Friedrich von Hayek schrieb über den Weg zur Knechtschaft, ich schreibe über den Weg zur liberalen Gesellschaft. Das halte ich einfach für wichtiger.
Mich beschäftigt seit langem die Frage, wieso der Marxismus nach der Entwicklung der Liberalismus aufkommen konnte? War der Entwicklung und der vorübergehende Erfolg des Marxismus wirklich so unvermeidlich?
Ich empfinde den Liberalismus vor allem als eine Freiheitsbewegung, die um die Freiheit der noch unfreien Menschen kämpft. Also um genau die Menschen, die üblicherweise als Wähler und Gefolgsleute des Kommunismus eingeschätzt werden. Als wäre das eine Naturgesetz, eine Form von genetische Festsetzung, das der eine sich zum liberalen Menschen, der andere zum Kollektivmenschen entwickelt. Das ist es wohl kaum, weder ist der Mensch zum freien noch zum unfreien Menschen geboren. Er wird als ein Mensch geboren, der sich seine Freiheit erwerben muß, als schwaches und abhängiges Baby, das heranwächst und immer mehr Freiheiten genießen kann.
Was du ererbt hast von den Vätern erwirb es, um es zu besitzen
Ja und Nein. Wie ein Mensch wird, hängt nicht nur von ihm selbst ab. Gerade in den frühen ersten Jahren werden die Weichen nicht von ihm gestellt.
Wieviele erreichen dieses Stadium, wirklich ein freier Mensch zu sein und wieviel sind von sich und anderen gefesselt bis an ihr Lebensende.
Das ist doch ein merkwürdiger Widerspruch zum Beginn des Lebens. Fast jedes Baby, jedes Kleinkind trägt einen mit Neugiede und Staunen gefüllten Rucksack, die besten Voraussetzungen, um frei zu werden.
So empfinden ich bei den meisten Menschen, denen ich in ihren ersten Lebensjahren begegnete und wie sehr ändert sich bei einigen das Bild nur wenige Jahre darauf. Nicht sie selbst haben sich verändert, sie wurden verändert. Man muß sich nur die Älteren in ihrer Umgebung sich ansehen, um zu verstehen, was sich verändert hat.
Es ist aber äußerst unwahrscheinlich, das alle Heranwachsenden einer Gemeinschaft sich zu unfreien Menschen entwickeln. Trotzdem sind genau solche Gesellschaften entstanden, die den Menschen ihre Freiheit nahmen und nur noch eng begrenzte Freiräume in einer unfreien reglementierten Umgebung tolerierten. Auch nur dann, wenn man die Reglementierung akzeptierte.
Das ist doch eigenartig, daß sich diese Gesellschaften nach dem Aufkommen des Liberalismus auf der Basis der Theorien eines Marx und Zeitgenossen entwickeln konnten.
Was war der Auslöser für das Aufkommen sozialistischer und kommunistischer Organisationen? Nur das Wirken einiger Vordenker. Warum sollten sie wirken, wo sie doch die Konkurrenz der liberalen Denker gar nicht bestehen konnten.
Hayek und auch Mises behaupten, daß sie einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge boten. Das impliziert, daß die damaligen Unfreien zu beschränkt waren, um die edlen komplexen Gedanken der beiden Vordenker des Liberalismus zu begreifen.
Ist die Idee der Freiheit eine rationale Wahrnehmung? Das glaube ich nicht. Es ist eine große Sehnsucht der Menschen, aller Menschen, vielleicht die größte Emotion überhaupt, zu der Menschen fähig sind. Allerdings verstehe ich, das weder Hayek noch Mises das wahrnehmen konnten. Weder waren sie in der Lage, Emotionen wahrzunehmen und zu verstehen, noch Emotionen auszulösen. Jedenfalls nicht bei Menschen, die gänzlich anders als sie selbst waren. Sie schreiben sehr rational, selbst dann, wenn sie über Emotionen schreiben.
Die biologische Ausstattung des Menschen beschränkt starr das Feld, in dem er dienen kann. Die Klasse derjenigen, die die Gabe haben, ihre eigenen Gedanken zu denken, ist durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt von derjenigen Klasse, die dies nicht können
Das hat Ludwig von Mises in den Wurzeln des Antikapitalismus tatsächlich geschrieben. Es steht auf S. 18. Es klingt sehr rational. Aber ich denke, diese Passage und viele andere Passagen in seinen Büchern geht auf sehr emotionale Erfahrungen zurück. Er kam mit Menschen nicht zurecht, die einen viel einfacheren Beruf als er betrieben. Die Kluft hat er selbst wahrgenommen, aber er hat nicht wahrgenommen, das Menschen, gleich gebildet wie er, diese Kluft sehr wohl überbrücken konnten. Ich schätze, daß Friedrich von Hayek das gleiche Handikap hatte.
Liberale, die die unüberbrückbare Kluft überbrücken konnten, hat es vor Ludwig von Mises sehr wohl gegeben. Zum Beispiel einen Richard Cobden, der aus einfachen Verhältnissen stammend, zu Wohlstand, ja Reichtum gelangte. Er wurde von den Armen Champion of the poor genannt.
Champion of the poor! Ein Liberaler
Welcher Liberale von heute käme auch nur in die Nähe eines solche Ehrung. Westerwelle? Graf Lambdorf? Von Hayek oder von Mises?
Gab es andere bekannte Liberale, die man Champion of the poor hätte nennen können?
Ja, mit Sicherheit Rudolf Virchow aus dem pommerschen Schivelbein. Ein von Hayek oder von Mises hätte die Denkschrift über die Zustände in Oberschlesien gar nicht schreiben können.
Auch einer der Stammväter der Liberalen war ein Champion of the poor. Zu der Beerdigung eines Menschen, mit dem man nicht verwandt ist, geht man nur dann, wenn man einen schweren persönlichen Verlust erlitten hat.
Als Adam Smith beerdigt wurde, drängten sich ganz andere Menschen um den Sarg, als man es bei seinem gesellschaftlichen Stellung hätte erwartet. Arme, deren Familien er unterstützt hatte. So sehr unterstützt, das für den Erbneffen nicht viel blieb. Das ist äußerst ungewöhnlich, aber verständlich, wenn man sein Hauptwerk liest und den Wohlstand der Nationen aufmerksam liest.
Was hat sich nach dem Aufkommen der liberalen Bewegung in ihr verändert, daß die sozialistischen und kommunistischen Organisationen überhaupt eine Chance hatten, die Aufmerksamkeit der Armen und Unfreien Menschen auf sich zu ziehen?
Ich habe den Eindruck, daß sehr früh nach dem Aufkommen der liberalen Bewegung zu viele Liberale sehr genau unterschieden haben zwischen der Freiheit für alle, auch für die noch Unfreien, und ihrer persönlichen Freiheit, die sie, vor allem ökonomisch oder beruflich, für sich errungen hatten. Es reichte ihnen, ihre persönliche Freiheit errungen zu haben, die Freiheit der noch Unfreien war ihnen gar mehr nicht so wichtig.
Der Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen, errungen durch Bildung und Wohlstand. Oder wie es Virchow in seiner Denkschrift über Oberschlesien sagte. Freiheit mit ihren Töchtern Bildung und Wohlstand. Dabei sind beide auch die Mütter der Freiheit.
Wie mußten sich noch Unfreie Menschen fühlen, wenn sie andere Menschen hörten, die sich mit salbungsvollen Worten für Freiheit aussprachen, aber deutlich zu erkennen war, das sie die Freiheit der noch Unfreien damit nicht meinten? Das sie sehr genau unterschieden.
Die Hinwendung der noch Unfreien zu den sozialistischen und kommunistischen Organisationen ist nach meinem Eindruck nicht alleine mit der rationalen Überzeugung und emotionalen Zuneigung zu den Agitatoren zu erklären.
Da muß ein ganz anderes Gefühl eine Rolle spielen. Das der Enttäuschung und der bitteren Einsicht, das man von den Liberalen für seine Befreiung aus der Unfreiheit keine Unterstützung zu erwarten hatte. Das die Liberalen die noch Unfreien im Stich gelassen hatten. Man kann vielleicht sogar von Verrat sprechen. An der Idee der Freiheit und an denen, die der Freiheit am meistens bedürften.
Den Unfreien.
Ich habe den Eindruck, der Liberale Gedanke wird erst dann wieder zu einer mächtigen geistigen Kraft werden, wenn er über sein Klientel hinausgeht, wenn es Liberalen wieder ein ernstgemeintes Anliegen ist, die Freiheit aller anzustreben, auch der Menschen, die heute sozialistische oder kommunistische Parteien wählen.
Man mag einwenden, daß das das Ziel liberaler Politiker ist. Das mag sein, aber die liberalen Parteien haben keine Politiker, die die Wähler sozialistischer oder kommunistischer Parteien erreichen können. Glaubwürdigkeit erreicht man nicht durch rationale Argumente, sondern die Fähigkeit, Menschen emotional zu rühren und zu öffnen. Wer sollte das sein?
Herr Westerwelle?
Wer also?
Wer überbrückt die unüberbrückbare Kluft?
Wer ist der pontifex der Liberalen Bewegung?
Solange sich daran nichts ändern wird, solange die unüberbrückbare Kluft eines Ludwig von Mises, eines Friedrich von Hayek besteht, bleiben die Liberalen eine Marginalie der Politik.
Lerne Denken mit dem Herzen Und fühlen mit dem Geist
Vielleicht eine persönliche Ergänzung, wo ich das Hauptproblem sehe, warum der Liberalismus so ein Schattendasein führt.
Zum einen ist es so, dass der liberale Gedanke heute, anders wie das früher der Fall war, fast nur noch wirtschaftlich gesehen wird. Die Folge davon ist, dass gerade im Zuge der Globalisierung sich negative Gefühle beim Bürger mit dem Wort liberal verbinden. Das ist sehr schade, weil eben der liberale Gedanke gar nichts mit der Globalisierung zu tun hat.
Ein anderer Aspekt scheint mir aber noch wichtiger zu sein. Frei sein heißt nämlich auch den Preis dafür zu bezahlen. Bin ich frei, dann muss ich auch selber Verantwortung tragen, ich muss selber Risiken eingehen, ich muss selber Wege finden und ich muss mich häufig alleine meiner Gegner und Feinde erwehren.
Genau diesen Preis wollen aber die meisten Menschen nicht zahlen. Sie möchten lieber das anheimelnde, kuschelige Gefühl des Sozialstaates, der sozialen Gemeinschaft haben, die mich schützt, mir Risiken abnimmt und so weiter. Genau dies wird ja von linken Kreisen auch immer propagiert und der Preis dafür ist eben weniger Freiheit. Leider scheint ein nicht unerheblicher Teil insbesondere der deutschen Bevölkerung dies in Kauf zu nehmen. Ohne hier speziell ein Amerika- Kenner zu sein, scheint mir dies jedoch dort deutlich anders zu sein.
Noch gerade eine Anmerkung. Ich las auch Ihre Beiträge zu dem verschiedenen Verständnis verschiedener Nationen. Hier mal etwas nachzulesen würde mich interessieren, vielleicht haben Sie ein paar Internet Adressen als Tipp dazu.
Genau diesen Preis wollen aber die meisten Menschen nicht zahlen. Sie möchten lieber das anheimelnde, kuschelige Gefühl des Sozialstaates, der sozialen Gemeinschaft haben, die mich schützt, mir Risiken abnimmt und so weiter.
Freiheit heißt nicht Abwesenheit von jeder sozialen Gemeinschaft. So wird aber Individualismus zunehmend gelebt. An die Stelle der Distanzlosigkeit in einer repressive Gesellschaft trat nach 1945 bzw 1990 die Beziehungslosigkeit. Ich habe die aufkommende Beziehungslosigkeit und des falsch verstandenen Individualismus, der nur ein Egoismus in Freiheit ist, in der DDR erlebt. Als die Repression und der Mangel wegfiel, der eine gegenseitige Hilfe erzwang, dauerte es nur wenige Monate und es war der Zustand da, der mich in Deutschland West anwiderte. Das Ichwohl siegte über das Gemeinwohl.
Es wird allgemein akzeptiert, daß der Staat daran schuld ist. Ich bestreite das und sehe den Sozialstaat nicht als Ursache, sondern als Wirkung einer gegenseitige Entfremdung der Menschen.
Individualismus heißt ja nicht Beziehungslosigkeit, wird aber zunehmend so verstanden. Den Idealfall hat wohl Kant mit der schönen Metapher ungesellige Geselligkeit überschrieben, auf den mich Alexander Rüstow aufmerksam machte. Das ist eine Fähigkeit, die man lernen muß, ungesellig gesellig zu sein, ohne in die Extreme der Distanzlosigkeit oder Beziehungsflüchtigkeit zu verfallen.
Viele von uns haben diese Fähigkeit weder während des Heranwachsens erworben noch können sie als Erwachsene ungesellige Geselligkeit leben und Heranwachsenden vorleben.
Zweifelsohne, es ist schwierig
Beziehung zu leben, ohne die Distanz zu unterschreiten. Beziehung zu leben, ohne sich bei zu geringer Distanz aufzugeben.
Das ist eigentlich das, worum es geht. Sich zwischen den Extremen einzupendeln.
Eine Fähigkeit, die für mich zum elementare Bestand der Bildung gehört
Was hat nun der Wohlfahrtsstaat damit zu tun?
Ich denke, viele Deutsche sind in einer Welt herangewachsen, in der Distanzlosigkeit ihre prägende Erfahrung war. Das hängt auch mit den Erfahrungen der Eltern zusammen. Man sollte nicht den Trugschluß erliegen, daß die Nachkriegszeit abgeschlossen ist, in den einzelnen Menschen ist sie es nicht. Sie endet bei ihnen erst mit dem Tod. Das mag regional verschieden sein und hat sicherlich auch viel damit zu tun, welche Traditionen des Miteinanderumgehens in der Familie bestand und welche überwunden wurden.
Die bloße Flucht aus der Distanzlosigkeit führt ja nicht zur deren Überwindung, so daß man in der Beziehungslosigkeit verharrt oder die Erfahrung macht, in Beziehungen zu leben, in denen die Distanz unterschritten wird oder man sich in der zu geringen Distanz aufgibt. Logisch, das bei so fragilen Grundlagen für Beziehungen deren Beständigkeit und der Zutritt weiterer Menschen zu dieser Beziehung einbrach.
Sind nicht viele Ehen derart, daß man sich keinen Zeugen wünscht. Und ist dieser Zeuge nicht fast immer vorhanden, das Kind
Sagte der manchmal doch recht hellsichtige Nietzsche zu recht.
Wie lebt man in der Beziehungslosigkeit. Ist der große Freundeskreis gelebte ungesellige Gesellschaft? Er ist selten verbindlich. Wenn man ihn braucht, ist es kein gegenseitiges Geben und Nehmen und Stützen.
Wie lebt es sich also als Beziehungsflüchter, als Nestflüchter, den kein neues Nest hält, geschweige denn, das er eins bauen kann?
In der modernen Zeit gibt es eine Alternative zur ungeselligen Gesellschaft
Die Dienstleistung
Ob privat oder staatlich, ist nach meinem Empfinden zweitrangig. Entscheidend ist, wenn es sich um Dienstleistungen handelt, die ursprünglich zur gegenseitige Hilfe zählten. An Stelle des Nachbarn oder des Mitmenschen tritt ein bezahlter Mitarbeiter in ihr Leben und damit zwischen Sie und ihren Mitmenschen. Der Abstand zwischen ihnen und ihren Mitmenschen wächst.
Mit dem gegenseitigen Helfen schwindet das Miteinanderreden und geht erst in ein Aneinandervorbeireden, dann in ein Monolog oder Dialog mit Dritten in Abwesenheit des Mitmenschen über.
Das Ergebnis ist Mißtrauen gegenüber Nachbarn und Mitmenschen, so daß die gegenseitige Hilfe an der wachsenden gegenseitigen Befangenheit scheitert. Es muß nicht mehr Vertrauen ausgebaut werden, das ist durch die Entfremdung ohne verschlissen. Es muß Mißtrauen abgebaut werden.
Die bezahlte Dienstleistung wird propagiert. Aber sie darf nicht die elementare gegenseitigen Hilfe, die jede ungesellige Geselligkeit braucht, um als liberale Gesellschaft zu überleben, ersetzen. Nur sie schafft Vertrauen. Fehlt sie, wächst Mißtrauen.
Es ist völlig unerheblich, ob eine Dienstleistung privat oder staatlich ist. Mit meiner Familie suchte ich mal nach einer Bekannten, die deren Familie ins Altenheim abgeschoben hatte. Bei dieser Odyssee durch die privaten sehr noblen Altenheime im Süden Deutschlands habe ich bittere Erfahrungen gemacht. Menschen, die im Leben etwas geleistet haben, werden nominell noch mit Achtung behandelt. Die Titel werden verwendet. Aber die Achtung im Umgang mit den meistens hilflosen Menschen lässt Nächstenliebe völlig vermissen
Vorteil der USA ist das Leben in der Gemeinde. Das Gemeindeleben ist ja nur zum Teil religiös und gläubig, es geht weit darüberhinaus. Es ist vorallem die ungesellige Geselligkeit, die Sie bei Festen und Tagen der offenen Tür erleben können.
Der Liberalismus hat die Freiheit des Einzeln gegenüber Staat und Kirche propagiert. Mit der Kirche und dem Glauben schwand auch das Gemeindeleben.
Der Liberalismus hat zu spät, wenn überhaupt erkannt, daß an die Stelle der Gemeinde der Gläubigen eine säkuläre Gemeinde der Nachbarn und Gleichgesinnten treten muß, in dem die ungeselliges Geselligkeit von individuellen Menschen lebt.
In der weder die Distanz unterschritten wird noch sich das Individuum in der Distanzlosigkeit auflöst.
Einige der Ordoliberalen wie Rüstow, Röpke und auch Erhard haben das Verschwinden des Gemeinsinnes sehr wohl die Gefahr erkannt und bewußt eine liberale Gesellschaft jenseits von Angebot und Nachfrage entworfen. Leider hat man ihre Mahnungen nicht ernstgenommen.
Zu ihrer Nachfrage. Ich suche seit Monaten nach meinen digitalen Unterlagen und links zu dem Thema interkulturelle Kompetenz. Ich kann ihnen nur empfehlen nach Intercultural Competence und intercultural education zu suchen. Ich kann mich an ein Institut an der Westküste erinnern, daß eine ganz ausgezeichnete Einführung in die japanischen Besonderheiten bot. Wenn ich mich recht erinnere, finden Sie Artikel zu dem Thema auch in dem Archiv des Handelsblattes, aber wahrscheinlich nur im bezahlten Bereich.
Ihr Beitrag, für den ich Ihnen herzlich danke, enthält so viel Nachdenkenswertes, daß ich ihn sozusagen scheibchenweise, nach und nach, beantworten möchte.
Zitat von LiberoMich beschäftigt seit langem die Frage, wieso der Marxismus nach der Entwicklung der Liberalismus aufkommen konnte? War die Entwicklung und der vorübergehende Erfolg des Marxismus wirklich so unvermeidlich?
Arbeiterbewegung und sozialistische Ideen waren, denke ich, wohl schon unvermeidlich. Daß sie unter den unglücklichen Einfluß des Marxismus, dann gar zum großen Teil des Leninismus gekommen sind, sehe ich eher als historische Zufälle.
Natürlich nicht in dem trivialen Sinn, daß das Auftreten gerade dieser beider Figuren Zufall war. Sondern ich glaube, daß es ohne diese beiden Unglücksmenschen auch in Europa eine Entwicklung hätte geben können wie in den USA.
Was John Locke und Adam Smith noch nicht wissen konnten, das war die Unmenschlichkeit, unter der sich die beginnende Industrialisierung vollziehen würde. Verhältnisse, wie sie heute in China herrschen, das sich ja halb noch im Früh- und halb schon im Hochkapitalismus befindet.
Das mußte gerechte Empörung hervorrufen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wimmelte es infolgedessen von Sozialisten.
Wo kam ihre Ideologie her? Ohne jetzt einen Etatisten wie Saint Simon und einen Anarchisten wie Proudhon über einen Kamm scheren zu wollen - mir scheint, daß entscheidend so etwas wie das nicht eingelöste Versprechen der Französischen Revolution war.
Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz zwischen zwei so kurzzeitig aufeinander folgenden Ereigenissen vorstellen wie den zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution.
Die Amerikanische Revolution war die in politische Praxis umgesetzte politische Theorie des Liberalismus; von Locke, Smith, Montesquieu. Die Französische Revolution war ein egalitäres Aufbegehren, mit am ehesten Rousseau als philosophischem Vater.
Mit dem Egalitarismus war es aber bald vorbei. Erst waren alle gleich unter dem Terror, außer der jeweils gerade herrschenden Clique. Dann gab es die absolute Herrschaft von Bonaparte, dann die Rückkehr der Bourbonen.
Das Versprechen, die Hoffnung aber blieben. Saint Simon hatte die Revolution mitgemacht, Fourier sie als junger Mensch erlebt. Proudhon gehört schon zur nächsten Generation.
Mir scheint also, diese Frühsozialisten waren sozusagen die Nachhut der Französischen Revolution in einer Zeit, die längst über diese hinweggegangen war.
Und Marx? Er war ein schlechter Philosoph, ein lausiger Wissenschaftler in allen Bereichen, in denen er dilettierte. Er hatte aber die Überzeugungskraft eines biblischen Propheten. Er war ein Machtmensch, der eine Theorie erdachte, als Vehikel für die Durchsetzung seines Machtanspruchs.
Man mißversteht Marx, wenn man meint, daß er erst vorbehaltlos analysierte und dann aus den Ergebnissen die politischen Folgerungen zog. Es war umgekehrt: Er hatte bestimmte politische Ziele und fabrizierte dazu den theoretischen Unterbau.
Er mußte beispielsweise, um seiner Revoluzzerei eine theoretische Basis zu geben, "beweisen", daß im Kapitalismus notwendig Ausbeutung herrscht. Dazu stutzte er die Ricardo'sche Werttheorie so zurecht, daß es paßte: Dem Kapitalisten gehört der Wert der vom Arbeiter produzierten Waren. Dem Arbeiter bezahlt er aber nur den Wert von dessen Arbeitskraft, dh den zu ihrer Reproduktion erforderlichen Betrag. Dieser ist niedriger als der Wert der produzierten Waren. Den Mehrwert eignet sich der Kapitalist an, also beutet er den Arbeiter aus. Q.E.D.
Und der Liberalismus? Er war sozusagen als Theorie erschöpft, als er sich - in bestimmer Hinsicht - in der Praxis durchgesetzt hatte.
Freilich nur in gewisser, nämlich wirtschaftlicher Hinsicht. Die gesellschaftliche Sprengkraft, die, wie Sie es richtig sehen, im Liberalismus des 18. Jahrhunderts steckte, ging in Europa verloren. Sie brach sich sozusagen an den überkommenen gesellschaftlichen Strukturen.
Anders in den USA. Dort ist der Liberalismus im Grunde gesellschaftlicher Konsens.
Und das, lieber Libero, was Sie vermissen, gab und gibt es dort ja. Ronald Reagan, gewiß kein Theoretiker, war der vielleicht bedeutendste Praktiker dieses gesellschaftliche engagierten, am Wohl des Mitmenschen interessierten Liberalismus.
Adam Smith war keineswegs überrascht von der Unmenschlichkeit, die ja bereits durch die Arbeitsteilung entsteht
Die Arbeit der überwiegenden Mehrheit wird nach und nach auf einige wenige Arbeitsgänge eingeengt, oftmals nur auf einen oder zwei. Nun formt die Arbeit ganz zwangsläufig das Verständnis der meisten Menschen. Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt, die zudem immer das gleiche oder ein ähnliches Ergebnis haben, verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen.Ein solcher Arbeiter wird stumpfsinnig und einfältig, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann. Solch geistlose Tätigkeit beraubt ihn nicht nur der Fähigkeit, Gefallen an einer vernünftigen Unterhaltung zu finden oder sich daran zu beteiligen, sie stumpft ihn auch gegenüber differenzierteren Empfindungen wie Selbstlosigkeit, Großmut oder Güte ab, so dass er auch vielen Dingen gegenüber, selbst jenen des täglichen Lebens, seine gesunde Urteilsfähigkeit verliert.
Diese Erfahrung habe ich während meiner Kontischichten auch gemacht. Obwohl ich immer gerne gelesen habe, da konnte ich nur Hans Rosenthal ertragen. Mehr war nicht drin. Adam Smith hat arbeitsteilige Arbeit nicht ausgeführt. So schreibt nur ein Mensch, der über ein erstaunliches Vorstellungsvermögen verfügte und Emphatie besitzt. Der nahm seine Mitmenschen wahr und dem konnten sie auch nichts vormachen. Er brauchte nicht Unmenschlichkeit vorherzusehen, die konnte er schon damals beobachten.
Sie brach sich sozusagen an den überkommenen gesellschaftlichen Strukturen.
Sie liess sich brechen, wenn Sie an das Schicksal der frühen deutschen Liberalen Parteien denken. Vielen damaligen Liberalen reichte ihre persönliche Freiheit. Da war ein Brechen nicht notwendig.
was Sie vermissen, gab und gibt es dort ja.
Sie meinen die USA? Auch da muß ich widersprechen. Andrew Carnegie starb als Philanthrop, aber als Geschäftsmann war er ein .... Diese Art von Geschäftsmann ging nicht nur über die Leichen von Mitbewerbern, sondern auch von Mitarbeitern. Andrew Carnegie hat sich während seiner aktiven Zeit nicht wie ein Liberaler verhalten. Natürlich gibt es andere, die nie vergessen haben, das sie aus armen Verhältnissen stammten.
Ich habe den Eindruck, Sie schließen es völlig aus, das das Auftreten von liberalen Politikern einen erheblichen Beitrag zum Wachstum der sozialistischen Parteien geleistet haben. In dem Punkt unterscheiden wir uns. Ich denke, die Armen, die zum Nachdenken kamen, hatten verstanden, daß sie von Liberalen keine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erwarten konnten. Ich habe nicht ohne Grund von Mises zitiert. Ich könnte aus seinen Büchern noch weitere Zitate nennen. Sie sind typisch für eine gesellschaftliche Schicht, die nicht nur eine unüberbrückbare Kluft zu den Armen wahrnahm, sondern sie vor allem wahrnehmbar lebte. Während andere, aus der gleichen Schicht stammend, diese ohne Mühen überbrücken konnten.
Ich habe solche Menschen auch im Studium kennengelernt. Werkstudent bedeutet, daß man regulär als Hilfarbeiter arbeitet. Ich hatte keine Probleme, mich zu unterhalten. Andere hatten sehr große Probleme, obwohl sie später die Vorgesetzten genau der Menschen wurden, mit denen sie kein normales Gespräch führen konnten. Wenn, dann nur über die unüberbrückbarer Kluft hinweg.
In Antwort auf:Adam Smith war keineswegs überrascht von der Unmenschlichkeit, die ja bereits durch die Arbeitsteilung entsteht
Ich glaube, ich muß Smith mal gründlich lesen. Das Zitat ist sehr interessant. Smith beschreibt ja exakt - nur klarer und konkreter - das, was Marx später "Entfremdung" genannt hat.
In Antwort auf:Er brauchte nicht Unmenschlichkeit vorherzusehen, die konnte er schon damals beobachten.
Ich habe das leider nicht parat. Die Dampfmaschine war ja erst ein paar Jahre alt, als "On the wealth of nations" erschien.
Gewiß, es gab Manufakturen, es gab hochgradig arbeitsteilige Produktion. Aber wieviele Menschen arbeiteten um 1770 in England in solchen Industrien? Wie waren ihre Lebensbedingungen?
Ich meinte bisher zu wissen, daß die große Landflucht, die daraus resultierende Entstehung eines breiten Proletariats, das nicht mehr als das Existenzminimum verdiente, erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte (in GB; auf dem Kontinent noch ein paar Jahrzehnte später). Aber ich mag mich irren. Ich habe im Augenblick auch leider nicht die Zeit, das nachzulesen. Vielleicht wissen Sie es? Oder kennen eine leicht zugängliche Quelle?
In Antwort auf:Ich habe den Eindruck, Sie schließen es völlig aus, das das Auftreten von liberalen Politikern einen erheblichen Beitrag zum Wachstum der sozialistischen Parteien geleistet haben. In dem Punkt unterscheiden wir uns. Ich denke, die Armen, die zum Nachdenken kamen, hatten verstanden, daß sie von Liberalen keine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erwarten konnten.
Das ist eigentlich auch meine Vermutung. Ich habe es nur vielleicht etwas mehr geistesgeschichtlich zu sehen versucht: Der Frühsozialismus als eine Nachwirkung der Französischen Revolution, die ja keines ihrer Versprechen eingelöst hatte.
Das gilt für die Theoretiker, die ich genannt habe. Wie sah es im Volk aus, bei "den Armen", wie Sie sagen? Ich vermute, sie haben einfach nur ihre Situation als unerträglich empfunden. Sie sind denen gefolgt, die diese zu verbessern versprochen haben. Ein Teil jedenfalls. Ein Teil hat ja auch die Verhältnisse als gottgegeben angesehen.
Hätte ein, sagen wir, sozial engagierterer Liberalismus das Elend des Frühkapitalismus mildern oder gar verhindern können? Ich weiß nicht.
Marx sprach von der "ursprünglichen Akkumulation". Wir erleben das jetzt in China. Ich will nicht behaupten, daß es so sein muß, aber historisch ist es, wie es scheint, immer so gewesen: Sobald die Industrialisierung einsetzt, ziehen die Städte Landbevölkerung an, die auf dem Land noch elender dran ist als die Industriearbeiter. Es gibt ein Überangebot an Arbeit, also werden miserable Löhne gezahlt.
Marx hielt es für selbstverständlich, daß sich das nie ändern könne, weil der Kapitalist - ich habe das schon erläutert - nach seiner Theorie immer nur die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft, also das Existenzminimum, bezahlen wird und weil eine "industrielle Reservearmee" für ein fortdauerendes Überangebot an Arbeitern sorgt.
Er lag glücklicherweise, wie generell, völlig daneben.
Begann die Landflucht wirklich erst mit der Industrialisierung? War es ein Wegstreben oder ein Hinstreben und wenn es ein Wegstreben war, wer hat es verursacht? Ich erinnere an die Denkschrift von Rudolf Virchow über die Zustände in Oberschlesien. Die vorherigen Gutsarbeiter waren schlicht und einfach überflüssig geworden. Wie heute verloren die Menschen, die wortwörtlich von ihrem Hände Arbeit lebten, ihre Arbeit und damit ihre Existenzgrundlage. Sie innerhalb einer Familie auf Industriearbeit oder Kopfarbeit umzuorientieren, funktioniert nur mit erheblichen Anstrengungen in die Bildung. Hinzu kommt, das die Bauernbefreiung, also der Wegfall der Erbuntertänigkeit eines Bauern erst dann vollendet war, wenn der Gutsherr finanziell entschädigt war. Die Entschädigungszahlungen waren in vielen Fällen erst nach 1900 beendet. Sie stammen wohl nicht von Bauern ab?
Im Falle Englands ist die Umwandlung von Bauernland in Weideland ein Thema. Die Familie Spencer-Churchill hat so ihre Aufstieg in der Aristokratie begonnen, als Wollunternehmer.
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