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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 18 Antworten
und wurde 1.493 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Kallias Offline




Beiträge: 2.300

09.12.2011 19:43
Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Was bedeuten die jüngsten Beschlüsse und die Entwicklungen dieses Jahres für den Fortbestand der Europäischen Union? Ich sehe in der Dominanz einzelner Staaten das größte Problem und plädiere für "mehr Brüssel".

Michel Offline



Beiträge: 265

09.12.2011 20:52
#2 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Ich beginne ähnlich zu denken. Zwar will ich keinen Europäischen Zentralstaat, der nur einen noch größeren Wasserkopf und noch höhere Staatsausgaben bedeutet. Aber die alten Spielregeln in der Eu sind nicht mehr existent. Mit dem Ergebnis das die Art wie Beschlüsse gefasst werden, massiv an Qualität verloren hat. Es ist zu erwarten, dass das langfristig schlimmere Folgen hat als ein Europäischer Zentralstaat. Es ist also an der Zeit die alten Institutionen durch neue zu ersetzen. Der einzige Weg dahin schein mir der von dir vorgeschlagene Sprung zum Bundesstaat zu sein. Ich will diesen Sprung nicht, aber er ist meines Erachtens das kleiner Übel.

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

09.12.2011 22:44
#3 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Ich könnte kaum unterschiedlicherer Meinung sein. Ein Versagen des Zentralstaats als Grund für mehr Zentralstaat ? Wie richtigerweise am Anfang steht ist die EU eben kein Nationalstaat, das ist auch nie gewollt gewesen. Es ist ein Wirtschaftsraum, mit gemeinsamer Aussenpolitik, einem Freihandel, vielleicht einer gemeinsamen Währung. Aber nie war es die Idee einen zentralen Staat zu schaffen, diese Idee kam erst mit dem zunehmenden Eigenleben von Europa auf. Und, was aber deutlich wichtiger ist, als der ursprüngliche Plan, es ist auch heute nicht gewollt. Europa ist ein Europa der Völker, die Deutschen bestimmen, genauso wie die Engländer, die Griechen oder Italiener ihr Schicksal selbst. Die Deutschen wollen ebensowenig per ordre de mufti dazu verknackt werden für die griechische Lebenslust zahlen zu müssen, wie es die Griechen wollen mit selbiger Order dazu gezwungen zu werden ihre Vorstellungen von Wirtschaftslenkung aufzugeben.

Eine Zentralregierung, noch dazu mit eigenen Steuern, wäre ein nicht zu besiegender Leviathan gegen den der Moloch, der inzwischen aus der EU geworden ist, wirkt wie ein kleines Kind. Es wäre der endgültige Sieg der Etatisten und Kollektivisten, ein Europa indem eine fragwürdige Truppe einer selbstdefinierten Elite die Geschicke bis in die letzte Besenkammer zu bestimmen sucht, eine Realisierung von Orwell, nahezu ins Details. Statt sich dem Diktat von Einzelstaaten zu unterwerfen (was sicher nicht richtig ist), unterwirft man sich dem Superstaat, der noch weniger legitimiert ist und dessen Kontrolle nahezu unmöglich ist. Und vielleicht als kleine Randnotiz: Es wäre ein EKLATANER Verstoss gegen unsere Verfassung und man müsste sich fragen, wenn solche Bestrebung tatsächlich Realität werden, ob das Widerstandsrecht nicht langsam greifen würde.

Das Ende der EU wäre sicher ein ganz frappierender Schlag ins Gesicht, unsere Lebensqualität würde auf einen Schlag um wenigsten 20 Prozent sinken, unsere Freiheit würde durch sinkende Kaufkraft, schwierigere Mobilität und höhere Arbeitslosigkeit sicher geringer werden. Aber es gäbe noch Freiheit.

Michel Offline



Beiträge: 265

09.12.2011 23:08
#4 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat
Es wäre der endgültige Sieg der Etatisten und Kollektivisten, ein Europa indem eine fragwürdige Truppe einer selbstdefinierten Elite die Geschicke bis in die letzte Besenkammer zu bestimmen sucht, eine Realisierung von Orwell, nahezu ins Details.



Richtig das wäre es, aber wäre das was die Etatisten und Kollektivisten in einem De-facto-Superstaat ohne Verfassung anrichten könnten nicht noch viel verheerender? Ich ziehe einen demokratisch verfassten Superstaat einem Superstaat ohne demokratische Verfassung vor.

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

09.12.2011 23:12
#5 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Sehr verehrter Kallias,

ein sehr interessanter Beitrag.

interessant an ihrem Artikel fand ich vor allem, dass ein Wort nur ein einziges mal vorkommt, und dies auch nur in negativer Form:

Zitat
Es sind nicht die politischen Spielchen, die Aushöhlung der Subsidiarität und auch nicht die fehlende demokratische Legitimation, die den Fortbestand der Gemeinschaft in Frage stellen, sondern die Dominanz der Staaten über die Union.


Es ist meiner Meinung nach sehr wohl "die fehlende demokratische Legitimation" die sehr stark zur jetzigen Krise des "europäischen Projektes" geführt hat.

Sie schreiben "die Dominanz der Staaten über die Union" sei das Problem.
Das ist in der Tat so.
Aber wie soll es anders sein?
Die Demokratie ist nun einmal nur nationalstaatlich verfasst denkbar; jedenfalls nicht als eine Union in der 81 Millionen Deutsche genauso Vertretung finden sollen, wie 420.000 Maltesen. Sollen auf einen maltesischen Abgeordneten 190 deutsche kommen? Der Oberste Sowjet der UdSSR läßt grüßen.

Solche Sätze, wie:

Zitat
Dann fühlen sich die Randvölker gerne unterdrückt und das Kernvolk ausgebeutet.


schreiben sich leicht, wenn man Angehöriger eines Zig-Millionenvolkes ist, das allein aufgrund seiner schieren Größe immer den größten Einfluss in Europa haben wird, auch in einem zentralistischen Europa der Eurokraten.
Aber ob man solche Sätze gerne läse, wenn man Lette, Tscheche oder Angehöriger eines anderen kleinen Landes, die oft genug nur Manövriermasse der "Großmächte" gewesen sind, wäre, ist stark zu bewzweifeln.

"Europa" kann zentralstaatlich aufgebaut sein, oder demokratisch. Beides zusammen ist nicht möglich.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

09.12.2011 23:55
#6 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Llarian
Eine Zentralregierung, noch dazu mit eigenen Steuern, wäre ein nicht zu besiegender Leviathan gegen den der Moloch, der inzwischen aus der EU geworden ist, wirkt wie ein kleines Kind. Es wäre der endgültige Sieg der Etatisten und Kollektivisten, ein Europa indem eine fragwürdige Truppe einer selbstdefinierten Elite die Geschicke bis in die letzte Besenkammer zu bestimmen sucht, eine Realisierung von Orwell, nahezu ins Details. Statt sich dem Diktat von Einzelstaaten zu unterwerfen (was sicher nicht richtig ist), unterwirft man sich dem Superstaat, der noch weniger legitimiert ist und dessen Kontrolle nahezu unmöglich ist.

Die Befürchtung verstehe ich schon (indem ich sie teile), das Argument weniger. Ob ein Staat schlank und freiheitlich oder ein kollektivistischer Moloch ist, scheint mir keine Frage der Größe zu sein. Alles, was größer als ein Stadtteil ist, ist bürgerferne Bürokratie, und ob ich von Brüssel oder von Berlin aus geschurigelt werde, scheint mir wenig Unterschied zu machen.

Zitat von Llarian
Das Ende der EU wäre sicher ein ganz frappierender Schlag ins Gesicht, unsere Lebensqualität würde auf einen Schlag um wenigsten 20 Prozent sinken, unsere Freiheit würde durch sinkende Kaufkraft, schwierigere Mobilität und höhere Arbeitslosigkeit sicher geringer werden. Aber es gäbe noch Freiheit.

Mir wäre es lieber gewesen, wenn sich Deutschland statt mit Frankreich mit Britannien verbündet hätte, der Erweiterung den Vorrang vor der Vertiefung gegeben, jeden Gedanken an "zwei Geschwindigkeiten" verworfen und eine riesige Freihandelszone von Kapstadt bis Kamtschatka aufgebaut hätte. Vorbei. Die Frage ist jetzt, wie man aus der entstandenen unhaltbaren Situation herauskommt. Wer soll die Herrschaft in die Hand bekommen? Mir scheint, es ist das kleinere Übel, wenn eine anonyme, nichtnationale, schlecht legitimierte Bürokratenkaste das Sagen hat als eine Kanzlerin, die durch nichts legitimiert ist, 500 Millionen Europäern ihre Vorstellungen aufzudrücken und damit den Haß auf die Deutschen weckt. Denn die größte Gefahr für unseren Kontinent wäre ein Zerfall in gegensätzlich agierende Gruppen von Nationalstaaten, aber wie kann nach dem Ende der EU eine derartige Entwicklung vermieden werden? Wenn am Ende einer Entwicklung, in der die Völker systematisch gegeneinander aufgebracht werden, ein Kontinent von souveränen Völkern stehen würde? Wie sollen die dann ihre Konflikte lösen?

Herzliche Grüße,
Kallias

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

10.12.2011 00:15
#7 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Am_Rande
Es ist meiner Meinung nach sehr wohl "die fehlende demokratische Legitimation" die sehr stark zur jetzigen Krise des "europäischen Projektes" geführt hat. [...] "Europa" kann zentralstaatlich aufgebaut sein, oder demokratisch. Beides zusammen ist nicht möglich.

Demokratische Legitimation ist eine schöne Sache, aber die Völker schlagen nicht aufeinander ein, wenn sie nur schwach ausgebildet ist. Ich glaube nicht, wie Habermas anzunehmen scheint, daß Identität und Legitimation getrennt werden können, und wo eine Wahl ist, auch schon ein Volkswille ist. Ich glaube aber auch nicht, daß demokratische Legitimität von nationaler Identität gänzlich abhängig ist. Ich weiß nicht, wie ich das beweisen soll, aber nehmen Sie Llarian als Beispiel, der die Legitimität des Bundestages (meines Wissens) nicht bezweifelt, obwohl er sich mit Sachsen und Brandenburgern zusammen nicht als Teil derselben Nation fühlt.

In Europa gibt es eine schwache europäische Identität, eine geringe demokratische Legitimität und einen Haufen von Angelegenheiten, von denen man annimmt, daß sie zweckmäßigerweise einheitlich geregelt werden. Warum sollte das als Grundlage eines Staates nicht ausreichen?

Herzliche Grüße,
Kallias

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

10.12.2011 01:01
#8 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Michel
Richtig das wäre es, aber wäre das was die Etatisten und Kollektivisten in einem De-facto-Superstaat ohne Verfassung anrichten könnten nicht noch viel verheerender?


Ich kann mich des Eindrucks nicht verhehlen, dass Politiker, umso weiter sie von jeder demokratischen Legitimation und Kontrolle entfernt sind, immer weniger auf eine Verfassung geben. Die Arroganz schon unseres Bundestages bei der Verabschiedung der Vorratsdatenspeicherung ("wir wissen, dass das nicht im verfassten Rahmen ist, wir machens aber trotzdem") hat das ziemlich klar gezeigt.

Zitat
Ich ziehe einen demokratisch verfassten Superstaat einem Superstaat ohne demokratische Verfassung vor.


Ein Käfig wird nicht zur Freiheit, weil man vermeintliche Rechte auf die Gitterstäbe graviert. Sie mögen einen goldenen Käfig einem eisernen vorziehen, ich ertrage dagegen gar keinen Käfig. Ich will keinen Superstaat, ich habe dem nie zugestimmt und ich werde dem auch nie zustimmen. Und die Verfassung der BRD gibt mir nicht nur das Recht diesen Superstaat abzulehnen sondern geradezu eine Pflicht dazu auf.

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

10.12.2011 01:17
#9 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Kallias
Ob ein Staat schlank und freiheitlich oder ein kollektivistischer Moloch ist, scheint mir keine Frage der Größe zu sein.


Mir schon. Sogar recht deutlich. Zum einen weil ich glaube, dass Freiheitseinschränkungen nicht populär sind, insofern sich vor allem dann durchsetzen, wenn jemand seine Popularität egal ist. Sprich: Umso weiter ein Politiker vom Wähler weg ist, umso weniger Probleme hat er damit die Freiheiten einzuschränken. Zum anderen erscheint es mir ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Kollektivisten und Etatisten vor allem die Macht im Großen suchen. Bürgermeister und Gemeinderäte verhalten sich oftmals schlicht pragmatisch, sie haben weder Zeit noch Lust ihren Bürgern in sämtliche Lebenslagen reinzuregieren. Umso weiter nach oben das geht, umso schlimmer wirds. Kollektivisten wollen nicht das Leben der Bürger einer Gemeinde bestimmen, sie wollen das von Millionen wenn nicht sogar Milliarden Menschen bestimmen.

Zitat
Alles, was größer als ein Stadtteil ist, ist bürgerferne Bürokratie, und ob ich von Brüssel oder von Berlin aus geschurigelt werde, scheint mir wenig Unterschied zu machen.


Wie gesagt, ich emfinde das anders. Es liegt in meiner Macht einen Bürgermeister, der die Freiheit meiner Stadt einschränken will, zu bekämpfen. Auch einen Abgeordneten kann ich bekämpfen. Ein Brüssler Eurokrat ist meiner Kontrolle vollständig entzogen. Meine Möglichkeiten mich zu wehren sind schlicht null.

Zitat
Die Frage ist jetzt, wie man aus der entstandenen unhaltbaren Situation herauskommt. Wer soll die Herrschaft in die Hand bekommen?


Niemand. Schlicht und einfach. Die Griechen brauchen weder eine deutsche Bundeskanzlerin noch einen EU-Präsidenten der ihnen sagt was für sie gut ist. Wir auch nicht. Warum muss unbedingt geherscht werden, ich sehe die Notwendigkeit nicht im Ansatz. Wenn Firmen Geschäfte untereinander machen muss auch niemand herschen. Diejenigen die sich zur Herrschaft berufen fühlen sind doch gerade die Ursache für die Krise. Die Arbeitenden, die Firmen, die Bürger, selbst die vielgescholtenen Banken, die machen alle ihren Job. Es ist die Politik, die auf ganzer Linie versagt. Und solche Leute sollen herrschen ?

Zitat
Denn die größte Gefahr für unseren Kontinent wäre ein Zerfall in gegensätzlich agierende Gruppen von Nationalstaaten,


Aber woher denn ? Das hat jahrzehntelang funktioniert, in kleinerem Maßstab funktioniert das in jedem Land und weltweit funktioniert es genauso. Das ist doch völlig undramatisch. Konflikte bauen wir im Moment vor allem dadurch auf, dass wir uns gegenseitig erzählen was jeweils gut für den anderen sein soll und jeder nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hat. Das frustriert uns, das frustriert die Griechen, das frustriert die Engländer. Wir müssen dringend zu weniger Herrschaft kommen und uns vor allem mal darauf besinnen das ein jeder von uns die Freiheit hat zu tun, was er für sich für am besten hält. Wenn zwei Firmen oder zwei Menschen miteinander Geschäfte machen, dann treffen die gegenseitige Vereinbarungen, aber die legen doch nicht erst einmal fest wer sie beherschen soll.
Freihandel und Völkerfreundschaft sind doch keine Dinge, die aus Herrschaft resultieren, es ist allenfalls die Politik, die diese behindert wenn nicht zerstört.

tobiwan2k Offline



Beiträge: 40

10.12.2011 01:22
#10 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Llarian

Ein Käfig wird nicht zur Freiheit, weil man vermeintliche Rechte auf die Gitterstäbe graviert. Sie mögen einen goldenen Käfig einem eisernen vorziehen, ich ertrage dagegen gar keinen Käfig. Ich will keinen Superstaat, ich habe dem nie zugestimmt und ich werde dem auch nie zustimmen. Und die Verfassung der BRD gibt mir nicht nur das Recht diesen Superstaat abzulehnen sondern geradezu eine Pflicht dazu auf.



Wo lesen Sie denn eine Pflicht zur Ablehnung eines Superstaates aus dem Grundgesetz heraus? Da steht drin, dass es gültig ist, bis sich das deutsche Volk eine neue Verfassung gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Dem deutschen Grundgesetz haben Sie übrigens auch nie zugestimmt. Wenn die "Völker" Europas sich also entschließen einen Bundesstaat zu gründen, dann genießt dieser kein Stück weniger Legitimität als ein deutscher Bundesstaat. Oder wollen Sie behaupten das dieses System in Deutschland nicht funktioniert? Oder hängen Sie am Gebilde Nationalstaates?

PS: Zum Thema Freiheit: Europa hat Ihnen mehr Freiheit gegeben, während in Deutschland zusehends versucht wird die Freiheit einzuschränken.
PPS: Die Diskussion, ob es die Vereinigten Staat von Europa oder ein Europa der Nationen werden soll, ist älter als die Römischen Verträge.

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

10.12.2011 01:37
#11 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Sehr verehrter Kallias,

es tut mir leid, ich weiß selbst nicht genau, was es ist, was mich an dem Bild von "Europa", wie sie es hier
ausgemalt haben, so stört.
Wahrscheinlich interpretiere ich einfach zuviel bei ihnen hinein.
Aber für mich klingt ihr "Europa"-Bild irgendwie stark nach der Philosophenherrschaft von Platon.
Der europäische Zentralstaat als gutgeölte Staatsmaschine an deren Spitze kluge, gute und selbstlose
Spezialisten stehen, welche immer die richtigen Hebel betätigen und - schwupps - unten beim Volk kommen die
guten Richtlinien und Gesetze an.

Sie haben ja recht: die Beste aller Regierungsformen ist die segensreiche Diktatur.
Und Demokratie ist nur die schlechteste aller Staatsformen. Ausgenommen alle anderen.

Die Geschichte hat eben gezeigt: Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut.

Also bleibt mit Popper nur zu sagen: Demokratie ist ein System, in dem die momentane Herrschaft unblutig
abgesetzt werden kann.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Das von mir hier geschriebene sind alles (beinahe) Platitüden, die jedem (Liberalen) geläufig sind (oder zu
mindest sein sollten), ich weiß - daher habe ich mich auch etwas gescheut, dieses so zu schreiben.

Nur wüßte ich allzu gern:
Was versucht man mit dem Euro und dem "vertieften Europa" eigentlich zu retten, was man nicht auch (und vielleicht besser) mit nationalen Währungen und einer reinen europäischen Freihandelszone, einer großen EFTA, haben könnte?
Was ist der spezifische Mehrwert, für den man bereit ist, alle Erfahrungen mit diktatorischer Herrschaft,
die Europa in den letzten 200 Jahren machen musste, zu vergessen und über Bord zu schmeißen?
Ich weiß es nicht. Vielleicht wissen Sie es?

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

10.12.2011 02:23
#12 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von tobiwan2k
Wo lesen Sie denn eine Pflicht zur Ablehnung eines Superstaates aus dem Grundgesetz heraus?


Aus Artikel 20, Absatz 4.

Zitat
Da steht drin, dass es gültig ist, bis sich das deutsche Volk eine neue Verfassung gibt.


Das steht da sicher auch, hat aber mit dem Thema nix zu tun.

Zitat
Dem deutschen Grundgesetz haben Sie übrigens auch nie zugestimmt.


Ich bin da reingeboren worden und ein Baby entscheidet nicht in welche Gesellschaft es kommt. Ich bin nur inzwischen erwachsen und inzwischen zustimmungs- und ablehnungsfähig.

Zitat
Wenn die "Völker" Europas sich also entschließen einen Bundesstaat zu gründen, dann genießt dieser kein Stück weniger Legitimität als ein deutscher Bundesstaat.


Nur tun das die Völker von Europa eben nicht. Und gegen den Willen haben wir dann wieder das Legitimitätsproblem.

Zitat
Oder wollen Sie behaupten das dieses System in Deutschland nicht funktioniert?


Mäßig. Ist aber eine andere Diskussion.

Zitat
PS: Zum Thema Freiheit: Europa hat Ihnen mehr Freiheit gegeben, während in Deutschland zusehends versucht wird die Freiheit einzuschränken.


Letzteres stimmt, ersteres emfinde ich als humorig. Freiheit ist ein bischen mehr als Schengen und die nicht mehr vorhandene Notwendigkeit Geld zu tauschen.

Zitat
PPS: Die Diskussion, ob es die Vereinigten Staat von Europa oder ein Europa der Nationen werden soll, ist älter als die Römischen Verträge.


Fragt sich wer diese führt und sich dazu berufen fühlt. Ich kenne jedenfalls keinerlei emipirische Daten, die auch nur ansatzweise aussagen würden, irgendeine europäische Nation wäre mehrheitlich dafür ihre Identität als Nation aufzugeben. Das ist eine Diskussion die vor allem aus der Politik stammt, bei den Bürgern selber ist die Begeisterung wohl übersichtlich.

WasIstLiberal? ( gelöscht )
Beiträge:

10.12.2011 08:38
#13 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Larian

Ein Käfig wird nicht zur Freiheit, weil man vermeintliche Rechte auf die Gitterstäbe graviert. Sie mögen einen goldenen Käfig einem eisernen vorziehen, ich ertrage dagegen gar keinen Käfig. Ich will keinen Superstaat,....



Dem schliesse ich mich an. Es ist schon sehr realitägsverweigernd eine weitere Zentralisierung zu fordern wenn es Zentralisierung und Überbürokratisierung waren die dieses ganze Dilemma mit heraufbeschwört haben. Und es gäbe dieses Dilemma auch nicht wenn die Staaten sich nicht alle über alle Maßen verschuldet hätten. Was die diversen Schuldenbremsen angeht, kann man ja sehen wie "ernst" sie genommen wurden. Und ich soll glauben mit mehr Zentralisierung passiert das nicht?

Und außerdem bin ich der Meinung Zentralbanken gehören abgeschafft.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

10.12.2011 10:43
#14 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Llarian
Sprich: Umso weiter ein Politiker vom Wähler weg ist, umso weniger Probleme hat er damit die Freiheiten einzuschränken.

Es sei denn, es handelt sich um gefürchtete Freiheiten. Was hatte man bis Mitte des letzten Jahrzehnts in D Angst vor den billigen Arbeitskräften aus Osteuropa - es waren die Eurokraten, die für Freizügigkeit gesorgt haben. Die Bürgermeister hätten eher "Polen unerwünscht!"-Schilder am Ortsrand aufgestellt.

Zitat von Llarian

Zitat
Die Frage ist jetzt, wie man aus der entstandenen unhaltbaren Situation herauskommt. Wer soll die Herrschaft in die Hand bekommen?


Niemand. Schlicht und einfach. Die Griechen brauchen weder eine deutsche Bundeskanzlerin noch einen EU-Präsidenten der ihnen sagt was für sie gut ist. Wir auch nicht. Warum muss unbedingt geherscht werden, ich sehe die Notwendigkeit nicht im Ansatz. Wenn Firmen Geschäfte untereinander machen muss auch niemand herschen. Diejenigen die sich zur Herrschaft berufen fühlen sind doch gerade die Ursache für die Krise. Die Arbeitenden, die Firmen, die Bürger, selbst die vielgescholtenen Banken, die machen alle ihren Job. Es ist die Politik, die auf ganzer Linie versagt. Und solche Leute sollen herrschen ?


Sie sollen es nicht, sie tun es. Ich habe zwei mögliche Weisen der Zentralisierung verglichen und eine der beiden für schlechter als die andere befunden. Sehen Sie denn heute irgendeine ernstzunehmende politische Kraft, die sich für Dezentralisierung einsetzt? Großbritannien hätte eine solche Kraft sein können. Was man den Briten vorwerfen kann, daß sie sich immer nur um ihre nationalen Interessen gekümmert haben ("We want our money back!") und nie um eine europäische Verfassung, die diesen Interessen entgegenkommen würde. (Große Freihandelszone etc.) Nun ist da niemand mehr, und wir haben die Wahl zwischen Regen und Traufe.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

10.12.2011 11:01
#15 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Am_Rande
Das von mir hier geschriebene sind alles (beinahe) Platitüden, die jedem (Liberalen) geläufig sind (oder zu
mindest sein sollten), ich weiß - daher habe ich mich auch etwas gescheut, dieses so zu schreiben.

Man liest es immer wieder gern.

Zitat von Am_Rande
Nur wüßte ich allzu gern:
Was versucht man mit dem Euro und dem "vertieften Europa" eigentlich zu retten, was man nicht auch (und vielleicht besser) mit nationalen Währungen und einer reinen europäischen Freihandelszone, einer großen EFTA, haben könnte?

Nichts, wenn man in diesem Rahmen geblieben wäre. Die Rückabwicklung ist das Problem. Eine Scheidung ist viel schlimmer als erst gar nicht zu heiraten. Eine Gemeinschaft von Versagern, die sich im Streit getrennt haben - wer will das auf sich nehmen und seinen Wählern als Erfolg verkaufen?

Llarian Offline



Beiträge: 6.920

10.12.2011 16:41
#16 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Kallias
Es sei denn, es handelt sich um gefürchtete Freiheiten. Was hatte man bis Mitte des letzten Jahrzehnts in D Angst vor den billigen Arbeitskräften aus Osteuropa - es waren die Eurokraten, die für Freizügigkeit gesorgt haben. Die Bürgermeister hätten eher "Polen unerwünscht!"-Schilder am Ortsrand aufgestellt.


Was ich völlig undramatisch finde, ich finde es durchaus angemessen, wenn sich eine Gemeinde aussuchen kann, wer dort wohnt oder arbeitet. Genauso wie wir das als Land auch tun sollten. Ich finde es dagegen ein absolutes Unding, dass die Eurokraten uns vorschreiben wollen, dass wir Pack wie die diversen U-Bahn Schläger nicht dahin verfrachten können, wo sie hergekommen sind. Gerade diese Diskussion ist doch ein Musterbeispiel dafür wie sehr Brüssel am Bürger vorbeiregiert. Ich sage es ganz offen: Ich will weder kriminelle Schläger in meiner Nachbarschaft haben noch irgendwelche Tiefgläubigen die ihre Frau unter ein Zelt zwingen. Das brauche ich nicht in meiner Nachbarschaft und ich brauche auch kein Brüssel das mir das zwangsanordnet. Vielleicht will mich ja auch nicht jeder haben, da komme ich mit zurecht.

Zitat
Sie sollen es nicht, sie tun es. Ich habe zwei mögliche Weisen der Zentralisierung verglichen und eine der beiden für schlechter als die andere befunden. Sehen Sie denn heute irgendeine ernstzunehmende politische Kraft, die sich für Dezentralisierung einsetzt?


Ja, der Bürger. Denn das was zur Zeit in Europa passiert ist nicht im Sinne der Bürger und die wissen das auch. Sie haben nur in unserem verschwurbelten System in Deutschland im Moment keine Stimme. Das muss nicht so bleiben wie ein Geert Wilders, ein Thilo Sarrazin oder jetzt eben ein David Cameron das beweisen. Sie selber schreiben es in ihrer Einleitung, Europa ist unbeliebt. Und im Moment nimmt das deutlich zu, da ist es nur eine Frage der Zeit bis sich das auch politisch niederschlägt.

Zitat
Nun ist da niemand mehr, und wir haben die Wahl zwischen Regen und Traufe.


Irgendwie klingt das nach "alternativlos", lieber Kallias. Nur sehe ich das nicht so. Es gibt nicht nur Europa unter Brüssels Knute oder unter Muttis Knute. Es gibt auch ein Europa ohne Knute. Und wenn Europa erst einmal zwei Schritte zurückmacht, dann ist das durchaus eine Option. Die Engländer haben doch gerade genau das gemacht und schreien unsere Machtpolitiker (und die Kampfpresse in ihrem Gefolge) das die Engländer doch aus der EU raus sollen. Wer schürt denn da Konflikte ? Es ist gerade unsere Politiker"elite", die das, was sie selber heraufbeschwören, massiv umsetzen. England hat den richtigen Weg gewählt und gesagt "So nicht". Der Bürger sieht das auch so. Nur unsere Politik, die sieht das nicht so. Vielleicht ist es alternativlos mit dieser politischen Führung. Nun, dann sehe ich als Alternative eine andere Führung.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

10.12.2011 21:30
#17 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Ich stimme ihrer Analyse vollkommen zu, lieber Kallias, obwohl ich die Hoffnung auf eine kontrollierte Rückabwicklung des Euro noch nicht aufgegeben habe. Ein funktionsfähiger Binnenmarkt ist im nationalen Interesse aller europäischen Staaten, darum geht es m.E. im Kern, nur gibt es jetzt zwei offen miteinander konkurrierende Theorien. Vertreten durch Großbritannien auf der einen Seite und Deutschland und Frankreich auf der anderen - das "No" von Cameron gegen das "No" von Angela Merkel.
Und die britische wird sich als die praktikable herausstellen, da die Gemeinschaftswährung nicht zu retten ist.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.021

10.12.2011 21:46
#18 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Kallias
Ob ein Staat schlank und freiheitlich oder ein kollektivistischer Moloch ist, scheint mir keine Frage der Größe zu sein.


Erstens stimme ich da Llarian zu. Und zweitens: selbst wenn Sie recht haben, dann bedeutet Größe ja einerseits keine größere Chance auf Freiheit - und ceteris paribus habe ich lieber mehrere kleine Staaten, teils frei, teils kollektivistisch, als einen gewaltigen Staat, der im Ganzen frei oder kollektivistisch ist. Siehe den Unterschied zwischen Europa und China im 15. Jh. Wenn die Barbaren in Baden-Württemberg - aber nur da - an die Macht kommen, kann ich nach Bayern flüchten. Wenn sie Brüssel übernehmen (ist der Konditionalis wirklich noch angemessen?), dann muss ich schon über den Atlantik.

[EDIT. "Kallias" durch "Llarian" ersetzt... Es ist schon spät.]

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

11.12.2011 15:04
#19 RE: Europas Krise(7): Mehr Brüssel Antworten

Zitat von Llarian

Zitat von Kallias

Zitat
Die Frage ist jetzt, wie man aus der entstandenen unhaltbaren Situation herauskommt. Wer soll die Herrschaft in die Hand bekommen?


Niemand. Schlicht und einfach. Die Griechen brauchen weder eine deutsche Bundeskanzlerin noch einen EU-Präsidenten der ihnen sagt was für sie gut ist. Wir auch nicht. Warum muss unbedingt geherscht werden, ich sehe die Notwendigkeit nicht im Ansatz. Wenn Firmen Geschäfte untereinander machen muss auch niemand herschen. Diejenigen die sich zur Herrschaft berufen fühlen sind doch gerade die Ursache für die Krise. Die Arbeitenden, die Firmen, die Bürger, selbst die vielgescholtenen Banken, die machen alle ihren Job. Es ist die Politik, die auf ganzer Linie versagt. Und solche Leute sollen herrschen ?
Zitat: Denn die größte Gefahr für unseren Kontinent wäre ein Zerfall in gegensätzlich agierende Gruppen von Nationalstaaten,



Aber woher denn ? Das hat jahrzehntelang funktioniert, in kleinerem Maßstab funktioniert das in jedem Land und weltweit funktioniert es genauso. Das ist doch völlig undramatisch. Konflikte bauen wir im Moment vor allem dadurch auf, dass wir uns gegenseitig erzählen was jeweils gut für den anderen sein soll und jeder nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hat. Das frustriert uns, das frustriert die Griechen, das frustriert die Engländer. Wir müssen dringend zu weniger Herrschaft kommen und uns vor allem mal darauf besinnen das ein jeder von uns die Freiheit hat zu tun, was er für sich für am besten hält. Wenn zwei Firmen oder zwei Menschen miteinander Geschäfte machen, dann treffen die gegenseitige Vereinbarungen, aber die legen doch nicht erst einmal fest wer sie beherschen soll.
Freihandel und Völkerfreundschaft sind doch keine Dinge, die aus Herrschaft resultieren, es ist allenfalls die Politik, die diese behindert wenn nicht zerstört.




Ich habe mich in dieser Beschreibung zu 100 % wiedergefunden. Immer, wennn beherrscht wird, gibt es Gewinner und Verlierer, was zu Ärger führt.

Zur Zeit ist "Europa" das, was die Herrschenden vorschreiben, was "Europa" zu sein hat. Eine Organisation kann nicht diesen Anspruch erfüllen. Dies können nur die Bevölkerungen. Man muss dazu aber auch darauf vertrauen, dass Menschen sích weiterentwickeln und in Kauf nehmen, dass ein Herrscher seinen Herrschaftsbereich verliert. Würde die "Elite Europas" daran arbeiten, sich selbst überflüssig zu machen, wäre sie eine wirkliche Elite.

mfG Reisender

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