Einst hießen diese Gespräche "Auf eine Zigarette"; es gibt sie auch als Buch. Inwzischen hat die Empörtheit der Empörten zu einem anderen Namen geführt: "Verstehen Sie das, Herr Schmidt?".
Ich lese diese Gespräche immer mit Gewinn; nicht nur wegen des klaren Urteils von Helmut Schmidt, sondern auch deshalb, weil Schmidts konservatives Denken auf die progressive Haltung seines sidekicks di Lorenzo trifft.
Im Zitat des Tages geht es diesmal um China und die Menschenrechte.
Siehe auch diesen Thread, in dem ein kürzliches anderes Zitat des Tages zu Helmut Schmidt kontrovers diskutiert wird.
Drei Anmerkungen, die erste und die dritte nüchternen, die zweite brennenden Herzens vorgetragen:
1. nüchternen Herzens: Schmidt meint, er sei ein Anhänger des Prinzips der "Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates". Dieses Prinzip hat sich meiner bescheidenen Auffassung nach mit Auschwitz erledigt. Das ist erstmal aber nur ein, sagen wir: politisches Postulat, vielleicht eine moralische Behauptung. (Aus der Entstehungsgeschichte der UN-Charta ließe sich allerdings auch juristisch/rechtspolitisch Honig saugen; das aber nur am Rande.)
Viel interessanter ist die Frage, ob diese Position überhaupt verfassungskonform ist. Bekanntermaßen schreibt nämlich Art. 1 GG vor, dass oberste Aufgabe aller (deutschen) staatlichen Gewalt der Schutz der Menschenwürde ist. Ich will damit nicht einem Interventionismus das Wort reden, den das GG sicher(?) nicht will, aber was ist, wenn ein deutscher Amtsträger in einer international-politischen bzw. diplomatischen Situation gezwungen ist, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob unter Verletzung des Völkerrechts die Menschenwürde geschützt wird? Welche Entscheidung legt denn da das Grundgesetz nahe? Mich wundert ein bisschen, dass da so wenig der potenzielle Konflikt zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern gesehen wird (staatliche Souveränität vs. Menschenwürde). Das könnte aber damit zu tun haben, dass das GG in dieser Konfliktfrage eine recht eindeutige Position bezieht und man sich das nicht so eingestehen will.
2. brennenden Herzens: Ich möchte immer ganz gern metaphorisch in die Tischplatte beißen, wenn gesagt wird, etwas sei völkerrechtswidrig, und das dann als Argument betrachtet wird, dem nichts weiter hinzuzufügen sei. So als ob das Völkerrecht eine gottgegebene Ordnung des Guten und Gerechten sei, dessen Verletzung der Schändung einer vestalischen Jungfrau gleichkäme. Wenn man dann mal erklärt, wie sich das so verhält mit den Menschenrechten im Völkerrecht, sind 'die Leute' dann häufig doch ein wenig erstaunt.
Ich will auch hiermit nicht einem Interventionismus das Wort reden; mich ärgert es nur massiv, wenn 'das Problem' nicht gesehen wird. Aber ich hatte mich darüber, glaube ich, schon mal echauffiert; ich bitte daher, diese Wiederholung zu entschuldigen.
3. nüchternen Herzens: Um auf Zettel's point einzugehen: Ich bezweifle, dass es eine dezidiert konservative Position ist, wenn man das Prinzip der Nichteinmischung verabsolutiert. Verabsolutierung weltlicher Normen ist nämlich tendenziell eher 'was für Linke, wenn ich das mal etwas burschikos sagen darf. Man ersetzt das eigene Nachdenken durch das Ausruhen auf heteronom gesetzten Normen.
Kontrollüberlegung: Wäre die mit geheimdienstlichen Mitteln vorgenommene Intervention in die Angelegenheiten eines anderen Staates zur Sicherung eigener Interessen eher eine konservative oder eher eine linke Handlung?
Viel interessanter ist die Frage, ob diese Position überhaupt verfassungskonform ist. Bekanntermaßen schreibt nämlich Art. 1 GG vor, dass oberste Aufgabe aller (deutschen) staatlichen Gewalt der Schutz der Menschenwürde ist. Ich will damit nicht einem Interventionismus das Wort reden, den das GG sicher(?) nicht will, aber was ist, wenn ein deutscher Amtsträger in einer international-politischen bzw. diplomatischen Situation gezwungen ist, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob unter Verletzung des Völkerrechts die Menschenwürde geschützt wird? Welche Entscheidung legt denn da das Grundgesetz nahe? Mich wundert ein bisschen, dass da so wenig der potenzielle Konflikt zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern gesehen wird (staatliche Souveränität vs. Menschenwürde). Das könnte aber damit zu tun haben, dass das GG in dieser Konfliktfrage eine recht eindeutige Position bezieht und man sich das nicht so eingestehen
Lieber fedchan, So können Sie - zumindest völkerrechtlich - nicht argumentieren. Wahrscheinlich gibt es in irgendeiner Verfassung eines anderen Staates den Auftrag, der Welt den Islam näherzubringen. Und was folgt daraus? Hätte dieses Land dann das Recht, in Deutschland einzumarschieren und um uns zu bekehren? Die Verabsolutierung nationaler Werte funktioniert nunmal nicht im Verkehr zwischen Staaten. Räumlich ist der Geltungsbereich des GG nun mal auf Deutschland beschränkt.
Zitat von fedchan im Beitrag #2Hallo und Guten Morgen.
Drei Anmerkungen, die erste und die dritte nüchternen, die zweite brennenden Herzens vorgetragen:
1. nüchternen Herzens: Schmidt meint, er sei ein Anhänger des Prinzips der "Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates". Dieses Prinzip hat sich meiner bescheidenen Auffassung nach mit Auschwitz erledigt. Das ist erstmal aber nur ein, sagen wir: politisches Postulat, vielleicht eine moralische Behauptung. (Aus der Entstehungsgeschichte der UN-Charta ließe sich allerdings auch juristisch/rechtspolitisch Honig saugen; das aber nur am Rande.)
Viel interessanter ist die Frage, ob diese Position überhaupt verfassungskonform ist. Bekanntermaßen schreibt nämlich Art. 1 GG vor, dass oberste Aufgabe aller (deutschen) staatlichen Gewalt der Schutz der Menschenwürde ist. Ich will damit nicht einem Interventionismus das Wort reden, den das GG sicher(?) nicht will, aber was ist, wenn ein deutscher Amtsträger in einer international-politischen bzw. diplomatischen Situation gezwungen ist, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob unter Verletzung des Völkerrechts die Menschenwürde geschützt wird? Welche Entscheidung legt denn da das Grundgesetz nahe? Mich wundert ein bisschen, dass da so wenig der potenzielle Konflikt zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern gesehen wird (staatliche Souveränität vs. Menschenwürde). Das könnte aber damit zu tun haben, dass das GG in dieser Konfliktfrage eine recht eindeutige Position bezieht und man sich das nicht so eingestehen will.
2. brennenden Herzens: Ich möchte immer ganz gern metaphorisch in die Tischplatte beißen, wenn gesagt wird, etwas sei völkerrechtswidrig, und das dann als Argument betrachtet wird, dem nichts weiter hinzuzufügen sei. So als ob das Völkerrecht eine gottgegebene Ordnung des Guten und Gerechten sei, dessen Verletzung der Schändung einer vestalischen Jungfrau gleichkäme. Wenn man dann mal erklärt, wie sich das so verhält mit den Menschenrechten im Völkerrecht, sind 'die Leute' dann häufig doch ein wenig erstaunt.
Ich will auch hiermit nicht einem Interventionismus das Wort reden; mich ärgert es nur massiv, wenn 'das Problem' nicht gesehen wird. Aber ich hatte mich darüber, glaube ich, schon mal echauffiert; ich bitte daher, diese Wiederholung zu entschuldigen.
3. nüchternen Herzens: Um auf Zettel's point einzugehen: Ich bezweifle, dass es eine dezidiert konservative Position ist, wenn man das Prinzip der Nichteinmischung verabsolutiert. Verabsolutierung weltlicher Normen ist nämlich tendenziell eher 'was für Linke, wenn ich das mal etwas burschikos sagen darf. Man ersetzt das eigene Nachdenken durch das Ausruhen auf heteronom gesetzten Normen.
Ich kann Ihnen nur zustimmen, lieber fedchan. Und ich kann mich noch an den von allen kommunistischen Diktatoren gebetsmühlenartig vorgetragenen Satz von "der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" erinnern. Helmut Schmidt vertritt m.E. eine dezidiert rechtspositivistische Position, welche durch das Völkerrecht, so man die UN-Charta dazuzählt, überhaupt nicht gestützt wird, wohl auch wegen Auschwitz.
Zitat von Völkerrecht - WikipediaDie Charta der UN gibt dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, gegen ein als „Bedrohung des Weltfriedens“ qualifiziertes Verhalten eines Staates zuletzt auch militärische Sanktionen zu verhängen. Hierzu sind gewohnheitsrechtlich keine direkt dem Sicherheitsrat unterstellten Truppen erforderlich, vielmehr werden Staaten zur Gewaltanwendung ermächtigt. Es ist umstritten, ab wann innerstaatliche Vorgänge den Weltfrieden gefährden, jedoch sieht der Sicherheitsrat diesen regelmäßig als bedroht an, wenn Völkermord oder so genannte „ethnische Säuberungen“ Fluchtbewegungen auslösen, die auf die Nachbarstaaten übergreifen. Selbst wenn sich der innerstaatlich vorangetriebene Völkermord nicht auf die Nachbarstaaten auswirkt (z. B. keine Flüchtlingsströme), kann eine Bedrohung des Weltfriedens gegeben sein. Denn nach mittlerweile herrschender Auffassung wirkt das Verbot des Völkermordes „erga omnes“, begründet also eine Verpflichtung gegenüber allen Staaten der internationalen Gemeinschaft. Zudem zählt das Verbot des Völkermordes zum „ius cogens“ und ist somit eine zwingende völkerrechtliche Norm. Völkermord betrifft damit immer die gesamte Staatengemeinschaft. Gleiches gilt wohl auch für gravierende und systematische Verstöße gegen elementare Menschenrechte.
Zitat dari So können Sie - zumindest völkerrechtlich - nicht argumentieren.
Tue ich auch nicht. Ich stelle mir nur die Frage, ob das Grundgesetz dazu verpflichten kann, eine völkerrechtswidrige Handlung vorzunehmen. Ich glaube, dass das zumindest eine vertretbare Position ist.
Zitat dari Wahrscheinlich gibt es in irgendeiner Verfassung eines anderen Staates den Auftrag, der Welt den Islam näherzubringen. Und was folgt daraus? Hätte dieses Land dann das Recht, in Deutschland einzumarschieren und um uns zu bekehren?
Daraus folgt nur, dass ein Angehöriger des anderen Staates potenziell gegen das Gesetz seines Staates verstößt, wenn er im Rahmen der Außenpolitik seines Staates nicht darauf hinwirkt, der Welt den Islam näherzubringen.
Zitat dari Die Verabsolutierung nationaler Werte funktioniert nunmal nicht im Verkehr zwischen Staaten.
Eine Verabsolutierung scheint Schmidt vorzunehmen. Ich bin, wenn ich mal meine Meinung sagen darf, für durch das nationale Interesse geleitete Außenpolitik. Zum nationalen Interesse gehört es auch, völkerrechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Es kann aber sein, dass im Einzelfall das nationale Interesse eine völkerrechtswidrige sog. humanitäre Intervention gebietet (mögliches Beispiel: Kosovo).
Zitat dari Räumlich ist der Geltungsbereich des GG nun mal auf Deutschland beschränkt.
Das GG bindet jeden deutschen Amtsträger auch außerhalb der Bundesrepublik.
Zitat von Zettel Im Zitat des Tages geht es diesmal um China und die Menschenrechte.
Als ich das Zitat las, dachte ich erst es geht um den Irakkrieg. Aber damals war es ja - pauschalisiert gesagt - von seiten der "Progressiven" so, dass die Menschenrechte hinter dem Völkerrecht zurücktreten sollten. Jedenfalls war die vermeintliche Völkerrechtswidrigkeit eines der Hauptargumente gegen die "Operation Iraqi Freedom".
Im Falle von China aber soll es anders sein? Nein, nicht ganz. Niemand fordert ja ernsthaft einen Kriegseinsatz. Nur ein paar schöne Worte für den moralischen Ablass sollen es sein. Oder vielleicht auch nur, damit sich alle gegenseitig versichern dass sie einer Meinung sind (egal welche)."Schlimm die Lage der Menschenrecht in China, nicht wahr?" So wie über das schlechte Wetter geklagt wird. Und wehe einer sagt "Ich finde den Regen eigentlich ganz in Ordnung".
Vielleicht istg das der Unterschied zwischen einem Progressiven und einem Konservativen: (1) Der Konservative hat ein Prinzip. Entweder er stellt die Menschenrechte über das Völkerrecht oder umgekehrt. Aber nicht mal so und mal anders. (2) Der Konservative verurteilt nicht wenn er nicht gleichzeitig auch handelt. Er beklagt nicht, er ist konsequent.
Zitat Erling Plaethe Helmut Schmidt vertritt m.E. eine dezidiert rechtspositivistische Position, welche durch das Völkerrecht, so man die UN-Charta dazuzählt, überhaupt nicht gestützt wird, wohl auch wegen Auschwitz.
Das stimmt (leider) nicht. Die UN-Charta ist Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg, nicht auf Auschwitz. Das hat mehrere Gründe; einer davon ist, dass die Grundüberlegungen zur Nachkriegsordnung aus einer Zeit stammen, als der Krieg sehr wohl, der Holocaust aber noch nicht wirklich begonnen hatte. (Stichwort: Atlantik-Charta.)
Zitat Wiki Es ist umstritten, ab wann innerstaatliche Vorgänge den Weltfrieden gefährden ...
Das Paradigma wird deutlich: Innerstaatliche Vorgänge sind nur dann völkerrechtlich relevant, wenn die Angelegenheiten anderer Staaten tangiert werden.
Es gibt Leute, die meinen, dass bspw. ein Völkermord immer Angelegenheiten anderer Staaten tangiert. Mal gucken, ob sich die Meinung durchsetzt. Russland und China werden da bestimmt interessante Diskussionsbeiträge abgeben.
Zitat Wiki Es ist umstritten, ab wann innerstaatliche Vorgänge den Weltfrieden gefährden ...
Das Paradigma wird deutlich: Innerstaatliche Vorgänge sind nur dann völkerrechtlich relevant, wenn die Angelegenheiten anderer Staaten tangiert werden.
Ich denke nicht. Und das steht ja auch so auf der verlinkten Wikipedia-Seite:
Zitat von Völkerrecht - WikipediaSelbst wenn sich der innerstaatlich vorangetriebene Völkermord nicht auf die Nachbarstaaten auswirkt (z. B. keine Flüchtlingsströme), kann eine Bedrohung des Weltfriedens gegeben sein.
Hintergrund scheint die Schutzverantwortung, Responsibility to Protect, zu sein.
Zitat von Schutzverantwortung - WikipediaDie Souveränität eines Staates und das daraus hervorgehende absolute Interventionsverbot, wie es Art. 2 Ziff. 7 der Charta der Vereinten Nationen gewährleistet, werden durch die Schutzverantwortung neu definiert. Als Folge eines Verstoßes gegen seine Schutzverantwortung verwirkt ein Einzelstaat sein Recht auf Nichteinmischung in seine internen Angelegenheiten.
Zitat Erling Plaethe Helmut Schmidt vertritt m.E. eine dezidiert rechtspositivistische Position, welche durch das Völkerrecht, so man die UN-Charta dazuzählt, überhaupt nicht gestützt wird, wohl auch wegen Auschwitz.
Das stimmt (leider) nicht. Die UN-Charta ist Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg, nicht auf Auschwitz. Das hat mehrere Gründe; einer davon ist, dass die Grundüberlegungen zur Nachkriegsordnung aus einer Zeit stammen, als der Krieg sehr wohl, der Holocaust aber noch nicht wirklich begonnen hatte. (Stichwort: Atlantik-Charta.)
Hat Auschwitz überhaupt für die Alliierte Kriegsführung eine Rolle gespielt?
Mir erscheint der Holocaust als Beispiel für eine humanitäre Intervention ganz ungeeignet. Es wurden ja nicht einmal die Gleise nach Auschwitz bombardiert.
Zitat von Zettel im Beitrag #1Schmidts konservatives Denken
Ich halte es ja fast für beleidigend gegenüber den Konservativen, ihnen Schmidts Prinzipienlosigkeit unterzuschieben.
Ein echter Konservativer orientiert sich in erster Linie an Werten. Schmidt dagegen setzt blind auf Regelgehorsam. Natürlich ist auch die Einhaltung von Regeln ein grundsätzlicher Wert, sonst kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. Aber das darf nie erste Priorität haben. Es gibt genügend Beispiele von Konservativen, die bewußt gegen Regeln verstoßen haben, um ihren Werten treu zu bleiben. Die Attentäter des 20 Juli fallen mir da als Erstes ein, aber auch ältere Beispiele gerade der deutschen Geschichte. Nach den Maximen von Schmidt hätten die alle unrecht.
Natürlich darf und sollte auch ein Konservativer pragmatisch genug sein, um Realitäten zu akzeptieren. Es ist faktisch derzeit nicht möglich, die Menschenrechtsverletzungen in China abzustellen, dazu ist dieses Land zu mächtig. Aber das darf kein Grund sein, sie nicht zu kritisieren. Reagan hat dies immer vorbildhaft gehandhabt: Realpolitisch klug genug, um mit kommunistischen Machthabern zu verhandeln. Aber moralisch gefestigt genug, um auch öffentlich immer richtig und falsch zu benennen.
Genau diese moralische Festigkeit fehlt bei Schmidt offenbar völlig. Das Massaker von Tienanmen zu beschönigen und mit lächerlichen Ausreden zu entschuldigen ist unterste Schublade. Und man muß annehmen, daß das keine Alterserscheinung ist, sondern daß Schmidt schon immer so dachte. Meine Meinung von ihm war schon immer gemischt, inzwischen nähert sie sich dem Nullpunkt.
Zitat Zettel Hat Auschwitz überhaupt für die Alliierte Kriegsführung eine Rolle gespielt?
Nicht, dass ich wüsste.
Zitat Zettel Mir erscheint der Holocaust als Beispiel für eine humanitäre Intervention ganz ungeeignet. Es wurden ja nicht einmal die Gleise nach Auschwitz bombardiert.
Ich sehe da keinen Widerspruch zu meiner Argumentation. Ich sage, dass aus der Auschwitz-Erfahrung keine Konsequenzen für die Gestaltung des modernen Völkerrechts gezogen wurden. Sie sagen, dass Auschwitz schon für die Kriegsführung keine Rolle spielte.
Zitat von fedchan im Beitrag #11Ich sehe da keinen Widerspruch zu meiner Argumentation. Ich sage, dass aus der Auschwitz-Erfahrung keine Konsequenzen für die Gestaltung des modernen Völkerrechts gezogen wurden. Sie sagen, dass Auschwitz schon für die Kriegsführung keine Rolle spielte.
War auch nicht als Widerspruch gemeint, lieber fedchan. Im Gegenteil - ich finde Ihre Beiträge zu diesem Thema ausgezeichnet.
Aber di Lorenzo hat Auschwitz ins Spiel gebracht und versucht, Helmut Schmidt mit diesem Thema in die Enge zu treiben.
Zitat fedchan Das Paradigma wird deutlich: Innerstaatliche Vorgänge sind nur dann völkerrechtlich relevant, wenn die Angelegenheiten anderer Staaten tangiert werden.
Erling Plaethe Ich denke nicht. Und das steht ja auch so auf der verlinkten Wikipedia-Seite:
Ich gehe mal Ihr Zitat von 'oben' durch:
Zitat Wiki Die Charta der UN gibt dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, gegen ein als „Bedrohung des Weltfriedens“ qualifiziertes Verhalten eines Staates zuletzt auch militärische Sanktionen zu verhängen.
Ermächtigungsnorm: Ist der Weltfrieden bedroht, kann der Sicherheitsrat militärisch intervenieren.
Der Sicherheitsrat entscheidet, a) ob er eine "Bedrohung des Weltfriedens" sieht und b) ob er militärisch interveniert. Das heißt übersetzt: Wir intervenieren militärisch, wenn wir das wollen. "Wir" ist dabei der Sicherheitsrat. Und das heißt im Ergebnis: Völkerrechtskonform ist, von dem wir sagen, dass es völkerrechtskonform ist.
Beispiel: Bei 'natürlicher Betrachtungsweise' findet gerade ein Völkermord statt. Russland und China stimmen im Sicherheitsrat aber gegen eine militärische Intervention. Wenn jetzt, sagen wir, EU-Staaten mit Streitkräften diesen Völkermord unterbinden - ist das völkerrechtswidrig?
Zitat Wiki ... jedoch sieht der Sicherheitsrat diesen regelmäßig als bedroht an, wenn Völkermord oder so genannte „ethnische Säuberungen“ Fluchtbewegungen auslösen, die auf die Nachbarstaaten übergreifen.
Paradigma: Weltfrieden ist bedroht, wenn Nachbarstaaten tangiert sind.
Zitat Selbst wenn sich der innerstaatlich vorangetriebene Völkermord nicht auf die Nachbarstaaten auswirkt (z. B. keine Flüchtlingsströme), kann eine Bedrohung des Weltfriedens gegeben sein. Denn nach mittlerweile herrschender Auffassung [..., betrifft] Völkermord immer die gesamte Staatengemeinschaft. Gleiches gilt wohl auch für gravierende und systematische Verstöße gegen elementare Menschenrechte. Hervorhebung von fedchan
Unser Ausgangspunkt ist der Tatbestand der "Bedrohung des Weltfriedens". Das klassische Verständnis sieht so aus, dass der Weltfrieden bedroht ist, wenn von innerstaatlichen Vorgängen andere Staaten tangiert werden. Jetzt sagt die mittlerweile herrschende Auffassung (= war wohl 'mal anders), dass andere Staaten auch dann tangiert werden, wenn bspw. in einem Staat ein Völkermord stattfindet.
Die "mittlerweile herrschende Auffassung" will offenkundig 'durch das Hintertürchen' humanitäre Aspekte mit dem Argument hereinnehmen, dass von einem Völkermord ja irgendwie auch alle Staaten betroffen sind, womit andere Staaten tangiert sind, womit wir eine Bedrohung des Weltfriedens haben.
Ob diese "mittlerweile herrschende Auffassung" damit 'durchkommt' hängt davon ab, ob die Institution, die diese Frage entscheidet, sich davon überzeugen lässt. Die entsprechende Institution ist bekanntermaßen der UN-Sicherheitsrat. Mal sehen, ob der sich überzeugen lässt.
Lieber fedchan, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Leider sind Sie auf die Responsibility to Protect von 2005 nicht eingegangen, die hatte ich verlinkt gerade weil auf der Völkerrecht-Seite von Wikipedia nur die Bedrohung des Weltfriedens durch Völkermord festgestellt wird. Sie ist aber gerade deshalb interessant weil sie ausdrücklich in der Sicherheitsratsresolution 1674, Afghanistan betreffend, erstmalig in einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument erwähnt wurde.
Zitat von Security Council, Resolution 1674 (2006)4. Reaffirms the provisions of paragraphs 138 and 139 of the 2005 World Summit Outcome Document regarding the responsibility to protect populations from genocide, war crimes, ethnic cleansing and crimes against humanity;
Wenn diese Geisteshaltung die des letzten grossen Konservativen sein soll, dann ist das Konservative in Deutschland endgültig tot. Ich habe auch etwas übrig für das was Schmidt sagt: Tiefstempfundene Verachtung.
Man muss nicht moralisieren, um Menschenrechte als den höchsten Wert unserer bisherigen Zivilisation zu betrachten. Moral hat immer etwas davon, was gerade politisch en vogue ist und sich morgen wieder ändern kann. Der Wert von Menschenrechten, von Grundrechten, von Freiheit und Leben, ist seit dem Zeitalter der Aufklärung das ethische Fundament der Moderne. Menschenrechte sind die Grundlage unserer Gesellschaft an sich, das spiegelt sich in unseren Verfassungen wieder, das spiegelt sich in unseren Rechtssystemen wieder, das spiegelt sich in unseren gesellschaftlichen Normen wieder. Und Menschenrechte sind nicht relativ. Das war auch nie einer konservative Haltung. Es mag die Haltung von Schmidt sein, aber das belegt allenfalls, dass er kein Konservativer ist.
Dagegen ist es eine ziemlich typisch linke Position Rechte vor allem sich selbst einzuräumen, aber weniger die Notwendigkeit zu sehen, dass andere diese Rechte auch haben. Sich dafür noch hinter dem Völkerrecht zu verstecken, ist dabei auch nicht besonders originell, Kommunisten machen das seit Jahrzehnten so. Nur: Niemand käme auf die Idee morgen einen Krieg mit China anzustreben. Es ist nichtmal in der Diskussion zu Maßnahmen zu greifen, die deutlich innerhalb des Völkerrechtes liegen, wie Boykotte oder Blockaden. Die Menschenrechtsfraktion tut sei Jahren nichts anderes als protestieren und die Dinge beim Namen zu nennen in der Hoffnung das sich dadurch etwas ändert. Und nicht einmal das möchte Schmidt, er möchte lieber abwiegeln, relativieren und eigentlich gar nicht darüber reden. Und das in Deutschland. Macht der Mann sich eigentlich nicht für 5 Cent klar, dass man SEINE, exakt seine Argumentation, perfekt auf Hitler anwenden kann ? Das die Vernichtung von 6 Millionen Menschen durchaus auch hinter dem Völkerrecht versteckt werden kann ? Das der einzige Grund warum der Mann die Klappe aufreissen kann, darin besteht, dass ANDERE, nicht er, andere, seine Freiheit erst ermöglicht haben ? Schmidt war kein Widerständler, nein, Schmidt war Teil dieses Systems. Und zwar bis zum Ende. Es sind andere, die verhinderten, dass das, woran Schmidt durchaus mitarbeitete, weitergeführt wurde. Das hat er offensichtlich nicht reflektiert.
Die Freiheit von Unterdrückung, die Freiheit seine Meinung zu sagen, die Freiheit zu tun, was ihm beliebt, die Freiheit die er seit mehr als 65 Jahren (!) für sich wie selbstverständlich annimmt, die will er anderen nicht zugestehen. Was für ein Held. Man mag aus diesen Zeilen lesen, dass ich verärgert über Schmidt bin. Denn das bin ich. Denn die Toten vom Platz des himmlichschen Friedens sind keine Betriebsunfälle der Geschichte. "Ja, gab halt keine kasernierte Polizei. Und die Partei hatte gerade ein Problem. Dumm gelaufen." So eine Sch...., sorry. Das sind Menschen gewesen. Menschen mit Hoffnungen, Menschen mit Zukunft, Söhne, Töchter, Ehefrauen, Ehemänner, Eltern. Sie starben, weil sie die selben Rechte haben wollten, die Schmidt vor 65 Jahren geschenkt wurden.
Ich denke wir leben in Deutschland ziemlich privilegiert. Weil uns diese Rechte geschenkt wurden. Blickt man in die Welt sieht man, dass das eher selten ist. Und die meisten Menschen diese Rechte nicht haben. Ich bin bei aller Kritik, die ich an diesem Land habe, dankbar dafür, dass diese Rechte uns allen geschenkt wurden. Ich finde man sollte sie aber auch verdienen und das minimale ist, dass man diese auch anderen zugesteht. Wenn man das nicht kann, dann finde ich zumindest, hat man sie auch nicht verdient. Deswegen muss man nicht morgen mit einem Schwert durch die Welt rennen, aber wenigstens hingucken und was sagen, das sollte man schon können. Ich bin jedenfalls nicht der Meinung das mir dieses Privileg mehr zusteht als einem chinesichen Bauern oder einem koreanischen Bäcker. Das mag Schmidt anders sehen. Aber konservativ ist das hoffentlich nicht.
Zitat von Llarian im Beitrag #15Wenn diese Geisteshaltung die des letzten grossen Konservativen sein soll, dann ist das Konservative in Deutschland endgültig tot.
Zettels Einschätzung von Schmidt als konservativ ist ja auch nicht ganz unwidersprochen.
Zitat von Llarian im Beitrag #15Man muss nicht moralisieren, um Menschenrechte als den höchsten Wert unserer bisherigen Zivilisation zu betrachten. Moral hat immer etwas davon, was gerade politisch en vogue ist und sich morgen wieder ändern kann. Der Wert von Menschenrechten, von Grundrechten, von Freiheit und Leben, ist seit dem Zeitalter der Aufklärung das ethische Fundament der Moderne. Menschenrechte sind die Grundlage unserer Gesellschaft an sich, das spiegelt sich in unseren Verfassungen wieder, das spiegelt sich in unseren Rechtssystemen wieder, das spiegelt sich in unseren gesellschaftlichen Normen wieder. Und Menschenrechte sind nicht relativ.
Das, was heutzutage als "Menschenrechte" bezeichnet wird, ist mindestens so relativ und von der politischen Stimmung abhängig wie das, was als "Moral" bezeichnet wird. Vor wenigen Jahrzehnten hätte niemand auch nur ernsthaft darüber diskutiert, ob es ein "Menschenrecht" auf Schwulenehe, auf Abtreibung, auf Kinder- oder auch sonstige Pornographie, auf ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt. Das sollte die Zeitgebundenheit des Konstrukts "Menschenrecht" zur Genüge demonstrieren.
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von Llarian im Beitrag #15Wenn diese Geisteshaltung die des letzten grossen Konservativen sein soll, dann ist das Konservative in Deutschland endgültig tot.
Zettels Einschätzung von Schmidt als konservativ ist ja auch nicht ganz unwidersprochen.
Zitat von Llarian im Beitrag #15Man muss nicht moralisieren, um Menschenrechte als den höchsten Wert unserer bisherigen Zivilisation zu betrachten. Moral hat immer etwas davon, was gerade politisch en vogue ist und sich morgen wieder ändern kann. Der Wert von Menschenrechten, von Grundrechten, von Freiheit und Leben, ist seit dem Zeitalter der Aufklärung das ethische Fundament der Moderne. Menschenrechte sind die Grundlage unserer Gesellschaft an sich, das spiegelt sich in unseren Verfassungen wieder, das spiegelt sich in unseren Rechtssystemen wieder, das spiegelt sich in unseren gesellschaftlichen Normen wieder. Und Menschenrechte sind nicht relativ.
Das, was heutzutage als "Menschenrechte" bezeichnet wird, ist mindestens so relativ und von der politischen Stimmung abhängig wie das, was als "Moral" bezeichnet wird. Vor wenigen Jahrzehnten hätte niemand auch nur ernsthaft darüber diskutiert, ob es ein "Menschenrecht" auf Schwulenehe, auf Abtreibung, auf Kinder- oder auch sonstige Pornographie, auf ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt. Das sollte die Zeitgebundenheit des Konstrukts "Menschenrecht" zur Genüge demonstrieren.
Und das finde ich auch furchtbar. Während man Pornographie (ohne Kinder) noch als Ausdruck der Meinungs-/Kunstfreiheit interpretieren kann, hat man es bei den anderen von ihnen genannten Aspekten schwer. Als Richtschnur könnte gelten: Wenn man neue Menschenrechte formulieren muss und niederschreiben will, dann erfindet man ein neues "Menschenrecht" hinzu, wenn etwas aus alten Menschenrechten abgeleitet wird, dann braucht man auch keine neuen Formulierungen zu kodifizieren. Denn wenn man neue Menschenrechte erfinden kann, warum dann nicht auch Alte streichen? Ich sehe darin eine Relativierung der Menschenrechte, besonders auch durch solche Blüten der EU-Grundrechtecharta, wie zum Beispiel dem "Recht auf eine gute Verwaltung". Klingt ja ganz nett, aber damit verwässert man die Idee grundlegender Menschenrechte. Vor allem aber habe ich das Gefühl, hier will man die Menschen nur daran gewöhnen sich mit mangelhafter Umsetzung von Menschenrechten zufrieden zu geben, denn "gute Verwaltung" wird nie als erfüllt betrachtet werden und "gute Verwaltung" immer als "Besser als der Status Quo" definiert werden. Außerdem sind die Gerichte nicht die richtigen Instanzen für solche Fragen, die Qualität der Verwaltung ist eine Frage der Exekutive, eventuell unter Aufsicht des Parlamentes.
“Being right too soon is socially unacceptable.” ― Robert A. Heinlein
"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and those which are not." -Thomas Jefferson Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/
Zitat Erling Plaethe Leider sind Sie auf die Responsibility to Protect von 2005 nicht eingegangen, die hatte ich verlinkt gerade weil auf der Völkerrecht-Seite von Wikipedia nur die Bedrohung des Weltfriedens durch Völkermord festgestellt wird.
Die R2P ändert nichts daran, dass eine militärische Intervention nur zulässig ist, wenn der Sicherheitsrat zustimmt.
Ich habe oben (auf Basis des Wiki-Zitats) dargelegt, wie man zu begründen versucht, warum humanitäre Interventionen auf die UN-Charta gestützt werden können. Wenn(!) man die R2P so liest, dass sie neue Ermächtigungstatbestände etabliert (die R2P verweist auf die UN-Charta), gilt aber im Ergebnis dasselbe wie oben gesagt: Wir (= der Sicherheitsrat) intervenieren, wenn wir das wollen, und sonst nicht. Und wenn wir es wollen, ist es legal. (Und wenn nicht, dann nicht.) Die R2P führt nur dazu, dass man das, was man tut, ggf. etwas anders begründet.
Wir hatten Dissens in der Frage, ob Schmidt Recht hat, wenn er sich bezüglich der Nichteinmischung auf das Völkerrecht beruft. Ich denke, wir müssen da zwischen einer Rechtsauffassung und einer politischen Haltung unterscheiden: rechtlich: - Ohne Autorisation des Sicherheitsrates ist eine Intervention völkerrechtswidrig. (schröcklich!) - Wenn der Sicherheitsrat autorisiert, kann man sich theoretisch darüber streiten, ob diese Autorisierung als solche völkerrechtswidrig war oder nicht. Kann man, kann man auch lassen. politisch: - Die klassischen Paradigmen des Völkerrechts legen in der Tat nahe, dass man sich aus den inneren Angelegenheiten anderer Staaten heraushalten sollte. Das ist zwar durchaus ein politisches Argument ("Das hatte schon seinen Grund!"), aber eben nur eins unter mehreren.
Zitat von Gorgasal im Beitrag #16 Das, was heutzutage als "Menschenrechte" bezeichnet wird, ist mindestens so relativ und von der politischen Stimmung abhängig wie das, was als "Moral" bezeichnet wird. Vor wenigen Jahrzehnten hätte niemand auch nur ernsthaft darüber diskutiert, ob es ein "Menschenrecht" auf Schwulenehe, auf Abtreibung, auf Kinder- oder auch sonstige Pornographie, auf ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt. Das sollte die Zeitgebundenheit des Konstrukts "Menschenrecht" zur Genüge demonstrieren.
Tut es nicht. Keines der genannten Beispiele hat in Deutschland den Rang eines Menschenrechtes. Es gibt kein Menschenrecht auf Schwulenehe (auch keins auf Ehe nebenbei). Es gibt auch keins auf Abtreibung (und auch das Gegenteil nicht). Ebensowenig gibt es ein Grundrecht auf Pornographie oder ein Grundrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das wir (einige) diese Rechte geniessen ist weit weniger auf die Menschenrechte zurückzuführen als auf ein gewandeltes Gesellschaftsbild.
An den eigentlichen Rechten hat sich wenig geändert. Und die zentralen Gedanken schon einmal gar nicht. Und wir reden von gänzlich anderen Größenordnungen: Die Frage ob eine Schwulenehe existiert oder nicht, ist ziemlich peripher. Eine Gesellschaft kann frei und aufgeklärt sein, ohne überhaupt ein besonderes, staatliches Konstrukt Ehe zu haben. Aber eine Gesellschaft kann nicht frei sein ohne Meinungsfreiheit, ohne Handlungsfreiheit und ohne Rechstsstaatsprinzip. Natürlich unterliegen die Grundrechte permanent auch Angriffen. Gerade in Deutschland. Aber die eigentlichen Grundgedanken halten sich seit mehr als 200 Jahren ziemlich gut. Und ich sehe diese Relativierung nicht. Und ich denke, dass diejenigen, die am Platz des himmlischen Friedens für ihre Menschenrechte gestorben sind, nahezu jedes (westliche) Verständnis von Menschenrechten der letzten 200 Jahre für sich genommen hätten. Ob eine Schwulenehe oder ein Recht auf Pornographie dazu gehört oder nicht wäre ihnen, so glaube ich, schnurz gewesen.
Zitat von fedchan im Beitrag #18 Die R2P ändert nichts daran, dass eine militärische Intervention nur zulässig ist, wenn der Sicherheitsrat zustimmt.
Das stand außer Frage. Schließlich ging es ja um die UN-Charta.
Zitat von fedchan im Beitrag #18Ich habe oben (auf Basis des Wiki-Zitats) dargelegt, wie man zu begründen versucht, warum humanitäre Interventionen auf die UN-Charta gestützt werden können. Wenn(!) man die R2P so liest, dass sie neue Ermächtigungstatbestände etabliert (die R2P verweist auf die UN-Charta), gilt aber im Ergebnis dasselbe wie oben gesagt: Wir (= der Sicherheitsrat) intervenieren, wenn wir das wollen, und sonst nicht. Und wenn wir es wollen, ist es legal. (Und wenn nicht, dann nicht.) Die R2P führt nur dazu, dass man das, was man tut, ggf. etwas anders begründet.
Natürlich. Denn es geht eben vor allem darum, eingreifen zu können mit der Zustimmung fast aller UN-Mitglieder zur R2P, ohne dass der Sicherheitsrat willkürlich vorgeht und seine Akzeptanz verliert. Ohne die kann er wollen was er will, es würde keine Rolle spielen. Und die Änderung besteht eben darin, dass der Weltfrieden bedroht sein kann, ohne dass die Nachbarstaaten im festgestellten Fall eines Völkermords mit Flüchlingsströmen überzogen werden. Unter diesen Umständen hätte der Sicherheitsrat mehr Möglichkeiten gehabt, bspw. den Völkermord in Ruanda zu stoppen.
Zitat von fedchan im Beitrag #18Wir hatten Dissens in der Frage, ob Schmidt Recht hat, wenn er sich bezüglich der Nichteinmischung auf das Völkerrecht beruft. Ich denke, wir müssen da zwischen einer Rechtsauffassung und einer politischen Haltung unterscheiden: rechtlich: - Ohne Autorisation des Sicherheitsrates ist eine Intervention völkerrechtswidrig. (schröcklich!) - Wenn der Sicherheitsrat autorisiert, kann man sich theoretisch darüber streiten, ob diese Autorisierung als solche völkerrechtswidrig war oder nicht. Kann man, kann man auch lassen.
Man kann in dem letzten Fall auch akzeptieren, dass sich die völkerrechtliche Lage gegen die eigene Vorstellung geändert hat und aufhören zu ignorieren was der Fall ist. Auch wenn man schon ziemlich() alt ist.
Zitat von fedchan im Beitrag #18politisch: - Die klassischen Paradigmen des Völkerrechts legen in der Tat nahe, dass man sich aus den inneren Angelegenheiten anderer Staaten heraushalten sollte. Das ist zwar durchaus ein politisches Argument ("Das hatte schon seinen Grund!"), aber eben nur eins unter mehreren.
Genau, und gilt und galt deshalb nie absolut. Darum ging es. Helmut Schmidt ist gegen eine Einmischung, ohne Zusätze. Diese Haltung ist nicht mit der UN-Charta vereinbar, weil R2P eben genau einen solchen Zusatz darstellt. Ich halte es geradezu für notwendig die Menschenrechte als Naturrecht über das positive Recht zu stellen. Vielen Dank übrigens, für Ihre Korrektur hinsichtlich meiner Annahme es bestünde ein Bezug zu Auschwitz.
Wenn Schmidt mit dieser Begruendung ein Konservativer ist, dann bin ich an dieser Stelle froh, eine Liberale zu sein.
Entweder Menschenrechte sind universell. Dann sollten man das auch bei aller Realpolitik immer im Tornister wissen. Oder sie sind es nicht. Dann darf man so eine Einstellung vertreten und sich mit den Diktatoren an einen Tisch setzen, die nicht ganz so viel Blut an den Haenden haben, wie andere.
Davon abgesehen halte ich die Aussage Schmidts nicht fuer konservativ. Sie steht in der Tradition eines pragmatischen, machtbewussten, werterelativen Sozialdemokratismus, der ja auch keinerlei Beruehrungsaengste mit lupenreinen Demokraten hat.
Zitat von Llarian im Beitrag #15Wenn diese Geisteshaltung die des letzten grossen Konservativen sein soll, dann ist das Konservative in Deutschland endgültig tot. Ich habe auch etwas übrig für das was Schmidt sagt: Tiefstempfundene Verachtung.
Volle Zustimmung. Für Ihren gesamten Beitrag. Am 22. September wird Schmidt in Münster der "Westfälische Friedenspreis" verliehen. Gottseidank ein Samstag, so daß ich mich nicht gezwungen sehe, mich in der gleichen Stadt mit diesem Herrn aufzuhalten. Bisherige Preisträger waren: 1998 Vaclav Havel, 2000 Helmut Kohl, 2002 Carla del Ponte, 2004 Kurt Masur *, 2006 Valéry Giscard d'Estaing, 2008 Kofi Annan, 2010 Daniel Barenboim. Entre nous: die Linie ist steil abfallend.
* ein honoriger & ehrenvoller Mann. Aber seine Bedeutung für den Weltfrieden dürfte sich darin beschränken, daß er nicht mit irgendwelchen Philharmonikern in unmusikalische Kulturen eingefallen ist.
Jetzt kommt so langsam der Punkt, an dem man über Nuancen zu streiten beginnt ...
Zitat Erling Plaethe Denn es geht eben vor allem darum, eingreifen zu können mit der Zustimmung fast aller UN-Mitglieder zur R2P, ohne dass der Sicherheitsrat willkürlich vorgeht und seine Akzeptanz verliert. Ohne die kann er wollen was er will, es würde keine Rolle spielen. Und die Änderung besteht eben darin, dass der Weltfrieden bedroht sein kann, ohne dass die Nachbarstaaten im festgestellten Fall eines Völkermords mit Flüchlingsströmen überzogen werden. Unter diesen Umständen hätte der Sicherheitsrat mehr Möglichkeiten gehabt, bspw. den Völkermord in Ruanda zu stoppen.
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie meinen, der Völkermord in Ruanda sei nicht verhindert worden, weil es an einer Rechtsgrundlage für ein Eingreifen gefehlt habe? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass man den Völkermord hätte stoppen können, wenn man es denn (politisch) gewollt hätte, egal ob mit R2P oder ohne.
Es ist ja nicht so, dass die UN-Staaten nicht schon vor 2005 höchstfeierliche Bekenntnisse zu den Menschenrechten abgegeben hätten. Da gab's beispielsweise mal 'ne Erklärung aus 1948. Das steht alles aber, und da sehe ich auch durch R2P keine Einschränkung, unter dem Vorbehalt der durch die Vetoregelungen geschützten nationalen Souveränität. Denn diese Souveränität ist das oberste Rechtsgut der UN-Charta. Wenn nicht explizit gesagt, so doch faktisch durch die Regelungen: Wenn der Sicherheitsrat nicht will, passiert nichts, egal, was passiert.
Meines Erachtens gilt das sogar umgekehrt. Ich möchte Ihnen ausdrücklich widersprechen: Wenn der Sicherheitsrat etwas wollen sollte, dann können die anderen UN-Mitglieder ruhig quaken, wie sie wollen; es würde passieren.
Zitat Helmut Schmidt ist gegen eine Einmischung, ohne Zusätze. Diese Haltung ist nicht mit der UN-Charta vereinbar, weil R2P eben genau einen solchen Zusatz darstellt. Ich halte es geradezu für notwendig die Menschenrechte als Naturrecht über das positive Recht zu stellen.
Also Intervention ohne Sicherheitsratsmandat? Darauf läuft Ihre Position nämlich hinaus. Und genau das will die Charta nach meinem Verständnis verhindern, ebenso R2P.
Ich habe das Gefühl, dass Sie sich ein bisschen in einen Selbstwiderspruch setzen: Einerseits sagen Sie, die Charta wolle Menschenrechte schützen; damit, so verstehe ich Sie, sei im positiven Recht der Schutz der Menschenrechte fixiert. Andererseits sagen Sie, dass es notwendig sei, die Menschenrechte als Naturrecht über das positive Recht zu stellen. Wie sind denn nun die Menschenrechte geschützt? Positiv oder überpositiv?
Zitat Vielen Dank übrigens, für Ihre Korrektur hinsichtlich meiner Annahme es bestünde ein Bezug zu Auschwitz.
Die Nachkriegsordnung steht völkerrechtlich-paradigmatisch in der Kontinuität der Vorkriegsordnung, die in vorletzter Konsequenz auf den Westfälischen Frieden zurückgeht . Es wäre natürlich Quatsch, zu behaupten, dass man die Verbrechen nicht wahrgenommen hat. Aber die UN-Charta ist eben keine Reaktion auf den Holocaust, die eine radikale Neudefinition der nationalen Souveränität hätte beinhalten müssen. Sondern die Charta ist der Versuch, einen verbesserten Völkerbund auf die Beine zu stellen.
das wurde auch Zeit, daß wir wieder einmal eine Kontroverse austragen dürfen.
Wenn ich jetzt Ihnen antworte, dann antworte ich zugleich auf die anderen Kritiker meines Artikels; halte mich also nicht strikt an das, was Sie geschrieben haben.
Zitat von Zettel im Beitrag #1Schmidts konservatives Denken
Ich halte es ja fast für beleidigend gegenüber den Konservativen, ihnen Schmidts Prinzipienlosigkeit unterzuschieben.
Schmidt ist nun wahrlich nicht prinzipienlos. Prinzipienlos sind Opportunisten wie Gerhard Schröder, dessen Politik immer am nächsten Wahlkampf orientiert gewesen ist.
Schmidt hat, soweit ich sehe, ähnliche Prinzipien, wie sie sein Freund Henry Kissinger immer wieder dargelegt hat: Im Machtspiel der Politik mit friedlichen Mitteln das erreichen, was den eigenen Interessen dient. Die Interessen der anderen verstehen und den Ausgleich mit ihnen suchen. Zu den eigenen Interessen von Demokraten gehören Frieden und eine Ausbreitung der Demokratie, weil allein demokratische Staaten von ihrem Wesen her friedliche Staaten sind.
Dort, wo Gewalt ausgeübt wird, aber auch nicht zögern, Gegengewalt einzusetzen. Schmidt sagt das in dem Interview:
Zitat Ich bin kein Propagandist der Gewalt. Das ist eine der Lehren, die ich aus den beiden Weltkriegen gezogen habe. Gewalt ist an sich ein Übel, und ich will kein Teil dieses Übels sein. Gleichwohl sind Situationen eingetreten, in denen ich Gewalt ausgeübt habe. Als Beispiel weise ich hin auf die Geiselnahme von Hanns Martin Schleyer und von 90 Menschen, die in einem entführten Flugzeug saßen. Da haben wir Gewalt ausgeübt.
Zitat von R.A. im Beitrag #10Ein echter Konservativer orientiert sich in erster Linie an Werten. Schmidt dagegen setzt blind auf Regelgehorsam. Natürlich ist auch die Einhaltung von Regeln ein grundsätzlicher Wert, sonst kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. Aber das darf nie erste Priorität haben.
"Regelgehorsam"? Was soll das sein, lieber R.A.? Es gab zur APO-Zeit das Wort von der "begrenzten Regelverletzung". Damit waren Gesetzesbrüche gemeint.
Was Sie vermutlich meinen, das ist Gesetzes- und Vertragstreue. Das sind ureigenst konservative Werte; auf der psychologischen Seite entspricht ihnen die Verläßlichkeit.
Schmidt wird ja nicht allgemein als ein Erzkonservativer gesehen. Warum ich ihn dafür halte, habe ich in dem Artikel zu skizzieren versucht: Weil er der Gsetzestreue, der Verläßlichkeit diesen hohen Wert beimißt; weil er ein skeptischer Realist ist; weil er nicht einem Fortschrittsglauben verfallen ist, der beinhaltet, daß wir Europäer sozusagen das Werkzeug des Weltgeists sind; berufen, die frohe Botschaft von den Menschenrechten in aller Welt nicht nur zu verkünden, sondern auch durchzusetzen.
Es geht in dem Gespräch ja wesentlich um die responsibility to protect, also das Recht auf eine humanitär motivierte gewaltsame Intervention in einem souveränen Land. Diese Doktrin ist Ausdruck dieser Anmaßung, die sich jetzt der UN bedient. Ebenso könnte eine von islamischen Staaten dominierte UN sich anmaßen, überall dort militärisch zu intervenieren, wo der Islam beleidigt wird; jemand hat das schon erwähnt.
Schmidt ist ein Mann, der Klartext redet. Sie werden bei ihm nie Doppeldeutigkeiten finden, nie vorgeschobene Argumente. Diejenigen, die diese famose responsibility to protect propagieren, sind aber natürlich Heuchler. Sie wollen ja nicht überall eingreifen, wo Menschenrechte verletzt werden. Sonst sollten sie stante pede eine Invasion Cubas vorbereiten, Nordkoreas und Vietnams. Sie müßten in Nigeria intervenieren, in Somalia, in Dutzenden von afrikanischen Staaten.
Selbst als in Ruanda 1994 ein Massenmorden stattfand, dem zwischen einer halben und einer Million Menschen zum Opfer fielen, dachte niemand an eine responsibility to protect. Im Gegenteil reduzierte die UNO ihre damals dort stehende Blauhelmtruppe von 2500 auf 270 Mann.
An responsibility to protect denkt man, wenn es gilt, eigenen Interessen ein propagandistisches Mäntelchen umzuhängen; wie jetzt in Syrien, wo es um die Machtkonstellation nach dem Sturz Assads geht.
Zitat von R.A. im Beitrag #10Genau diese moralische Festigkeit fehlt bei Schmidt offenbar völlig. Das Massaker von Tienanmen zu beschönigen und mit lächerlichen Ausreden zu entschuldigen ist unterste Schublade.
Mir erscheint das, was er zu diesem Thema sagt, schlüssig. Was, lieber R.A., ist daran eine Beschönigung?
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #22Gottseidank ein Samstag, so daß ich mich nicht gezwungen sehe, mich in der gleichen Stadt mit diesem Herrn aufzuhalten.
Ogottogott, lieber Ulrich Elkmann. Hat Schmidt etwa den Bösen Blick, mit einer Fernwirkung vom Münsteraner Rathaus zu Ihrem Domizil?
Oder fürchten Sie umgekehrt, sich beim gemeinsamen Aufenthalt in derselben Stadt nicht in der Gewalt zu haben und vielleicht auf den Bösewicht, diese Satansbrut, loszugehen?
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