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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Techniknörgler Offline



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02.01.2013 02:39
Wirtschaftsesotheriker Antworten

Bezüglich der Weltwirtschaftskrise in den 20/30er Jahren des 20. Jahunderts gibt es eine intersannte Analyse durch den Ökonomen Irving Fisher, der die damalige Entwicklung der Geldmenge, die man heute wohl M1 nennt, in seinem Buch 100% Money exemplarisch darlegt und die sich daraus ergebenden Probleme mit Inflation und Deflation beschreibt. Danach nennt er eine Lösung für das Problem: 100%-Money. Die Forderung, alles "Scheckbuch-Geld", also alle Sichteinlagen auf Konten, die für den Zahlungsverkehr geeignet sind (heute würde man sagen Giralgeld) statt mit einer (im Schnitt) 10% Mindestreserve, die in den USA bis Heute gilt, mit einer 100% Mindestreserve in gesetzlichem Zahlungsmittel zu versehen, wird im genannten Buch ausführlich dargelegt. Irving Fisher gilt als Vertreter der Neoklassik in der Ökonomie.

Die Frage einer solchen 100% Mindestreserve ist für sich genommen (und dies betont auch Irving Fisher in seinem Buch, dessen ersten beiden Kapitel ich im englischen Original gelesen habe) unabhängig von der Frage, ob die Zentralbank die von ihr ausgegebenen Geldeinheiten mit einer bestimmten Menge Edelmetall unterlegen muss, ob das Zentralbankgeld selber wieder eine Sichteinlage auf Edelmetall darstellt (die dann natürlich zu 100% gedeckt werden müsste) oder ob das Zentralbankgeld freigeschöpftes Fiat Money ist. Es ist unabhängig von der Frage nach welchen Kriterien die Zentralbank bei einer Fiat-Währung neues Geld schaffen darf und auf welches Ziel die geldschöpfende Instanz verpflichtet ist. Irving Fisher bevorzugt eine Verpflichtung auf die Preisstabilität, also dem, was auch aktuelle Rechtslage für die EZB ist, betont jedoch die grundsätzliche Unabhängigkeit dieser Forderung von der nach einer 100%-Mindestreservepflicht für Giralgeld (wie man es heute nennen würde). Er zählt noch einige andere Möglichkeiten auf, zum Beispiel die Bindung an die Bevölkerungszahl. Auch eine jährliche Erhöhung der Geldmenge um eine feste Rate wäre denkbar.

Die aus der Teilreserve entstehenden Probleme werden auch in diesem Artikel recht gut erklärt, wenn auch von einem Anhänger einer anschliesenen Golddeckung der Währung, die jedoch von der Frage der Teildeckung und was die Geldbasis darstellen soll,freigeschöpftes Fiat Money oder Edelmetall, zu trennen ist.

Was hat das ganze mit Freiwirtschaft zu tun? Freiwirtschaft ist die Lehre eines gewissen Silvio Gsells, der eine sogenannte Umlaufsicherungsgebühr forderte. Das so umlaugesicherte Geld nannte er Freigeld. Weiter Komponennten sind eine sogenannte Bodenreform, die zu sogenanntem Freiland führe, als letzte Komponente sah er Freihandel vor. Seine Lehre ist geprägt von einer starken Zinskritik. Den von der Umlaufsicherungsgebühr erzielten Zweck erreicht auch die heutige Inflation, wie auch von vielen Anhängern zuerkannt wird. Warum noch eine bürokratische-aufwändige, nominal erhobene Umlaufsicherungsgebühr notwendig seien soll, erschliest sich nicht. Auch ist Sinn und Zweck dieser Gebühr grundsätzlich fraglich. S.G. sah die Ursachen der Wirtschaftskriste hauptsächlich in einem angeblich "zu langsam" umlaufenden Geld. Durch permanennte Entwertung des Geldes solle der Umlauf gesichert und Hortung unatraktiv gemacht werden. Das ein Großteil des als Geld umlaufenden Zahlungsmittels gar nicht zur Geldbasis (damals Edelmetall) und nicht einmal zu dem nur teilweise durch die Geldbasis Gold gedeckten Zentralbankgeld gehörte, sondern schon damals weit überwiegend als Buchgeld bei Geschäftsbanken bestand, war ihm offenbar nicht bewusst oder er sah die aus der privaten Geldschöpfung der Geschäftsbanken entspringenden Probleme bezüglich der Schaffung von Geld durch Kreditvergabe nicht so, wie es der gebildete Ökonom Irving Fisher tat. S.G war kein wirklicher Ökonom, er war im besten Falle interesierter Laie.

Was haben die beiden Vorschläge nun also miteinander gemeinsam? Nichts. Sie schliesen sich lediglich nicht gegenseitig aus und viele heutige Anhänger der Freiwirtschaft fordern wohl auch eine 100% Mindestreserve, aber es ist nicht ihr Kernanliegen, das liegt in den oben genannten drei Fs: Freigeld, Freiland, Freihandel. Die Hauptprobleme sehen Freiwirtschaftler in gänzlich andere Dingen, wie oben ausgeführt, und eine Vollreserve dient ihnen ledliglich als eine notwendige Maßnahme um die anderen von ihnen geforderten Maßnahmen zu ermöglichen.

Silvio Gsell viel angeblich auch durch antisemitische Äußerungen auf und viele seiner Anhänger sollen wohl aus dem rechtsesotherischen Mileau stammen. Folglich hat auch die umbenannte Esowatch-Wiki eine Artikel zur "Freiwirtschaft", in dem es unter anderem heißt:

Zitat

Die Freiwirtschaft ist eine Theorie, die für eine Währung ohne Zins eintritt. Begründet wurde sie von Silvio Gesell (1862-1930).

Die Freiwirtschaft wird sehr häufig im rechten esoterischen Milieu aufgegriffen.
[...]

Zwar ist die Freiwirtschaft an sich nicht als esoterisch anzusehen, jedoch ist die Verbindung sehr häufig zu beobachten. Esoterische Buchverlage bieten sehr häufig auch Bücher über »Zinsknechtschaft« oder ähnliches an.

Eine Demonstration in Brüssel am 9. September 2007 unter dem Titel »United for Truth«, die Verschwörungstheorien zum 11. September zum Thema hatte, propagierte auch Forderungen der Freiwirtschaft.



Die Kursivsetzung stammt von mir. Ich stimme dem zitierten Artikel zu. Das Umfeld ist teilweise recht dubios, die Freiwirtschaft an sich aber erstmal nur eine ökonomischen Hypothesen eines interessierten Laien aus der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise in der ersten Hälfte des 20. Jahunderts, unabhängig von eventuellen antisemitschen Auswüchsen des selben Autors. Ich hätte aber vollstes Verständnis für jeden, der in der Freiwirtschaftslehre eine Parallele zur Esoterik bei naturwissenschaftlichen oder medizinischen Themen erkennt. Man könnte es Wirtschaftsesoterik nennen, auch wenn der Begriff Esoterik mE nach nur in Bezug auf medizinische oder natwurwissenschaftliche Crackpot-Theorien wirklich Sinn gibt.

Aber gut, dezent zurückhaltend, wie ich es von der sachlichen Skpetikerbewegung erwarte.

Nun wurde die Idee der Vollreserve (100%-Money) in der aktuellen Finanzkrise von einigen Ökonomen, aber auch einigen dubiosen Gestallten, wieder aufgegriffen und unter dem Namen "Vollgeld" neu aufgelegt. Dieser Vollgeld-Vorschlag entspricht weitgehend dem einer Vollreserve, mit einigen formalen Unterschieden und der Festlegung auf einige Details, bei denen Irving Fisher noch absichtlich mehrere Alterantiven anführte. Überrascht war ich dann, als ich über diesen Artikel in der psiram-Wiki gestoßen bin:

Zitat

Unter dem Namen Monetative bemühen sich seit April 2009 einige bekannte verschwörungsbehaftete Wirtschaftsesoteriker um die Etablierung einer Finanzmarktreform, die letztendlich als die "Natürliche Wirtschaftsordnung" nach Silvio Gesell zu identifizieren ist. Nach eigenen Angaben besteht die Monetative seit 2012 als eingetragener gemeinnütziger Verein.

Basierend auf dem "Vollgeld"-Konzept des Soziologen Joseph Huber[1] bewirbt der Verein unter dem Leitsatz "Geldschöpfung in öffentliche Hand" eine spezielle Geldreform in Kombination mit einer Installierung der Monetative als vierte Staatsgewalt. Diese unabhängige vierte Instanz soll die gesamte Geldschöpfung und dadurch den Geldumlauf kontrollieren.[2]



Der Artikel führt für die meisten Behauptungen Belege an und ist soweit korrekt. Lediglich für das harsche Urteil und die Behauptungen im allerersten Absatz fehlen diese. Ich kann da keinerlei Forderung auf der Website dieses Vereins lesen, welche etwas mit der Freiwirtschaftslehre zu tun hat, unabhängig davon, ob einzelne Mitglieder gleichzeitig auch im Dunstkreis der Freiwirtschaftler unterwegs sind. Vermutlich deshalb wird auch keine in der psiram-Wiki als Quelle verlinkt. Vielleicht habe ich aber auch nur entsprechende Verlinkungen auf der Website der Monetative übersehen, die zu entsprechendem Material führen könnten. Die Forderungen im Positionspapier und im FAQ, sowie den Erwiderungen auf Kritik, gehen stark auf die Idee der Vollreserve zurück, ledliglich mit einigen formalen Unterschieden, über die man angesichts ihrer Praktikabilität geteilter Meinung seien kann. Grundsätzlich Unterschiede sind das aber nicht.

Trotzdem wird hier direkt im ersten Absatz ein harsches Urteil über den Vorschlag gefällt, nur weil sich unter den Vertretern einige Esoteriker und Verschwörungstheoretiker befinden. Das wurde im Artikel zur Freiwirtschaft noch explizit vermieden. Wenn ein Esoteriker und Homöopath sagt, die Erde dreht sich um die Sonne, ist dann die Ablehnung des geozentrischen Weltbildes Esoterik? Mal abgesehen von der Problematik, politische Forderung im Bereich der Wirtschaft mit dem Begriff Esoterik zu belegen (der hat für mich eine eingeschränkte Bedeutung in Bezug auf die Themengebiete der exakten Wissenschaften, also den Natur- und Strukturwissenschaften, sowie der Medizin), kann mir das jemand erklären?

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

"Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for
the benefit of society, I know well the difficulty of drawing a line between the
things which are worth to the public the embarrassment of an exclusive patent, and
those which are not."
-Thomas Jefferson
Quelle: The Public Domain, p. 21, http://www.thepublicdomain.org/download/

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