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ZETTELS KLEINES ZIMMER

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Dieses Thema hat 5 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.09.2013 02:59
Der FISA-Court und die Stellung der 3. Gewalt in den USA Antworten

In den Medien werden immer wieder bestimmt Darstellungen und Formulierungen nach gebetet, die schnell in den allgemeinen Sprachgebrauch und das Denken als scheinbares Allgemeinwissen Einzug erhalten. So auch beim FISA-Court, der heute ständig als Geheimgericht firmiert. Die Formulierung soll wohl bestimmte Assoziationen wecken und wird von den meisten unhinterfragt übernommen.

In meinem Artikel erläutere ich, warum diese Darstellung irreführend ist und am eigentlichen Problem vorbeigeht: Der Klagebefugnis und damit der Möglichkeit eine verfassungsrechtliche Kontrolle einzuleiten.

Die heute, sehr beschränkte Auslegung der Klagebefugnis wurde in den USA ursprünglich eher von linker Seite begrüßt. Erst später haben die Konservativen diese Rechtsauslegung für sich entdeckt.

Offenbar wird eine möglichst kleine Rolle der Gerichte immer dann befürwortet, wenn man die Rechtsprechung der Gerichte als der Gegenseite dienlich oder die Gerichte gar offen auf gegnerischer Seite vermutet, aber selber zumindest Hoffnungen auf eine politischer Mehrheit oder zumindest politischen Einfluss hat.

Eine abstrakte Normenkontrolle entspricht im übrigen nicht der amerikanischen Rechtstradition, die eine verfassungsrechtliche Kontrolle durch die Gerichte schon kannte, als in Europa noch das Heilige Römische Reich existierte, aber eben nur im Rahmen ihrer normalen Rechtsprechungstätigkeit in streitigen Verfahren, nicht in unstreitigen, abstrakten Normenkontrollen. Das ist auch grundsätzlich kein Problem, die Frage ist, wie umfangreich das standing auch bezüglich nur potentiell und abstrakt betroffener ausgelegt wird.

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Pirx Offline



Beiträge: 92

04.09.2013 10:51
#2 RE: Der FISA-Court und die Stellung der 3. Gewalt in den USA Antworten

Mir stellt sich daraufhin die Frage: Kann ich denn jemals überhaupt nachweisen, Opfer einer Überwachung zu sein? Schließlich ist diese ja geheim, und mit modernen technischen Mitteln für den Laien vermutlich nicht erkennbar. Wird den betroffenen Personen denn im Nachhinein mitgeteilt, dass sie überwacht wurden, oder bleibt diese Information für immer (oder sagen wir, für einen sehr langen Zeitraum) unter Verschluss?

Wenn dem so wäre, dann hätte ja überhaupt niemand jemals ein standing -- den Nachweis, persönlich von der Maßnahme betroffen zu sein, kann dann niemand führen. De facto wäre dann die Normenkontrolle ausgehebelt.

Wissen Sie da mehr Bescheid?

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

04.09.2013 11:51
#3 RE: Der FISA-Court und die Stellung der 3. Gewalt in den USA Antworten

Zitat von Pirx im Beitrag #2
Mir stellt sich daraufhin die Frage: Kann ich denn jemals überhaupt nachweisen, Opfer einer Überwachung zu sein? Schließlich ist diese ja geheim, und mit modernen technischen Mitteln für den Laien vermutlich nicht erkennbar. Wird den betroffenen Personen denn im Nachhinein mitgeteilt, dass sie überwacht wurden, oder bleibt diese Information für immer (oder sagen wir, für einen sehr langen Zeitraum) unter Verschluss?





Ja, genau das ist der Kern des Problems, den ich in meinem Artikel ansprach.

Zitat
Wenn dem so wäre, dann hätte ja überhaupt niemand jemals ein standing -- den Nachweis, persönlich von der Maßnahme betroffen zu sein, kann dann niemand führen. De facto wäre dann die Normenkontrolle ausgehebelt.



Ja, Sie haben Recht - fast. Denn durch einen Whistleblower wie Snowden kann es natürlich trotzdem herauskommen und somit eventuell nachweisbar werden. Es erscheint mir allerdings suboptimal, wenn man erst einen Geheimnisverräter braucht, der sich in feindlich gesinnte Länder absetzt, um die formalen Voraussetzungen für eine Normenkontrolle zu erlangen. Dies war das Kernanliegen meines Artikels.

Das der FISA-Court ein "Geheimgericht" wäre ist dagegen eine hole Phrase, die am eigentlichen Problem vorbei geht. Wenn ein Überwachungsbeschluss im Einzelfall erst einmal Geheim gehalten wird, dann ist dies normal - alles andere würde den Sinn der Maßnahme ad absurdum führen. Es ist auch nicht grundsätzlich problematisch(*). Wenn es aber auch im Nachhinein keinem Betroffenen, der durch die Mitteilung standing erhalten würde, mitgeteilt wird (eben gerade auch damit keiner standing erlangt), dann ist das Fehlen einer allgemeinen Überprüfbarkeit der Gesetze und executive orders auf Grund eine Klagemöglichkeit durch einen potentiell und eher allgemein Betroffenen ein Problem.

"ich könnte irgendwann mal überwacht werden" -> standing

gilt leider nicht.

Nur

"ich wurde mit großer Wahrscheinlichkeit selber überwacht und bin damit konkret Betroffen, hier sind die Beweise/starken Indizien" -> standing

eröffnet eine Möglichkeit der Verfassungsrechtlichen Überprüfung.

Wurde dies erst durch Edward Snowden möglich, so wäre dies ein Treppenwitz der Geschichte und Realsatire - und die USA müssten mal ihre standing Regeln überarbeiten. Entweder durch eine Rückkehr zur ursprünglichen Auslegung des standing (habe ich am Ende des Artikels angesprochen) oder durch Verfassungszusatz, der den ursprünglichen Zustand durch explizite Wortwahl in einer Verfassungsbestimmung wiederherstellt.



(*) Es gibt heute so die Neigung, alles was einem nicht passt oder eventuell missbrauchsanfällig seien könnte gleich als unrechtstaatlich zu bezeichnen. Und sollte man widersprechen, dann wird einem vorgeworfen Effizienz der Strafverfolgung und Praktikabilität über die Rechtsstaatlichkeit zu stellen. Rechtsstaatlichkeit stellt andere Werte zwar Effizienz- und Praktikabilitätsanforderungen entgegen, war aber nie als etwas gedacht, was die Strafverfolgung nahezu komplett opfert und unmöglich macht oder alles, was potentiell missbraucht werden kann, kategorisch ausschließt. Rechtsstaatlichkeit wäre dann auch nicht überlebensfähig. Rechtsstaatlichkeit war als ein praktikables Konzept für die Realität konzipiert wurden, nicht als ein utopisches Wolkenkuckucksheim. Rechtsstaatlichkeit unterwirft bestimmte Ermittlungsmaßnahmen nur einer gewaltenteiligen Kontrolle und erwartet gut Gründe für einen Eingriff. Absolut sind nur wenige Sachen wie das Folterverbot. Auch darf man die freie Willensfindung von jemandem nicht behindern, zum Beispiel in dem er unter Drogen gesetzt wird. Aber hätte man einem der Verfassugnsväter- und mütter gesagt, das man später mal jede Überwachung, auch mit Gerichtsbeschluss, die nicht sofort dem überwachten mitgeteilt wird als unrechtsstaatlich, ja sogar totalitär bezeichnet würde, sie hätten den Kopf geschüttelt.

Edit: Zitat korrigiert.

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― Robert A. Heinlein

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

04.09.2013 12:00
#4 RE: Der FISA-Court und die Stellung der 3. Gewalt in den USA Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #1
In den Medien werden immer wieder bestimmt Darstellungen und Formulierungen nach gebetet, die schnell in den allgemeinen Sprachgebrauch und das Denken als scheinbares Allgemeinwissen Einzug erhalten.

Richtig.
Deswegen vielen Dank für diesen Beitrag - wieder etwas gelernt.

So mal nebenbei: Wieviel Zeit hat eigentlich die Recherche zu diesem Artikel gekostet?

Und die Anschlußfrage wäre dann vielleicht: Könnte man nicht ähnlich viel Zeit von einem hauptberuflichen "Qualitätsjournalisten" verlangen, bevor er zu solchen Themen schreibt?

Zitat
... der amerikanischen Rechtstradition, die eine verfassungsrechtliche Kontrolle durch die Gerichte schon kannte, als in Europa noch das Heilige Römische Reich existierte


Das klingt jetzt irgendwie so, als wäre das Heilige Römische Reich rechtspolitisch rückständig gewesen.
Dem war nicht so. Sondern im Gegenteil war das Justizwesen dort zwar etwas langsam, aber im Punkto verfassungsrechtliche Kontrolle deutlich besser als in ziemlich jedem anderen Land Europas (oder der Welt mit Ausnahme der neuen USA). Nur England könnte vergleichbar gut gewesen sein, dazu kenne ich mich aber in dieser Periode zu wenig aus in Inselfragen.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

04.09.2013 20:33
#5 RE: Der FISA-Court und die Stellung der 3. Gewalt in den USA Antworten

Super Artikel, lieber Techniknörgler!
Sie haben mich davon überzeugt, dass es einen argumentativ für mich nicht zu wiederlegenden positiven Effekt in dem was Snowden tat, gibt. Dafür bedanke ich mich natürlich.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

06.09.2013 11:57
#6 RE: Der FISA-Court und die Stellung der 3. Gewalt in den USA Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #4

So mal nebenbei: Wieviel Zeit hat eigentlich die Recherche zu diesem Artikel gekostet?



Gute Frage, ich weiß es nicht. Ich habe mich nämlich nicht einen Tag lang am Stück hingesetzt, sondern über mehrere Wochen alle paar Tage kurze Zeit daran gearbeitet. Ein Großteil der Zeit ging allerdings auch damit drauf, dass mir häufig die erste Formulierung, die ich gewählt hatte, missfiel. Dann wollte ich erst einmal eine Nacht darüber schlafen und habe es dann meistens weitestgehend so gelassen, wie ich es beim ersten mal formuliert habe, manchmal aber auch etwas gänzlich umgestellt.

Die Recherche hat insgesamt sicherlich einen halben bis einen Tag in Anspruch genommen. Ich habe daher immer noch einen riesigen Respekt vor Zettel, der dies quasi täglich veranstaltet hat. Wie schon geschrieben, was mir am meisten Zeit geraubt hat war, dass ich mit meinem Schreibstil gezaudert habe.

Zitat

Und die Anschlußfrage wäre dann vielleicht: Könnte man nicht ähnlich viel Zeit von einem hauptberuflichen "Qualitätsjournalisten" verlangen, bevor er zu solchen Themen schreibt?



Sicher, der wird immerhin dafür bezahlt. Aber vielleicht beschäftigt man sich da eher mit der Frage, was die Leser mehr anspricht oder zum kauf weiterer Zeitungen motiviert? Oder wie man den Leser von seinen eigenen Emotionen überzeugt? Ich weiß es nicht. Oder die müssen mehr als einen oder zwei Artikel am Tag schreiben?

Zitat

Das klingt jetzt irgendwie so, als wäre das Heilige Römische Reich rechtspolitisch rückständig gewesen.
Dem war nicht so. Sondern im Gegenteil war das Justizwesen dort zwar etwas langsam, aber im Punkto verfassungsrechtliche Kontrolle deutlich besser als in ziemlich jedem anderen Land Europas (oder der Welt mit Ausnahme der neuen USA). Nur England könnte vergleichbar gut gewesen sein, dazu kenne ich mich aber in dieser Periode zu wenig aus in Inselfragen.



Das wollte ich auch nicht bestreiten. Sie haben da natürlich recht. Das HRR war für seine Zeit schon sehr fortschrittlich und sein Rechtsschutz hat sicherlich die deutsche Mentalität geprägt. Daher ist einem als Deutscher bei der flexibleren, schwammigen Auslegung im angelsächsischen Raum (*) auch teilweise so unwohl. Mich wunder eher, wie sich ausgerechnet die Deutschland mal eine solche Verachtung für die Rechtsstaatlichkeit verbreiten konnte, dass die Nazis genügend Unterstützung fanden. Die Nazis waren ja nicht nur demokratiefeindliche, sondern haben auch den Rechtsstaat abgelehnt. Wer aber lediglich die Demokratie abgelehnt hat, nicht jedoch den Rechtsstaat, der hätte auch einfach konservative Monarchisten unterstützen können.

* Aus teilweise schwammigen Einschätzungen können heftige Konsequenzen für den persönlichen Rechtsschutz folgen, beispielsweise aus der Einschätzung als unrechtmäßiger Kombatant, welche zwar nicht willkürlich erfolgen darf, aber in erster Instanz von Militärkommissionen vorgenommen wird. Berufung ist nur vor einer zivilen Instanz möglich, deren Entscheidung ist dann endgültig. Die Zuständigkeit dieses sehr beschränkten Rechtsweges ist allein durch den Vorwurf der Regierung gegeben und wenn die letzte Instanz, das Bezirksgericht für Washington, D.C. ihren Status als unrechtmäßiger Kombatant festgestellt hat, dann ist die Einstufung verbindlich für alle anderen Instanzen und Gerichte, auch der Supreme Court ist dann an diese Einschätzung gebunden, ein Rechtsmittel dagegen, auch eine Revision, gibt es dann nicht mehr. In Deutschland bleiben zwar auch die Tatsachenfeststellungen der unteren Instanzen in der Regel stehen, es wäre auch in der Masse nicht anders praktikabel möglich, eine eigene Beweisaufnahme in Revisionen und bei Verfassungsbeschwerden gibt es in der Regel auch nicht, aber im Zweifel gäbe es theoretisch immer noch die Möglichkeit, dass vom Bundesverfassungsgericht überprüft wird, ob die Tatsachenfeststellungen vernünftig begründet ist und damit ausreichen Rechtsschutz gewährt wurde.

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― Robert A. Heinlein

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