Wenn ich eine der Analysen Stratfors dokumentiere, deren Übernahme Stratfor autorisiert, dann tue ich das, weil ich sie interessant finde, ohne sie mir aber unbedingt zu eigen zu machen. Das gilt auch für diese Analyse der neuen Rolle Deutschlands.
Richtig scheint mir jedenfalls zu sein, daß wir eine nationale Debatte über unsere neue Rolle brauchen. Oder sagen wir: eigentlich brauchten. Denn ich glaube nicht, daß die Aussteigernation, die so wenig dynamisch ist, daß sie einen großen Teil ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf die Angst vor einem atomaren GAU gründet, die Kraft hat, über eine mögliche Rolle als Großmacht zu debattieren.
Eher dürfte es in Deutschland die Neigung geben, es Obama nachzumachen und sich möglichst aus der Weltpolitik zu verabschieden: Eine schwarzgrüne Biedermeier-Idylle im Herzen Europas, in der sich die Windräder drehen und wo alle Menschen sich gaaanz lieb haben.
Wer aus einer zentral wichtigen Technologie aussteigt, der hat die Mentalität, auch aus der globalen Machtpolitik auszusteigen. Angst braucht vor diesem heutigen kraftlosen Deutschland niemand mehr zu haben.
Sehr interessanter Artikel. Und wieder einmal typisch, dass genau diese Diskussion in Deutschland überhaupt nicht geführt wird. Man muss ja fast lachen wenn man liest "the Germans decided they want to...". Denn eine nüchterne Debatte, was wir eigentlich wollen, hat es ja überhaupt nicht gegeben.
Einen zentralen Punkt der Analyse verstehe ich übrigens nicht:
Stratfor meint, dass der EFSF unter deutscher Kontrolle steht. Worauf basiert diese Beurteilung? (Kann mir vielleicht jemand einen Überblick über die Entscheidungsprozesse des EFSF verschaffen? Welche Sonderrolle auf die Stratfor anspielt hat hier ggf. Deutschland?)
Zitat von FlorianEinen zentralen Punkt der Analyse verstehe ich übrigens nicht:
Stratfor meint, dass der EFSF unter deutscher Kontrolle steht. Worauf basiert diese Beurteilung?
In dem Artikel heißt es dazu:
Zitat The result was an EFSF redesign. Under the new system the distressed states can now access — with German permission — all the capital they need from the fund without having to go back repeatedly to the EU Council of Ministers. The maturity on all such EFSF credit has been increased from 7.5 years to as much as 40 years, while the cost of that credit has been slashed to whatever the market charges the EFSF itself to raise it (right now that’s about 3.5 percent, far lower than what the peripheral — and even some not-so-peripheral — countries could access on the international bond markets). All outstanding debts, including the previous EFSF programs, can be reworked under the new rules. The EFSF has been granted the ability to participate directly in the bond market by buying the government debt of states that cannot find anyone else interested, or even act pre-emptively should future crises threaten, without needing to first negotiate a bailout program. The EFSF can even extend credit to states that were considering internal bailouts of their banking systems. It is a massive debt consolidation program for both private and public sectors. In order to get the money, distressed states merely have to do whatever Germany — the manager of the fund — wants. The decision-making occurs within the fund, not at the EU institutional level.
In practical terms, these changes cause two major things to happen. First, they essentially remove any potential cap on the amount of money that the EFSF can raise, eliminating concerns that the fund is insufficiently stocked. Technically, the fund is still operating with a 440 billion-euro ceiling, but now that the Germans have fully committed themselves, that number is a mere technicality (it was German reticence before that kept the EFSF’s funding limit so "low").
Second, all of the distressed states’ outstanding bonds will be refinanced at lower rates over longer maturities, so there will no longer be very many “Greek” or “Portuguese” bonds. Under the EFSF all of this debt will in essence be a sort of “eurobond,” a new class of bond in Europe upon which the weak states utterly depend and which the Germans utterly control. For states that experience problems, almost all of their financial existence will now be wrapped up in the EFSF structure. Accepting EFSF assistance means accepting a surrender of financial autonomy to the German commanders of the EFSF. For now, that means accepting German-designed austerity programs, but there is nothing that forces the Germans to limit their conditions to the purely financial/fiscal.
For all practical purposes, the next chapter of history has now opened in Europe. Regardless of intentions, Germany has just experienced an important development in its ability to influence fellow EU member states — particularly those experiencing financial troubles. It can now easily usurp huge amounts of national sovereignty. Rather than constraining Germany’s geopolitical potential, the European Union now enhances it; Germany is on the verge of once again becoming a great power. This hardly means that a regeneration of the Wehrmacht is imminent, but Germany’s re-emergence does force a radical rethinking of the European and Eurasian architectures.
Ich weiß nicht, ob Deutschland so eine untergeordenete Rolle in der Europapolitik spielen will oder auch tut. Es mag vordergründig so scheinen, wegen der von Ihnen genannten schwarzgrünen Idylle, aber weshalb sollte man deshalb international zurückstecken? Gerade, dass es so indirekt durchgeführt wird, wie die nun hier aufgeührte Vormachtstellung in der Finanzpolitik, zeugt für mich nach machtpolitischen Ambititionen, die aufgrund öffentlicher Empörung sonst nicht verfolgt werden könnten. Die Medien haben das vielleicht schlicht und einfach noch nicht mitbekommen (oder heben es sich noch für die nächste Angst-/Weltuntergangskampagne auf). Solange die "Mehrheit" der Bürger nicht dagegen ist, sprich keine Wählerverluste abzusehen sind, kann Deutschland weiter im Hintergrund seinen Einfluss ausweiten. Durch Fakten lässt sich dies leider schwer untermauern, es ist mehr meine eigene Meinung. Solche Artikel sind aber immer wieder kleine Indizien dafür.
Es könnte natürlich auch einfach die deutsche Mentalität sein: Wenn es wir nicht machen, wird es auch nicht richtig gemacht!
Wenn es einen Zeitpunkt für diese Debatte gegeben hätte, dann ist er wohl vorbei. Die Machteliten und ihre schreibenden Helfer zielen bereits darauf ab, die Souveränität Deutschlands in einem gesamteuropäischen Moloch aufgehen zu lassen - ideal zur Vernichtung jeglicher fiskalischer Äquivalenz und politischer Verantwortung. Mit dem Euro wurde dieser Prozess de facto unumkehrbar, da er irgendwann (also jetzt) nur diese und eine andere Alternative zulässt, die andere aber immer als Untergang Europas dargestellt wird. Aufgrund der Pflicht zur Übernahme europäischer Richtlinien und europäischer Rechtsprechung ist das Budgetrecht des deutschen Parlaments schon jetzt zu großen Teilen nur noch eine Hülle.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Ja, den Artikel hatte ich gelesen. Nur verstehe ich eben nicht, was genau gemeint ist. Zum Beispiel steht da:
Zitat Zitat -------------------------------------------------------------------------------- In order to get the money, distressed states merely have to do whatever Germany — the manager of the fund — wants.
Warum erwähnt hier Stratfor Deutschland als "Manager of the fund"? Etwa deshalb, weil der Präsident des EFSF zufällig ein Deutscher ist? (Falls ja, hätte Stratfor glaube ich eine falsche Vorstellung vom Patriotismus eines solchen Mannes, der - nur weil er zufällig Deutscher ist - sich noch lange nicht als Handlanger deutscher Interessen verstehend wird).
Oder aber hat Deutschland tatsächlich einen Sonder-Einfluss auf den EFSF, der die Formulierung "Germany - the manager of the fund" rechtfertigt? Falls ja, ist dies in mir zugänglichen Medien nie thematisiert worden.
Zitat Gerade, dass es so indirekt durchgeführt wird, wie die nun hier aufgeührte Vormachtstellung in der Finanzpolitik, zeugt für mich nach machtpolitischen Ambititionen, die aufgrund öffentlicher Empörung sonst nicht verfolgt werden könnten.
Ich glaube, Sie unterschätzen da die Bedeutung der Fiskalpolitik. Schon heute wird ja in Griechenland wieder das Nazi-Bild ausgepackt.
Stellen Sie sich das einmal vor: Frau Merkel schreibt den Griechen vor, wann sie in Rente gehen dürfen und wie hoch ihre Steuersätze sein müssen. Das ist ein massiver Eingriff in die nationale Souveränität, der viel Verbitterung auslöst. Und in Zukunft auch noch auslösen wird.
Wollen wir das alles wirklich? Wollen wir wirklich der Zuchtmeister Europas sein, der jedem Land vorschreibt, wie viel Jahresurlaub und wie viele Wochenstunden ein dortiger Arbeiter haben soll? Und wollen wir wirklich eine solche Macht (die uns in Europa noch sehr verhasst machen wird!) mit unzähligen Milliarden bezahlen?
Zitat Gerade, dass es so indirekt durchgeführt wird, wie die nun hier aufgeührte Vormachtstellung in der Finanzpolitik, zeugt für mich nach machtpolitischen Ambititionen, die aufgrund öffentlicher Empörung sonst nicht verfolgt werden könnten.
Ich glaube, Sie unterschätzen da die Bedeutung der Fiskalpolitik. Schon heute wird ja in Griechenland wieder das Nazi-Bild ausgepackt.
Stellen Sie sich das einmal vor: Frau Merkel schreibt den Griechen vor, wann sie in Rente gehen dürfen und wie hoch ihre Steuersätze sein müssen. Das ist ein massiver Eingriff in die nationale Souveränität, der viel Verbitterung auslöst. Und in Zukunft auch noch auslösen wird.
Wollen wir das alles wirklich? Wollen wir wirklich der Zuchtmeister Europas sein, der jedem Land vorschreibt, wie viel Jahresurlaub und wie viele Wochenstunden ein dortiger Arbeiter haben soll? Und wollen wir wirklich eine solche Macht (die uns in Europa noch sehr verhasst machen wird!) mit unzähligen Milliarden bezahlen?
Ich hab mich vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt. Es ist meine Einschätzung, dass es so geschehen könnte, nicht dass ich das so möchte. Ich finde es auch nachvollziehbar, dass Deutschland gern Einfluss über das von ihm gestellte Geld behalten möchte. Es soll schließlich auch sinnvoll genutzt werden (Wenn man es schon ausgibt...). Ich sehe es nicht zwangsläufig, dass dadurch Deutschland zum Zuchtmeister Europas wird - es könnte genausogut das Gegenteil geschehen. Man wird wohl einfach abwarten müssen und schauen, wie sich das weiter entwickelt.
Ich habe das mit dem Feindbild Deutschlands in Griechenland nur am Rande mitbekommen. Wurde das nicht ausgepackt, weil Deutschland zuerst sich nicht oder nicht so hoch an Griechenlands "Rettung" beteiligen wollte, da es ja auch "Schuld" daran war?
Man könnte argumentieren, dass man für das gestellte Geld eine Gegenleistung sehen möchte. Das in dem Fall Einfluss auf den Staat wäre. (Der Verlust von Staatensouveräntität entspricht zwar auch nicht meiner Zustimmung, aber ich finde es interessant darüber zu diskutieren). Ist eine Verschiebung des Status Quo tragisch? Was wären die Konsequenzen? Könnte man überhaupt mit der Macht über das Geld einem Staat vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hätte?
Vielleicht hat man auch, wie von Ihnen in Frage gestellt, zu viel in die Stellung des manager of the funds hineininterpretiert.
Zitat von HagenIch hab mich vielleicht nicht ganz klar ausgedrückt. Es ist meine Einschätzung, dass es so geschehen könnte, nicht dass ich das so möchte.
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat Man könnte argumentieren, dass man für das gestellte Geld eine Gegenleistung sehen möchte.
Ja, absolut richtig: "Wer zahlt schafft an". Wenn Deutschland soviel Geld ausgibt, dann sollte es auch einen Einfluss ausüben, was damit passiert. Aber ich bezweifle eben bereits die Weisheit des Geldausgebens.
Es gäbe ja 2 verschiedene Wirtschafts-und Fiskal-Regime für Europa:
Variante 1: Begrenzung des Euro auf einen optimalen Währungsraum => keine Transfer-Union notwendig.
Variante 2: einheitliche Währung, obwohl kein optimaler Währungsraum vorliegt => Notwendigkeit einer Transfer-Union => "wer zahlt, schafft an" => deutscher Einfluss auf Innenpolitik z.B. in Griechenland.
Wir steuern gerade auf Variante 2 zu. Und ich sehe da nicht nur den Nachteil, dass das sehr teuer für Deutschland wird. Sondern auch den Nachteil, dass viele europäische Länder vollkommen unnötig gegängelt werden müssen. Wenn (sagen wir mal) die Spanier gerne nur 35 Stunden in der Woche arbeiten wollen, dann sollen sie doch. Es kostet ihnen Wohlstand, aber das ist ihre Entscheidung. Es gibt keinen Grund, warum sich die Spanier so etwas von Berlin aus verbieten lassen müssten. WENN Berlin nicht dafür zahlen muss. Und das muss es in Variante 1 eben nicht.
Wenn aber nun (in Variante 2) die Spanier, Griechen, etc. von Berlin aus kujoniert werden - dann ist das der Beste Weg um Deutschland und Brüssel in diesen Ländern verhasst zu machen. Der Idee der europäischen Einigung befördert man mit so etwas ganz sicher nicht. Weder in Spanien noch in Deutschland.
Zitat von FlorianWir steuern gerade auf Variante 2 zu. Und ich sehe da nicht nur den Nachteil, dass das sehr teuer für Deutschland wird. Sondern auch den Nachteil, dass viele europäische Länder vollkommen unnötig gegängelt werden müssen.
Genau so ist es. Anfangs dachte ich ja auch noch, dass, wenn wir finanziell helfen sollen, ein temporärer Stimmrechtsentzug für die "Geretteten" bei Umverteilungsfragen selbstverständlich sein sollte. Mittlerweile ist aber abzusehen, dass da nichts zeitlich begrenzt bleiben wird. Und ein dauerhaftes deutsches Reinregieren in fremder Länder Angelegenheiten kann niemand ernstlich wollen. DAS wäre der GAU für die Einheit Europas. Ich überlege nun schon was wohl passieren würde, wenn Frankreich aufgrund der Rettungsschirmzusagen sein Triple-A verlieren sollte und somit als Euro-Retter auszufallen drohte.
Zitat von FTDDer Internationale Währungsfonds (IWF) hat Frankreich vor einem Verlust seines Topratings "AAA" gewarnt. Die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise hätten den Schuldenstand des Landes "über das Niveau getrieben, das für 'AAA'-Länder in Europa typisch ist", heißt es im am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht des IWF zu Frankreich.
Will die Kanzlerin dann mal in Paris anrufen, und den lieben Nicolas zu verschärften Sparmaßnahmen auffordern?
Mir graut es langsam richtig vor diesen Polithasardeuren. Da klammern sich verbissen lauter Ertrinkende aneinander, und kein Land ist in Sicht.
Beste Grüße, Calimero
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Zitat von FlorianWenn Deutschland soviel Geld ausgibt, dann sollte es auch einen Einfluss ausüben, was damit passiert.
So die Theorie. Und die Stratfor-Leute sind so in US-Vorstellungen befangen, daß sie sich gar nicht vorstellen können, daß ein Land so viel Geld zahlt und trotzdem keinen Einfluß ausübt. Aber genau das ist der Fall. Merkel mußte bisher in allen wesentlichen Punkten nachgeben, ihre Gegenwehr war immer nur Pflichtübung fürs heimische Publikum. Theoretisch kann der Fonds den Geldempfängern Auflagen machen - in der Praxis wird es unmöglich sein, diese auch durchzusetzen. Und der Fonds wird - noch weniger als bisher der direkte Geldgeber Deutschland - frisches Geld verweigern können, weil die alten Auflagen nicht erfüllt wurden.
Zitat Es gäbe ja 2 verschiedene Wirtschafts-und Fiskal-Regime für Europa: Variante 1: Begrenzung des Euro auf einen optimalen Währungsraum => keine Transfer-Union notwendig.
Variante 2: einheitliche Währung, obwohl kein optimaler Währungsraum vorliegt => Notwendigkeit einer Transfer-Union => "wer zahlt, schafft an" => deutscher Einfluss auf Innenpolitik z.B. in Griechenland.
Es gibt vier Varianten.
Einmal noch die wünschenswerte Variante 3: Einen Währungsraum Euro OHNE jegliche Transferunion, unabhängig von den jeweiligen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen der Mitgliederländer. Also genau die Konstruktion, wie sie die Euro-Verträge vorgesehen haben. Und die auch problemlos funktioniert hätte. Wenn nicht diverse Politiker letztes Jahr "die Chance genutzt" hätten, um aus der privaten Schuldenkrise des griechischen Staats eine "Euro-Krise" herbeizulügen und damit in die Transferunion einzusteigen.
Und dann die Variante 4, die gerade realisiert wird: Eine Transfer-Union OHNE "wer zahlt, schafft an". Wir bekommen eine EU mit einem Transfer wie beim deutschen Länderfinanzausgleich: Die "schwachen" Länder bekommen beständige Zuschüsse, sind dafür keinerlei Rechenschaft schuldig und können auf Anstrengungen verzichten, sich selber zu helfen.
Zitat von FlorianWenn Deutschland soviel Geld ausgibt, dann sollte es auch einen Einfluss ausüben, was damit passiert.
So die Theorie. Und die Stratfor-Leute sind so in US-Vorstellungen befangen, daß sie sich gar nicht vorstellen können, daß ein Land so viel Geld zahlt und trotzdem keinen Einfluß ausübt. Aber genau das ist der Fall.
Jedenfalls ist, lieber R.A., diese Distanz zwischen der, sagen wir, Binnenwahrnehmung der Macht Deutschlands und der Außenwahrnehmung (Stratfor ist da nach meinem Eindruck durchaus repräsentativ) interessant.
Nach dem kriminellen und katastrophalen Machtrausch der Nazis haben wir Deutschen es uns weitgehend abgewöhnt, den politischen Diskurs überhaupt in Machtkategorien zu führen. Allenfalls in der Innenpolitik sprechen wir von Machtkämpfen. Die Außenpolitik wird aber eher so beschrieben und kommentiert, als seien Staaten karitative Einrichtungen: Man betreibt Friedenspolitik, läßt sich vom Gedanken der europäischen Einheit leiten, will den Ärmsten der Armen helfen usw.
Natürlich stellt jede Regierung solche hehren Ziele in ihrer Propaganda in den Vordergrund. Aber erstens reden anderswo auch Regierungen über Machtinteressen (Putin und Sarkozy zum Beispiel sehr deutlich; auch Obama nicht selten), und zweitens nehmen politische Kommentatoren den Regierungen im allgemeinen ihre Propaganda nicht ab, sondern fragen nach den Machtinteressen hinter deren Entscheidungen.
Wir Deutschen haben uns zwischen 1949 und 1989 daran gewöhnt, "wirtschaftlich ein Riese und politisch ein Zwerg" zu sein, und wir sind ja auch gut damit gefahren, weil unsere Sicherheitsinteressen von dem großen Bruder USA wahrgenommen wurden und wir uns dank guter Wirtschaftslage in Europa die Rolle des Zahlmeisters, der nicht der Kapitän ist, leisten konnten.
Aber die USA sind unter Obama im Begriff, sich aus Europa zurückzuziehen, und Rußland ist auf dem Weg zurück zur Großmacht. Zugleich wird die EU immer mehr zur Problemunion.
Mir erscheint es zunehmend zweifelhaft, daß es sich in dieser neuen Lage Deutschland noch leisten kann, auf Machtpolitik zu verzichten. Nur sehe ich im deutschen Volk keine Bereitschaft, das zu akzeptieren.
Don Quijote hat gegen Windräder gekämpft. Wir verbarrikadieren uns hinter Windrädern.
Zitat Und dann die Variante 4, die gerade realisiert wird: Eine Transfer-Union OHNE "wer zahlt, schafft an". Wir bekommen eine EU mit einem Transfer wie beim deutschen Länderfinanzausgleich: Die "schwachen" Länder bekommen beständige Zuschüsse, sind dafür keinerlei Rechenschaft schuldig und können auf Anstrengungen verzichten, sich selber zu helfen.
Dann stellt sich mir wieder die Frage: Wozu das Ganze? Ich kann mir kaum vorstellen, dass der altruistische Gedanke dahintersteht. Frei nach dem Motto, wir haben zu viel Geld, nehmt es uns bitte ab... Wiegen die finanziellen Vorteile durch die EU die Nachteile durch Transferzahlungen auf? Wird dies als Investition gesehen, worauf man sich spätere Gewinne einstellt? Oder steckt der Gedanke dahinter, dass dies eben der Preis eines friedlichen Europas ist, wie Zettel andeutet?
Zitat von R.A. Und dann die Variante 4, die gerade realisiert wird: Eine Transfer-Union OHNE "wer zahlt, schafft an". Wir bekommen eine EU mit einem Transfer wie beim deutschen Länderfinanzausgleich: Die "schwachen" Länder bekommen beständige Zuschüsse, sind dafür keinerlei Rechenschaft schuldig und können auf Anstrengungen verzichten, sich selber zu helfen.
Also das deutsche Modell? Oder wie Gerhard Schröder beim "Nein" im Sicherheitsrat zur Irak-Resulotion sagte, der deutsche Weg? Es ist nur logisch, dass die wirtschaftlich stärkste Macht in Europa die Krise nutzt, um ihrem Modell, von dem die Regierung selbstverständlich glaubt, es sei alternativlos, nicht nur mehr Geltung verschaffen zu wollen, sondern es auch zu verbreiten. Kurz, es zu einem EU-Modell zu machen. Auch aus diesem Grund sind wir als Partner für Russland so attraktiv. Nur in einer Krise besteht die Möglichkeit zu durchgreifenden Änderungen der europäischen Strukturen. Diejenigen welche in einer Transferunion Nehmerländer sind, verlieren mehr Souveränität als die Geberländer, da diese eine europäische Finanzpolitik natürlich auch zur Kontrolle und Überwachung nutzen können, und wohl auch werden. Schaut man sich den deutschen Länderfinanzausgleich an, ist er eher Teil einer zentralisierten Finanzpolitik des Bundes, vor allem was die Einnahmen betrifft. Eine homogenere Steuerpolitik in Europa, wiederum unter starker Berücksichtigung des deutschen Modells, ist eine alte deutsche Forderung. Deutschland hat es geschafft ein Gebiet mit 17 Millionen Einwohnern von einer Kommandowirtschaft umzustellen auf eine soziale Marktwirtschaft. Dies ist eine beachtliche Leistung und man könnte es auch eine Reverenz nennen. Desweiteren hat Deutschland eine Bundeskanzlerin, die sich in Fragen der Machterhaltung nicht unprofessionell verhält und ich halte es für wahrscheinlich, dass sie diese Herausfordrung, eine stark vom deutschen Wirtschafts-und Finanzmodell geprägte europäische Wirtschaftsregierung, gern annehmen und bewältigen würde. Die aussenpolitische Unberechenbarkeit mit der wir unsere Bündnispartner irritieren und die Koketterie beim Verweis auf die "german culture" bei gleichzeitiger engerer Partnerschaft zu Russland, füllt nur das Vakuum, dass der Rückzug Obamas aus Europa hinterlässt. Aus meiner Sicht ist dies keine positive aber eine nicht unwahrscheinliche Theorie.
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