Regierungsbildung schon, bevor überhaupt das Parlament für die neue Legislaturperiode gewählt ist? Ja, das geht in Frankreich. In dieser Folge befasse ich mich ein wenig mit der Verfassung der Fünften Republik und mit dem Weg in den Sozialismus, den Frankreich mit dem neuen Kabinett wieder einmal einschlägt.
Ich kenne viele Kabinettsmitglieder - offen gesagt - kaum bis gar nicht.
Einige Anmerkungen: - Manuel Valls finde ich nicht schlecht. Zumindest halte ich ihn für einen der Vernünftigeren in der neuen Regierung. Ich hätte ihn mir aber in einem ökonomischen Ressort gewünscht. - Frau Vallaud-Belkacem habe ich ein paar Mal im Fernsehen gesehen. Sie war ja Pressesprecherin für die Kampagne von Hollande oder so etwas. Da kam sie - abgesehen von ihrer politischen Überzeugung - ziemlich sympathisch rüber. Dazu ist sie auch noch recht attraktiv. Bref, die neue Rachida Dati als attraktive und (hoffentlich) intelligente Frau maghrebinischer Abstammung in der Regierung. - Laurent Fabius finde ich hingegen unerträglich. Ich kann mir auch vorstellen, dass Hollande ihn aus strategischen Gründen in die Regierung genommen hat. Immerhin hat Hollande ja bei der EU-Abstimmung versucht, die "Ja-Kampagne" zu organisieren und Fabius hat sich seinerzeit in gewissem Sinne auch auf seine Kosten profiliert. Das Außenministerium wäre dann halt so ein Zuckerl in dem Sinne, dass man Fabius ein nur scheinbar wichtiges Ministerium anvertraut, ihn aber zur Loyalität gegenüber der Regierung verpflichtet hätte.
Zitat von FTT_2.0- Frau Vallaud-Belkacem habe ich ein paar Mal im Fernsehen gesehen. Sie war ja Pressesprecherin für die Kampagne von Hollande oder so etwas. Da kam sie - abgesehen von ihrer politischen Überzeugung - ziemlich sympathisch rüber. Dazu ist sie auch noch recht attraktiv. Bref, die neue Rachida Dati als attraktive und (hoffentlich) intelligente Frau maghrebinischer Abstammung in der Regierung.
Das war auch meine Assoziation, lieber FTT; wobei Sarkozy/Fillon an Dati ja nicht nur Freude gehabt haben, wenn ich mich recht erinnere. - Und Christiane Taubira wäre dann die neue Rama Yade?
Zitat von FTT_2.0- Laurent Fabius finde ich hingegen unerträglich. Ich kann mir auch vorstellen, dass Hollande ihn aus strategischen Gründen in die Regierung genommen hat. Immerhin hat Hollande ja bei der EU-Abstimmung versucht, die "Ja-Kampagne" zu organisieren und Fabius hat sich seinerzeit in gewissem Sinne auch auf seine Kosten profiliert.
Aus meiner Sicht wollte er einen harten Profi im Außenministerium haben, für den Kampf gegen Merkels Europapolitik. Einen, der nicht nur mit allen Wassern gewaschen ist, sondern dessen Beziehung zu Europa ungefähr derjenigen eines Fuchses zur Gans entspricht.
Mir ist schon klar, dass Frankreich ein sehr spezielles politisches System hat.
Mir will aber dennoch die politische Weisheit nicht einleuchten, wenn ein Präsident seine neue Regierung vor der Parlamentswahl ernennt.
Denn aus dem Parlamentswahlergebnis ergeben sich doch gewisse Abhängigkeiten. Will der Präsident eine stabile Regierung, dann braucht er im Parlement eine Mehrheit für diese Regierung. Also muss er ggf. mehrere Parteien in die Regierung einbinden. So lange er nicht weiß, wie das Parlament zusammengesetzt ist, kann er dies aber doch eigentlich gar nicht seriös entscheiden. Ist er z.B. in Zukunft auf die Stimmen der Grünen angewiesen? Falls ja, wäre ein Ministerposten für die Grünen doch wohl sinnvoll. Oder hat er womöglich eine knappe absolute Parlamentsmehrheit für PS? In diesem Fall wäre es dann aber wichtig, alle Flügel der PS gut in der Regierung abzubilden um deren Zustimmung zu sichern.
Zitat von ZettelAus meiner Sicht wollte er einen harten Profi im Außenministerium haben, für den Kampf gegen Merkels Europapolitik. Einen, der nicht nur mit allen Wassern gewaschen ist, sondern dessen Beziehung zu Europa ungefähr derjenigen eines Fuchses zur Gans entspricht.
Was ja jetzt nicht so verkehrt ist. Außerdem ist anzunehmen, dass sich Fabius mit Angela Merkel besser verstehen wird als mit Guido Westerwelle.
Zitat von FlorianMir will aber dennoch die politische Weisheit nicht einleuchten, wenn ein Präsident seine neue Regierung vor der Parlamentswahl ernennt.
Zunächst gibt es einen formalen Grund, lieber Florian. Am 10. Mai, nach dem Sieg Hollandes, hat das Kabinett Fillon demissioniert. Fillon blieb zwar geschäftsführend im Amt. Aber mit der passation des pouvoirs an Hollande am vergangenen Dienstag hätte es die Situation gegeben, daß der Staatspräsident keine Regierung seines Vertrauens hat, und die Regierung keinen Staatspräsidenten ihres Vertrauens. Das hat Hollande mit der Ernennung des neuen Premiers beendet.
Sodann drückt sich darin eben auch die Verfassungslage aus. Die Regierung ist dem Präsidenten verantwortlich, nicht dem Parlament. Dessen einziges Recht ist es, sie zu stürzen, wenn es das will und kann.
Zitat von FlorianDenn aus dem Parlamentswahlergebnis ergeben sich doch gewisse Abhängigkeiten. Will der Präsident eine stabile Regierung, dann braucht er im Parlement eine Mehrheit für diese Regierung. Also muss er ggf. mehrere Parteien in die Regierung einbinden.
Er hat angekündigt, daß jeder jetzt ernannte Minister entlassen wird, wenn er bei den législatives nicht in die Nationalversammlung gewählt wird. So geschah es vor fünf Jahren, wenn ich mich recht erinnere, Alain Juppé, der aber bald wieder zurückkehrte.
Im Geist der Verfassung der Fünften Republik sieht die Lage so aus: Das Land hat jetzt eine Regierung. Kommt am 3. und 10. Juni eine Mehrheit zustande, die in der Lage ist, sie zu stürzen, dann wird sie das tun. Dann gibt es einen rechten Premier und eine neue Kohabitation. Wenn nicht, hat die Nationalversammlung keine Möglichkeit, die Zusammensetzung der Regierung zu beeinflussen.
Das, was wir kennen - Rücksicht auf Regionen, auf die Koalitionspartner, gar einen Koalitionsvertrag -, das gibt es in Frankreich eben nicht.
Die Regierung ist diejenige des Präsidenten, nicht die des Parlaments. Wie ja auch unter der Präsidialverfassung der USA, wo der Kongreß allerdings die ernannten Minister bestätigen muß. Dieses Recht hat die Nationalversammlung nicht.
Zitat von ZettelSodann drückt sich darin eben auch die Verfassungslage aus. Die Regierung ist dem Präsidenten verantwortlich, nicht dem Parlament. Dessen einziges Recht ist es, sie zu stürzen, wenn es das will und kann.
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Die Regierung ist diejenige des Präsidenten, nicht die des Parlaments. Wie ja auch unter der Präsidialverfassung der USA, wo der Kongreß allerdings die ernannten Minister bestätigen muß. Dieses Recht hat die Nationalversammlung nicht.
Das ist insofern zumindest verkürzt, als eine Parlamentskammer, nämlich die Nationalversammlung, der Regierung das Misstrauen aussprechen kann. Eine solche Kompetenz wird in den Politikwissenschaften oft als Unterscheidungskriterium zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Systemen angesehen. Ohne vollkommene Sicherheit würde ich sogar zur Annahme tendieren, dass der Präsident in Frankreich nicht einmal die formale Kompetenz hätte, einen Premierminister zum Rücktritt zu zwingen.
Meines Wissens wird das französische Regierungssystem in der Wissenschaft zumeist entweder als parlamentarisches oder semi-präsidentielles System geführt, nicht aber als präsidentielles System.
Sie schreiben ja nun sehr oft, pointiert und fundiert über Frankreich. Was ich dabei noch nicht herausgefunden habe, ist Ihre persönliche Verhältnis zu diesem Land? Also quasi eine persönliche Beschreibung wie Sie Frankreich empfinden, bzw. was für Sie Frankreich darstellt. Wäre das möglich, dass Sie dieses hier einmal ausführen?
Zitat von ZettelSodann drückt sich darin eben auch die Verfassungslage aus. Die Regierung ist dem Präsidenten verantwortlich, nicht dem Parlament. Dessen einziges Recht ist es, sie zu stürzen, wenn es das will und kann.
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Die Regierung ist diejenige des Präsidenten, nicht die des Parlaments. Wie ja auch unter der Präsidialverfassung der USA, wo der Kongreß allerdings die ernannten Minister bestätigen muß. Dieses Recht hat die Nationalversammlung nicht.
Das ist insofern zumindest verkürzt, als eine Parlamentskammer, nämlich die Nationalversammlung, der Regierung das Misstrauen aussprechen kann.
Ja, das habe ich ja betont, lieber FTT.
Zitat von FTT_2.0Eine solche Kompetenz wird in den Politikwissenschaften oft als Unterscheidungskriterium zwischen parlamentarischen und präsidentiellen Systemen angesehen.
Ich bin kein Politologe, vermute aber, daß wie in den meisten Wissenschaften solche Definitionen und Abgrenzungen ziemlich beliebig sind. Es gibt sehr unterschiedliche Abstufungen in der Machtverteilung zwischen Präsident und Parlament, und irgendwo muß man eben eine definitorische Grenze ziehen.
Bei der Fünften Republik kommt hinzu, daß die Verfassung von 1958 ganz auf de Gaulle zugeschnitten war. Dann hat sich teils die Verfassungswirklichkeit verändert, teils wurden auch formale Änderungen vorgenommen, wie die Ersetzung des septennats durch das quinquennat (also die Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten).
Der Fall der Kohabitation war in der Verfassung überhaupt nicht vorgesehen; aber alle cohabitations haben ja ganz gut funktioniert.
Zitat von FTT_2.0 Ohne vollkommene Sicherheit würde ich sogar zur Annahme tendieren, dass der Präsident in Frankreich nicht einmal die formale Kompetenz hätte, einen Premierminister zum Rücktritt zu zwingen.
In der Tat sieht die Verfassung nur vor, daß der Premier die Demission seines Kabinetts einreicht. Bisher hat das allerdings noch jeder Premier getan, von dem der Präsident das verlangte. Ein Verfassungskonflikt, wenn er sich weigert, wäre sicher eine interessante Sache.
Zitat von FTT_2.0Meines Wissens wird das französische Regierungssystem in der Wissenschaft zumeist entweder als parlamentarisches oder semi-präsidentielles System geführt, nicht aber als präsidentielles System.
Wenn ich mich nicht täusche, hatten wir genau diese Diskussion schon einmal. Wenn die Wissenschaft das tut, soll es mir recht sein, lieber FTT. Ich will mich doch nicht in den Streit der Politologen einmischen!
Wenn ich die französische Verfassung eine Präsidalverfassung nenne, dann mit Bezug auf die parlamentarischen Systeme im übrigen Europa. Soweit ich sehe, hat nirgends der Präsident soviel Macht wie in Frankreich. Vergleichbar ist die Macht Putins, dh die nominelle (die faktische ähnelt eher der eines Diktators).
Zitat von destelloSie schreiben ja nun sehr oft, pointiert und fundiert über Frankreich. Was ich dabei noch nicht herausgefunden habe, ist Ihre persönliche Verhältnis zu diesem Land? Also quasi eine persönliche Beschreibung wie Sie Frankreich empfinden, bzw. was für Sie Frankreich darstellt. Wäre das möglich, dass Sie dieses hier einmal ausführen?
Hm, hm.
Ich habe in Gesprächen mit Franzosen oft so etwas wie eine gegenseitige Faszination zwischen den Kulturen festgestellt. Mich fasziniert das Lateinische; die Klarheit von Descartes, die gemeißelte Sprache von Flaubert, seines Schülers Maupassant. Viele Franzosen fasziniert gerade die deutsche Romantik, Nietzsche, Heidegger. Ernst Jünger wird in Frankreich vermutlich besser gekannt und ganz sicher höher geschätzt als in Deutschland.
Nicolas Sarkozy bewundert die deutsche Effizienz und unseren Pragmatismus. Als Deutscher kann man die französische Würde und Selbstsicherheit bewundern. Sehen Sie sich an, in welcher baulichen Umgebung Hollande die Kanzlerin empfangen wird, mit welchem Zeremoniell - und wie umgekehrt er in Berlin empfangen wird.
Die deutsche Bewunderung für Frankreich ist natürlich alt; sie hat etwas mit dessen kulturellem Vorsprung im 17. und 18. Jahrhundert zu tun. Friedrich der Große sprach und schrieb bekanntlich besser Französisch als Deutsch und bewunderte den Windbeutel Voltaire, der ihn schmählich hinterging.
Ich habe kürzlich Eckermanns Gespräche mit Goethe gelesen. Auch Goethe war noch perfekt in Französisch (wie später auch zB noch Bismarck) und benutzte diese Sprache gern. Er war ein Bewunderer Napoléons und hat sich bis an sein Lebensende eingehend mit französischer Literatur befaßt.
Ich kennen nur einen der Großen, der nichts mit der französischen Sprache anfangen konnte: Schopenhauer. Er sprach perfekt Französisch, verabscheute die Sprache aber geradezu. Dabei hatte er sie als Kind gelernt, während der zwei Jahre, in denen er als Neun- bis Elfjähriger in Le Havre lebte, in der Familie eines Geschäftsfreunds seines Vaters.
Da Sie mich persönlich fragen: Außer dieser engen Beziehung zur französischen Kultur mag ich auch das Übliche - Paris, das Essen, alle Küsten des héxagone, die causses.
Zitat von FTT_2.0 Ohne vollkommene Sicherheit würde ich sogar zur Annahme tendieren, dass der Präsident in Frankreich nicht einmal die formale Kompetenz hätte, einen Premierminister zum Rücktritt zu zwingen.
Zitat von ZettelIn der Tat sieht die Verfassung nur vor, daß der Premier die Demission seines Kabinetts einreicht. Bisher hat das allerdings noch jeder Premier getan, von dem der Präsident das verlangte. Ein Verfassungskonflikt, wenn er sich weigert, wäre sicher eine interessante Sache.
Vermutlich wird das analog unserem konstruktivem Mißtrauensvotum sein. Wenn der Staatspräsident einen neuen Premierminister bzw. ein neues Kabinett einsetzt ist das alte damit automatisch draußen. Ist ja irgendwie auch logisch. Ansonsten hätten die Leute die die Verfassung geschrieben haben den Punkt glatt vergessen.
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