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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 7 Antworten
und wurde 1.225 mal aufgerufen
 Dies und Jenes
FAB. Offline



Beiträge: 523

06.06.2012 22:16
The martians stared back up at them for a long, long silent time... Antworten

Alt fühlt man sich, wenn die Helden der eigenen Jugend irgendwann alle tot sind.
Asimov und Heinlein sind's ja schon seit langem, Lem seit ein paar Jahren auch.
Jetzt ist Ray Bradbury gestorben.

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Für eine demokratische Deutsche Republik!

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

07.06.2012 20:47
#2 RE: The martians stared back up at them for a long, long silent time... Antworten

Aber daß Bradbury, wie die FAZ im verlinkten Artikel sich selbst zitiert, "die Science Fiction intellektualisiert" habe, dürfte wohl für alle Kenner des Genres eine Überraschung darstellen. Um mit Brian Aldiss zu sprechen: dieses Metier tangiert zu zwei Extremen: dem "rational pole", dem kalten, berechnenden Intellektualismus, dem ingenieursmäßigen Denken, und dem "dreaming pole" mit ungebremster Romantik, den entgrenzten Eintauchen in die Schauer des Atavistischen, und der Nostalgie nach der Kinderzeit, als die Sommer endlos waren und im Wanderzirkus wirkliche Fabelwesen auftraten. Zu welcher Fraktion Bradbury zählt, ist jedem Leser von "The Illustrated Man" oder "Dandelion Wine" wohl klar. Für Leser zwischen 10 und 15 kann das eine Offenbarung sein (wenn auch vielleicht heute nicht mehr so wie vor 50 oder 60 Jahren); gleichzeitig zählt Bradbury zu den Autoren, bei denen eine re-relecture aus dem Abstand von 30 oder 40 Jahren eine herbe Enttäuschung darstellt. Hinzu kommt, daß auch geneigte Leser den Eindruck hatten, Bradbury habe, eigentlich seit Mitte der 50er Jahre, nur noch schwache Parodien seiner früheren Werke abgeliefert (die beiden homages an Chandler/Hammett, Death is a Lonely Business & A Graveyard for Lunatics, waren Ausnahmen: "the best books RB has written for 30 years"). Wenn er, hier-&-heute, Lesern noch gegenwärtig, ist, dann weil Fahrenheit 451 z.T. noch Schullektüre ist - ein in jeder Hinsicht für ihn untypisches Werk.

FAB. Offline



Beiträge: 523

07.06.2012 22:47
#3 RE: The martians stared back up at them for a long, long silent time... Antworten

Zitat
Aber daß Bradbury, wie die FAZ im verlinkten Artikel sich selbst zitiert, "die Science Fiction intellektualisiert" habe, dürfte wohl für alle Kenner des Genres eine Überraschung darstellen.


Ja sicherlich, der zweite Punkt in dem genannten Satz trifft weitaus eher. Er war ein hoffnungsloser Romantiker ... oder, aus dem Gedächtnis von irgendeinem Klappentext zitiert: "Ein Raumfahrer mit einem Strohhut".
Gleichwohl oder grade drum möchte ich ihn nicht missen.

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Für eine demokratische Deutsche Republik!

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

08.06.2012 01:19
#4 RE: The martians stared back up at them for a long, long silent time... Antworten

Archetypisch läßt sich die romantische Ausrichtung Bradburys an der vielleicht bekanntesten Erzählung aus den "Marschroniken" zeigen: der von der "dritten Expedition"; bei der Erstveröffentlichung noch "Mars Is Heaven".
(Nb. für Nicht-Bradbury-Leser: das Motto "the martians stared back..." bildet das Ende des letzten "Chronik"-Eintrags, "The Million-Year Picnic").
http://en.wikipedia.org/wiki/Mars_is_Heaven!
Da landet eine amerikanische Expedition, in der Erstfassung 1960, im Buch im April 2000, auf dem Mars - und stellt fest: da sieht es genau so aus wie im amerikanischen Mittelwesten zu ihrer Kindheit, samt Mutters apple pie und Tätärätää-Begrüßungskapelle - und die hartgesottenen Raumhelden sind hin-&-weg; bis sie erschöpft in der Falle liegen und der nagende Zweifel doch noch einsetzt: hier ist doch was oberfaul?
Ein Autor oder Herausgeber von der "technizistischen" Seite hätte als erstes gefragt: wenn die Marsianer den Erdlingen schon alles vorgaukeln können, was veranstalten sie solch einen langwierigen Zirkus? Kein Wunder, daß Bradbury bei dem SF-Herausgeber der 40er-Jahre, John W. Campbell, Jr., nie landen konnte; der stellte nämlich fortwährend genau solche Fragen.

FAB. Offline



Beiträge: 523

21.11.2012 09:20
#5 Leaving the 20th Century Antworten

Wir verlassen das 20. Jahrhundert, oder vielmehr, es verläßt uns ... nun ist mit Boris Strugatzki ein weiterer wesentlicher (wenn auch von Bradbury aus gesehen eher "at the other end of the galaxy" angesiedelter) Vertreter gestorben.

Was mich zu der Frage bringt, gibt es aktuelle phantastische Literatur, deren Autoren man für dieses Jahrhundert eine ähnliche Statur zusprechen würde wie einem Lem oder den Strugatzkis im letzten? Vorschläge?

Frank Böhmert Offline




Beiträge: 927

21.11.2012 09:37
#6 RE: Leaving the 20th Century Antworten

Zitat von FAB. im Beitrag #5
Was mich zu der Frage bringt, gibt es aktuelle phantastische Literatur, deren Autoren man für dieses Jahrhundert eine ähnliche Statur zusprechen würde wie einem Lem oder den Strugatzkis im letzten? Vorschläge?

Eine Antwort fällt mir schwer. Zum einen besaßen Lem und die Strugatzkis schon allein mit dem Leben in kommunistischen Diktaturen eine Sonderstellung. Zum anderen hatten sie ja bereits ihren Lauf - im Gegensatz zu jungen Autoren, die erst zwei, drei, vier Bücher vorgelegt haben. Da kann man nur ahnen, ob ihr Schaffen einmal groß genannt werden wird.

Ein paar Namen, die unter SF-Lesern hoch gehandelt werden, sind jedenfalls:
William Gibson, Iain Banks, Ian McDonald, Neal Stephenson. Und natürlich und über allen thronend Thomas Pynchon.
Die haben aber alle schon im 20. Jahrhundert angefangen.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

21.11.2012 11:08
#7 RE: Leaving the 20th Century Antworten

Das Interessante ist, daß sowohl William Gibson (der nach 30 Jahren Autorenschaft und mit 64 immer noch als eine Art "newcomer" gilt) und Neal Stephenson, auch nach eigenem Bekunden, "eigentlich" keine Science Fiction schreiben; sie kommen nur aus dem Bereich her und benutzen die Stilmittel des Genres: aber im Grunde liefern sie verfremdete, leicht versetzte Porträts der Gegenwart.
Der britische Kritiker Paul Kincaid hat vor 2 Monaten in seinem Aufsatz "The Widening Gyre" für die Los Angeles Review of Books, in einer Sammelbesprechung mehrerer "Year's Best"-Anthologien, eigentlich recht summarisch das Ende des Genres konstatiert. (Man muß dabei wissen,daß er das seit 30 Jahren immer wieder tut). Es wird zwar noch eifrig produziert. Aber im Gegensatz zu früheren Generationen "glauben die Autoren nicht mehr an ihre Szenarien": galaktische Imperien und Zeitreisen sind literarische Spielmarken, an die Autor & Leser so wenig glauben wie an die Bewohner Lilliputs und Brobdingnags; wo Ausblicke in tatsächlich Bevorstehendes gewagt werden, gilt, seit gut 40 Jahren übrigens, flächendeckend "apres nous le deluge": die Verheerung der Erde, der Zusammenbruch . Secundum non datur. Selbst wenn man diese Vision teilt: als literarische Dauerdiät ist das unbekömmlich. Dazu kommt, daß mittlerweile alle Varianten, Konstellationen & Abzweige aller denkbarer Themen durchdekliniert worden sind. Wer sich heute dieser modi bedient, erzählt Geschichten zweiter & dritter Ordnung (eine weitere Folge: die Tropen dieser Texte sind anderen Texten entnommen, nicht wissenschaftlichen Spekulationen: wenn ich "alien" sage, beziehe ich mich auf die allseits geläufigen monstri, nicht auf Szenarien, wie nach dem Stand des Wissens andere Lebensformen und -bedingungen möglich sein möchten). Es mag einzelne Texte geben, die "zünden", d.h. allgemein gelesen, weitergereicht & zum Allgemeingut werden (Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie, 1992-96, ist das so gegangen); aber eine Prägung ganzer Lesergenerationen wie durch die "Klassiker", ob nun Asimov, Lem, oder zuletzt Gibson wird wohl nicht mehr stattfinden. Das ist wie in der Popmusik: die Grundierung ganzer Hörergenerationen auf einen "Sound", wie durch die Beatles oder die Stones: das war eine vorübergehende Phase.

Es ist vielleicht bezeichnend, daß der Roman, der in diesem Jahr mit den beiden großen Literaturpreisen des Genres ausgezeichnet wurde, Jo Waltons Among Others, kein SF-Roman ist, sondern ein strikt mimetisch gehaltener Bildungsroman, dessen Protagonist nur eine fanatische SF-Leserin ist, die das frühe Thatcher-England & das Weltgeschehen in Sachen Falklandkrieg & NATO-Doppelbeschluß (huh: Atomtod!) durch die Brille des Nerds sieht & deren sich ausweitende Lektüreerfahrungen das Erwachsenwerden noch stärker grundieren als sex, drugs, & punk music .

Frank Böhmert Offline




Beiträge: 927

21.11.2012 11:18
#8 RE: Leaving the 20th Century Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #7
Es ist vielleicht bezeichnend, daß der Roman, der in diesem Jahr mit den beiden großen Literaturpreisen des Genres ausgezeichnet wurde, Jo Waltons Among Others, kein SF-Roman ist, sondern ein strikt mimetisch gehaltener Bildungsroman, dessen Protagonist nur eine fanatische SF-Leserin ist, die das frühe Thatcher-England & das Weltgeschehen in Sachen Falklandkrieg & NATO-Doppelbeschluß (huh: Atomtod!) durch die Brille des Nerds sieht & deren sich ausweitende Lektüreerfahrungen das Erwachsenwerden noch stärker grundieren als sex, drugs, & punk music .

Deutsche Ausgabe übrigens seit kurzem bei Golkonda in Vorbereitung. O-Ton Hannes Riffel: "Im kommenden Frühjahr wird bei uns der Roman erscheinen, der brandaktuell mit dem Hugo Award, dem Nebula Award und dem British Fantasy Award ausgezeichnet wurde, und zwar Among Others von Jo Walton, eine wunderschöne Geschichte über ein Mädchen, das an Magie glaubt und vor der nicht immer angenehmen Wirklichkeit in phantastische Bücherwelten flüchtet. Ich bin schon fleißig am Übersetzen, und auch wenn das sehr knapp wird, hoffen wir, die deutsche Ausgabe Mitte März auf der Leipziger Buchmesse präsentieren zu können."
http://golkonda-verlag.de/

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