stehen, aber die sollte man ebenso wenig ernstnehmen wie vergleichbare Zahlen im Alten Testament oder den pharaonischen Inschriften.

Zitat von 123
Zum Vergleich hatte das Römische Reich etwas später kaum mehr als 20 Legionen mit 5000 Mann unter Waffen.


Öhm, 5000 Mann pro Legion? Oder insgesamt? 5000 wären wohl etwas zu hoch (Sollstärke war meines Wissens in der klassischen Zeit 3600), 250 viel zu wenig.

--
Civilización es la suma de represiones internas y externas impuestas a la expansión informe de un individuo o de una sociedad. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Florian Offline



Beiträge: 3.171

10.10.2010 13:48
#25 RE: Liu Xiaobo Antworten

Ich glaube, auf die ganz genauen Zahlen kommt es hier gar nicht an - zumal die Zahlen im Zeitablauf auch geschwankt haben werden und die Quellenlage auch problematisch sein wird.

Entscheidend ist m.E. aber die grobe Richtung.

Und da war es eben so, dass China schon während der europäischen Antike ein großes Reich mit einer Hochkultur war.
Über viele, viele Jahrhunderte war China die kulturell am höchsten entwickelte Region der Welt.
Marco Polo gingen ja nicht umsonst die Augen über, als er China bereiste.
Da gab es eine (für die damalige Zeit) extrem effiziente Bürokratie, die (aus europäischer Sicht) unfassbar viele Untertanen verwaltete.
Auch in Wissenschaft, Militär, Kunst war China über einen Großteil der letzten zwei bis dreitausend Jahre weltweit die führende Macht.

Okay, gelegentlich wurde China von wilden Horden überrannt (die Mongolen, die Manchu). Aber schon nach wenigen Jahren hatte die neue Herrscherschicht jeweils die chinesische Kultur angenommen. Das chinesische Militär hatte vielleicht eine Niederlage erlitten, die chinesische Kultur einen Sieg.

Zudem gab es eine funktionierende Zentralverwaltung über ein riesiges Reich.
Das ist eine Leistung, wie sie das Abendland vom Zusammenbruch des römischen Reiches fast 1500 Jahre lang nicht bieten konnte.

Dass chinesische Schriftzeichen in den einzelnen Regionen massiv unterschiedlich ausgesprochen werden, ist sicher richtig.
Aber man muss das eigentlich umgekehrt sehen: es gibt in einzelnen Regionen komplett unterschiedliche gesprochene Sprachen. Aber die Kommunikation läuft über einheitliche Schriftzeichen.
Ein Provinzbeamter in Südchina, kann vielleicht kein Wort von dem verstehen, was ein Minsterialbeamter aus Peking sagt. Aber eine schriftliche Anweisung versteht er perfekt.
Eigentlich ist die chinesische Schrift daher die perfekte Lingua Franca. Eine geniale Lösung für die Verwaltung eines riesigen Reiches.

Erst ab ungefähr dem 15. Jahrhundert begann ein stetiger Abstieg der Großmacht China.
Aber es ist wichtig zu sehen, dass aus chinesischer Sicht, die daraus resultierende Schwäche etwas widernatürliches ist. Eigentlich hat China die hervorragendste Kultur der Welt. Es ist nur eine unglückliche Fügung, dass das eine Zeitlang nicht so deutlich war.
Der derzeitige Aufstieg Chinas ist aus der dortigen Perspektive schlicht die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung.

 Sprung  



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