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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
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lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

04.01.2013 09:04
Chávez, das Ende Antworten

Liebe Leser von Zettels Kleinem Zimmer,

der Mann stirbt offenbar wirklich in Habana.
Deshalb der Versuch einer Zusammenstellung der wichtigsten Punkte, was aus dem Kerl und Venezuela an diesem Punkt geworden ist.

1. Der Tod selbst
Wie sein Leben, ist auch sein Tod umrankt von einer Menge Polemik. Die meisten Medien halten sich da mit Berichten vernünftigerweise zurück. Dank der opaken Informationspolitik der Chavistas und Kubas kann man keiner Nachricht trauen.
Chávez unterzog sich Ende November kurz nach seiner 4. Wiederwahl als Präsident seiner dritten Krebsoperation in 18 Monaten, kehrte zurück nach Venezuela und musste direkt wieder zurück nach Habana, wo er zum vierten Mal operiert wurde. Nach wie vor existieren keine gesicherten Informationen darüber, was dort eigentlich operiert wurde. Ziemlich gesichert ist, dass der Krebs irgendwo im Unterleib ausbrach und sich Metastasen gebildet haben. Ziemlich plausibel klingt die Erklärung, dass nun ein Großteil seines Dünndarms entfernt wurde. Offenbar zog er sich in dem Krankenhaus eine bakterielle Infektion in der Lunge zu. Die Operation fand am 11. Dezember statt und seitdem gibt es kein Foto, keine aufgezeichnete Nachricht, nicht mal ein Tweet auf seinem Twitter-Account.
Etwa ab dem 30. Dezember wurde es um den hashtag #chavez sehr stürmisch. Wiederholt wurde sein Tod gemeldet. Sowas gehört schliesslich zur Folklore der karibischen Sozialismen. Der Preis für den phantasievollsten Auftritt zu diesem Anlass geht an den italienischen Profi-Hoaxer Tommassso Debenedetti (vermutlich), der Mitte Dezember einen Twitter-Fake-Account des japanischen Ministerpräsidenten erstellte und es zum "offiziellen Englischen Twitteraccount von Shinzo Abe erklärte". Inzwischen gelöscht, lässt sich dieser gutgemachte Hoax noch in google-cache bewundern: http://webcache.googleusercontent.com/se...9&ct=clnk&gl=de . Er erstellte den Account Mitte Dezember und meldete am 1. Januar, dass Botschaft und Außenminister ihn über den Tod von Chávez unterrichtet hätten.
ABC, Spanien, ist das einzige größere Medium, das aus der Deckung geht. Hier handelt es sich allerdings um eine Quelle, die mit Vorsicht zu goutieren ist. Immerhin meldeten die am 1. Januar, dass Chávez im Wachkoma gehalten wird und die ihm am Leben haltenden Apparate innerhalb weniger Stunden abgeschaltet würden. Der in Washington stationierte Korrespondent Emili Blasco behauptete letzte Nacht, seine Informationen stammten aus Quellen nahe am Präsidenten im Krankenhaus selbst über einen "geheimdienstlichen Weg der Übermittlung der Information". Mehr Details will er nicht geben. Venezolanische Minister dementierten und ereiferten sich darüber, dass der "Propaganda-Maschine der Opposition" jeglicher Respekt für schwerkranke Menschen" fehle. Sie selbst bezeichnen den Gesundheitszustand des Präsidenten bis gestern als "ernst aber stabil" (delicado, pero estable). Evo Morales meldete zumindest vorher, dass der Gesundheitszustand von Chávez sehr ernst sei. Am deutlichsten war die Aussage der alten und mir schon an anderer Stelle durch moralische Integrität positiv aufgefallene Gattin des uruguayischen Präsidenten Pepe Mujica: Sie sagte eindeutig, dass venezolanische Regierungskreise die Bitte des Ehepaars Mujica, Chávez im Krankenhaus zu besuchen, abschlugen. Diese Nacht gab es endlich ein Statement von Seiten der venezolanischen Regierung, dass eine bakteriell verursachten Lungenentzündung zu Aussetzern in der Atmung geführt hat. Die offizielle Seite bestätigt damit, dass er künstlich beatmet und mit Antibiotika vollgepumpt wird. Dies twittert seit Tagen der venezolanische Mediziner Jose Manuel Marquina, dessen sehr sachlich-professionellen Meldungen von der venezolanischen pro-Chavistischen Presse in diesen Tagen als "Propaganda hinter einer Mauer von Technizismen" gegeisselt wurden.
Gleichzeitig gab übrigens Vize-Präsident Nicolas Maduro letzte Nacht ein Statement ab, gemäss dem Chávez bald nach Venezuela zurückkehren würde.

Ich halte diesen kreativen Umgang mit Informationen für sehr exemplarisch für einmal die für das Venezuela der Chávez-Zeit sehr ausgeprägte personalistische, emotionalisierte Politik und leider auch für lateinamerikanische Gesellschaften insgesamt. Chile ist seit 3 Jahren OECD Mitglied. In dem Kontext gabs eine Umfrage in den Mitgliedsstaaten, ob man Geschäftspartnern eher trauen oder misstrauen würde. In Deutschland bejahten über 80% der Befragten, in Chile verneinten sie 70%. Ich würd in beiden Ländern die Frage wie die Mehrheit beantworten. Ich mein das nicht rassistisch, sondern als Folge von Institutionen und Geschichte sowie natürlich über einen längeren Zeitpunkt korrigierbar. Ein echtes Problem. Der opportunistische Umgang mit der Wahrhaftigkeit von Informationen kann ein wirksames Mittel im Überlebenskampf in prekären und instabilen Ökonomien darstellen. Der Umgang mit der Wahrhaftigkeit von Informationen stellt aber auch ein immaterielles öffentliches Gut dar, das insbesondere in komplexen ökonomischen Prozessen eine sehr wichtige Rolle spielt.

2. Die anstehende Vereidigung beziehungsweise die Nachfolge
Am Samstag steht die Vereidigung des Präsidenten zu seiner 4. Amtszeit an. Am 10. Januar endet die Amtszeit der Vorgänger-Regierung, die ebenfalls aus Chávez und Vize-Präsident Nicolas Maduro bestand. Erscheint Chávez zu diesem Zeitpunkt nicht, ist die venezolanische Verfassung deutlich: Neuwahlen innerhalb von 30 Tagen und Amtsführung des Präsidenten des Parlaments für die Übergangszeit.
Chávez selbst hat vor seiner Abreise nach Habana den Vizepräsidenten Nicolas Maduro zu seinem Nachfolger als oberste Führung der "bolivarianischen Revolution" ernannt. Maduro gilt als farblos, für chavistische Verhältnisse besonnen und als Mann Kubas. Venezuela hat für Kuba inzwischen die Rolle der Sowjetunion übernommen: Wie in den 70ern und 80ern werden 20% der Ausgaben der sehr langlebigen aber aus meiner Sicht aus sich selbst nicht tragfähigen Ein Parteien Diktatur von einer ausländischen Gesellschaft getragen. Übrigens gibts Berichte, wonach Maduro inzwischen seine Fühler Richtung den USA ausgestreckt hat. Ich warne vor vereinfachenden Schlussfolgerungen...
Als wichtigster Konkurrent Maduros gilt der Präsident des Parlaments Diosdado Cabello. Der sehr ungewöhnliche Vorname bedeutet übrigens "Gottgegeben". Cabello kommt aus dem militärischen Ursprungsstrom des Chavismo. Er gilt bei der Basis als korrupt und autoritär, war lange Zeit tief im Koka-Schmuggel verwickelt, ist aber gegenüber Kuba eher kritisch eingestellt.

3. Der Zustand Venezuelas
Die New York Times hat gestern nacht ein äußerst lesenswertes Paket von Meinungen verschiedener Experten geschnürt: http://www.nytimes.com/roomfordebate/201...ela-post-chavez
Lesenswert sind für mich insbesondere die Beiträge des von mir sehr geschätzten Bloggers und Journalisten Francisco Toro und des Ökonomen Moses Naím. Beide betonen die äußerst prekäre Finanz-Situation dieses Landes mit den größten Erdöl-Vorräten der Welt. Beide sehen sehr akuten und bald erzwungenen Bedarf einer Austeritäts-Politik. Der Co-Präsident eines lange Jahre pro-chavistisch eingestellten US-amerikanischen Think Tanks Mark Weissbrot hebt auf die Fortschritte in der Armutsreduktion und der Gesundheitsvorsorge unter Chávez ab. Mir konnte in 6 Jahren intensiver Beschäftigung mit dem Thema keiner erklären, warum dies ein so schlagkräftiges Argument ist, wo doch Chile als aus meiner Sicht in der Breite sehr unzufriedenes und im aktuellen Zustand gescheitertes offen radikal-neoliberales Projekt viel geringere Armutszahlen aufweist und Chile Venezuela in BIP pro Einwohner erst 2 Jahre vor der Amtsübernahme durch Chávez überholt hat. Diese auch in der europäischen Presse immer wieder erwähnten Schwellwerte für Armut und Extreme Armut sind völlig anspruchslos: Sie basieren auf Warenkörben, die ein sehr entbehrungsreiches und extrem diszipliniertes Leben oder besser gesagt Vegetieren voraussetzen.

Liebe Grüsse

Lemmy Caution

Eierkopp Offline



Beiträge: 226

06.01.2013 21:06
#2 RE: Chávez, das Ende Antworten

Interessant wird auch die Auswirkung auf Kuba, das vom Öl Venezuelas abhängig ist.

Zitat von Eric Margolis
If Chavez loses his fight with cancer -and this could come in days – or if he is incapacitated, a new government in Venezuela may either sharply lessen or, if the rightist opposition wins office, completely end aid to Cuba. This would leave Cuba in desperate straits. Cuba does not have enough hard currency to buy oil on the open market.

lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

07.01.2013 08:49
#3 neueste Entwicklungen Antworten

Ich betrachte Venezuela an diesem Punkt als so etwas wie eine Kolonie Kubas.
Das venezolanische Erdöl unterstützt viele weitere karibische und südamerikanische linke Regierungen substantiell. Bedeutung der venezolanischen Unterstützung aus meiner Sicht in dieser Reihenfolge: Nicaragua, Bolivien, Ecuador, El Salvador. Ausser Nicaragua halte ich die übrigen Regierungen für vergleichsweise gut für ihre jeweiligen Länder, gerade auch im Hinblick der wenig erheiternden Alternativen.
In jedem Fall werden sich die Gewichte in der Region verändern.

Dr. Marquina (https://twitter.com/marquina04) - dem ich traue - bekommt keine Nachrichten mehr aus dem CIMEQ, also die kubanische Klinik, in der Chávez hospitalisiert wird. Wird gemeldet, dass das medizinische Personal interniert ist. Ich geb dem - und der undichten Stelle - eine hohe Wahrscheinlichkeit. Offenbar hat sich die Familie Chávez über die undichten Stellen im CIMEQ beklagt, was einer Bestätigung der Meldungen gleichkäme. Allerdings können diese Aussagen auch verdreht worden sein.


Artikel 231 der Verfassung Venezuelas
El candidato elegido o candidata elegida tomará posesión del cargo de Presidente o Presidenta de la República el diez de enero del primer año de su período constitucional, mediante juramento ante la Asamblea Nacional. Si por cualquier motivo sobrevenido el Presidente o Presidenta de la República no pudiese tomar posesión ante la Asamblea Nacional, lo hará ante el Tribunal Supremo de Justicia.

Kurzfassung: Der gewählte Kandidat wird am 10. Janunar nach der Wahl vor der Nationalversammlung vereidigt. Falls der gewählte Präsident aus irgendeinem Grund nicht vor der Nationalversammlung vereidigt werden kann, wird er vor dem Obersten Gerichtshof vereidigt.

Artikel 233 behandelt die permanente Abwesenheit des Präsidenten:
http://www.enoriente.com/constitucion/articulo233.htm
Abwesenheit aus folgenden Gründen:
Tod, Rücktritt vom Amt, Absetzung durch den Obersten Gerichtshof, permanente physische oder mentale Amtsunfähigkeit, zertifiziert durch eine vom Obersten Gerichtshof und Nationalversammlung eingesetzten Mediziner-Kommission, Amtsflucht, Absetzung durch Volksabstimmung.
In diesen Fällen soll es innerhalb von 30 Tagen eine Neuwahl geben.

Nun bezeichnet die Regierung die geforderte Vereidigung vor der Nationalversammlung am explizit 10.01. als Formalität. Kaum einer glaubt noch, dass Chávez an diesem Punkt physisch in der Lage ist, dass Präsidenten-Amt noch einmal zu übernehmen. Die Regierung will offenbar die Neuwahl verschieben. Ob die Taktik ausgeht, hält der intelligente Teil der Opposition für sehr fraglich. Ohne dem charismatischen Líder wird der Chavismo nach innen und aussen an Kraft verlieren. Im übrigen wurden die günstigen makroökonomischen Daten im Wahljahr 2012 erkauft durch eine gewaltige Neuverschuldung von 12 bis 20% BIP zu Horror-Zinsen von 14%. An irgendeinem Punkt müssen die bremsen. Sieht auch nicht so aus, dass der Ölpreis über die nächsten 6 Monate deutlich steigen wird.

Oppo-venezoelanische Blogs laufen zu Hochform auf:
http://caracaschronicles.com/2013/01/05/...aduro-doctrine/
http://devilsexcrement.com/2013/01/05/ch...h-in-venezuela/

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

07.01.2013 11:26
#4 RE: neueste Entwicklungen Antworten

Zitat von lemmyPaz im Beitrag #3
Artikel 233 behandelt die permanente Abwesenheit des Präsidenten:
http://www.enoriente.com/constitucion/articulo233.htm
Abwesenheit aus folgenden Gründen:
Tod, Rücktritt vom Amt, Absetzung durch den Obersten Gerichtshof, permanente physische oder mentale Amtsunfähigkeit, zertifiziert durch eine vom Obersten Gerichtshof und Nationalversammlung eingesetzten Mediziner-Kommission, Amtsflucht, Absetzung durch Volksabstimmung.
In diesen Fällen soll es innerhalb von 30 Tagen eine Neuwahl geben.

Wenn die sozialistischen Winkeladvokaten der EU Verträge nach de facto nach Belieben missachten und verletzen können, wenn es dem Greater Good dient, warum sollten sich dann sozialistische Kaderparteien von juristischen Formalitäten aufhalten lassen? Nur so als Anmerkung, nicht genehme "unwesentliche Nebensächlichkeiten" werden halt im Zweifel von sozialistischen Politikern gerne einfach mal aus dem Weg geräumt.

lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

07.01.2013 22:21
#5 Informations Catenaccio Antworten

Das nervigste ist die Informations Politik.
Der am Donnerstag zu vereidigende offenbar schwer-kranke Präsident liegt also in diesem Elite-Hospital in Habana und detaillierte offizielle Information über den Gesundheitszustand gibt es so gut wie gar nicht.
Gleichzeitig rudern die Chavistas heftig mit den Armen, reden von Nachrichten-Krieg, psychologischer Kriegsführung der bürgerlichen Presse und was nicht alles.

Als die Regierung am 2.1. zumindest Atmungs-Probleme von Präsident Chávez zugab, war für mich der Punkt erreicht, dass das Leak in der Klinik offenbar echt war.
Nun gibt es aber wieder schon andere Meinungen. Der anti-castrische Sohn Juan Almeida eines 2009 verstorbenen hohen kubanischen Funktionärs hält die Version des Leaks aus der Elite-Klinik CIMEQ für unglaubwürdig. Das ist seiner Meinung nach einfach zu gut überwacht.
http://www.martinoticias.com/content/cim...avez/18202.html
Zu Beginn der Krebs-Operationen hielten es übrigens insbesondere Oppositionelle für einen Propaganda-Trick. Nach einer Zeit würde Chávez gestärkt wie Kai aus der Kiste und durch göttliche Fügung geheilt seinen schicksalhaften Kampf gegen das Böse fortführen. Das ist nicht eingetroffen. Chávez ist schwer krebs-krank. In Lateinamerika wirken leider solche Knalleffekte. Wunderglaube ist nach wie vor sehr weit verbreitet. Mir selbst ist das völlig fremd.

Der Nachrichtenkanal aus der Klinik scheint in jedem Fall erstmal durchschnitten, falls er jemals echt war.

Der uruguayische Präsident Pepe Mujica wird morgen sein Parlament um Erlaubnis für eine Reise nach Caracas bitten, um seinen Freund Chávez zu besuchen. Vermutlich wird sie ihn nach Habana weiterführen. Die Opposition meldete bereits Vorbehalte an. Mal sehn wie sich das ausgeht. Den halte ich für eine zuverlässige Quelle. Die anarchische Type wird sich keiner spät-stalinistischen Disziplin unterwerfen. Sollte er keinen Zutritt erhalten, wäre das auch so etwas wie ein Hinweis.

Ein brasilianischer Sondergesandter hat mit Leuten gesprochen, die Chávez im Hospital besucht haben. Der ist dann zum Urlaub nach Mexiko weitergereist und gibt keine Kommentare ab.

Der oppositionelle Bürgermeister von Caracas Ledezma forderte, dass eine unabhängige Kommission venezolanischer Ärzte nach Habana reist und sich den Patienten einmal anschaut. Keine Chance.

Hay que esperar no más. (Bleibt nur warten).
Diese Sitten werden sich vermutlich auch dann nicht geändert haben, wenn die Region in 20 Jahren ein ähnliches BIP/Einwohner erwirtschaftet wie die EU heute.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

07.01.2013 23:21
#6 RE: Informations Catenaccio Antworten

An dieser Stelle mal ein großes Danke für lemmyPaz' Informationen, der für mich, der Spanisch eher erahnt als spricht, eine verlässliche Quelle darstellt, gerade weil ich weiß, dass er politisch anders tickt.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Frank Böhmert Offline




Beiträge: 927

08.01.2013 08:12
#7 RE: Informations Catenaccio Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #6
An dieser Stelle mal ein großes Danke für lemmyPaz' Informationen, der für mich, der Spanisch eher erahnt als spricht, eine verlässliche Quelle darstellt, gerade weil ich weiß, dass er politisch anders tickt.

Dem schließe ich mich an! Ich kann mangels Ahnung nichts zu Threads wie diesem beitragen, lese sie aber immer gespannt.

Frank Böhmert Offline




Beiträge: 927

09.01.2013 17:44
#8 RE: Chávez, das Ende Antworten
lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

09.01.2013 21:31
#9 RE: Chávez, das Ende Antworten

Vielen Dank für die freundlichen Kommentare.

Guter Artikel, zu erwartende Kommentare
Immer das gleiche. Keine Zeit da ein paar Takte hinzuzufügen.

Das Schlüsselereignis war der sogenannte Putsch 2002. Dazu gibt es ein gutes Buch eines US-amerikanischen Journalisten mit enger Verbindung zu Venezuela. Ich habs leider verloren und weiss den Namen nicht mehr. Werds mal recherchieren. Da wird sehr deutlich nachgezeichnet, wie der Chavismus mit Wahrheit umgeht.

Der chavistisch dominierte Oberste Gerichtshof hat inzwischen entschieden, dass der Vizepräsident die Amtsgeschäfte fortführen darf, ohne dass Chávez vereidigt wird. Gemäss ihrer Interpretation von Artikel 231:

Artículo 231 El candidato elegido o candidata elegida tomará posesión del cargo de Presidente o Presidenta de la República el diez de enero del primer año de su período constitucional, mediante juramento ante la Asamblea Nacional. Si por cualquier motivo sobrevenido el Presidente o Presidenta de la República no pudiese tomar posesión ante la Asamblea Nacional, lo hará ante el Tribunal Supremo de Justicia.

Der gewählte Kandidat oder die gewählte Kandidatin übernimmt das Präsidentenamt am 10. Januar des ersten Jahrs seiner Amtsperiode durch einen Amtseid vor der Nationalversammlung. Falls der Präsident durch einen plötzlich hereinbrechenden Grund sein Amt nicht vor der Nationalversammlung antreten kann, wird er das vor dem Obersten Gerichtshof machen.

Schon ein wenig seltsam. Nach Auffassung der Obersten Verfassungs-Richterin ist die Amtseinführung vor dem Obersten Gerichtshof nicht an ein Datum gebunden.

Ansonsten scheinen sich einige lateinamerikanische Staatspräsidenten nach Caracas aufzumachen. Vermutlich wird es am Donnerstag eine Zeremonie geben. Ohne Chávez natürlich. Oppositionelle Blogs weisen darauf in, dass viele der Anwesenden Amtsträger lateinamerikanischer Brüder-Nationen von vorherigen Besuchen ins schöne Venezuela stets mit Koffern voller Aufträge für die Unternehmen ihres Landes zurückkehrten. Bauprojekte, Nahrungsmittel-Exporte, etc.

Ganz sicher nicht erscheinen werden die Pazifik-Staaten Chile, Peru und Kolumbien sowie Mexiko. Die werden sich völlig zurückhalten. Bolivien, Ecuador, Nicaragua sind enge Verbündete und Transfer-Empfänger. Die Präsidenten Argentiniens, Brasiliens und Uruguays unterhalten sehr gute und für sie auch wirtschaftlich einträgliche Beziehungen zu Chávez, obwohl sie sich in nationalen Zeitungs-Interviews schon sehr kritisch insbesondere zu Chávez Wirtschaftspolitik geäussert haben.

Die Besucher aus der Region werden die neue Regierung selbstverständlich aufwerten.

Spannend wird die wirtschaftliche Lage. Selbst amerika21 gibt zu, dass inzwischen 96% der Exporte aus Erdöl bestehen. Die venezolanische Währung ist hoffnungslos überbewertet. Der bekannte Ökonom Moses Naím nennt eine Neuverschuldung von 20% im letzten Jahr, während andere Analysten von 12% sprechen. Es war ein Jahr mit Präsidentschaftswahlen im Oktober. Diese Wahl hat Chávez bei sehr hoher Wahlbeteiligung mit 55% zu 45% gegen den Kandidaten der Opposition gewonnen. Venezuela gibt Staatsanleihen in einem kuriosen Prozess aus, in dem die in Dollar gezeichneten Anleihen in venezolanischen Bolívars an vermögende Einheimische verkauft werden, die dann diese Papiere in Dollar an einen kleinen Kreis von US-Investoren verkaufen, auch um so an Devisen zu kommen. Die Rendite beträgt etwa 14%. Ein Wahnsinn. Dabei muss man bedenken, dass der venezolanische Staat normal keinen Devisenmangel kennen sollte, da man ja auf riesigen Mengen von Erdöl sitzt.
Im letzten Jahr gabs ein Wachstum von 5,5%. Allerdings gabs 2010 bis Anfang 2012 eine lang andauernde Rezession. Ganz Lateinamerika profitiert von den hohen Rohstoffpreisen. Ich werd mal an einer Grafik zeigen, dass in Sachen BIP-Wachstum Venezuela im lateinamerikanischen Kontext in den letzten 14 Jahren ein underperformer war.

Chávez hat vor seiner Abreise Nicolas Maduro zu seinem Stellvertreter erklärt. Maduro kann nicht öffentlich mitreissend reden, immer eine Stärke von Chávez. Zur Zeit geloben die verschiedenen Flügel des Chavismus enge Verbundenheit. Wird sich zeigen, ob dies von Dauer ist. Chávez selbst hat in den letzten 15 Jahren eigentlich permanent Leute an die Spitze gesetzt und dann aber auch wieder abgesetzt. Einige landeten sogar im Gefängnis.

Zettel hat mir angeboten, einen Gast-Artikel zu schreiben. Das nehm ich natürlich gerne an. Aber der soll dann wirklich gut werden und da will ich mir schon ein wenig Mühe geben. Zur Zeit bin ich erwerbsmässig und steuerbürokratisch sehr beschäftigt. Also genau hab ich einen Flug am 29. nach Santiago und will dann mit ein paar Leuten zum Angeln, Schwimmen und Ausspannen für die ersten zwei Februar-Wochen an die Seen etwas südöstlich von Temuco fahren, das etwa 850 km südlich von Santiago liegt. Und mein aktueller Kunde weiss noch nichts von dieser eher spontanen Entscheidung. Aber es gibt da ein Zeitfenster... Muss halt nur wirklich ziemlich Vollgas geben.

Gruß Lemmy

lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

10.01.2013 20:44
#10 RE: Chávez, das Ende Antworten

OOOOPS

Zitat
Vielen Dank für die freundlichen Kommentare.

Guter Artikel, zu erwartende Kommentare
Immer das gleiche. Keine Zeit da ein paar Takte hinzuzufügen.



Das klingt natürlich mega-eingebildet. Ich meinte in dem Guter Artikel, zu erwartende Kommentare den im Posting drüber erwähnten NZZ Artikel und die Kommentare.
Danach hab ich das mit den freundlichen Kommentaren in diesem Thread darüber gesetzt, ohne mir klar zu sein, dass der Satz dadrunter in einen total anderen Kontext gerät.

lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

10.01.2013 21:55
#11 RE: Chávez, das Ende Antworten

http://www.amazon.de/Der-Krieg-Ende-Welt...h/dp/3518378430

Mein Lieblingsbuch von Mario Vargas Llosa.

Anders kann man das nun nicht mehr begreifen.
http://stream.wsj.com/story/world-stream...nert-wsj#Chavez
Das nun oberste Video #Chavez supporters dance and his hold his image. Many here believe that #Chavez’s socialist revolution will endure.

Der Prophet fährt nun bald in den Himmel und das Volk tanzt.

oh nein: http://www.youtube.com/watch?feature=pla...d&v=A81OpCnOy50
"Kommandant, wir lieben Sie. Ich bin Chávez und gehe auf die Knie in den Staub."

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

10.01.2013 22:26
#12 RE: Chávez, das Ende Antworten

Man muß allerdings auch in Rechnung stellen, daß Vargas Llosa kein historisches Sachbuch schreibt, sondern einen Roman, mit entsprechender Verschärfung der Kontraste. Wenn Werner Herzog das verfilmt hätte, wäre die Rolle des Consilheiro ein Paradesütck für Klaus Kinski gewesen.
Historisch genauer (heißt es jedenfalls; es war ja keiner von uns dabei) ist Euclides da Cunhas Os Seroes - eigentlich die einzige umfangreiche Quelle über den Aufstand von Canudos. (dt. Krieg im Sertao, Suhrkamp, 2000)
(Kleiner Abstrich: Da Cunha ist stark von Hippolyte Taine beeinflußt - daher das große Gewicht auf Klima & Landesbeschaffenheit, die den ganzen 1. Teil ausmachen).

Plus ca change, c'est tout la même chose: wenn man aber über die Dynamik solcher messianischer Kulte Bescheid wissen möchte, dann ist da Cunha augenöffnend. Es gibt kein besseres Buch über das, was z.B. im Täuferreich zu Münster 1534/35 abgelaufen ist, von der sozialen Komponente, die am Anfang mitläuft, über die Belagerung, die immer wahnsinnigeren Visionen der "Propheten", bis hin zur Niedermetzelung sämtlicher "Rebellen", als dieses Buch über das brasilianische Hinterland 1893-97. (Im chinesischen Taiping-Aufstand 1850-1865 kann man übrigens die gleiche Dynamik sehen; mit dem Unterschied, daß da deutlich wurde, was passiert, wenn solche "Erleuchteten" - zunächst - siegen: "Im Taiping-Aufstand starben wahrscheinlich 20 Millionen Menschen – er war damit der opferreichste Bürgerkrieg der Menschheitsgeschichte".)

lemmyPaz Offline



Beiträge: 90

11.01.2013 05:43
#13 RE: Chávez, das Ende Antworten

... und aus meiner Sicht ist dieser religiös-mythische Aspekt fundamental für ein Verständnis des Chavismo sowie auch der starken Polarisierung in Venezuela.
Sehr nahe an den starken polit-religiösen Strömungen in der Arabischen Welt. Ein tiefes Gefühl des Misstrauen gegen unsere Art des politischen Denkens in Institutionen, checks and balances, ein rationaler Diskurs insgesamt.
Vielleicht auch der Ausfluss eines Mangels an Geborgenheit in Nationen mit einem schwächeren Moment an Einschluss, der ja auch in dem relativ bekannten brasilianischen Film "Cidade de Deus" sehr hervorragt.
In der Regel polemisch eingesetzte Snarkismen (von snarky) wie "for those outside the cult" bekommen hier wirkliches Gewicht. Die venezolanische Opposition reagiert mit der gleichen intelektuellen Hilflosigkeit auf diesen Kult wie ich. Es bleibt nur kopfschütteln.

Ein paar Tweets:

Zitat
Día único, hoy elevamos grandiosos sentimientos por nuestro comandante #Chávez, poco a poco la alegría inundará a los que están perdidos.


Übersetzung:

Zitat
Ein einzigartiger Tag. Heute erheben wir unsere gewaltigen Gefühle für unseren Kommandanten #Chávez. Langsam wird die Freude jene überschwemmen, die verloren sind.



Zitat
Entiendan de una vez por TODAS que #Chávez es un #Pueblo y que @CNNEE,@fdelrinconCNN y @rociosanmiguel no son NADIE


Übersetzung:

Zitat
Versteht endlich, das #Chávez ein #Volk ist und das @CNN_en_Espaniol und @rociosanmiguel nichts sind.



und auf der anderen Seite:

Zitat
La familia #Chavez de luto! ninguno asistió al show del día de hoy. Les queda alguna duda que el dictador murió?


Übersetzung:

Zitat
Die Familie #Chávez trauert! Keiner von denen nahm an der Show des heutigen Tages teil. Zweifelt noch jemand, dass der Diktator gestorben ist?



oder das hier: http://caracaschronicles.com/2013/01/10/...uro-government/

Zitat
But the whole situation is so ridiculous, so over-the-top, it really strains us to take it too seriously.

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