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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 35 Antworten
und wurde 4.273 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.09.2012 10:23
Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Ein kleines Stück oral history.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

25.09.2012 10:47
#2 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Zitat Zettel
_____
...eine Aufführung, betrachtet mit der von Brecht empfohlenen distanzierten "Haltung des Rauchend-Beobachtens".
_____

"Rauchen schadet Ihter Gesundheit". Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte einen Arzt Ihres Vertrauens.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

25.09.2012 11:16
#3 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Der Wahlkampf 1961 war ja auch der erste, in dem "die Intellektuellen", die Intelligenzia, ihren Hut in den Ring warf, in die linke Ecke, wenn auch noch ohne Vehemenz, weil man die Es-Pe-Deh als das "kleinere von zwei Übeln" ansah. Ein allererstes 68er Wetterleuchten.

http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge...-grenzziehungen

Zitat Vanessa Brandes "Literarische Grenzziehungen"
______
Just in diesen Wahlkampf hinein erschien nun im August des Jahres 1961, ebenfalls im Rowohlt-Taschenbuchverlag und als erste Publikation der neuen Reihe „rororo aktuell“, das von Martin Walser herausgegebene Bändchen „Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?“ In diesem Buch äußerten sich Schriftsteller zu der bevorstehenden Bundestagswahl und unterstützten Willy Brandts Kampagne – in der Regel nicht euphorisch, hatte die SPD sich doch innenpolitisch der CDU stark angenähert, aber entschlossen, mangels Alternativen und in erklärter Gegnerschaft zu Adenauers „Keine-Experimente“-Partei. Dieses Bändchen, lange vor dem Mauerbau geplant, lässt sich vielleicht als die erste gemeinsame politische Intervention der jungen Generation von Literaten begreifen, umfasst es doch auch Beiträge von Peter Rühmkorf, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Fritz J. Raddatz und Siegfried Lenz. „Der Gedanke zu diesem Buch entstand auf einer Zusammenkunft von Schriftstellern im Frühsommer dieses Jahres“, heißt es im Vorwort. Die Beiträger sähen sich „in der Tradition Frankreichs, das von Voltaire über Zola bis Jean-Paul Sartre immer seine Männer der Feder auch als Gewissen der Nation wertete.“[20] Mit Publikationen wie dieser signalisierten Autoren einer Generation die Absicht, sich in wachsendem Maße dezidiert als kritische Intellektuelle westlich-moderner Provenienz zu präsentieren.
____

Juno Offline



Beiträge: 332

25.09.2012 14:44
#4 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Das war alles lange vor meiner Zeit, aber beim Blick in die Geschichtsbücher finde ich es bemerkenswert, welche großen Umbrüche gerade in diesem Jahr 1962 ihren Anfang genommen haben:

- Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils
- Veröffentlichung von Rachel Carsons "Silent Spring", Urtext der modernen Ökobewegung
- Veröffentlichung von Milton Friedmans "Capitalism and Freedom", Urtext der wirtschaftsliberalen Renaissance
- erster James-Bond-Film (Dr. No), erster Auftritt der Rolling Stones, erste Single der Beatles (Love me do), erstes Album von Bob Dylan

Siehe auch: http://www.newcriterion.com/posts.cfm/19...ng-changed-6845
zur Uraufführung von "Who´s Afraid of Virginia Woolf?":

Zitat
(it) marked the first time in American culture that a popular playwright captured the public's imagination by "declaring that the values by which it lived were false."



Speziell zur Spiegel-Affäre würde mich einmal interessieren, inwiefern die mit der sich nahezu zeitgleich zuspitzenden Kuba-Krise in Verbindung stand bzw. in Verbindung gebracht wurde.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.09.2012 17:16
#5 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Zitat von Juno im Beitrag #4
Das war alles lange vor meiner Zeit, aber beim Blick in die Geschichtsbücher finde ich es bemerkenswert, welche großen Umbrüche gerade in diesem Jahr 1962 ihren Anfang genommen haben:

- Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils
- Veröffentlichung von Rachel Carsons "Silent Spring", Urtext der modernen Ökobewegung
- Veröffentlichung von Milton Friedmans "Capitalism and Freedom", Urtext der wirtschaftsliberalen Renaissance
- erster James-Bond-Film (Dr. No), erster Auftritt der Rolling Stones, erste Single der Beatles (Love me do), erstes Album von Bob Dylan

Ja, das war auch aus meiner Sicht das eigentliche Umbruchjahr, nicht 1968. In Deutschland war es das Jahr der "Schwabinger Krawalle", die den Beginn dieses Jahrzehnts der Unruhen markierten, das mit dem Wahlsieg Willy Brandts 1972 endete.

Die "Achtundsechziger" gibt es ohnehin wohl nur wegen des Anklangs an die "Achtundvierziger"; die APO wurde bereits 1966 nach der Bildung der Großen Koalition aktiv und erreichte einen ersten Höhepunkt schon mit den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze. - Vielleicht spielt auch der französische Mai '68 eine Rolle; denn Frankreich hinkte in der "revolutionären" Entwicklung tatsächlich hinter Deutschland her. Im Mai 1968 reisten SDS-Kader nach Paris, um den französischen Genossen das Revoluzzern beizubringen!
Zitat von Juno im Beitrag #4
Speziell zur Spiegel-Affäre würde mich einmal interessieren, inwiefern die mit der sich nahezu zeitgleich zuspitzenden Kuba-Krise in Verbindung stand bzw. in Verbindung gebracht wurde.

Darauf gehe ich im zweiten Teil ein.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

25.09.2012 17:33
#6 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #5
Die "Achtundsechziger" gibt es ohnehin wohl nur wegen des Anklangs an die "Achtundvierziger"

War die Erinnerung an die "Achtundvierziger" wirklich noch so präsent?

Zitat
Vielleicht spielt auch der französische Mai '68 eine Rolle


Davon bin ich bisher immer ausgegangen.

Egal was vorher schon in Deutschland an kleineren Protesten oder Aktionen passiert ist: Der Pariser Mai 1968 mit den Straßenschlachten und dem Generalstreik war doch deutlich heftiger als das, was sonst in der Welt passiert ist (Mexiko vielleicht ausgenommen).

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.09.2012 17:34
#7 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3
Zitat Vanessa Brandes "Literarische Grenzziehungen"
______
Just in diesen Wahlkampf hinein erschien nun im August des Jahres 1961, ebenfalls im Rowohlt-Taschenbuchverlag und als erste Publikation der neuen Reihe „rororo aktuell“, das von Martin Walser herausgegebene Bändchen „Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?“

Ja, da hatte sich die Crème der Gruppe 47 versammelt. Ich habe mir das Bändchen natürlich gekauft; es steht, jetzt vom Zerfallen bedroht, noch in meiner Bibliothek.

Dazu, die EsPeDe zu wählen, hat es mich aber nicht gebracht. An eine sozialliberale Koalition dachte damals noch niemand; eine erstarkte SPD hätte also allenfalls in einer Großen Koalition regieren können, die schon damals Herbert Wehner anstrebte (deshalb unterstützte er 1964 die Wiederwahl Lübkes, der als Freund einer Großen Koaliton galt).

Dann doch lieber die Union mit der FDP; am besten ohne Adenauer. So dachten damals offenbar viele, denn die FDP, die das als ihr Wahlziel verkündet hatte, erreichte ein Rekordergebnis.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.09.2012 17:38
#8 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #6
Zitat von Zettel im Beitrag #5
Die "Achtundsechziger" gibt es ohnehin wohl nur wegen des Anklangs an die "Achtundvierziger"

War die Erinnerung an die "Achtundvierziger" wirklich noch so präsent?


Naja, erlebt hatte 1848 keiner.

Aber der Begriff war geläufig; man hatte damals ja noch Geschichtsunterricht.

(In dem 1848 ausführlich behandelt wurde; als gewissermaßen der Gründungsmythos des demokratischen Deutschland).

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

27.09.2012 02:50
#9 Augsteins Feldzug gegen Strauß Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #1
Ein kleines Stück oral history.

Das kleine Stück wird jetzt doch etwas länger als ursprünglich geplant; nämlich drei- statt zweiteilig. Ich habe, statt die Teile nur durchzunumerieren, deshalb jetzt jeweils einen Untertitel hinzugefügt.

Der Untertitel des jetzigen zweiten Teils lautet: "Rudolf Augsteins Feldzug gegen Franz-Josef Strauß". Ich habe dazu meine Erinnerungen aufgeschrieben; ergänzt durch das, was inzwischen Augstein-Biografen (und kurz vor seinem Tod auch dieser selbst) zum Hintergrund des Zerwürfnisses zwischen Augstein und Strauß mitgeteilt haben.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

27.09.2012 11:04
#10 RE: Augsteins Feldzug gegen Strauß Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #9
Das kleine Stück wird jetzt doch etwas länger als ursprünglich geplant

Sehr schön!
Ich bin wirklich überrascht, wie wenig ich eigentlich über diese Zusammenhänge weiß und bin Ihnen, lieber Zettel, sehr dankbar für diese Darstellung.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

27.09.2012 19:57
#11 Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Wenn man einen Umbruch erlebt, dann erkennt man diesen seinen Charakter meist schon; freilich weiß man nicht, was daraus werden wird. Das war 1967/68 so; es war im Herbst 1989 so. Das erste Mal aber habe ich eine solche Zeit im Herbst 1962 erlebt.

Gewiß, eine Revolution war das nicht; noch nicht einmal Revoluzzerei. Aber so etwas wie eine revolutionäre Stimmung gab es schon. Wie auch meist in richtigen Revolutionen wollten wir mehr verteidigen als ändern. Zu verteidigen war die Pressefreiheit; war die Rechtsstaatlichkeit, die durch die Einmischung der Exekutive in die Judikative Schaden genommen hatte.

Aber am Ende kam mehr heraus als nur einen Verteidigung. Die Proteste, die Demonstrationen und Aktionen aus Solidarität mit dem "Spiegel" waren - im Rückblick - der Beginn einer zehnjährigen Periode des Umbruchs, die 1972 mit der Wahl Willy Brandts zum Kanzler ihren Abschluß fand.

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

27.09.2012 21:17
#12 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Lieber Zettel, machen Sie bitte weiter so !
Neben ihrer (ungeschlagenen) Fukushima Berichterstattung habe ich lange nichts mehr so spannendes gelesen, da diese Vorgänge weit vor meiner Zeit gelegen haben und dennoch das Land in dem ich lebe, stark geprägt haben. Ich freue mich auf den den dritten Teil und hoffe, dass Sie vielleicht noch den einen oder anderen Artikel mehr aus dieser Feder verfassen werden.

123 Offline



Beiträge: 287

28.09.2012 10:04
#13 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

In diese Umbruchzeit fällt auch die Entwicklung und Marktfreigabe der Antibabypille, 1960. Dadurch wurden viele zuvor mit der Sorge um das Kindeswohl begründeten Moralvorstellungen ihrer Grundlage entzogen.


Zum Spiegel: Die Spiegelaffäre hat gezeigt, beim wem die tatsächliche Gestaltungsmacht in westlichen Gesellschaften liegt. Bei den Leitmedien.

Politiker werden abgewählt und brauchen Mehrheiten, Medienherrscher wie Augstein hingegen genügen ausreichend Abonnenten, und können nach blieben skandalisieren, desinformiern, indoktrinieren. Es gibt wohl kaum eine Negativentwicklung in der BRD, die der Spiegel nicht unterstützt hat aufgrund seiner linken Ausrichtung.

Daß Augstein FJS zum Feindbild, ja gradezu zum Haßobjekt erkor, sagt viel über Augsteins verengte Wahrnehmung und ein fragwürdiges Demokratieverständnis aus.

Im 2.Teil von Zettels spannender Doku wird FJS beschrieben als charismatisch, wach und intelligent. Es erinnert an Napoleon, dessen Charisma und Energiegeladenheit entscheidend zur Gefolgsbereitschaft beitrug. Hinzu kommen klare Visionen und Entschlossenheit, das zu tun was man für richtig hält.

Augstein hielt offenbar einen Charaktertypus wie den des FJS für demokratiegefährdend, und übersah, daß im damaligen demokratischen System ein zweiter Napoleon keine Entfaltungsmöglichkeit mehr hatte. Allein schon weil jeder Politiker in einer Demokratie auf die Unterstützung der Medien angewiesen ist. Und da war ja Augstein selbst vor. Augsteins FJS-Phobie war völlig überzogen, aber für den Spiegel von großem Nutzen, um sich selbst als Demokratiebeschützer darzustellen.


Interessant ist Zettels Beschreibung der damaligen Stimmung bei der Spiegel-Affäre. Man sah eine demokratische Institution bedroht, weil ein Nachrichtenmagazin durchsucht wurde. Niedlich. Denn dutzende andere konnten ja weiter schreiben nach belieben. (Da ist heute die nahezu 100%ige Selbstzensur bei den Schlüsselthemen viel weiter, und niemand sieht die Pressefreiheit in Gefahr)
Nein - um Meinungsfreiheit ging es den wohl meisten, angeblich um die Pressefreiheit Besorgten nicht, sondern um Feindbildpflege. Denn schon damals, aber erst recht in den Folgejahren, formierte sich die massive Unterstützung sozialistischer Diktaturen, von denen man genau wusste daß sie jede Form der Meinungs- und Pressefreiheit strikt ablehnten, daß ihre Regime nichts als Armut erschufen und nur durch permanente Androhung und Anwendung von Folter und Mord - bis hin in genozidale Dimensionen, ihre Machtfülle erhalten konnten.

Augstein sah in FJS eine Gefahr für die Demokratie aufgrund überholter Kriterien. Zugleich unterstützte sein Magazin linke Standpunkte immer nachdrücklicher. Das macht Augstein als Demokratiehüter unglaubwürdig. Wäre es ihm tatsächlich um Demokratie gegangen, hätte er eher vor Willy Brandt und Herbert Wehner sowie die radikal-linken APO-Bewegung warnen und über deren Zielsetzungen aufklären müssen.

Die andere Möglichkeit ist natürlich, daß Augstein gar keinen Knick in der politischen Optik hatte, sondern weltanschaulich selbst der Demokratiegefährder war, als den er Strauß darstellte. Denn der Spiegel ist eindeutig das einflußreichste Medium seit Kriegsende. Und wurde immer linkslastiger bis in die heutigen Extreme hinein.

Der Einfluß des Spiegel ist so massiv, daß er nach belieben Themen setzen kann, gegen die die Politik nicht auf Dauer handeln kann. Z.B. Klimawandel, als man den Kölner Dom tief im Meer stehend zeigte 1986. Eine völlig abstruse Annahme und gezielte Panikmache und Irreführung der Öffentlichkeit, aber dafür sehr einprägsam und wichtiger Impulsgeber. Bis heute hat der Spiegel seine Haltung zur angeblich menschengemachten globalen Erwärmung nicht korrigiert. Es wird noch nicht einmal eine Darstellung unterschiedlicher Standpunkte zugelassen - alles andere als eine demokratsiche Haltung. Fälschlich haftet dem Spiegel ein Ruf der Objektivität und fundierter Recherche an. Was nur auf gelungenem Marketing beruhen kann, denn die Inhalte sind das genaue Gegenteil davon.

Käme ein Titel heraus: Der Klimabetrug - mit allen bekannten Fakten hierzu - die aktuelle Klima- und Energiepolitik ließe sich nicht aufrecht erhalten. Doch das werden wir nie erleben. Denn der Spiegel will nicht informieren, er will indoktrinieren, er will missionieren für eine linke Weltanschauung, und er diffamiert wer auch immer es wagt sich diesem Weltbild zu widersetzen.

Nicht FJS hat die Demokratie in der BRD massiv beschädigt, sondern Augstein´s Spiegel, der sich eine Schlüsselstellung unter allen Medien erobert hat, an der sich die übrigen Medien orientieren. Während die linken Medien stets den Springer-Verlag attackierten weil dieser sich lange dem linken Zeitgeist widersetzte, versäumten es (ehemals) bürgerliche Medien ihrerseits insbesondere den Spiegel für seine suggestiven, indoktrinativen und linkslastigen Inhalte in seinem Ansehen anzugreifen.

Heute unterstützt der Spiegel die Preisgabe der Souveränitätsrechte der EU-Staaten an eine demokratisch nicht legitimierte, zumeist annonyme Bürokratie in Brüssel, und verkündet Horrorszenarien für den Fall daß die katastrophale Euro-Einführung revidiert wird. Kritiker alles dominierender Staatsbürokratie werden diffamiert als "staatsfeindlich" (z.B. Tea-Party), während von allumfassender Bürokratenmacht segensreiches augehen soll. Es offenbart sich, was schon 1962 deutlich wurde:

FJS mag rabiat gewesen sein in seinem Charakter, aber er stand ein für die westliche Gesellschaftsform mit all ihren Freiheiten und Rechten für den Einzelnen und war erklärter Gegener der sozialistischen Foltermordregime.
Zwar stellt sich Augstein´s Magazin als "Sturmgeschütz der Demokratie" dar, tatsächlich hat es gemäß seinen Inhalten eher als Sturmgeschütz gegen die Demokratie gewirkt.

Augstein war der tatsächliche Demokratiegefährder, als den er FJS projiziert hatte. FJS hatte keinen prägenden Einfluß auf die BRD, der Spiegel jedoch einen zentralen. Die eigentliche Macht im Staat liegt heute bei den Medien, von deren Unterstützung die Politik abhängt. Daraus ergibt sich eine gefährliche Machtkonzentration bei den einflußreichsten Medien, insbesondere dem Spiegel und den GEZ-Kanälen, die nahezu durchweg mit Anhängern des ökolinken Weltbildes besetzt sind. Im Laufe der Jahrzehnte wurde aus den linkslastigen Ansichten von Augstein und Co, 1962 noch Minderheit, die tief verinnerlichte Mehrheitsmeinung und Gleichschaltung der Bevölkerung, siehe z.B. Zustimmung zum Atomausstieg und zu Obama (jeweils über 80%).

Westfale Offline



Beiträge: 45

28.09.2012 10:36
#14 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Lieber Zettel,

herzlichen Dank für diesen anschaulichen und spannenden Bericht aus einer Zeit, in deren vorherrschende Gemütslage ich mich nun ein wenig besser einfühlen kann.

Mit bestem Gruß,

der Westfale

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.09.2012 10:41
#15 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat
Landesverrat, so nahm ich (wie vermutlich die meisten Deutschen) an, begeht man, indem man geheime Informationen geheim einer fremden Macht zukommen läßt; nicht, indem man etwas in einer Auflage von knapp einer halben Million Exemplaren verbreitet.


Zugegeben, ich habe mich mit Landesverrat bisher überhaupt nicht beschäftigt. Aber nach meinem Verständnis ist es nicht relevant, ob die Geheiminformation nun geheim nur der fremden Macht oder über die Veröffentlichung jedem mitgeteilt wurde.
Wichtig ist nur, ob diese Information wichtig und zu Recht geheim war.

Ob das der Fall war, kann ich bei der damaligen Affäre nun überhaupt nicht beurteilen. Aber grundsätzlich wäre es wohl schon sehr gravierend, wenn man dem potentiellen Feind mitteilt, daß die eigene militärische Verteidigung mangelhaft ist.
Mit anderen Worten: Es ist erst einmal möglich, daß der Spiegel-Artikel tatsächlich kriminell war. Und natürlich zu befürchten war, daß weiterer Landesverrat mit unabsehbaren Folgen folgen würde.

Kann es also sein, daß an Strauß im wesentlichen nur zu kritisieren ist, daß er die Dienstwege nicht korrekt eingehalten hat?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.09.2012 14:18
#16 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #15
Aber nach meinem Verständnis ist es nicht relevant, ob die Geheiminformation nun geheim nur der fremden Macht oder über die Veröffentlichung jedem mitgeteilt wurde. Wichtig ist nur, ob diese Information wichtig und zu Recht geheim war.

Ja, das stimmt, lieber R.A. Nur wußte ich es eben damals nicht; die meisten wußten es vermutlich nicht. Wir dachten an bei Landesverrat an Spionage, nicht daran, daß eine Zeitschrift Informationen zusammenträgt und sie publiziert.
Zitat von R.A. im Beitrag #15
Es ist erst einmal möglich, daß der Spiegel-Artikel tatsächlich kriminell war. Und natürlich zu befürchten war, daß weiterer Landesverrat mit unabsehbaren Folgen folgen würde.

Kriminell würde ich das nicht nennen. Der "Spiegel" hatte ja alles unternommen, um keine Staatsgeheimnisse in den Artikel zu bringen. Ahlers hatte ihn vom BND auf Unbedenklichkeit gegenlesen lassen. Er wurde von Helmut Schmidt gegengelesen, der damals Wehrexperte der SPD war. Was von diesen als bedenklich eingestuft worden war, wurde gestrichen.

Die Staatsanwalt stützte sich auf ein Gutachten des Oberst Wicht aus dem Verteidigungsministerium. Dieser hatte zu prüfen, ob alle Fakten, die der "Spiegel" in dem Artikel "Bedingt abwehrbereit" gebracht hatte, zuvor schon publiziert gewesen waren. Aus Geheimhaltungsgründen durfte Wicht für seine Recherchen nur das im Ministerium verfügbare Pressematerieal benutzen, und das bestand aus gerade einmal 10 Presseorganen.

Wicht kam zu dem Schluß, daß zahlreiche Fakten nicht vorveröffentlicht gewesen waren und ihre Publikation also Landesverrat darstellte. Sein Gutachten war entscheidend für den Zugriff auf den "Spiegel".

Später hat der "Spiegel" dann Punkt für Punkt nachgewiesen, daß alles schon vorveröffentlicht gewesen war. Nur hatte das der Oberst Wicht halt nicht gewußt. Die Staatsanwaltschaft nahm darauf ihre Zuflucht zur "Mosaiktheorie", wonach es bereits Landesverrat ist, wenn eine Zeitschrift das schon Bekannte zusammenträgt und daraus Folgerungen zieht. Der Bundesgerichtshof lehnte aber die Eröffnung des Prozesses ab, weil kein hinreichender Tatverdacht bestehe.

Der "Spiegel" ist dann noch vor das BVerfG gezogen, um die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung feststellen zu lassen. Bei Stimmengleichheit der Richter (4:4) wurde die Verfasssungsbeschwerde abgelehnt.
Zitat von R.A. im Beitrag #15
Kann es also sein, daß an Strauß im wesentlichen nur zu kritisieren ist, daß er die Dienstwege nicht korrekt eingehalten hat?


Er hatte überhaupt kein Recht, sich in das Verfahren einzumischen. Gegen Ahlers lag ein Haftbefehl vor, der den spantischen Behörden von der deutschen Justiz hätte übermittelt werden müssen. Strauß hat aber den Militärattaché Oster in Madrid angerufen, der ein Duzfreund war. Diesen ging das erstens auch nichts an, und zweitens untestand er natürlich nicht Strauß, sondern dem Auswärtigen Amt. Strauß hat ihm eine dienstliche Weisung erteilt, was ihm gar nicht zustand. Oster wiederum hatte kein Recht, sich an die spanischen Behörden zu wenden, damit diese Ahlers festnahmen. So etwas ging nur in Francos Polizeistaat.

Das war, lieber R.A., schon alles sehr übel. Wir sind damals zu Recht auf die Straße gegangen.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

28.09.2012 15:02
#17 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #16
Der "Spiegel" hatte ja alles unternommen, um keine Staatsgeheimnisse in den Artikel zu bringen.

Das sind ganz wichtige Zusatzinformationen, vielen Dank.

Wobei Strauß das eigentlich hätte merken müssen. Für einen intelligenten Mensch wie ihn ist es eigentlich erstaunlich, daß er mit Anlauf in eine juristische Sackgasse gelaufen ist.

Zitat
Er hatte überhaupt kein Recht, sich in das Verfahren einzumischen.


Was er als Einserjurist natürlich nicht wissen konnte ;-)

Zitat
Wir sind damals zu Recht auf die Straße gegangen.


Ganz offensichtlicht.
Wobei das wohl erst deutlich hinterher klar war, daß der Protest wirklich berechtigt war.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.09.2012 15:54
#18 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #17

Zitat
Er hatte überhaupt kein Recht, sich in das Verfahren einzumischen.

Was er als Einserjurist natürlich nicht wissen konnte ;-)

Strauß, lieber R.A., war zwar einer mit vielen Einsern (wenn ich mich recht erinnere, hatte er das beste Abitur in Bayern seit 1910 gemacht und auch glänzende Noten im Studium bekommen), aber Jurist war er nicht. Er hat klassische Philologie und Geschichte auf Lehramt studiert und wollte promovieren und wohl eine Uni-Laufbahn einschlagen, wenn der Krieg ihm nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte.

Seine klassische Bildung hat er übrigens immer mal wieder aufblitzen lassen. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Bundestag, wo es um die Formulierung eines Gesetzestextes ging. Da kam - glaube ich - "alsbald" oder ein ähnliches Wort vor, und man stritt darüber, was das denn genau bedeute. Strauß' klärender Beitrag: "Dös bedeutet cum primum".

Herzlich, Zettel

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.424

28.09.2012 17:35
#19 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von 123 im Beitrag #13

...Medienherrscher wie Augstein hingegen genügen ausreichend Abonnenten, und können nach blieben skandalisieren, desinformiern, indoktrinieren. Es gibt wohl kaum eine Negativentwicklung in der BRD, die der Spiegel nicht unterstützt hat aufgrund seiner linken Ausrichtung.


Das sehe ich anders. Der Spiegel ist kommerziell erfolgreich und hat damit alles Recht, dass man in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nur haben kann, diese Meinung zu vertreten.
Das Problem sind die ÖR, denn die müssen NICHT kommerziell erfolgreich sein und sind die Flankenhilfe für das Spiegelimperium. Es wäre nicht schwierig eine Diskussion zu führen, wenn eine ideologisch gefärbte These NUR im Spiegel stände. Dann würde ein einfaches "Naja, die schreiben das, was ihre Leser lesen wollen". Aber dann kommt postwendend "Aber in der Tagesschau wurde das auch berichtet" und von da ab weiß man, dass mein sein Gegenüber nicht mehr überzeugen kann.

Diese unheilige Allianz aus privatrechtlichem linken Journalismus (mit einer entsprechend schlagkräftigen Truppe, das muss man dem Spiegel lassen) und den VERMEINTLICH objektiven ÖR - das ist das Problem.


Zitat von 123 im Beitrag #13

Daß Augstein FJS zum Feindbild, ja gradezu zum Haßobjekt erkor, sagt viel über Augsteins verengte Wahrnehmung und ein fragwürdiges Demokratieverständnis aus.



Hitler und Co waren noch gut in Erinnerung. Wenn FJS sich tatsächlich derart wie ein Aso benommen hat, dann kann man die Feindschaft zumindest verstehen. Und das FJS dann versucht hat, den Soiegel mit staatlichen Mitteln einzuschüchtern, konnte nicht gut gehen - ein Fehler.

C. Offline




Beiträge: 2.639

28.09.2012 17:35
#20 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #18

Seine klassische Bildung hat er übrigens immer mal wieder aufblitzen lassen. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Bundestag, wo es um die Formulierung eines Gesetzestextes ging. Da kam - glaube ich - "alsbald" oder ein ähnliches Wort vor, und man stritt darüber, was das denn genau bedeute. Strauß' klärender Beitrag: "Dös bedeutet cum primum".




google, google, Alleswisser.

Zitat von Der Spiegel
Der Bundesparlamentarier bemächtigte sich "zunehmende Unruhe". Sextanern gleich, die unversehens in ein Kolloquium von Altphilologen geraten sind, mußten die Abgeordneten anhören, wie der studierte Studienrat Franz-Josef Strauß und der ordentliche Universitätsprofessor Carlo Schmid plötzlich in fremder Zunge redeten: Im Bonner Bundeshaus wurde lateinisch parliert.




Quam primum

Nachtrag: lecker getextet vom Spiegel.

Der Riesling gehört zu Deutschland.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

28.09.2012 18:57
#21 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von C. im Beitrag #20
Zitat von Zettel im Beitrag #18

Seine klassische Bildung hat er übrigens immer mal wieder aufblitzen lassen. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Bundestag, wo es um die Formulierung eines Gesetzestextes ging. Da kam - glaube ich - "alsbald" oder ein ähnliches Wort vor, und man stritt darüber, was das denn genau bedeute. Strauß' klärender Beitrag: "Dös bedeutet cum primum".




google, google, Alleswisser.

Zitat von Der Spiegel
Der Bundesparlamentarier bemächtigte sich "zunehmende Unruhe". Sextanern gleich, die unversehens in ein Kolloquium von Altphilologen geraten sind, mußten die Abgeordneten anhören, wie der studierte Studienrat Franz-Josef Strauß und der ordentliche Universitätsprofessor Carlo Schmid plötzlich in fremder Zunge redeten: Im Bonner Bundeshaus wurde lateinisch parliert.



Quam primum


Danke! Für eine Erinnerung nach 51 Jahren bin ich mit meinem Gedächtnis eigentlich ganz zufrieden.

Paul Offline




Beiträge: 1.285

28.09.2012 23:24
#22 RE: Die "Spiegel-Affäre" Antworten

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen , lieber Zettel, für diese Dokumentation ganz herzlich bedanken.

Diese ganze Affäre habe ich als DDR-Bürger, ganz ohne „Spiegel“, in der „ersten Reihe sitzend“ - nein, stimmt auch nicht, Fernseher hatte ich damals noch nicht - also nur über Radio und DDR-Presse erlebt.
Fassungslos habe ich wahrgenommen, dass die Demokratie in Deutschland, an der mein Herz hing, demontiert wurde. Sowohl die Veröffentlichung des „Spiegel“ als auch die Aktion von Strauss, waren für mich jenseits von Gut und Böse. Ich konnte es nicht fassen, was dort passierte. Natürlich hat die DDR das genüsslich breitgetreten und ihren politischen Vorteil daraus gezogen. Das hat mich am meisten geärgert. War ich doch am Tage staatenlos und am Abend Bundesbürger.

Danken möchte ich aber auch Ihnen , liebe/lieber 123, für Ihren Beitrag # 13, der genau das ausdrückt was ich denke.

Nach dieser Affäre war der „Spiegel“ für mich die BILD für Intelektuelle und die BILD war der „Spiegel“ der Nichtintelektuellen. Da ich mich weder zu der einen noch zu der anderen Gruppe zugehörig fühlte, waren und sind beide Zeitungen für mich uninteressant. Es ist schon ein Vorteil der „Mitte“ anzugehören.

Verwundert bin ich darüber, dass der Spiegel sich auch heute noch für seinen damaligen „Enthüllungsjournalismus“ rühmt und nicht einsieht, dass sein Verhalten wohl nicht so ganz in Ordnung war, zu mindestens, auch aus heutiger Sicht, nicht ganz unumstritten war.

Lieber Zettel, Ihren Links bin ich weitgehend gefolgt. Das war sehr interessant für mich, da ich vieles nicht wusste. Hat aber eine ganze Menge Zeit gekostet.

Was ich nicht wusste, dass der „Spiegel“ Strauss quasi mit Hitler gleichgestellt hat, indem er vermutete, dass er sofort, wenn er Bundeskanzler werden würde, Mittel und Wege suchen und finden würde, um ständig an der Macht zu bleiben. Das war schon starker Tobak.

Könnte es nicht möglich sein, dass, wenn Strauss an die Macht gekommen wäre, vielleicht die Mauer schon viel früher gefallen wäre. Ja! Ist richtig! Das ist auch nur Spekulation. Aber was der „Spiegel“ kann, kann ich auch.

Weiter bin ich erschrocken darüber, wie es möglich ist eine Männerfeindschaft - wenn sie nicht so alt gewesen wären, würde ich schreiben: die Feindschaft pubertierender Jünglinge – wie man eine Feindschaft, so man den entsprechenden Einfluss als Verleger hat, ausleben kann. Wegen der Öffentlichkeitswirksamkeit des „Spiegel“, saß Strauss immer am kürzeren Hebel.

In diesen „Spiegel“ hat damals nur Augstein hineingesehen, um was wohl zu sehen? Richtig: Sich selbst.

Wer ist heute in diesem Spiegel zu sehen?

Eine Einfügung

augustin Offline



Beiträge: 128

29.09.2012 02:13
#23 RE: Die Bestzung des "Spiegel" und die Folgen Antworten

Zitat von 123 im Beitrag #13
Im 2.Teil von Zettels spannender Doku wird FJS beschrieben als charismatisch, wach und intelligent. Es erinnert an Napoleon, dessen Charisma und Energiegeladenheit entscheidend zur Gefolgsbereitschaft beitrug. Hinzu kommen klare Visionen und Entschlossenheit, das zu tun was man für richtig hält.

Augstein hielt offenbar einen Charaktertypus wie den des FJS für demokratiegefährdend, und übersah, daß im damaligen demokratischen System ein zweiter Napoleon keine Entfaltungsmöglichkeit mehr hatte.


Nun wenn ich Zettel richtig verstanden hatte, dann fürchtete Augstein FJS nicht, weil dieser ein hervorragender Politiker war, sondern respektierte ihn im Gegenteil zunächst dafür. Die Furcht bzw. persönliche Abscheu kam erst mit dem von Zettel beschriebenen stark berauschten Tischgespräch.

Ehrlich gesagt, überrascht es mich ein wenig, dass Augstein sich dieses so sehr zu Herzen nahm. Ohne die betreffenden Biographien gelesen zu haben oder die beiden Charaktere näher zu kennen, hätte ich vermutet, dass es sich hier um das typische Aufeinanderprallen von Menschen aus gegensätzlichen sozialen Milieus handelte. Auf der einen Seite Augstein, dem etablierten Bildungsbürgertum entstammend (Vater Fabrikant), auf der anderen Seite der kleinbürgerliche Aufsteiger Strauß (Vater Metzger). Dass der eine beim bierseligen politischen Tischgespräch eher polternd schwadroniert, als feingeistig räsoniert, würde mich jetzt nicht sonderlich überraschen. Auch nicht, dass ein machtbewusster Alpharüde wie Strauß ungehalten reagiert, wenn ihm (dem Bundesminister!) ein "kleiner" Redakteur beharrlich widerspricht.

Und dass im Suff viel dummes Zeug geredet hat, dass man nach dem verkaterten Aufwachen besser schnell vergisst, ist ja nun auch nichts Neues.

Aber gut, Augstein sah's offensichtlich anders.

Zitat
Allein schon weil jeder Politiker in einer Demokratie auf die Unterstützung der Medien angewiesen ist.



Nur bedingt, auch in einer gefestigten Demokratie (als die man die junge Bundesrepublik 12 Jahre nach Kriegsende aus 'ex ante'-Sicht wohl eher nicht bezeichnen konnte) gibt's nur alle 4-5 Jahre Wahlen zu gewinnen, etwas öfter wenn man das gesamte politische System einbezieht. Bis dahin kann die Politik theoretisch (und teilweise auch praktisch) durchregieren und sich um Meinungsumfragen einen feuchten Kehricht scheren.

Dieses ewige Gekusche unserer heutigen Politiker vor irgendwelchen medialen Kampagnen dürfte eher auf deren mangelnde Charakterstärke zurückzuführen sein als auf politische Notwendigkeiten. "Oh nein, was sollen denn die Leute denken?" ist die typische Floskel des Hasenfußes und chronischen Opportunisten, egal ob's um den eigenen Gartenzaun oder um Bundespolitik geht.

Ich glaube kaum, dass ein FJS oder andere hochkarätige Politiker der damaligen Zeit mit den heutigen Wetterfahnen vergleichbar sind.

Zitat
Man sah eine demokratische Institution bedroht, weil ein Nachrichtenmagazin durchsucht wurde. Niedlich. Denn dutzende andere konnten ja weiter schreiben nach belieben.



Da verkennen Sie aber den berühmten totalitären Leitsatz: "Bestrafe einen, erziehe hundert!"

Und mit Attributen wie "niedlich" wäre ich vorsichtig. Ich glaube, man tut den damaligen Liberalen massiv unrecht, wenn man ihre Befürchtungen, die Bundesrepublik könnte sich in einen Obrigkeitsstaat zurückentwickeln, als lächerlichen Alarmismus abtut.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

29.09.2012 08:55
#24 Augstein und Strauß Antworten

Zitat von augustin im Beitrag #23
Ohne die betreffenden Biographien gelesen zu haben oder die beiden Charaktere näher zu kennen, hätte ich vermutet, dass es sich hier um das typische Aufeinanderprallen von Menschen aus gegensätzlichen sozialen Milieus handelte. Auf der einen Seite Augstein, dem etablierten Bildungsbürgertum entstammend (Vater Fabrikant), auf der anderen Seite der kleinbürgerliche Aufsteiger Strauß (Vater Metzger). Dass der eine beim bierseligen politischen Tischgespräch eher polternd schwadroniert, als feingeistig räsoniert, würde mich jetzt nicht sonderlich überraschen. Auch nicht, dass ein machtbewusster Alpharüde wie Strauß ungehalten reagiert, wenn ihm (dem Bundesminister!) ein "kleiner" Redakteur beharrlich widerspricht.

Das dürfte eine Rolle gespielt haben; vor allem auch der kulturelle Gegensatz zwischen norddeutscher Zurückhaltung und bayerischem Gepoltere. Mich hat das, als ich die Schilderung dieser Nacht das erste Mal bei Brawand las, an den Herrn Permaneder in den "Buddenbrooks" erinnert, den Toni wegen "des Worts" verläßt (es lautete, wenn ich mich recht erinnere, "Sauluder, dreckerts").

Aber es ging ja nicht nur um Psychologie kulturelle Milieus und Mentalitäten. Die objektiven Konflikte bezogen sich auf die Atomrüstung der Bundeswehr und die Politik gegenüber den Sowjets. Mitte der fünfziger Jahre strebte nicht nur Strauß, sondern auch Adenauer nach Atomwaffen für die Bundeswehr (Adenauer: "Taktische Atomwaffen sind eine Weiterentwicklung der Artillerie"). Atomphyiker um v. Weizsäcker warnten davor und erhielten von Strauß zur Antwort, sie verstünden vielleicht etwas von Physik, aber nichts von Politik.

Strauß wollte Deutschland innerhalb der Nato aufwerten und gegenüber der UdSSR eine Politik der Stärke fahren. Augstein wollte die Tür für eine Wiedervereinigung offenhalten, bei der man sich mit den Sowjets arrangieren hätte müssen. Augstein sah die Gefahr eines Atomkriegs auf deutschem Boden, der beide Teile Deutschlands vernichten würde. Strauß glaubte an die Politik der Abschreckung.

Sie wären auch aufeinandergeprallt, wenn das Persönliche und das Folkloristische nicht gegeben hätte; nur vermutlich nicht so heftig.

Herzlich, Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

29.09.2012 10:39
#25 OT: Die Einheit Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #22
Könnte es nicht möglich sein, dass, wenn Strauss an die Macht gekommen wäre, vielleicht die Mauer schon viel früher gefallen wäre. Ja! Ist richtig! Das ist auch nur Spekulation.

Wenn man spekulierte, lieber Paul, dann könnte man auch spekulieren, dass es unter Strauss zu deutlichen Verschlechterungen im deutsch-deutschen Verhältnis gekommen wäre, die eine Einheit für immer verunmöglicht hätten. Alles etwas müssig. Ich mag ihre Spekulation aber aus einem anderen Grunde überhaupt nicht:

Ich habe wahrlich nicht allzuviel positives zur deutschen Einheit anzumerken (aus persönlichen Gründen), aber die deutsche Einheit ist keine Leistung der Politik, schon gar nicht der westdeutschen. Weder ist die Einheit eine Folge der Entspannungspolitik unter Schmidt, noch eine Folge der Politik von Helmut Kohl (den ich sonst sehr schätze), noch gar des Versagers Lafontaine, der die Einheit noch 1989 deutlich ablehnte. Es ist eine Leistung der Bevölkerung der ehemaligen DDR. Und daran gibt es selbst von mir, als eingeleischtem "Wessi" nichts, aber auch gar nichts zu deuteln. Warum mir das so wichtig ist, hat einen anderen Grund: Die friedliche Umwälzung der DDR ist ein historisches Artefakt. Eine Regierung wurde friedlich gestürzt, ohne das Schüsse fielen, ohne das Menschen unter Panzern oder Streitwagen landeten, ohne dass Regierungspaläste angezündet und Anschläge verübt wurden. Das ist zumindest für mich etwas ganz besonderes, etwas wichtiges. Und das als Leistung der Politik zu vermuten hat für mich etwas abwertendes. Gewiss, die Randbedingungen haben gestimmt, aber das waren Randbedingungen, die doch eher Betriebsunfälle der Geschichte gewesen sind. Kein Politiker hat gezielt auf den Zusammenfall zwischen ökonomischem Niedergang des Ostblocks, Führungsschwäche in der DDR und gleichzeitige moderater Regierung in Ungar hingearbeitet. Es ist Zufall, dass es zusammenkam. Deshalb gebührt nach meinem Dafürhalten die Leistung denjenigen, die damals auf die Strasse gegangen sind. Und nur diesen.

Sorry, wenn das vom Threadthema komplett abschweift. Aber mir erscheint das wichtig.

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