In dieser Tagen, genau am 4. Juni, jährt sich der Todestag von Wilhelm II zum 70. Mal. Wie sehen ihn die Menschen heute, fragt man sich aktuell, da doch zumindest die Historiker zunehmend seine Schuld relativieren, ja sogar ihn weitgehend freisprechen?! Gerade in Deutschland scheint der herrschende Nationalmasochismus so weit zu gehen, dass man darüber kaum noch nachdenkt. Ein Teil der Geschichte wird deshalb einfach "vergessen". Wer weiß z.B., wann und wo der letzte deutsche Kaiser starb? Um dies anlässlich des Todestages ein wenig aus dem Grau der Geschichte zu holen, habe ich nun diesen Film gedreht - http://www.youtube.com/watch?v=xFPR3W6De...n_order&list=UL
Ich möchte zudem die Biographie "Wilhelm II." con Christopher Clark vorstellen:
„Was, den Kerls auch noch Diäten geben?“
Antwort Wilhelms II. auf den Vorschlag des Reichskanzlers Bernhard von Bülow, den Reichstagsabgeordneten „Entschädigungen“ für die Parlamentsitzungen zu zahlen.
Die 1999 zusammengestellte Dokumentation von Peter Schamoni „Majestät brauchen Sonne“, stellte ich ja HIER bereits vor und ich verweise zudem auf das Interview des Filmemachers, in dem er Wilhelm II als „Sündenbock“ bezeichnet.
Über die politische Biographie „Wilhelm II.“ von Christopher Clark
Unter dem Titel „Wilhelm II. – Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers“, legte 2008 der Brite Christopher Clark eine detaillierte Beschreibung der Regentenzeit „Seiner Majestät“ vor, die jedoch „nur“ als „politische Biographie“ zu bezeichnen ist. Dies ist auch der einzige kritikwürdige Punkt, denn über den Menschen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, erfährt man recht wenig, fast nichts über seine privaten Gepflogenheiten, kaum etwas über sein Verhältnis zu seiner Frau und seinen Kindern und noch weniger über seine Ansichten abseits der Politik. Maximal werden – aber da geht es auch gleichzeitig in den Politischen Bereich hinein – sein schwankendes Temperament, seine Redseligkeit und seine Entscheidungsschwäche angesprochen.
Das Buch punktet jedoch in einer minuziösen Beschreibung der politischen Umstände zu unterschiedlichen Zeiten seiner rund 30jährigen Herrschaft. Dazu gehören Wilhelms Technikbegeisterung und die Förderung der Wissenschaft. Im Focus stehen zudem u.a. diverse verbale Havarien, die man heute oftmals als Verstoß gegen die politisch korrekten Umschreibungen – die schon damals nicht selten Beherzigung fanden - werten würde. Nehmen wir z.B. seinen Eintrag in das Gästebuch der Stadt München. Dort löste er Proteste aus, weil er angeblich mit seiner Formulierung „Der Wille des Königs ist höchstes Gesetz“ gegen die Befindlichkeit der beleidigten Süddeutschen verstoßen habe. Ein Auftritt in Brandenburg löste satirischen Reaktionen im Simplicissimus“ aus, die jener an den Haaren herbei gezogene Kritik an der Kohlschen Redewendung von den „Blühenden Landschaften“ erinnert, als nämlich Wilhelm sagte, er würde die Brandenburger „Herrlichen Tagen entgegen führen“. Tatsächlich galt er lange als „Friedenskaiser“ und wären da nicht ein bisschen versprengte verbal-radikale Rhetorik aufgeblitzt, läge Peter Schamoni mit seiner Vermutung richtig, falls der Kaiser 1913 gestorben wäre, hätte er als großer Mann Eingang in die Geschichtsbücher gefunden. Clark scheint diese Verstöße viel zu ernst zu nehmen, als Beispiel sei hier die überzogene öffentliche Empörung über Wilhelm genannt, die über ihn hereinbrach, als er 1897 in einer Rede sagte: „Der germanischen Aar schwebt der über Europa seine Flügel ausbreitend“ und das Kabinett den Text abänderte, in dem der Aar lediglich „über dem Deutschen Reich“ fliegen durfte. Heute würde wahrscheinlich jemand, der – was auch immer – nicht über Europa, sondern nur über Deutschland wachend, kreisend oder beschirmend fliegen lassen möchte (oder das Gegenteil davon), ebenso verdammt werden. Wilhelm hielt es nun mal mit dem Pathos und das hatte es zunehmend schwer.
Christopher Clark weist eindrucksvoll nach, dass alle Orakel um die Verfasstheit Wilhelms Spekulationen darstellen. Weder Sigmund Freuds These von der Beeinflussung des majestätischen Charakters durch die ihn auf Grund der Behinderung abweisenden Mutter, noch die Behauptung der Nachkriegsauguren, er sei durch die Nervenschädigungen und die Geburtskomplikationen hirngeschädigt, findet Clark plausibel. Tatsächlich hatte der Leibarzt von Wilhelms Mutter, einer Tochter der britischen Königin Victoria, mit englischem Abstand zur Leiblichkeit, im Jahre 1859 eine unzureichende Geburtshilfe geleistet, wobei zunächst Wilhelm mit Zangen schwer verletzt und dann achtlos liegengelassen und für tot gehalten wurde. Doch die Beeinträchtigungen gingen nicht über den unmittelbaren Bereich des verkrüppelten Armes hinaus, denn niemals wurden bei ihm „im Säuglingsalter oder in der frühen Kindheit jemals Anzeichen geistiger Mängel festgestellt.“ Im Gegenteil. Er lernte gut und hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Clark plädiert dafür, Wilhelms Entscheidungen „rational und im historischen Kontext zu erklären“ und unterscheidet sich damit fundamental von einigen Historikern, Publizisten und Politikern, die auch ein Jahrhundert später noch nachtreten. Fakt ist lediglich, dass Wilhelm die Funktion des Kaisers wieder politisierte und zu einer gestalterischen Kraft werden ließ - was sie jahrzehntelang nicht mehr war.
Geringe Kriegsschuld, schon gar nicht eine „Alleinschuld“
Wilhelm, der halbe Engländer, der als erster aus seinen Kreisen ein bürgerliches Gymnasium besuchte (in Kassel), war gegen eine Verlängerung der Sozialistengesetze und baute die Sozialgesetzgebung Bismarcks aus. Stolz war er auf die Ausarbeitung des „Bürgerlichen Gesetzbuches“, verstand sich zudem als Ausgleichender zwischen den gesellschaftlichen Gruppen, selbstredend, um sie für eine stärkere Position der Monarchie und damit der eigenen Macht zu gewinnen: „Ich habe den Wunsch, dem Volke und besonders den Arbeitern meinen guten Willen zu zeigen und ihnen zu helfen.“
1905 hatte Wilhelm II. programmatisch erklärt: “Das Weltreich, das ich mir geträumt habe, soll darin bestehen, dass vor allem das neuerschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absolute Vertrauen als eines ruhigen friedlichen Nachbarn genießen soll, und dass, wenn man dereinst vielleicht von einem deutschen Weltreich oder einer Hohenzollern-Weltherrschaft in der Geschichte reden sollte, sie nicht auf Politik begründet sein soll durch das Schwert, sondern durch gegenseitiges Vertrauen der nach gleichen Zielen strebenden Nationen.” Die als historischer „Blankoscheck“ in die Geschichte eingegangene Absichtserklärung, im Falle von kriegerischen Auseinandersetzungen Donaumonarchie Österreich-Ungarn beiseite zustehen, bezieht Clark nicht auf die konkrete Situation Ende Juli 1914 und schon gar nicht auf einen Konflikt der späteren Größe. Er bilanziert: „An keinem einzigen Punkt stellten sich Nikolaus oder Franz-Josef so unmittelbar gegen ihre militärische Führung wie Wilhelm am 28. und 31. Juli.“ So hatte er nach der Entgegnung Serbiens auf das österreichische Ultimatum nach der Ermordung des Thronfolgers Franz-Ferdinand gesagt: „Damit fällt jeder Kriegsgrund fort.“
1911 hatte der spätere General Erich von Falkenhayn geätzt, der Kaiser sei „…fest entschlossen, den Frieden unter allen Umständen zu erhalten. Und in seiner ganzen Umgebung befindet sich kein Mensch, der ihn von diesem gefährlichen Entschluss abzubringen vermochte.“ Nicht selten war Wilhelm Angriffen der Rechten ausgesetzt, er wiederum nannte die beiden Militärs Hindenburg und Ludendorf, die ab 1916 quasi eine Militärdiktatur führten, abfällig „die siamesischen Zwillinge“. Aus machtpolitischen Gründen schwankte Wilhelm bezüglich der Nationalsozialisten zwischen Verachtung und taktischer Hinhaltung, denn er hatte noch nicht alle Hoffnung verloren, doch noch auf den Thron zurückkehren zu können. Göring hatte er deshalb zweimal im holländischen Exil, in Doorn, empfangen. Doch ab 1934 waren alle monarchistischen Vereine im Reich verboten und Wilhelm schrieb nach den Ereignissen vom 9. November 1938: „Zum ersten Mal schäme ich, ein Deutscher zu sein.“ Goebbels nannte ihn 1940 „einen unverbesserlichen Narren, der vermutlich jüdisches Blut in den Adern hat.“ Wilhelm verfügte, sein Leichnam dürfe nicht eher nach Deutschland verbracht werden, ehe die Monarchie wieder eingesetzt sei. Er starb am 4. Juni 1941.
Aussprüche Wilhelms
„Er hat mir den Grunewald versaut.“ ( Über das düstere Gemälde „Der Grunewaldsee“ des Malers Walter Leistikow.)
„Ein Feind Englands werde ich nie sein, trotz aller Sottisen, denen ich von seiner Seite fortwährend ausgesetzt bin.“ (1902)
„Die Schulen müssen nationale junge Deutsche erziehen und nicht Griechen und Römer….Jeder Lehrer, der gesund ist, muss turnen können.“
„Jeder Mensch ist ein Schweinehund! Nur durch ganz bestimmte Befehle wird er gehalten und dirigiert.“
„Staatstreiche mögen bei süd- und mittelamerikanischen Republiken zu den Mitteln der Regierungskunst gehören, in Deutschland sind sie gottlob noch nicht üblich gewesen und dürfen es nicht werden, weder von oben, noch von unten. Das sind gefährliche Leute, die so was anzuraten wagen, gefährlicher für die Monarchie und ihren Bestand wie der wildeste Sozialdemokrat.“
Wilhelm II. – Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, Christopher Clark, ISBN-10: 9783570550991, ISBN-13: 978-3570550991, Pantheon, 416 Seiten, 14,95 € (Broschiert)
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