Interessanterweise gibt es weitaus detailliertere Untersuchungen aus den USA, die eher ein Gegenteil belegen - viele Leute bezeichnen sich als Christen, als gläubig, als "born again", allerdings weitestgehend auf Grund gesellschaftlichen Druckes. Die "private" Überzeugung sowie das gelebte Verhalten ist eine andere.
Die Settings solcher Untersuchungen sind sehr aufwändig und trickreich, ich erinnere mich, bei "USA erklärt" einen längeren Beitrag darüber gelesen zu haben.
Der Unterschied liegt wohl mehr in der öffentlichen Akzeptanz von Nicht-Glauben.
Mich erstaunen eher die 34,7 % der gläubigen Ostdeutschen, zumindestens was meine Erfahrungen im Familien-, Bekannten-, Freundes- und Kollegenkreis angeht, eine nicht nachzuvollziehend hohe Quote. Es gibt zwar flächendeckend religiöse Enklaven im Eichsfeld und im Siedlungsgebiet der Sorben, aber auf das große Ganze betrachtet... Es würde sich unter anderem noch die Frage stellen, wie das ehemalige West-Berlin mit seinem hohen Muslim-Anteil in so eine Religionsstatistik mit einfliesst.
Das dürfte hinkommen. "Erklärte" Gläubigkeit und tatsächlicher Glauben an irgendeinen Gott sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Zudem muß ich sagen, das ich es weitaus eher positiv finde (eine der relativ wenigen Sachen, die ich an D. im Vergleich mit U. positiv finde), das bei derartigem Geschehen nicht in Kategorien irgendeines Götterwillen gedacht wird.
Der Glaube an Gott schützt einen Menschen leider nicht vor dem Glauben an selbstzerstörische Ideolgien wie den Kommunismus. Das wäre dann wohl doch etwas zu einfach. Die sich aus dem Sündenfall ergebende Erkenntnis schließt auch die nach der Willensfreiheit des Menschen ein. Somit ist es nicht nur für einen Agnostiker wie mich fraglich, ob Gott jeden einzelnen Menschen lenkt. Für mich liegt die Lösung des Problems der Theodizee in der Entwicklung des Menschen, um nicht zu sagen: In der Evolution.
Aber nicht mehr in diesen Kategorien zu denken ist aus meiner Sicht das eigentliche Problem - die Geringschätzung der Philosophie und Theologie mit der daraus resultierenden Selbstüberschätzung.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #5Der Glaube an Gott schützt einen Menschen leider nicht vor dem Glauben an selbstzerstörische Ideolgien wie den Kommunismus. Das wäre dann wohl doch etwas zu einfach.
Vielleicht nicht zwingend. Aber er kann davor schützen. Jedenfalls würde ich das für mich biographisch so behaupten. Theoretisch müsste er das sogar fast zwingend, denn totalitäre Ideologien vertragen sich nicht mit dem Absolutheitsanspruch des Gottesglaubens.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #5Der Glaube an Gott schützt einen Menschen leider nicht vor dem Glauben an selbstzerstörische Ideolgien wie den Kommunismus. Das wäre dann wohl doch etwas zu einfach.
Vielleicht nicht zwingend. Aber er kann davor schützen. Jedenfalls würde ich das für mich biographisch so behaupten. Theoretisch müsste er das sogar fast zwingend, denn totalitäre Ideologien vertragen sich nicht mit dem Absolutheitsanspruch des Gottesglaubens.
Insbesondere sollte er das in Anbetracht des Atheismus, der Teil des Wesenskerns des Kommunismus ist.
Natürlich vertragen sich abgeschwächte Formen des Sozialismus leider sehr gut mit Religion, siehe extremere Strömungen der Befreiungstheologie oder auch die Deutschen Christen.
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von Krischan im Beitrag #2Interessanterweise gibt es weitaus detailliertere Untersuchungen aus den USA, die eher ein Gegenteil belegen - viele Leute bezeichnen sich als Christen, als gläubig, als "born again", allerdings weitestgehend auf Grund gesellschaftlichen Druckes. Die "private" Überzeugung sowie das gelebte Verhalten ist eine andere.
Die Settings solcher Untersuchungen sind sehr aufwändig und trickreich, ich erinnere mich, bei "USA erklärt" einen längeren Beitrag darüber gelesen zu haben.
Ich habe das jetzt nachzuprüfen versucht, lieber Krischan.
Die dort zitierten Untersuchungen muß man größtenteils kaufen, um sie zu lesen; die von Hadaway et al.1993 kostet beispielsweise 14 Dollar.
Das war mir die Sache nun doch nicht wert. So interessant also der Befund ist - ich weiß nicht recht, wie man ihn deuten soll. Social desirability effect, sicher. Wenn man derartige Angaben mit dem tatsächlichen Verhalten vergleicht, dann findet man solche Diskrepanzen immer wieder. Ein bekanntes Beispiel ist, daß nach Wahlen mehr Menschen angeben, den Wahlsieger gewählt zu haben, als es tatsächlich waren.
Aber was bedeutet das in Bezug auf den Glauben? Könnte es nicht sein, daß Menschen einen häufigeren Kirchenbesuch angeben, als es tatsächlich der Fall ist, weil sie gläubig sind und das zu ihrem Selbstbild gehört?
Sie müssen übrigens - entgegen dem, was in der Überschrift bei "USA Erklärt" steht - nicht unbedingt lügen. Bei solchen Schätzungen vertut man sich oft; natürlich in Richtung auf das Erwünschte.
Zitat Sie müssen übrigens - entgegen dem, was in der Überschrift bei "USA Erklärt" steht - nicht unbedingt lügen. Bei solchen Schätzungen vertut man sich oft; natürlich in Richtung auf das Erwünschte.
Weil's grad so schön passt:
Es gibt eine nette Studie (gefunden via Marginal Revolution; http://arstechnica.com/science/2012/07/i...e-temperatures/). In den USA wurde eine Befragung durchgeführt: "wie hat sich nach Ihrem Empfinden die Temperatur in Ihrer Region in den letzten Jahren verändert?". Ergebnis: Der dominierende Einflussfaktor auf die Antwort auf diese Frage war die politische Orientierung. Je linker die Einstellung des Befragten, umso mehr hat seiner Meinung nach die Temperatur in seiner Region zugenommen.
Zitat von Krischan im Beitrag #2Interessanterweise gibt es weitaus detailliertere Untersuchungen aus den USA, die eher ein Gegenteil belegen - viele Leute bezeichnen sich als Christen, als gläubig, als "born again", allerdings weitestgehend auf Grund gesellschaftlichen Druckes. Die "private" Überzeugung sowie das gelebte Verhalten ist eine andere.
Die Settings solcher Untersuchungen sind sehr aufwändig und trickreich, ich erinnere mich, bei "USA erklärt" einen längeren Beitrag darüber gelesen zu haben.
Ich habe das jetzt nachzuprüfen versucht, lieber Krischan.
Als subjektive Stellungnahme ist hinsichtlich von Krischans Anmerkung vielleicht The Bright Stuff von Dennett interessant.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #5Der Glaube an Gott schützt einen Menschen leider nicht vor dem Glauben an selbstzerstörische Ideolgien wie den Kommunismus. Das wäre dann wohl doch etwas zu einfach.
Vielleicht nicht zwingend. Aber er kann davor schützen. Jedenfalls würde ich das für mich biographisch so behaupten. Theoretisch müsste er das sogar fast zwingend, denn totalitäre Ideologien vertragen sich nicht mit dem Absolutheitsanspruch des Gottesglaubens.
Mit einer skeptischen Haltung, wie ich sie habe, vertragen sie sich auch nicht, lieber Herr.
Ich hatte das unverdiente Glück, nie unter einem totalitären Regime leben zu müssen. Wie ich mich äußerlich verhalten hätte, weiß ich nicht. Vielleicht nicht so konsequent wie Erling Plaethe. Aber was das Denken angeht, hätte mich - glaube ich jedenfalls - die kantianisch-kritische Haltung ebenso davor geschützt, den Ideologen auf den Leim zu gehen, wie Sie das Christentum.
Sehr herzlich, Zettel
(der sich freut, wieder einmal etwas von Ihnen im kleinen Zimmer gelesen zu haben)
Den atheistischen Kommunismus / Sozialismus kann ich nur zögerlich unterschreiben. Von einigen Bannstrahlen in den Schriften abgesehen, scheint mir im ganzen eher eine politische Konkurrenz zwischen Staat und Kirche bestanden zu haben mit einem pragmatischen modus vivendi. Atheismus oder gar (soziologische) Religionsforung war leider ein ganz exotisches Thema (Jena? Ist es heute besser?). Was die hohe Konfessionslosigkeit angeht, trotz Theokratie, da versperrt mir vielleicht persönliche Erfahrung ein glattes Urteil. Nur als heuristischer Ansatz: Wie würden sich die Dinge bei einer, mal angenommenen, Trennung von Staat und Kirche entwickeln? KA
Zitat von Hausmann im Beitrag #12Den atheistischen Kommunismus / Sozialismus kann ich nur zögerlich unterschreiben. Von einigen Bannstrahlen in den Schriften abgesehen, scheint mir im ganzen eher eine politische Konkurrenz zwischen Staat und Kirche bestanden zu haben mit einem pragmatischen modus vivendi.
Sie beziehen sich auf die DDR, lieber Hausmann?
Nach meinem Eindruck - soweit ich das von außen beurteilen konnte - hatte auch dort der Kommunismus seine zwei Seiten, die er überall hat, wo er die Staatsmacht erobert hat: Ideologie und Pragmatismus der Macht.
Die Ideologie darf zwar als solche nicht angetastet werden; aber zugleich ist das oberste Gebot der Machterhalt. Das scheint mir die Janusköpfigkeit jedes kommunistischen Herrschaftssystems zu sein. Am extremsten zeigt sich das gegenwärtig in China, wo meines Wissens nach wie vor kein Abstrich an der reinen Lehre gemacht, zugleich aber der Kapitalismus aufgebaut wird.
Den Kommunisten in der DDR mußte es, nachdem sie von den Sowjets als die Machthaber eingesetzt worden waren, darum gehen, diese Macht in einer Situation zu erhalten und auszubauen, in der die große Mehrheit der Bevölkerung den Kommunismus ablehnte. Also streckte man die Hand nach den alten Nazis aus (die man auch zum Aufbau der NVA brauchte); mit der NDPD gab man ihnen sogar ihre eigene Partei (freilich angeführt von dem Altkommunisten Lothar Bolz). Und also ließ man der Kirche Spielraum, um sie nicht als Gegner zu haben.
Abschaffen konnte man den christlichen Glauben ja nicht (jedenfalls nicht sofort); also war es klug, sich mit der Kirche zu arrangieren; mit einer "Kirche im Sozialismus", die eben ihrerseits bereit war, sich mit dem Staat zu arrangieren.
Was die SED-Strategen möglicherweise nicht bedacht haben, das war die geistige Sprengkraft des Christentums. Im Schoß und im (relativen) Schutz dieser geduldeten Kirche wurde gedacht und diskutiert; entstand so etwas wie die geistige Grundlage der "Wende".
So stellt es ich mir von außen dar. Diejenigen, die es selbst erlebt haben, können es besser beurteilen, und ihre Meinung würde mich interessieren. Ihre, lieber Hausmann, die der anderen, die die DDR erlebt haben.
Zitat von Zettel im Beitrag #13 Den Kommunisten in der DDR mußte es, nachdem sie von den Sowjets als die Machthaber eingesetzt worden waren, darum gehen, diese Macht in einer Situation zu erhalten und auszubauen, in der die große Mehrheit der Bevölkerung den Kommunismus ablehnte. Also streckte man die Hand nach den alten Nazis aus (die man auch zum Aufbau der NVA brauchte); mit der NDPD gab man ihnen sogar ihre eigene Partei (freilich angeführt von dem Altkommunisten Lothar Bolz). Und also ließ man der Kirche Spielraum, um sie nicht als Gegner zu haben.
Abschaffen konnte man den christlichen Glauben ja nicht (jedenfalls nicht sofort); also war es klug, sich mit der Kirche zu arrangieren; mit einer "Kirche im Sozialismus", die eben ihrerseits bereit war, sich mit dem Staat zu arrangieren.
Was die SED-Strategen möglicherweise nicht bedacht haben, das war die geistige Sprengkraft des Christentums. Im Schoß und im (relativen) Schutz dieser geduldeten Kirche wurde gedacht und diskutiert; entstand so etwas wie die geistige Grundlage der "Wende".
So stellt es ich mir von außen dar. Diejenigen, die es selbst erlebt haben, können es besser beurteilen, und ihre Meinung würde mich interessieren. Ihre, lieber Hausmann, die der anderen, die die DDR erlebt haben.
Auch für mich stellt es sich so dar. Ihre Analyse, lieber Zettel, deckt sich mit meinen Erfahrungen. Der christliche Glaube konnte eine Hilfe sein der Dämagogie zu widerstehen, Selbsterkenntnis und Hinterfragen aber auch. Die wenigen Geistlichen, welche aus ihrem Glauben ein Recht zur Unterstützung des Widerstandes ableiteten, haben aber auch ihrem Glauben einen großen Dienst erwiesen, würde ich sagen. Obgleich ich nicht einem Glauben folge, war die Beschäftigung mit Glaubensfragen für mich gleichzeitig der Beginn meines Interesses für die Philosophie.
Zitat von Zettel im Beitrag #13Was die SED-Strategen möglicherweise nicht bedacht haben, das war die geistige Sprengkraft des Christentums. Im Schoß und im (relativen) Schutz dieser geduldeten Kirche wurde gedacht und diskutiert; entstand so etwas wie die geistige Grundlage der "Wende".
Die Kirchen boten einen gewissen Freiraum für unangepaßte Leute, aufkeimende Bürgerbewegungen (Naturschutz, Umwelt, Städtebau, Radverkehr ...) oder die wenigen "harten" Oppositionellen; dort trafen sich viele und es begann auch eine gewisse Übung von Öffentlichkeit. Nur die Religion spielte, nach meiner schmalen Erinnerung, keine besondere Rolle. Zurück blieben leere Kirchen. mfG
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