Wenn schon Sozialspychologie, dann wäre ein anderer Aspekt der Frühzeit des Fernsehens vielleicht eine Betrachtung wert: Die soziale Funktion des Besitzes eines Fernsehgeräts.
In den fünfziger Jahren war man als Normalbürger durch zweierlei privilegiert: Wenn man Telefon hatte, und wenn man Fernsehen hatte.
Telefon war eine sozial zweischneidige Sache, denn jeder erwartete von dem betreffenden Nachbarn, sein Telefon der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Wenn man mit Oma oder Tante in einem Mietshaus telefonieren wollte, dann rief man den Telefonbesitzer an und bat ihn, sie doch bitte einmal ans Telefon zu holen; auch wenn sie ein paar Stockwerke tiefer wohnte. Das war der Privilegierte sozusagen der Gemeinschaft schuldig.
Wer als Einziger einen Fernseher hatte, der war hingegen fein raus. Eine verwitwete Rentnerin investierte etwa ihr ganzes Erspartes in ein TV-Gerät und war hinfort von ihrer Einsamkeit erlöst. Sie stellte Abends vor der Tagesschau vor ihrem Fernseher einige Stuhlreihen auf, und es fanden sich die Nachbarn zum Fernsehabend ein. Brachten vielleicht etwas zu Trinken und zu Knabbern mit, unterhielten sich mit ihr. Alterseinsamkeit kannte so jemand nicht.
In dem Zitat ist nach meiner Meinung genau dieser Satz Blödsinn: »In beiden Fällen möchte man seine Emotionen nicht allein auf dem Sofa erleben.«
Aus vielen Berichten über die WM 1954 glaube ich aber herausgelesen zu haben, dass es ein großes Kollektivgefühl gegeben haben muss. Nach dem Titel haben damals die Massen »ihre« Spieler und »ihren« Trainer bejubelt.
Hatte der WM-Sieg eine soziale Funktion? Das wäre schon ein interessantes Thema für die Diskussion.
Zitat von stefanolixHatte der WM-Sieg eine soziale Funktion? Das wäre schon ein interessantes Thema für die Diskussion.
Ich vermute, lieber Stefanolix, daß er endlich wieder etwas war, worauf man als Deutscher stolz sein konnte. Das war, glaube ich, der Grund für die ungeheure Begeisterung.
Gestern habe ich bei Phoenix einen Bericht gesehen, in dem auch jemand zu Wort kam, der damals politischer Gefangener in der DDR war. Völlig unerwartet wurden den Häftlingen erlaubt, die Rundfunkübertragung zu hören.
Der Zeitzeuge vermutet: Es war allgemein mit einem Sieg der sozialistischen Ungarn über die kapitalistischen Westdeutschen gerechnet worden. Dieser sollte den Häftlingen zu Erziehungszwecken vorgeführt werden.
Aus frühen DDR Tagen erinnere ich mich an die opulenten Beisetzungsfeierlichkeiten (sagt man so?) für Pius XII im Fernsehen und an den "Straßenfeger" Soweit die Füße tragen, wobei sich die gesamte Nachbarschaft einfand. Ach ja :)
Rudelgucken WM-Finale 1966 in Italien (vor einem kleinen Hotelfernseher in einem kleinem Zimmer mit ca. 30 Leuten)
Wembleytor "das 3:2"...der RAI-Reporter sagte "Angolo" =Ecke. Der Ball war nicht drin, auch wenn der aserbaidschanische Linienrichter, nach dem heute das Zentralstadion in Baku benannt ist, auf Tor für England entschied.
>>>> Sit intra te concordia et publica felicitas >>>>
Kalte, rationale Logik. Pfui. Wie technisch, wie herzlos. Nein, es muss die Psychologie sein. 'Und wie fuehlen Sie sich, als sie den Siegtreffer erziehlten?' - Klingt viel mystischer, viel kultischer, viel tiefgruendiger.
Was hingegen ist die Logik hinter dem 'public viewing' heute? Fussball im Pub zu schauen kam meiner Erinnerung nach in D. auf, als die Champions League erstmals im Pay-TV lief. Das hatte man nicht zuhause, so ist man in die naechstgelegene Fussballkneipe gegangen. Heute hat freilich jeder Gastwirt einen Fernseher, auch wenn Fussball wieder im OeR lauft.
Zitat von ZettelGestern habe ich bei Phoenix einen Bericht gesehen, in dem auch jemand zu Wort kam, der damals politischer Gefangener in der DDR war. Völlig unerwartet wurden den Häftlingen erlaubt, die Rundfunkübertragung zu hören.
Der Zeitzeuge vermutet: Es war allgemein mit einem Sieg der sozialistischen Ungarn über die kapitalistischen Westdeutschen gerechnet worden. Dieser sollte den Häftlingen zu Erziehungszwecken vorgeführt werden.
Es wurden ja auch die DDR-Radioreporter diesbezüglich instruiert, wie sich der 2004 verstorbene Wolfgang Hempel erinnerte:
KLar, wenn man ein Hammer ist, sieht man nur Nägel. Als Psycholog' sieht man eben nur psychische Hintergründe. Geht uns doch allen so, dass man sämtliche Phänomene mit der eigenen Brille wahrnimmt. Ebenso selten wird man sich der Brille bewusst - der eine öfter, der andere nie.
Zitat von KrischanKLar, wenn man ein Hammer ist, sieht man nur Nägel. Als Psycholog' sieht man eben nur psychische Hintergründe. Geht uns doch allen so, dass man sämtliche Phänomene mit der eigenen Brille wahrnimmt. Ebenso selten wird man sich der Brille bewusst - der eine öfter, der andere nie.
Wenn man aber, lieber Krischan, etwas über die Fernsehgewohnheiten im Jahr 1954 behauptet und nicht erst einmal nachsieht, wie es denn damals mit dem TV in Deutschland bestellt war - dann ist das nicht eine Brille, die man aufhat, sondern eher so etwas wie eine Schlafbrille.
Vor einiger Zeit habe ich gar gelesen, die Deutschen hätten die Krönung von Elizabeth II im TV verfolgt - und zwar in Farbe!
Zitat von ZettelVor einiger Zeit habe ich gar gelesen, die Deutschen hätten die Krönung von Elizabeth II im TV verfolgt - und zwar in Farbe!
Man sollte das nicht so verbissen sehen. Wenn Goethe zusah wie das Gebiet hinter dem Bahnhof verändert wurde und Schopenhauer vor dem Hamsterrad warnte, dann konnten auch die Leute 1953 Farbfernsehen.
Zitat von ZettelVor einiger Zeit habe ich gar gelesen, die Deutschen hätten die Krönung von Elizabeth II im TV verfolgt - und zwar in Farbe!
Man sollte das nicht so verbissen sehen. Wenn Goethe zusah wie das Gebiet hinter dem Bahnhof verändert wurde und Schopenhauer vor dem Hamsterrad warnte, dann konnten auch die Leute 1953 Farbfernsehen.
Bei Goethe meinen Sie den Patzer von Fritz J. Raddatz, woraufhin ihn die Gräfin feuerte (der Link funktioniert leider nicht; ich weiß nicht, warum)?
Aber was Safranski angeht - gab es denn zur Zeit Schopenhauers noch keine Hamsterräder?
Die in Farbe übertragene Krönung - das stand übrigens in Bettina Röhls sehr lesenswertem Buch über Ulrike Marie Meinhof.
Zitat von ZettelAber was Safranski angeht - gab es denn zur Zeit Schopenhauers noch keine Hamsterräder?
Erst seit 1930, wie Michael Miersch auf der Achse ausführte. Streng wies er dort Safranski zurecht:
Zitat Safranskis Hamster ist so frei erfunden wie Raddatz‘ Bahnhof.
Ich mochte das nicht so recht glauben und schrieb ihm:
Zitat Lieber Herr Miersch,
ganz frei erfunden hat Safranski das Zitat mit dem Hamster im Rade wohl nicht.
Schopenhauer schrieb in "Die Welt als Wille und Vorstellung":
"Kant zeigte jene Gesetze, und folglich die Welt selbst, als durch die Erkenntnißweise des Subjekts bedingt; woraus folgte, daß, soweit man auch am Leitfaden jener weiter forschte und weiter schlösse, man in der Hauptsache, d.h. in der Erkenntniß des Wesens der Welt an sich und außer der Vorstellung, keinen Schritt vorwärts käme, sondern nur sich so bewegte, wie das Eichhörnchen im Rade."
Ich mochte das nicht so recht glauben und schrieb ihm:Zitat:Lieber Herr Miersch,
ganz frei erfunden hat Safranski das Zitat mit dem Hamster im Rade wohl nicht.
Meine Vermutung ging damals in eine ähnliche Richtung, worauf meine Mail an Herrn Miersch (15. Okt. '11) lautete:
"Der Schopenhauersche Hamster dürfte seinen Ursprung in einer Stelle in der "Reise durch England und Schottland" haben - allerdings von Johanna Schopenhauer: "Stirling besitzt viele Fabriken, sehr schöne Teppiche aller Art werden hier gemacht; auch das vielfarbige, gewürfelte Wollenzeuch, worin die Bergschotten sich kleiden. Wir besahen eine dieser Fabriken und waren aufs neue gezwungen, den erfindungsreichen Geist zu bewundern, welcher in diesem Lande alle Arbeiten auf so mannigfaltige Weise vereinfacht und erleichtert. Als zuvor noch nie gesehen bemerkten wir hier eine Maschine, mit welcher ein Mädchen mehr als fünfzig Spulen Wolle zugleich abhaspelte. Die Spulen waren in einem großen Zirkel nebeneinander befestigt, und der Faden jeder dieser Spulen an die darüber stehende sehr große Haspel gebunden; das Mädchen setzte mittelst eines Rades die sehr einfache Maschine auf das zweckmäßigste und mit der größten Leichtigkeit in Bewegung. "Auch die Hunde werden hier zur Industrie gezwungen. Wir sahen einen sehr schönen großen Hund, welcher in einem Rade herumsteigen mußte, wie ein Eichhörnchen, um eine Mühle zur Reibung der Farben zu treiben. Diese Arbeit schien ihn aber nicht sonderlich zu amüsieren, er nahm seinen Augenblick wahr und entwischte mit unglaublicher Behendigkeit, gerade wie er uns seine Künste vormachen mußte. Jung und alt lief mit großem Geschrei hinter ihm her, aber er entkam glücklich seinen Verfolgern zu unserer großen Freude und zum großen Leidwesen seines Herrn." (Abschnitt "Schottland")
Durchaus möglich, daß Sohn Arthur die Stelle irgendwo in der Welt als Wille und Vorstellung ("die Welt als billige Vorstellung" lt. Arno Schmidt) oder den Parerga und Paralipomena anführt, mit einem Dreh ins Allegorische. Kann sein, daß ihn das an Buddha und die Wiedergeburt erinnerte. Meine alte Ausgabe hat kein Sachregister ("Hund, am Rad drehend, sh. Samsara"), und die elektrischen Suchhunde nahmen so eilig keine Spur auf. Safranski dürfte die Stelle im Hinterkopf gehabt haben und beim "Rotieren im Rad" eben Hamster assoziiert haben. DAS also war des Pudels Kern. Nb. sollte man sich vielleicht an Schopenhauers Grausen erinnern: nicht daß nach seinem Tod sein Leib den Würmern zum Fraß falle, sondern sein Geist den deutschen Philosophen."
Das Eichkatz dürfte aber die wahrscheinlichere Quelle sein.
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