Ist das nicht erstaunlich? Von den Kandidaten, die für die Nachfolge Wulffs ins Gespräch gebracht wurden, waren nur drei (Lammert, Voßkuhl und Töpfer) keine evangelischen Theologen. Dazu in dieser Marginalie einige Überlegungen.
Hallo Zettel, wie sie auch schon geschrieben haben, sind die genannten Theologen aber eher für soziale / weltliche Äußerungen bekannt geworden und nicht in Bereichen der öffentlichen Evangelisation zu lokalisieren. Eine "Gefahr" der christlichen Erweckung sollte also von keinen der Kandidaten ausgehen ;)
vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, in welcher Rolle das Bundespräsidentenamt heute gesehen wird. Dieses wird mehr denn je damit in Verbindung gebracht, schöngeistige, nachdenkliche und "aufrüttelnde" Reden zu halten, ohne selbst in die Niederungen des Tagesgeschäftes hinabsteigen zu müssen. Zumal die Erfahrung mit unserem letzten Präsidenten in vielen den Wunsch nach einer Person geweckt haben dürfte, die mit Würde und moralischer Integrität ihr Amt zu führen, befähigt ist. Damit hat der Job an sich schon etwas "pastorales" bekommen, was läge da näher als Pastoren als Staatsoberhaupt in Betracht zu ziehen? Zumal ja gleichzeitig noch die Herausforderung bestand, einen überparteilichen Kandidaten zu finden. Da bieten sich ja auch Kandidaten an, die ob des "C" eine Nähe zur CDU aufweisen, aber von ihren Positionen her eher im Lager der Linken zu verorten wären. Oder umgekehrt solche, die Mitglied in einer der Oppositionsparteien sind, aber aufgrund ihrer christlichen Ansichten zumindest eine gewisse Distanz zum politischen Mainstream ihrer Partei besitzen.
Zitat von Robinvielleicht hat es auch etwas damit zu tun, in welcher Rolle das Bundespräsidentenamt heute gesehen wird. Dieses wird mehr denn je damit in Verbindung gebracht, schöngeistige, nachdenkliche und "aufrüttelnde" Reden zu halten, ohne selbst in die Niederungen des Tagesgeschäftes hinabsteigen zu müssen. Zumal die Erfahrung mit unserem letzten Präsidenten in vielen den Wunsch nach einer Person geweckt haben dürfte, die mit Würde und moralischer Integrität ihr Amt zu führen, befähigt ist. Damit hat der Job an sich schon etwas "pastorales" bekommen, was läge da näher als Pastoren als Staatsoberhaupt in Betracht zu ziehen? Zumal ja gleichzeitig noch die Herausforderung bestand, einen überparteilichen Kandidaten zu finden. Da bieten sich ja auch Kandidaten an, die ob des "C" eine Nähe zur CDU aufweisen, aber von ihren Positionen her eher im Lager der Linken zu verorten wären. Oder umgekehrt solche, die Mitglied in einer der Oppositionsparteien sind, aber aufgrund ihrer christlichen Ansichten zumindest eine gewisse Distanz zum politischen Mainstream ihrer Partei besitzen.
Ja, stimmt, lieber Robin - alle diese Gründen dürften sehr wahrscheinlich eine Rolle gespielt haben.
Es sind Gründe mehr auf der tagespolitischen Ebene; das, was ich genannt habe, wären - sofern es sie wirklich gibt, man kann das ja immer nur vermuten - längerfristige Trends.
Insofern widerspricht sich das nicht. Man könnte vielleicht sagen: Auf der Grundlage der langfristigen Trends konnten diese tagespolitischen Ursachen wirksam werden.
danke für diese hochinteressante Analyse. Ich stimme Ihnen im Wesentlichen zu. Sehe aber vordergründig auch das Motiv der persönlichen Glaubwürdigkeit als bestimmend an.
Der von Ihnen beschriebene Trend der Politisierung des Spirituellen hat m.E. aber wesentlich weiter zurückreichende Wurzeln. Die offene Politisierung von Teilen des westdeutschen Protestantismus setzt spätestens um 1980 mit der Friedensbewegung ein (Erhard Eppler, Antje Vollmer u.a.). Wenn wir in die Geschichte des späten Kaiserreichs zurückgehen, finden wir weitere bedeutende Theologen, die zugleich Politiker waren (oder umgekehrt), z. B. Friedrich Naumann, Adolf Stöcker, oder auch Adolf von Harnack.
Theologiegeschichtlich ist das Programm der innerweltlichen – also auch politischen – Verwirklichung des Reiches Gottes noch älter. Die Theologengeneration vor Karl Barth prägend war Albrecht Ritschl, bei dem die Reichs-Gottes-Idee eine große Rolle spielte. Am radikalsten unter den Theologen mag Richard Rothe gewesen sein, der das Christentum in den Staat aufgehen sah. Und hinter allen steht – natürlich –, prägend für das ganze 19. Jahrhundert, kein anderer als Hegel, für den sich der Geist im Staat verobjektiviert.
So weit, so kurz. Ich bin leider heute zeitlich ziemlich eingeschränkt, so dass ich jetzt nicht ausführlicher darauf eingehen kann.
Ich würde bei diesen vier Theologen doch deutlich unterscheiden.
Da haben wir zum Einen Gauck, der vom SED-Regime sein Wunsch-Studium verboten bekam und offenbar nur Theologe geworden ist, weil er keine Alternative hatte. Und er hat dann seinen Job als Pfarrer solide erledigt - ihn aber aufgegeben, als sich endlich andere Möglichkeiten boten. Deswegen habe ich bewußt "Job" geschrieben, was eigentlich bei diesem Beruf nicht paßt. Gauck wird auch überhaupt nicht als Pfarrer wahrgenommen, er ist Politiker und Bürgerrechtler.
Und dann haben wir Käßmann und Göring-Eckhardt. Die haben m. E. mit klassischer Religion recht wenig zu tun. Sie verkörpern eigentlich nicht den Protestantismus, sondern die zeitgeistige Mischung aus Gutmenschentum und Ökogläubigkeit. Ich habe meine Zweifel, ob die wirklich das Glaubensbekenntnis guten Gewissens ablegen können - ich kann da keine speziell christlichen Überzeugungen erkennen. Diese Art "Theologen" dominieren wohl inzwischen auch die meisten Gemeinden. Teilweise sehr anständige Menschen, aber die könnten genau so gut irgendeine andere Religion vertreten. Hauptsache irgendwie grün.
Zu Huber kann ich wenig sagen, er scheint aber auch etwas in die eben beschriebene Kategorie zu passen.
Zitat von DasPioHallo Zettel, wie sie auch schon geschrieben haben, sind die genannten Theologen aber eher für soziale / weltliche Äußerungen bekannt geworden und nicht in Bereichen der öffentlichen Evangelisation zu lokalisieren. Eine "Gefahr" der christlichen Erweckung sollte also von keinen der Kandidaten ausgehen ;)
Und das gleiche gilt aus katholischer Sicht für Lammert.
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Als Katholik kann ich das Treiben der evangelischen Pfarrer ja nur aus der Distanz betrachten.
Aber irgendwie seltsam finde ich der Lebensläufe teilweise schon. Verblüffend viele evangelische Pfarrer scheinen ja in den besten Lebensjahren den Pfarrer-Beruf aufzugeben. Abgesehen von den genannten Käßmann, Gauck und Huber fallen mir da noch etliche weitere wie z.B. Jürgen Fliege oder Peter Hintze ein. Viele scheinen Pfarrer tatsächlich eher als "Job" zu sehen, den man halt eine zeitlang macht, nicht als "Berufung". Auf katholischer Seite kenne ich da hingegen keine prominenten Beispiele.
Ansosnten fällt mir als Katholik auf, dass protestantische Pfarrer ein sehr starkes Gewicht auf innerweltliche Ethik zu legen scheinen. Diese scheint sich dann recht gut mit grünen und sozialdemokratischen Positionen zu decken. Politische Überzeugungsarbeit scheint dann aber oft wichtiger zu sein als die eigentliche Seelsorge. Der tatsächliche Schritt in die Politik ist dann vielleicht nur noch ein kleiner.
Naja, es ist ja schon noch ein Unterschied, ob die Religion politisch wird oder die Politik religiös. Oder ob, wie bei uns, beides der Fall ist, den die Öko- und Umverteilerreligion herrscht in den jeweiligen Funktionärskreisen flächendeckend.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von HerrSo weit, so kurz. Ich bin leider heute zeitlich ziemlich eingeschränkt, so dass ich jetzt nicht ausführlicher darauf eingehen kann.
Lieber Herr,
ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie noch einmal Zeit fänden, dass etwas ausführlicher zu behandeln.
Ich beobachte, dass auch in evangelikalen Kreisen diese Hinwendung zur innerweltlichen Verwirklichung des Reiches Gottes immer stärker wird. Gericht, Himmel & Hölle finden immer weniger Erwähnung - Entrückung, Wiederkunft Christi, 1000jähriges Reich sowieso - , das Thema soziale Gerechtigkeit rückt dagegen immer stärker in den Vordergrund. Handelt es sich hierbei um ein Erstarken des sogenannten "Social Gospel" (http://de.wikipedia.org/wiki/Social_Gospel)?
Zitat von SängerIch beobachte, dass auch in evangelikalen Kreisen diese Hinwendung zur innerweltlichen Verwirklichung des Reiches Gottes immer stärker wird. Gericht, Himmel & Hölle finden immer weniger Erwähnung - Entrückung, Wiederkunft Christi, 1000jähriges Reich sowieso - , das Thema soziale Gerechtigkeit rückt dagegen immer stärker in den Vordergrund. Handelt es sich hierbei um ein Erstarken des sogenannten "Social Gospel" (http://de.wikipedia.org/wiki/Social_Gospel)?
Lieber Sänger,
um es klar zu sagen: Ich bin kein Evangelikaler. Und die theologischen Entwicklungen, die ich nachgezeichnet habe, betreffen evangelische Mainstreamtheologie in Deutschland; mit amerikanischen Kategorien wie "Social Gospel" kommen wir da nicht unbedingt weiter. Auch nicht mit apokalyptischen Vorstellungen, die schon seit Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden aus dem Hauptstrom christlicher Glaubenslehre ausgeschieden sind (Entrückung, 1000-jähriges Reich).
Und: Es ist auch noch ein meilenweiter Unterschied zwischen einer "innerweltlichen Verwirklichung des Reiches Gottes" aufgrund von Transzendenzverlust und der sozialen Verwirklichung christlicher Existenz (soziale Gerechtigkeit als Konkretisierung von Nächstenliebe). Mit anderen Worten: Man kann sehr wohl an Himmel und Hölle glauben und gerade deshalb die soziale Dimension des Evangeliums hervorheben. Letzteres scheint mir für den modernen Evangelikalismus eher zutreffend zu sein.
Zitat von Zettel Es sind Gründe mehr auf der tagespolitischen Ebene; das, was ich genannt habe, wären - sofern es sie wirklich gibt, man kann das ja immer nur vermuten - längerfristige Trends. Insofern widerspricht sich das nicht. Man könnte vielleicht sagen: Auf der Grundlage der langfristigen Trends konnten diese tagespolitischen Ursachen wirksam werden.
Nun, auch die gewissermaßen "neue" Rolle des Bundespräsidenten (bzw. deren Wahrnehmung in der Bevölkerung) würde ich eher als längerfristigen Trend denn als Tagespolitik sehen. Ansonsten stimme ich Ihnen da aber völlig zu.
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