Zitat von KalliasWas immer ein genialer Zeitgenosse getan hat, nichts erregt größeres Aufsehen als sein Tod. Der Tag nach dem Tod ist oft der Tag des größten Ruhms. Wie gemein das ist! Da ringt jemand sein Leben lang um Höchstleitungen, und gewürdigt wird das in großem Stil erst, wenn er weg ist und zwar zum frühestmöglichen Zeitpunkt, an dem er überhaupt nichts mehr davon hat.
Ja, so ist das wohl, lieber Kallias. Und so war es wohl schon immer.
Ich erinnere mich an eine Geschichte (sie könnte von Johann Peter Hebel sein, ich weiß es aber nicht mehr), in der eine Frau sich tot stellt, in der Hoffnung, dann von allen gepriesen zu werden und das in ihrer gekünstelten Starre miterleben zu dürfen. Natürlich wird nichts daraus - sondern sie muß erfahren, daß alle heilfroh sind, sie los zu sein. So erinnere ich mich jedenfalls; ich habe das als Kind gelesen.
Tote kann man loben; sie sind ja keine Konkurrenz mehr. Tote sollte man sicherheitshalber loben; wer weiß, ob sie nicht als revenant wiederkommen. Das de mortuis nil nisi bene ist, glaube ich, eine sehr ambivalente Sache.
Aber ihr schöner Beitrag handelt ja vor allem vom Beachtetwerden. Warum las man zuvor nichts über Mihaela Ursuleasa? Ich könnte mir denken, daß das einen ganz trivialen Grund hat: Sterben tut man nur einmal, Konzerte gibt jemand wie Mihaela Ursuleasa viele. Der Tod ist berichtenswert, weil er ein seltenes Ereignis ist.
Das berücksichtigen die Agenturen, indem sie die betreffende Nachricht in den Ticker geben, während sie vielleicht über keines der Konzerte berichtet haben. Das eine ist News, das andere nicht.
Zitat von Zettel im Beitrag #2Warum las man zuvor nichts über Mihaela Ursuleasa? Ich könnte mir denken, daß das einen ganz trivialen Grund hat: Sterben tut man nur einmal, Konzerte gibt jemand wie Mihaela Ursuleasa viele. Der Tod ist berichtenswert, weil er ein seltenes Ereignis ist.
Ein Musikkritker erlebt zum erstenmal ein Konzert der jungen Künstlerin und schreibt eine begeisterte Rezension darüber: sollte die nicht ebenso prominent plaziert werden wie Jahre später die Todesnachricht? Mit der können ja nur solche Leser etwas anfangen, denen der Name der Verstorbenen bereits etwas sagt.
Zitat von Kallias im Beitrag #3Ein Musikkritker erlebt zum erstenmal ein Konzert der jungen Künstlerin und schreibt eine begeisterte Rezension darüber: sollte die nicht ebenso prominent plaziert werden wie Jahre später die Todesnachricht? Mit der können ja nur solche Leser etwas anfangen, denen der Name der Verstorbenen bereits etwas sagt.
"Journalism largely consists of saying 'Lord Jones is Dead' to people who never knew that Lord Jones was alive." - G. K. Chesterton (The Wisdom of Father Brown, "The Purple Wig")
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #4"Journalism largely consists of saying 'Lord Jones is Dead' to people who never knew that Lord Jones was alive." - G. K. Chesterton
Der wusste sich offenbar kürzer zu fassen als ich. Das "largely consists" trifft jedoch nicht (mehr) zu. Über ungelegte Eier wird im Gegenteil sehr viel berichtet. Zum Beispiel findet man viel leichter Artikel über Gesetzesvorhaben als später über die tatsächlichen Gesetze. Auch über "Parlamentswahlen in Taiwan" und dgl. Themen wird lieber vorher berichtet, wie die Mutmaßungen lauten, als hinterher, wie die Ergebnisse gewesen sind. Dergleichen kommt mir ebenfalls wenig vernünftig vor.
Vielleicht ergibt sich diese eigenartige Ökonomie der Aufmerksamkeit daraus, dass der Tod eines Menschen stets einen besonderen Nachrichtenwert hat: Es handelt sich um einen dramatischen Einschnitt, der im Übrigen jeden von uns irgendwann auch treffen wird. Das macht neugierig.
Der Tod ist außerdem die letzte große Gelegenheit, öffentlich etwas über die Person zu sagen. Gedanken, die bis dahin vielleicht nur in Schubladen oder Hinterköpfen schlummerten, müssen jetzt schnell publiziert werden - oder es ist womöglich für alle Zeiten zu spät. Man kann deshalb auch davon ausgehen, dass Andere sich ebenfalls äußern werden, so dass eine Konversation entstehen kann, die zu Lebzeiten nur schwer in Gang zu bringen ist.
Zitat von KalliasEin Musikkritker erlebt zum erstenmal ein Konzert der jungen Künstlerin und schreibt eine begeisterte Rezension darüber: sollte die nicht ebenso prominent plaziert werden wie Jahre später die Todesnachricht? Mit der können ja nur solche Leser etwas anfangen, denen der Name der Verstorbenen bereits etwas sagt.
Ereignisse während des Lebens eines Künstlers sind jeweils ein Wert für sich, aber erst der Tod summiert - "l'addition, svp!" Dann wird's definitiv, dann kann Bilanz gezogen werden, und dann muss es sogar, denn danach wird meist kaum noch etwas über diesen Menschen geschrieben werden - bis auf die berühmtesten Ausnahmen natürlich. In die Todesnachricht geht also die Leistung eines ganzen Lebens ein, und deswegen ist sie journalistisch so bedeutend. Im "Economist" lese ich z.B. gerne als erstes und mit besonderer Aufmerksamkeit die letzte Seite, das "Obituary". Hier wird auf meist geistreiche Weise auf einer Seite die Geschichte eines ganzen Lebens erzählt, und zwar so, wie sie auf die Mitwelt des Verstorbenen wirkte. Selbst, wenn ich die Person dahinter nicht kenne, faszinieren mich diese Erzählungen doch stets aufs Neue. Was Menschen aus ihrem Leben so machen können. Und was uns Beschränkten doch alles an großen Persönlichkeiten entgeht,
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Na ja, ich glaube nicht, dass Mihaela Ursuleasa unter zu wenig Anerkennung gelitten hat, wie zum Beispiel diese Ankündigung zeigt: http://www.heidelberger-fruehling.de/con.../index_ger.html In der "Szene" war sie schon eine ziemlich große Nummer. Sie war natürlich kein Superstar wie, sagen wir mal, Elton John; das liegt halt daran, dass wesentlich mehr Leute Elton John hören als Schubert. Jedenfalls zur Zeit. Über die Jahrhunderte betrachtet wird Schubert - zu Lebzeiten auch nicht gerade umjubelt - Elton John natürlich locker abhängen.
Zitat von Rayson im Beitrag #7Ereignisse während des Lebens eines Künstlers sind jeweils ein Wert für sich, aber erst der Tod summiert - "l'addition, svp!" Dann wird's definitiv, dann kann Bilanz gezogen werden, und dann muss es sogar, denn danach wird meist kaum noch etwas über diesen Menschen geschrieben werden - bis auf die berühmtesten Ausnahmen natürlich. In die Todesnachricht geht also die Leistung eines ganzen Lebens ein, und deswegen ist sie journalistisch so bedeutend.
Bei unerwartet früh Verstorbenen bleibt nur der Nachruf - der jedoch sonst ein kläglicher Ersatz für die Würdigung an runden Geburtstagen ist, mit den dazugehörigen Festkolloquien, Sammelbänden, vielleicht auch Oscars für das Lebenswerk u. dgl. Günter Wand starb einen Monat nach seinem 90. Geburtstag. Ich finde bei Google eine Seite, die zum Geburtstag erschienen ist und Dutzende Nachrufe. Ist das nicht traurig?
Zitat von Juno im Beitrag #6Vielleicht ergibt sich diese eigenartige Ökonomie der Aufmerksamkeit daraus, dass der Tod eines Menschen stets einen besonderen Nachrichtenwert hat: Es handelt sich um einen dramatischen Einschnitt, der im Übrigen jeden von uns irgendwann auch treffen wird. Das macht neugierig.
Das stimmt; einen Artikel "Neue Schubert-CD von M.U." hätte ich wahrscheinlich ignoriert. Dennoch bleibt die Ökonomie eigenartig, wie Sie schreiben.
Zitat von Juno im Beitrag #6Gedanken, die bis dahin vielleicht nur in Schubladen oder Hinterköpfen schlummerten, müssen jetzt schnell publiziert werden - oder es ist womöglich für alle Zeiten zu spät. Man kann deshalb auch davon ausgehen, dass Andere sich ebenfalls äußern werden, so dass eine Konversation entstehen kann, die zu Lebzeiten nur schwer in Gang zu bringen ist.
"Muss schnell publiziert werden" - ein klares Symptom dafür, dass der richtige Zeitpunkt verpasst wurde. Der Abschied von der Bühne, runde Geburtstage u.a. sind doch viel bessere Gelegenheiten für eine derartige Konversation.
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