Ich bin da ja skeptisch. Mir kommt das eher so vor, als wäre diese Ankündigung einen innenpolitisches Manöver, rein auf die südkoreanische Wählerschaft gerichtet. Denn es gibt ja noch einen wichtigen Unterschied zwischen den geteilten Staaten Deutschland und Korea: Dort hat sich die Gesellschaft nicht mit der Teilung abgefunden, man kann als Politiker mit diesem Thema punkten.
Aber ob das wirklich heißt, daß die Wahrscheinlichkeit für eine Vereinigung in naher Zukunft gestiegen ist?
Nicht der Plan Südkoreanischer Politiker erhöht die Wahrscheinlichkeit sondern das nahende Ende der Amtszeit eines Tyrannen. Der Plan ist nur die Reaktion darauf.
Ich frage mich ohnehin wie Nordkorea sein Volk an einen neuen Herrscher gewöhnen will, wo doch der aktuelle Gottstatus besitzt.
Zitat von R.A.Mir kommt das eher so vor, als wäre diese Ankündigung einen innenpolitisches Manöver, rein auf die südkoreanische Wählerschaft gerichtet.
Vielleicht, ich kann das nicht beurteilen, lieber R.A. Es erscheint mir aber offensichtlich, daß Südkorea sich auf einen Kollaps der Diktatur vorbereiten muß, auch wenn nicht vorhersagbar ist, wann er kommen wird.
Vermutlich liegen ja die Pläne dafür längst in der Schublade; man hat auch schon mal die zu erwartenden Kosten auszurechnen versucht, rund eine Billion (eine Trillion also nach amerikanischer Nomenklatur) Dollar.
Daß der Präsident damit jetzt an die Öffentlichkeit geht, mag durchaus innenpolitische Gründe haben oder auch Teil des Machtspiels seit der Versenkung des südkoreanischen Kriegsschiffs sein.
Das zentrale Problem scheint mir zu sein, was die Machthaber tun werden, um ihre Macht zu retten, und wie man es schafft, daß daraus kein Krieg wird. Und naürlich, wie China sich verhalten wird.
Ich hoffe, Obama stellt sich auf diesen Krisenherd ein, oder vielmehr dessen Heißerwerden.
Zitat von dirkIch frage mich ohnehin wie Nordkorea sein Volk an einen neuen Herrscher gewöhnen will, wo doch der aktuelle Gottstatus besitzt.
Reinkarnation?
Jedenfalls hat es ja schon einmal damit geklappt.
Ein aus meiner Sicht interessanter Nebenaspekt des Regimes in Nordkorea: Wenn ein kommunistischer Diktator abgesetzt wird oder stirbt, dann sind Machtkämpfe um die Nachfolge die Regel. Ein Mittel dagegen ist die erbliche Dynastie. In Nordkorea ist es der Sohn, in Cuba der Bruder, der die Dynastie fortführt.
Zitat Ein aus meiner Sicht interessanter Nebenaspekt des Regimes in Nordkorea: Wenn ein kommunistischer Diktator abgesetzt wird oder stirbt, dann sind Machtkämpfe um die Nachfolge die Regel.
Stimmt. Aber woran liegt das eigentlich?
Grundsätzlich haben doch auch kommunistische Staaten Regeln, nach denen sie funktionieren. (Und auch wenn faktisch die Macht nicht bei den staatlichen Ämtern sondern bei den Parteiämtern liegt: auch die Parteien haben ein inneres Regelwerk). Warum kann es also nicht auch für einen Machtübergang ein funktionierendes Regelwerk geben?
Oder noch allgemeiner gefragt: Warum tendieren kommunistische Staaten eigentlich zu Diktaturen eines einzelnen an der Spitze? Wäre nicht eigentlich nicht gerade für kommunistische Staaten viel logischer, wenn es an der Spitze ein echtes Kollektiv gäbe, das den Ausfall einer einzelnen Spitzenkraft leicht durch Kooption beheben könnte?
Interessante Fragen, lieber Florian. Nur kurz, wo ich die Antworten vermute:
Zitat von FlorianGrundsätzlich haben doch auch kommunistische Staaten Regeln, nach denen sie funktionieren. (Und auch wenn faktisch die Macht nicht bei den staatlichen Ämtern sondern bei den Parteiämtern liegt: auch die Parteien haben ein inneres Regelwerk).
Warum kann es also nicht auch für einen Machtübergang ein funktionierendes Regelwerk geben?
Regeln genügen nicht; es muß ja auch die Bereitschaft dazu da sein, sie einzuhalten, also rechtsstaatliches Denken.
Es hat aber in der Geschichte noch nie Leute an der Spitze von kommunistischen Parteien gegeben, die rechtsstaatlich dachten. Rechtsstaatliches Denken widerspricht dem Grundprinzip des Leninismus, daß allein der Erfolg zählt.
Zitat von FlorianWarum tendieren kommunistische Staaten eigentlich zu Diktaturen eines einzelnen an der Spitze? Wäre nicht eigentlich nicht gerade für kommunistische Staaten viel logischer, wenn es an der Spitze ein echtes Kollektiv gäbe, das den Ausfall einer einzelnen Spitzenkraft leicht durch Kooption beheben könnte?
Die Alleinherrschaft ist ja historisch der Regelfall in jedem System. In der Politik geht es um Macht, und jeder versucht möglichst viel davon zu bekommen. Die Frage ist, ob und wie das gebremst oder blockiert werden kann.
Das ist die Grundfrage der griechischen Demokratie gewesen, wo man erstmals so etwas wie ein System von checks and balances erdacht hat, und in der römischen Republik bis Caesar. Die erste erfolgreiche moderne Lösung dieses Problems ist die amerikanische Verfassung. Solche Kontrollen kennt aber kein kommunistisches System; gäbe es sie, dann wäre es keins mehr, sondern ein demokratischer Rechtsstaat.
Zitat von ZettelDie erste erfolgreiche moderne Lösung dieses Problems ist die amerikanische Verfassung.
Auch wenn ich hierfür nun gar kein Experte bin, möchte ich Ihnen hier mit Hinweis auf die englischen Vorläufer widersprechen, angefangen bei der Magna Carta. Ohne die englische Tradition hätte es das amerikanische Experiment gar nicht erst gegeben.
-- La función didáctica del historiador está en enseñarle a toda época que el mundo no comenzó con ello. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von ZettelSolche Kontrollen kennt aber kein kommunistisches System; gäbe es sie, dann wäre es keins mehr, sondern ein demokratischer Rechtsstaat.
Und im Nachgang zu meinem Kommentar gerade eben: ich kann mir problemlos nichtdemokratische Rechtsstaaten mit checks and balances vorstellen, etwa das mittelalterliche England. Insofern kann man sich durchaus vorstellen, dass auch kommunistische Diktaturen prinzipiell zu solcherlei nichtdemokratischen Rechtsstaaten werden können.
-- La función didáctica del historiador está en enseñarle a toda época que el mundo no comenzó con ello. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von ZettelDie erste erfolgreiche moderne Lösung dieses Problems ist die amerikanische Verfassung.
Auch wenn ich hierfür nun gar kein Experte bin, möchte ich Ihnen hier mit Hinweis auf die englischen Vorläufer widersprechen, angefangen bei der Magna Carta. Ohne die englische Tradition hätte es das amerikanische Experiment gar nicht erst gegeben.
Das stimmt natürlich, lieber Gorgasal. Als ich das geschrieben habe, dachte ich auch an die Republik Venedig, an die Verfassung der Freien Reichsstädte im Mittelalter; man würde noch manches Beispiel für eine republikanische Verfassung finden; müßte dann auch die Begriffe aufdröseln - Republik, demokratisch, Rechtsstaat.
Aber ich hatte ja nur eine kurze Antwort geben wollen.
Zitat Warum tendieren kommunistische Staaten eigentlich zu Diktaturen eines einzelnen an der Spitze?
Dieser Frage hat sich Hayek in dem "Weg zur Knechtschaft" angenommen. Seine Grundthese ist, dass Wirtschaftsplanung erstens keine Rechtsstaatlichkeit zulassen könne und zweitens zur Herrschaft eines einzelnen tendieren. Rechtsstaatlichkeit kann nicht zugelassen werden, weil die freien Entscheidungen der Einzelnen jede präzise Planung zunichtemachen würde. Demokratie ist unmöglich, weil die Fragen, die beantwortet werden müssen, um einen Plan zu erstellen, zu sehr ins Detail gehen, als dass sie per Konsensfindung entschieden werden könnten. Entweder man verzichtet auf Konsens, und unterwirft sich der Herrschaft eines einzelnen oder die Wirtschaftsplanung scheitert.
Zitat Das ist die Grundfrage der griechischen Demokratie gewesen, wo man erstmals so etwas wie ein System von checks and balances erdacht hat, und in der römischen Republik bis Caesar. Die erste erfolgreiche moderne Lösung dieses Problems ist die amerikanische Verfassung. Solche Kontrollen kennt aber kein kommunistisches System; gäbe es sie, dann wäre es keins mehr, sondern ein demokratischer Rechtsstaat.
Mir ist natürlich klar, dass Kommunismus und der demokratische Rechtsstaat (wie wir ihn in kennen) nicht kompatibel sind. [Aus dem einfachen Grund, weil Kommunisten ja meinen, das objektiv beste für die Gesellschaft zu wollen und daher jede Abweichung davon nicht anders wahrnehmen können als als Verbrechen. Daher kann in einem kommunistischen Staat natürlich keine demokratische Wahl stattfinden, in der eine nicht-kommunistische Alternative zugelassen wäre.]
Allerdings kann es checks&balances nicht nur in Demokratien geben (wie wir sie verstehen). Gerade die Antike bietet da ja einige Beispiele. Weder die römische Republik noch Sparta waren eine (modern verstandene) Demokratie. Es gab dort allerdings auch keinen autorkatischen Alleinherrscher.
Nun würde sich doch eigentlich auch der Kommunismus von seiner Theorie her für eine "Herrschaft eines Gremiums der Weisen" anbieten. So ähnlich wie Platons Philosphenstaat (mit einer klar vorgegebenen Staatsphilosophie natürlich).
Also mit einem debattierenden und um die "ultimative Wahrheit" ringenden Gremium an der Spitze, nicht mit einer Einzelperson. Die Besetzung des Gremiums muss deshalb natürlich nicht demokratisch erfolgen. Sondern das Gremium kann sich aus sich selbst heraus verjüngen. Zum Beispiel immer dann wenn jemand ausscheidet (durch Tod, durch Erreichen der Altersgrenze, durch Rücktritt, durch Ausschluss,...) wird vom Gremium selbst ein Nachfolger berufen. Die Reinheit der Doktrin wäre dadurch problemlos gewährleistet.
Offiziell sind ja wohl zumindest die osteuropäischen kommunistischen Staaten auch so ähnlich organisiert gewesen. De facto allerdings gab es stets einen Alleinherrscher. Und irgendwie will mir nicht so ganz einleuchten, warum das so ist. Warum haben sich die kommunstischen Kader in den (von der Verfassung her eigentlich mächtigen) Gremien die faktische Macht in einer Weise aus der Hand nehmen lassen, wie das in den westlichen Demokratien nicht passiert ist?
Zitat von FlorianNun würde sich doch eigentlich auch der Kommunismus von seiner Theorie her für eine "Herrschaft eines Gremiums der Weisen" anbieten. So ähnlich wie Platons Philosphenstaat (mit einer klar vorgegebenen Staatsphilosophie natürlich).
Also mit einem debattierenden und um die "ultimative Wahrheit" ringenden Gremium an der Spitze, nicht mit einer Einzelperson.
Die Besetzung des Gremiums muss deshalb natürlich nicht demokratisch erfolgen. Sondern das Gremium kann sich aus sich selbst heraus verjüngen.
Ich verstehe jetzt besser, was Sie meinen, ein Kooptionsmodell. So, wie das die Académie Française macht, um ein ganz kontrastierendes Beispiel zu nennen. Als eine Form der, wie die Kommunisten es seit Chruschtschow nannten, Kollektiven Führung.
Aber noch einmal, lieber Florian: Kollektive Führung setzt voraus, daß alle sich an die Regeln halten; daß sie rechtsstaatlich denken. So denken aber Kommunisten nun einmal nicht. Wenn sich die Machtfrage stellt, dann gelten keine Regeln.
Immerhin war ja eine gewisse Humanisierung zu beobachten. Verlierer im innerparteilichen Machtkampf wie Berija, Slansky und Raijk wurden noch hingerichtet. Verlierer wie Gomulka, Kádár und Harich wurden nur ins Gefängnis geworfen. Verlierer wie Chruschtschow, Molotow und Ulbricht wurden nur in ein wenig ehrenvolles Privatleben überführt.
Aber noch bei der Entmachtung Honeckers war es so, daß man ein Komplott geschmiedet und ihn überfallartig mit seiner Abwahl konfrontiert hatte, der er dann, ganz Kommunist, selbst zustimmte.
Es wird bei Leninisten immer so zugehen. Es liegt im Wesen des Leninismus. Ein Hauch davon weht uns ja im Augenblick aus Bayern an, wo die Kommunisten der Antikapitalistischen Linken den WASG-Flügel ihrer Partei in schönster leninistischer Tradition fertigzumachen versuchen; mit den üblichen persönlichen Verunglimpfungen.
Der Theorie nach gibt es im Kommunismus aber gar keinen Dissenz. Alle Widersprüche und Interessen lösen sich auf, sobal der durch die Planwirtschaft erzielte materielle Überfluss die Befriedigung aller Bedürfnisse ermöglich. Dann würden alle einer Meinung und in Harmonie und Eintracht leben.
Ein Gremium, nun, würde aber bei der ein oder anderne Frage eben nicht einer Meinung sein sondern sich streiten. Alleine die Existenz eines solchen würde die Theorie des Kommunismus untergraben.
Zitat von ZettelInteressante Fragen, lieber Florian. Nur kurz, wo ich die Antworten vermute:
Zitat von FlorianGrundsätzlich haben doch auch kommunistische Staaten Regeln, nach denen sie funktionieren. (Und auch wenn faktisch die Macht nicht bei den staatlichen Ämtern sondern bei den Parteiämtern liegt: auch die Parteien haben ein inneres Regelwerk). Warum kann es also nicht auch für einen Machtübergang ein funktionierendes Regelwerk geben?
Regeln genügen nicht; es muß ja auch die Bereitschaft dazu da sein, sie einzuhalten, also rechtsstaatliches Denken. Es hat aber in der Geschichte noch nie Leute an der Spitze von kommunistischen Parteien gegeben, die rechtsstaatlich dachten. Rechtsstaatliches Denken widerspricht dem Grundprinzip des Leninismus, daß allein der Erfolg zählt.
Ich muß Ihnen, lieber Zettel, da leider widersprechen.
Ihre Begründung, warum kommunistische Staaten keine regulären Machtwechsel kennen, scheint mir doch sehr vom Vorurteil und unzutreffenden anthropoligischen Annahmen abzuhängen. Kommunisten sind auch nur Menschen!
Darüber hinaus verstellt es den Blick auf die wirklich zutreffenden Zusammenhänge, denn die Art kommunistischer Führungswechsel (in lenistischen Systemen) sind strukturell bedingt:
1. eigentlich gibt es ja gar keinen alleinigen Führer sondern ein Kollektiv, was die Regulierung dieser Position natürlich erschwert
wichtiger ist jedoch
2. die Prinzipien des "Demokratischen Zentralismus", insbesondere das Verbot von Fraktionsbildungen verhindern, daß es innerhalb der Partei einen wirklichen Wettstreit über Programmatik oder Personal gibt. Immerzu besteht die Gefahr, als Abweichler dazustehen. Ein amtierender Generalsekretär kann daher niemals offen herausgefordert werden, wenn man sich des Ausgangs nicht vorher versichert hat. Daher wird dem Machtwechsel immer eine Verschwörung vorausgehen, um eben sicher zu gehen.
3. Es ist auch der "Demokratische Zentralismus", der solche System zu Alleinherrschaften werden läßt, denn die innerhalb des die Vorgaben machenden Zentrale (ZK), gibt es wiederum engere Kreise, die vorarbeiten müssen (im Politbüro sogar institutionalisiert). Und dies wird wiederum - wie jeder Gruppe - von einzelnen Mitgliedern geführt, wobei die für das Organisatorische zuständigen Sekretäre einen strukturellen Vorteil haben.
In einem weiteren Punkt, mit dem ich nicht einverstanden bin, ist folgender:
[/quote]Die Alleinherrschaft ist ja historisch der Regelfall in jedem System. In der Politik geht es um Macht, und jeder versucht möglichst viel davon zu bekommen. Die Frage ist, ob und wie das gebremst oder blockiert werden kann. Das ist die Grundfrage der griechischen Demokratie gewesen, wo man erstmals so etwas wie ein System von checks and balances erdacht hat, und in der römischen Republik bis Caesar. Die erste erfolgreiche moderne Lösung dieses Problems ist die amerikanische Verfassung. Solche Kontrollen kennt aber kein kommunistisches System; gäbe es sie, dann wäre es keins mehr, sondern ein demokratischer Rechtsstaat.[/quote]
Die "griechische Demokratie", womit Sie wohl die athenische meinen, zeichnete sich eben nicht durch checks und balances aus, sondern frönte ungehemmt dem Prinzip ungehinderter Volksherrschaft. Daran ging sie auch zugrunde.
Für die Römische Republik stimmt es wiederum, denn diese wurde ja auch als gemischte Verfassung verstanden. Und nicht umsonst blickten die frühen U.S.A. ja - neben dem britischen Mutterland, wo es damals eine kurzlebige Gewaltenteilung gab - gerade nach Rom.
Zitat von ZettelRegeln genügen nicht; es muß ja auch die Bereitschaft dazu da sein, sie einzuhalten, also rechtsstaatliches Denken. Es hat aber in der Geschichte noch nie Leute an der Spitze von kommunistischen Parteien gegeben, die rechtsstaatlich dachten. Rechtsstaatliches Denken widerspricht dem Grundprinzip des Leninismus, daß allein der Erfolg zählt.
Das war die Antwort auf die von Florian aufgeworfene Frage:
Zitat von FlorianWarum tendieren kommunistische Staaten eigentlich zu Diktaturen eines einzelnen an der Spitze? Wäre nicht eigentlich nicht gerade für kommunistische Staaten viel logischer, wenn es an der Spitze ein echtes Kollektiv gäbe, das den Ausfall einer einzelnen Spitzenkraft leicht durch Kooption beheben könnte?
Sie, liebe Lois Jane, beschreiben nun - durchaus zutreffend - Mechanismen innerhalb des Machtapparats des real existierenden Sozialismus, die aber ja gerade nicht dem Demokratischen Zentralismus entsprechen, so wie Lenin ihn entworfen hat. Und die Frage ist, warum der Demokratische Zentralismus niemals funktioniert hat.
So, wie Lenin es in "Was tun?" entwickelt hat, sah dieses System die Wahl der jeweils oberen (Leitungen) durch die jeweils unteren Gremien (Wähler) vor, sowie Rechenschaftspflicht der Leitungen und deren jederzeitige Abwählbarkeit durch die Wähler.
Der Demokratische Zentralismus war also nach Lenins Konzept etwas ganz anderes als das faktische Herrschaftssystem im real existierenden Sozialismus, gekennzeichnet durch
- Scheinwahlen statt echter Wahlen (die Leitungen rekrutieren sich aus Machtkämpfen und nicht aus Wahlen: diese haben das Ergebnis dieser Machtkämpfe nur noch zu bestätigen);
- die faktische Nicht-Absetzbarkeit der Leitungen durch die Wähler. Auch Absetzungen sind vielmehr das Resultat von Machtkämpfen innerhalb der Leitungen.
- keinerlei Rechenschaftspflicht der Leitungen gegenüber den Wählern. Rechenschaft wird überhaupt nicht abgelegt; sondern zur Rechenschaft wird gezogen. Und zwar derjenige, der innerhalb der Leitung einen Machtkampf verliert.
Warum hat der Demokratische Zentralismus niemals funktioniert? So wenig, wie in einem kommunistischen System das Modell realisierbar wäre, das Florian zur Diskussion gestellt hat?
Meine Antwort ist die oben zitierte. Ich bleibe (vorerst) bei ihr.
Zitat von lois janeIhre Begründung, warum kommunistische Staaten keine regulären Machtwechsel kennen, scheint mir doch sehr vom Vorurteil und unzutreffenden anthropoligischen Annahmen abzuhängen. Kommunisten sind auch nur Menschen!
Ja, gewiß doch, liebe Lois Jane, auch wenn sie sich selbst als Engel darstellen.
Mit Anthropologie hat mein Argument nichts zu tun.
Ich behaupte, daß eine Ideologie, die vollständig vom Ziel des Machterwerbs und Machterhalts her konstruiert ist, dazu führt, daß auch intern keine Regeln eingehalten werden, wenn es um Machtkämpfe geht. Deshalb konnte der Demokratische Zentralismus nicht funktionieren; so wenig, wie man der Mafia eine demokratische Organisation verpassen kann.
Trifft auf Nordkorea nicht das zu, was auf den letzten Seiten von Orwells 1984 dargelegt wird: Die Menschen in Nordkorea sind dermassen indoktriniert, dass sie mit einer Wiedervereinigung (unter - natuerlich - Kapitalistischen oder zumindest Sozialdemokratisch-Staatskapitalistischen Voryeichen) voellig uberfordert sind. Orwell beschreibt, dass die Kriege zwischen den 3 Staatenbloecken nur zu Progagandazwecken gefuehrt werden und eine Eroberung eines der anderen Bloecke voellig sinnlos sei, weil sich die Menschen dort aufgrund der Indoktrination niemals als Arbeitskraefte fuer einen fremden Sieger einsetzen lassen. - Ähnliches gab es 1945, als Magda Goebbels sich und Ihre Familie ermordete und so manch anderer hoeherer und niederer Funktionaer sich ebenso das Leben nahm.
Die These waere also: Nordkorea und die meisten Nordkoreaner sind wiedervereinigungsunfaehig. - Gleichwohl wuerde ich es den hungernden Menschen dort mehr als Wunschen.
Zitat von ZettelSie, liebe Lois Jane, beschreiben nun - durchaus zutreffend - Mechanismen innerhalb des Machtapparats des real existierenden Sozialismus, die aber ja gerade nicht dem Demokratischen Zentralismus entsprechen, so wie Lenin ihn entworfen hat. Und die Frage ist, warum der Demokratische Zentralismus niemals funktioniert hat. So, wie Lenin es in "Was tun?" entwickelt hat, sah dieses System die Wahl der jeweils oberen (Leitungen) durch die jeweils unteren Gremien (Wähler) vor, sowie Rechenschaftspflicht der Leitungen und deren jederzeitige Abwählbarkeit durch die Wähler. Der Demokratische Zentralismus war also nach Lenins Konzept etwas ganz anderes als das faktische Herrschaftssystem im real existierenden Sozialismus, gekennzeichnet durch - Scheinwahlen statt echter Wahlen (die Leitungen rekrutieren sich aus Machtkämpfen und nicht aus Wahlen: diese haben das Ergebnis dieser Machtkämpfe nur noch zu bestätigen); - die faktische Nicht-Absetzbarkeit der Leitungen durch die Wähler. Auch Absetzungen sind vielmehr das Resultat von Machtkämpfen innerhalb der Leitungen. - keinerlei Rechenschaftspflicht der Leitungen gegenüber den Wählern. Rechenschaft wird überhaupt nicht abgelegt; sondern zur Rechenschaft wird gezogen. Und zwar derjenige, der innerhalb der Leitung einen Machtkampf verliert. Warum hat der Demokratische Zentralismus niemals funktioniert? So wenig, wie in einem kommunistischen System das Modell realisierbar wäre, das Florian zur Diskussion gestellt hat?
Ja, ich bezog mich vor allem auf den real existierenden "Demokratischen Zentralismus".
Das Lenin'sche Konzept hat m.E. einen Konstruktionsfehler: bestenfalls können die ersten Wahlen völlig frei sein. Ist erstmal eine Führung installiert, greifen dann ja die zentralistischen Elemente - Parteilinie und Fraktionsverbot - durch die die Führung auf die "Basis" einwirkt. Entgegen dem sonst von Lenin gelobten "Mißtrauen" hängt das Funktionieren des "Demokratischen Zentralismus" davon ab, daß die Führung sich im entscheidenden Moment zurücknimmt, nicht ihre Autorität zum eigenen Machterhalt zu gebrauchen. Allerdings prägen die Entscheidungen am Anfang ein System bis zu seinem Ende - war es erstmal etabliert, daß man die Führung nicht offen herausfordern konnte ohne Konsequenzen zu erleiden, prägte es natürlich das weitere Vorgehen und drängte alle weiteren Wechselversuche ins Konspirative ab. Siehe z.B. die wiederholten Verschwörungen gegen Chruchtschow.
Zitat Mit Anthropologie hat mein Argument nichts zu tun. Ich behaupte, daß eine Ideologie, die vollständig vom Ziel des Machterwerbs und Machterhalts her konstruiert ist, dazu führt, daß auch intern keine Regeln eingehalten werden, wenn es um Machtkämpfe geht.
Nun, ich bestreite, daß das Kommunisten hierin so grundverschieden von anderen Menschen sind. Sicherlich fallen einige Sicherungen bei ihnen weg, aber auch Kommunisten sind nicht nur skrupellose Machtmenschen. Es stimmt auch nicht, daß es ihrer Ideologie nur um Machterwerb und -erhalt geht - es geht um die konzipierte Weltrevolution. Die Breshnev-Generation war ja schon eine De-Generation, deren bloßer Machterhalt ironischweise genau dieses Ziel unterminierte.
Wichtiger erscheint mir einerseits die ideologisch-militante Ausrichtung der Partei, die ja nach außen hin Geschlossenheit demonstrieren will. Bei einer kleinen Gruppe geht das ganz gut: im Inneren basisdemokratisch, nach außen geschlossen, aber bei einer großen Partei sehr schwer (das sieht man auch bei unseren Massenparteien). (Und hier liegt auch die Parallele zur Mafia.)
Dazu kommt noch der Faktor, daß die Partei die absolute Macht in der USSR hatte. Vor der Revolution konnte ein Abweichler schlimmstenfalls aus der Partei ausgestoßen werden, nun geschah schlimmeres mit ihm. Ein externes Korrektiv konnte es nun nicht mehr geben. Die Geschlossenheitsanforderung war zwar nach 1917 eigentlich hinfällig (oder zumindest weniger wichtig), doch gab man sie dennoch nicht auf.
Und es werden ja sehr wohl Regeln eingehalten - es sind halt aber eben ungeschriebene, nicht wirklich einklagbare.
Zitat von DagnyTrifft auf Nordkorea nicht das zu, was auf den letzten Seiten von Orwells 1984 dargelegt wird: Die Menschen in Nordkorea sind dermassen indoktriniert, dass sie mit einer Wiedervereinigung (unter - natuerlich - Kapitalistischen oder zumindest Sozialdemokratisch-Staatskapitalistischen Voryeichen) voellig uberfordert sind. Orwell beschreibt, dass die Kriege zwischen den 3 Staatenbloecken nur zu Progagandazwecken gefuehrt werden und eine Eroberung eines der anderen Bloecke voellig sinnlos sei, weil sich die Menschen dort aufgrund der Indoktrination niemals als Arbeitskraefte fuer einen fremden Sieger einsetzen lassen. - Ähnliches gab es 1945, als Magda Goebbels sich und Ihre Familie ermordete und so manch anderer hoeherer und niederer Funktionaer sich ebenso das Leben nahm. Die These waere also: Nordkorea und die meisten Nordkoreaner sind wiedervereinigungsunfaehig. - Gleichwohl wuerde ich es den hungernden Menschen dort mehr als Wunschen.
Das Problem besteht sicherlich, was eine Wiedervereinigung nicht nur finanziell-wirtschaftlich-sozial schwierig machen dürfte. Es müßte wohl eine sehr langfristige Übergangszeit geben.
Ansatzweise haben wir das Problem ja in Deutschland auch - wieviel mehr nach dem wesentlich totaleren Kim-Regime.
Was das ganze mit Orwells Buch zu tun hat, weiß ich aber nicht. Die dortigen Ideologien und auch die wechselnden Allianzen sind dort austauschbar und die Krieg u.U. Scheinkriege. Aber genau weiß man das nicht, erfahrt man doch nie die Wahrheit. Vielleicht sind auch Ostasien und Eurasien nur Fiktion.
Zitat von lois janeDas Lenin'sche Konzept hat m.E. einen Konstruktionsfehler: bestenfalls können die ersten Wahlen völlig frei sein. Ist erstmal eine Führung installiert, greifen dann ja die zentralistischen Elemente - Parteilinie und Fraktionsverbot - durch die die Führung auf die "Basis" einwirkt. Entgegen dem sonst von Lenin gelobten "Mißtrauen" hängt das Funktionieren des "Demokratischen Zentralismus" davon ab, daß die Führung sich im entscheidenden Moment zurücknimmt, nicht ihre Autorität zum eigenen Machterhalt zu gebrauchen. Allerdings prägen die Entscheidungen am Anfang ein System bis zu seinem Ende - war es erstmal etabliert, daß man die Führung nicht offen herausfordern konnte ohne Konsequenzen zu erleiden, prägte es natürlich das weitere Vorgehen und drängte alle weiteren Wechselversuche ins Konspirative ab.
Stimmt alles. Nur, warum? Verlangt war ja nicht, daß die Leitung "sich zurücknimmt", sondern nur, daß sie sich an die Regeln hält: Den Wählern Rechenschaft zu geben, sich einer Abwahl zu stellen, sich den Beschlüssen der Gremien zu unterwerfen.
So, wie das eben im demokratischen Rechtsstaat geschieht, und so, wie es Lenin wollte; wenn auch nach anderen Regeln. Aber doch eben für alle verbindlichen Regeln.
Ich bleibe dabei, liebe Lois Jane: Das Entscheidende war, daß schon die Bolschewisten und danach alle Kommunisten sich nicht an die eigenen Regeln gehalten haben, weil sie überhaupt keine bindenden Regeln akzeptiert haben, sondern nur die Macht wollten. Wer im Kampf gegen den politischen Gegner keine Skrupel kennt, der kennt sie eben auch innerparteilich nicht.
Übrigens ist das ja bei Revolutionären nichts Neues; schon die französische Revolution hat "ihre Kinder gefressen".
Zitat von lois jane
Zitat Mit Anthropologie hat mein Argument nichts zu tun.
Ich behaupte, daß eine Ideologie, die vollständig vom Ziel des Machterwerbs und Machterhalts her konstruiert ist, dazu führt, daß auch intern keine Regeln eingehalten werden, wenn es um Machtkämpfe geht.
Nun, ich bestreite, daß das Kommunisten hierin so grundverschieden von anderen Menschen sind. Sicherlich fallen einige Sicherungen bei ihnen weg, aber auch Kommunisten sind nicht nur skrupellose Machtmenschen.
Natürlich nicht. Ich spreche von der Führung. Es gab unter den Kommunisten viele Anständige. Sie landeten im Gulag, wenn sie Glück hatten, und vor den Erschießungskommandos in den Kellern der Lubjanka, wenn sie Pech hatten. Eine solche Organisation basiert immer auf der Treue von "Parteisoldaten", die zu anständig und/oder zu feige sind, um sich gegen die Machtspiele der Oberen zu wehren.
Zitat von lois jane Es stimmt auch nicht, daß es ihrer Ideologie nur um Machterwerb und -erhalt geht - es geht um die konzipierte Weltrevolution. Die Breshnev-Generation war ja schon eine De-Generation, deren bloßer Machterhalt ironischweise genau dieses Ziel unterminierte.
Ja natürlich ging es um die Weltrevolution. Aber um diese zu erreichen, war eben jedes Mittel erlaubt. Um es noch einmal zu sagen: Der Grundgedanke Lenins war, daß im Zentrum aller politischer Entscheidungen die Machtfrage steht. Übrigens gibt es da eine interessante Parallele zu Carl Schmitt, für den politische Macht die Fähigkeit war, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Beide verstanden Politik als Krieg.
Zitat von lois jane Die Geschlossenheitsanforderung war zwar nach 1917 eigentlich hinfällig (oder zumindest weniger wichtig), doch gab man sie dennoch nicht auf.
There's the rub. Die Mentalität war diejenige von Revolutionären, die zur Erreichung ihrer Ziele jedes Mittel für erlaubt hielten. Warum sollte sich diese Mentalität ändern, nachdem das Hauptziel, die Eroberung der Macht, erreicht war?
Das gilt ja nicht nur für die UdSSR. Überall, wo Kommunisten gesiegt haben, gab es anschließend solange Säuberungen, bis sich eine diktatorische Führung etabliert hatte. Die Mitstreiter Castros haben das beschrieben, der ja nicht der Schlimmste dieser Diktatoren ist. In China bestand die ganze Politik nur aus Säuberungen, bis man sich auf den Weg in den Kapitalismus machte.
Zitat von Zettel Der Demokratische Zentralismus war also nach Lenins Konzept etwas ganz anderes als das faktische Herrschaftssystem im real existierenden Sozialismus, gekennzeichnet durch - Scheinwahlen statt echter Wahlen (die Leitungen rekrutieren sich aus Machtkämpfen und nicht aus Wahlen: diese haben das Ergebnis dieser Machtkämpfe nur noch zu bestätigen); - die faktische Nicht-Absetzbarkeit der Leitungen durch die Wähler. Auch Absetzungen sind vielmehr das Resultat von Machtkämpfen innerhalb der Leitungen. - keinerlei Rechenschaftspflicht der Leitungen gegenüber den Wählern. Rechenschaft wird überhaupt nicht abgelegt; sondern zur Rechenschaft wird gezogen. Und zwar derjenige, der innerhalb der Leitung einen Machtkampf verliert.
(Hervorhebung von mir)
Punkt 1 und 2 stimmen absolut, lieber Zettel, aber zum dritten Anstrich muss ich kleinlicherweise etwas anmerken. So wie ich den real existierenden Sozialismus erlebt habe, gab es da kaum etwas Wichtigeres als Rechenschaftsberichte. Die waren zwar Makulatur, aber es wurde großen Wert darauf gelegt. Man war ja von Kindesbeinen an in diversen Organisationen Zwangsmitglied, und die hatten alle einen Rat, oder eine Organisationsleitung an der Spitze, welche regelmäßig Rechenschaft ablegen musste. So wurde wohl Demokratie im Sozialismus geübt.
Als Kind habe ich schon an Rechenschaftsberichten mitgewirkt, obwohl sich mir der Sinn der Sache überhaupt nicht erschloss. Wir haben ja nur aufgeschrieben, was wir das Jahr über so Aufschreibbares getan haben - und das wurde schließlich "von oben" organisiert. Bei uns war der Rechenschaftsbericht also eher unter Folklore abzuhaken. Eine sinnlose Lebenszeitverschwendung.
Auf den mittleren Ebenen hat man sich dann sicherlich kräftig in die Tasche gelogen um gut dazustehen. Tja, und ganz oben kam zur Folklore und den geschönten Zahlen der mittleren Ebene bestimmt noch die Wahrung des Anscheins gegenüber Volk und Ausland dazu. Gorgasal hatte ja mal einen schönen Artikel über die sowjetische Schuhproduktion verfasst, der schön illustrierte was in so einem Rechenschaftsbericht drinstehen konnte.
Nu, aber Rechenschaft musste schon abgelegt werden. Immer und überall ... wenn es auch nichts änderte.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat von CalimeroSo wie ich den real existierenden Sozialismus erlebt habe, gab es da kaum etwas Wichtigeres als Rechenschaftsberichte. Die waren zwar Makulatur, aber es wurde großen Wert darauf gelegt.
Könnten Sie vielleicht noch a bisserl erläutern, wer da wem gegenüber Rechenschaft zu leisten hat? Lenin hatte das ja so vorgesehen, daß die Leitung gegenüber den Wählern rechenschaftspflichtig war.
Also zum Beispiel ein Pionierleiter gegenüber seinen Jungen Pionieren, ein Parteisekretär gegenüber seinen Mitgliedern, schließlich das Politbüro gegenüber dem ZK.
Das Letzere werden Sie nicht aus eigener Erfahrung wissen.
Aber wie war das auf den unteren Ebenen? Konnten da die Wähler die jeweilige Leitung kritisieren, waren die Rechenschaftsberichte ehrlich und vollständig?
Ich kann mir das nicht so recht vorstellen und vermute, daß es eher der Junge Pionier war, der seiner Leitung oder dem Kollektiv Rechenschaft ablegte, statt umgekehrt.
Also, wenn Sie Zeit haben, das zu bechreiben, wie so eine Rechenschaft ablief - das würde mich interessieren.
Zitat von lois janeDas Lenin'sche Konzept hat m.E. einen Konstruktionsfehler: bestenfalls können die ersten Wahlen völlig frei sein. Ist erstmal eine Führung installiert, greifen dann ja die zentralistischen Elemente - Parteilinie und Fraktionsverbot - durch die die Führung auf die "Basis" einwirkt. Entgegen dem sonst von Lenin gelobten "Mißtrauen" hängt das Funktionieren des "Demokratischen Zentralismus" davon ab, daß die Führung sich im entscheidenden Moment zurücknimmt, nicht ihre Autorität zum eigenen Machterhalt zu gebrauchen. Allerdings prägen die Entscheidungen am Anfang ein System bis zu seinem Ende - war es erstmal etabliert, daß man die Führung nicht offen herausfordern konnte ohne Konsequenzen zu erleiden, prägte es natürlich das weitere Vorgehen und drängte alle weiteren Wechselversuche ins Konspirative ab.
Stimmt alles. Nur, warum? Verlangt war ja nicht, daß die Leitung "sich zurücknimmt", sondern nur, daß sie sich an die Regeln hält: Den Wählern Rechenschaft zu geben, sich einer Abwahl zu stellen, sich den Beschlüssen der Gremien zu unterwerfen. So, wie das eben im demokratischen Rechtsstaat geschieht, und so, wie es Lenin wollte; wenn auch nach anderen Regeln. Aber doch eben für alle verbindlichen Regeln.
Sie zitieren nur die eine Seite der Regeln und die Führung hat wohl kaum diese formell außer Kraft gesetzt. Nur die, eben so in den Regeln enthalnden zentralistischen Prinzipien, verhindern das eben.
Wie es Lenin wollte? Was gekommen ist, ist genau das, was Lenin wollte. Ich folge nicht der Legende vom edlen Lenin und dem Verderber Stalin.
Zitat Ich bleibe dabei, liebe Lois Jane: Das Entscheidende war, daß schon die Bolschewisten und danach alle Kommunisten sich nicht an die eigenen Regeln gehalten haben, weil sie überhaupt keine bindenden Regeln akzeptiert haben, sondern nur die Macht wollten. Wer im Kampf gegen den politischen Gegner keine Skrupel kennt, der kennt sie eben auch innerparteilich nicht.
Das ist aber kein kommunistisches Proprium, sondern ... aber sie erwähnen ja die liberal-bürgerlichen Revolutionäre selbst.
Zitat Es gab unter den Kommunisten viele Anständige. Sie landeten im Gulag, wenn sie Glück hatten, und vor den Erschießungskommandos in den Kellern der Lubjanka, wenn sie Pech hatten.
Einspruch! Es waren nicht unbedingt die Anständigen, die im Gulag landeten, sondern durchaus auch solche, bei denen sich mein Mitleid in Grenzen hält.
Zitat Ja natürlich ging es um die Weltrevolution. Aber um diese zu erreichen, war eben jedes Mittel erlaubt. Um es noch einmal zu sagen: Der Grundgedanke Lenins war, daß im Zentrum aller politischer Entscheidungen die Machtfrage steht. Übrigens gibt es da eine interessante Parallele zu Carl Schmitt, für den politische Macht die Fähigkeit war, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Beide verstanden Politik als Krieg.
Ich wandte mich gegen die Behauptung, den Kommunisten wäre es NUR um die Machtfrage gegangen und diese sei Selbstzweck gewesen. Wenn Sie daß nun selbst korrigieren, bin ich auch schon zufrieden.
Zitat von lois janeSie zitieren nur die eine Seite der Regeln und die Führung hat wohl kaum diese formell außer Kraft gesetzt. Nur die, eben so in den Regeln enthalnden zentralistischen Prinzipien, verhindern das eben.
Ja, die anderen hatten wir doch schon; ich habe sie ja selbst zitiert - Verbot der Fraktionsbildung, Zentralismus.
Nein, nicht die Prinzipien haben verhindert, daß die Rechenschaftspflicht, die Absetzbarkeit usw. sehr bald verschwanden, sondern die Menschen, die sich nicht an die Regeln hielten. Das Konzept Lenins war ja so etwas wie eine Machtbalance.
Übrigens gibt es da eine interessante Parallele zum "Führerprinzip" der NSDAP, das auch einerseits Weisungsbefugnis der Leitung vorsah, andererseits aber deren jederzeitige Absetzbarkeit durch die untere Ebene. Hat genausowenig funktioniert, denn die Nazis hatten bekanntlich dieselbe Mentalität wie die Kommunisten - Gesetzestreue ist bürgerlicher Klimbim. Politik ist Krieg, allein der Erfolg zählt.
Zitat von lois janeWie es Lenin wollte? Was gekommen ist, ist genau das, was Lenin wollte. Ich folge nicht der Legende vom edlen Lenin und dem Verderber Stalin.
Ich nun gewiß auch nicht. Natürlich wollte Lenin genauso eine verbrecherische Diktatur wie Stalin; der Gulag wurde ja schon unter Lenin aufgebaut. Nicht aus Edelmut hat Lenin den Demokratischen Zentralismus entwickelt, sondern weil er sich davon die größte Effizienz versprach.
Zitat von lois jane
Zitat Es gab unter den Kommunisten viele Anständige. Sie landeten im Gulag, wenn sie Glück hatten, und vor den Erschießungskommandos in den Kellern der Lubjanka, wenn sie Pech hatten.
Einspruch! Es waren nicht unbedingt die Anständigen, die im Gulag landeten, sondern durchaus auch solche, bei denen sich mein Mitleid in Grenzen hält.
Seien Sie mir nicht böse, liebe Lois Jane, aber als Lehrer würde ich da an den Rand schreiben: Logik!
Wenn ich sage, daß die Anständigen im Gulag landeten oder den Genickschuß erhielten, dann sage ich doch damit nicht, daß nicht auch andere dieses Schicksal getroffen hat. Nur konnte sich in der UdSSR der dreißiger Jahre kein anständiger Kommunist seines Lebens mehr sicher sein; haben Sie zufällig "Hotel Lux" von Ruth von Mayenburg gelesen?
Zitat von lois jane
Zitat Ja natürlich ging es um die Weltrevolution. Aber um diese zu erreichen, war eben jedes Mittel erlaubt. Um es noch einmal zu sagen: Der Grundgedanke Lenins war, daß im Zentrum aller politischer Entscheidungen die Machtfrage steht. Übrigens gibt es da eine interessante Parallele zu Carl Schmitt, für den politische Macht die Fähigkeit war, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Beide verstanden Politik als Krieg.
Ich wandte mich gegen die Behauptung, den Kommunisten wäre es NUR um die Machtfrage gegangen und diese sei Selbstzweck gewesen. Wenn Sie daß nun selbst korrigieren, bin ich auch schon zufrieden.
Aber natürlich habe ich vorausgesetzt, daß Sie und ich wissen, daß die Eroberung und der Erhalt der Macht der Weltrevolution dienten!
Ehrlich, hätte ich das wirklich ausdrücklich schreiben müssen? Oder trauen Sie mir zu - Hand aufs Herz! - , daß mir das unbekannt war?
Zitat von Zettel Aber wie war das auf den unteren Ebenen? Konnten da die Wähler die jeweilige Leitung kritisieren, waren die Rechenschaftsberichte ehrlich und vollständig? Ich kann mir das nicht so recht vorstellen und vermute, daß es eher der Junge Pionier war, der seiner Leitung oder dem Kollektiv Rechenschaft ablegte, statt umgekehrt. Also, wenn Sie Zeit haben, das zu bechreiben, wie so eine Rechenschaft ablief - das würde mich interessieren.
Aus eigenem Erleben kann ich lediglich aus der Pionierorganisation und der FDJ berichten. Ich war zwar noch Zwangsmitglied in der DSF (Deutsch-Sowjetische-Freundschaft), Wahlmitglied in der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) - wegen dem dort billig zu erwerbenden Führerschein, und als angehender Lehrling Zwangsmitglied im FDGB (Freier deutscher Gewerkschaftsbund) ... aber Letzteres durfte ich nur noch ein paar Monate genießen, während die Mitgliedschaft bei DSF und GST sich weitgehend im Einkleben von Beitragsmarken im Mitgliedsausweis erschöpfte. Wer dort wem Rechenschaft schuldig war, und wie die Leitung gewählt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.
Ich könnte mir aber vorstellen, das diese Organisationen Top-Down-strukturiert waren. Mich hat da jedenfalls nie einer gefragt. Was die Partei angeht bin ich ebenfalls nicht auskunftsfähig. Ich kenne zwar einige Ex-Mitglieder, aber die wollen da nicht so gern dran erinnert werden.
Bei den Kinder- und Jugendorganisationen war es jedenfalls so, dass man beim Schuleintritt quasi zur Mitgliedschaft verpflichtet war. Die kleinsten Zellen der Organisation bildeten dann die Schulklassen. Diese brauchten natürlich eine Leitung, bestehend aus Vorsitzendem und dessen Stellvertreter, einem Schriftführer und einem Wandzeitungsredakteur. In der schulischen Unterstufe (bei den Jungpionieren) bildeten diese den Gruppenrat. Später, bei den Thälmannpionieren, wurde daraus der Freundschaftsrat und es kam noch die Funktion des Sportrats dazu (und evtl. noch ein, zwei andere). In der FDJ dann wurde aus dem Wandzeitungsredakteur der Verantwortliche für Agitprop, während der Freundschaftsrat zur GOL (Gruppenorganisationsleitung) mutierte.
In diese Funktionen wurde man von der Klasse gewählt. Wahlen fanden einmal im Jahr statt, nachdem die alte Leitung ihren Rechenschaftsbericht abgegeben hatte. Bis dahin alles wie aus dem demokratischen Bilderbuch. Wir haben in der tiefsten pubertären Phase auch mal eine totale Kaspertruppe zusammengewählt ... auch das wurde akzeptiert. Denn ... es war eh nur pseudodemokratische Fassade und alle wussten es.
Das spiegelte sich auch im Rechenschaftsbericht wider. Dieser enthielt alles, was die Klasse im vergangenen Jahr außerschulisch vollbracht hatte. Die Zahl der gemeinsamen Pioniernachmittage und dabei gezeigten Aktivitäten zum Beispiel. Oder Ziele von Wandertagen und Exkursionen sowie Erkenntnisse aus diesen. Ganz wichtig waren Besuche bei der Patenbrigade (jede Klasse hatte so eine in irgendeinem Produktionsbetrieb). Aber am Wichtigsten waren die Ergebnisse der "SERO-Action", also dem Sammeln von Altpapier und Altglas (welches vergütet und der Klassenkasse zugeführt, bzw gespendet wurde) und überhaupt Spendenaktionen. Für die Kinder in Vietnam, in Mosambique, in Angola, in Cuba ... einmal haben wir sogar Spielzeug für die Kinder in der UdSSR gesammelt.
Man sieht schon warauf ich hinaus will. Solche Dinge organisieren Kinder nicht aus eigenem Antrieb und Jugendliche wenn, dann nur widerwillig und mit massiver Unterstützung seitens der Lehrer. Es wurde alles von oben angeordnet und organisiert. Der Schriftführer musste nur alles ordentlich im Klassenbuch protokollieren und der Wandzeitungsredakteur ein paar Fotos an ebendieser arrangieren und neben die Zeitungsausschnitte und Spendenaufrufe pappen. Überschrift drüber ... fertig. Der Vorsitzende war lediglich Ansprechpartner, wenn einem was nicht passte, oder man irgendwo nicht teilnehmen konnte. That's it! Macht hatte da keiner, deshalb durfte wohl auch gewählt werden. Wie schon weiter oben geschrieben, hat sich mir in diesen Jahren der Sinn von Rechenschaftsberichten nichtmal ansatzweise erschlossen. Ich wusste doch selbst, ob wir nun das Hygiene-Museum in Dresden, oder das KZ Sachsenhausen besucht haben ... an welchem Tag genau das war, war doch nun wirklich uninteressant. Und wenn ein Rechenschaftsbericht Zwangsmaßnahmen wie Spenden- und Altstoffsammlungen, Arbeitseinsätze, Wehrlager, oder die Besuche bei der Patenbrigade (desinteressierte, wurstbrotkauende Männer im Blaumann) als Erfolge verkauft, dann hätte man die Führung eigentlich regelmäßig abwählen müssen. Nur ... die konnten ja auch nix dafür und waren lediglich ein pseudodemokratisches Feigenblatt.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.