Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  

ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 22 Antworten
und wurde 1.652 mal aufgerufen
 Aktuell im Web
Am_Rande Offline




Beiträge: 196

17.09.2013 17:53
FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Oder: Zu welchen Ansichten man kommt, wenn man versucht, eine falsch gestellte Frage zu beantworten...

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wi...s-12555018.html

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

17.09.2013 18:26
#2 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Die Ansicht, es könnte falsch gestellte Fragen geben (sorry: es "könnte" "falsch" gestellte "Fragen" "geben"). zeugt von einem bedauerlichen Theorie- und "Fakten"-Positivismus und wird mit Lacancan und Derridada nach Feyerabend nicht unter 4 Semestern bestraft!

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

17.09.2013 20:30
#3 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #2
Die Ansicht, es könnte falsch gestellte Fragen geben (sorry: es "könnte" "falsch" gestellte "Fragen" "geben"). zeugt von einem bedauerlichen Theorie- und "Fakten"-Positivismus und wird mit Lacancan und Derridada nach Feyerabend nicht unter 4 Semestern bestraft!
Es gibt aber den "Fehler dritter Art": das falsche Problem richtig gelöst zu haben.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

Kritiker Offline



Beiträge: 274

19.09.2013 10:58
#4 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Am_Rande im Beitrag #1
Oder: Zu welchen Ansichten man kommt, wenn man versucht, eine falsch gestellte Frage zu beantworten...
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wi...s-12555018.html


Und was an der Analyse des Artikels ist nun falsch oder als Frage falsch gestellt?
Der Kritiker

Solus Offline



Beiträge: 384

19.09.2013 11:31
#5 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #4
Zitat von Am_Rande im Beitrag #1
Oder: Zu welchen Ansichten man kommt, wenn man versucht, eine falsch gestellte Frage zu beantworten...
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wi...s-12555018.html

Und was an der Analyse des Artikels ist nun falsch oder als Frage falsch gestellt?

Bezgl. der falsch gestellten Frage: http://de.wikipedia.org/wiki/Klassischer_Liberalismus

Man könnte ebensogut fragen "warum befürworten Kommunisten heute den Kapitalismus nichtmehr?"

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

20.09.2013 11:27
#6 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Sehr verehrter „Kritiker“,

da ich den Link auf den FAZ-Artikel in dieses Forum eingestellt habe, will ich auf Ihre Frage, was an der Aussage „Liberale sind heute nicht mehr links“ falsch ist, antworten.

Ich selbst – um das klar zu stellen – würde mich selbst als Anhänger des Klassischen Liberalismus bezeichnen, und alles was ich im Weiteren schreibe, schreibe ich aus dieser Sichtweise heraus.

Wenn ab und zu in den Medien die Fragen aufkommen, was der Liberalismus ist, ob wir den Liberalismus noch brauchen oder ob die FDP in unserem Parteiensystem noch eine Rolle hat, dann wird unweigerlich die Position vertreten, dass die FDP ja leider, leider heute nicht mehr liberal wäre, so wie sie es in den 70er Jahren, zur Zeiten der sozial-liberalen Koalition, noch gewesen sei.

Und es fallen unweigerlich die Namen Karl-Hermann Flachs und Ralf Dahrendorfs, wie eben auch in dem FAZ-Essay.

Nun, Karl-Hermann Flach ist die Sorte Liberaler, die auch dem Ex-Vorsitzenden einer sozialistisch-kommunistischen Partei gefällt.

Und was Ralf Dahrendorf eigentlich von einem Sozialdemokraten und dessen Ansichten unterscheidet, kann man vielleicht ermessen, wenn man diesen Text gelesen hat.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat einmal gesagt:

Zitat
„Wer in Deutschland nicht sozialdemokratisch ist, landet entweder im Irrenhaus oder im Ausland.“



Und wer in Deutschland als echter und guter Liberaler gelten will, sollte zumindest sozialdemokratische, wenn nicht sozialistische Ansichten teilen.

Kritiker Offline



Beiträge: 274

20.09.2013 12:32
#7 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Lieber am_Rande

Sie und Solus ziehen sich auf die Definition des klassischen Liberalismus zurück. OK.

Ich kenne die Definition nicht und, ehrlich gesagt, sie interessiert mich auch gar nicht.
Was ich am Liberalismus gut finde, ist die Assoziation mit dem Begriff der Freiheit. Die Freiheit, sein Leben zu gestalten, wie man das gerne möchte. Die Freiheit, seine Ansichten zu vertreten. Die Freiheit, die Möglichkeiten, die mir in die Gene gelegt worden sind, auszunutzen. Die Freiheit, mich zu entfalten im Rahmen meiner Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Und dann schaue ich in die Welt und stelle fest: Wer arm und am Existenzminimum lebt, ist nicht frei!

Das ist natürlich viel zu praktisch für die hochtheoretische Konstrukte von Kant, Locke oder Fichte. Aber diese ganz praktische Aussage führt mich dazu zu sagen: wer liberal sein will, für den muss die Armut ein Greuel sein.
Natürlich ist Leben kein Wunschkonzert und den sozialistischen Himmel auf Erden wird es niemals geben, aber wer als Liberaler nicht für Chancengleichheit und Freiheit kämpft, hat sein Ziel verfehlt.

Und daher ist die Frage durchaus berechtigt und keineswegs verfehlt. Wird liberal dagegen als "immer für die Reichen und Mächtigen" definiert, dann bin ich nicht liberal und ein neuer Begriff ist nötig.
Vielleicht Freiheitsliebend.

Der Kritiker

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

20.09.2013 12:52
#8 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #7
Lieber am_Rande

Sie und Solus ziehen sich auf die Definition des klassischen Liberalismus zurück. OK.

Ich kenne die Definition nicht und, ehrlich gesagt, sie interessiert mich auch gar nicht.



Warum wollen Sie einen Begriff nutzen (wie Liberalismus), wenn sie ihn erst umdefinieren möchten?

Zitat

Was ich am Liberalismus gut finde, ist die Assoziation mit dem Begriff der Freiheit. Die Freiheit, sein Leben zu gestalten, wie man das gerne möchte. Die Freiheit, seine Ansichten zu vertreten. Die Freiheit, die Möglichkeiten, die mir in die Gene gelegt worden sind, auszunutzen. Die Freiheit, mich zu entfalten im Rahmen meiner Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Und dann schaue ich in die Welt und stelle fest: Wer arm und am Existenzminimum lebt, ist nicht frei!



Kurz: Eine (von vielen) Rechtfertigungsreden für die Sozialdemokratie. Mal abgesehen davon, dass was hier als Existenzminimum gilt weit über dem eigentlichen Existenzminimum ist, aber aus Gewohnheit merken viele das nicht mehr.

Sie möchten also die gefühlsmäßige, positive Konnotation nutzen, lehnen aber die verstandsmäßige, intellektuelle Bedeutung ab.

Genau dieses manipulative PR-Verhalten ist es, was viele (richtige) Liberale am linksgrünen Mainstream und seiner PR stört: Das Blockieren und Verhindern von Kommunikation zum Mainstream alternativer Ansichten durch Neusprech.

Neusprech bedeutet übrigens nicht in erster Linie Euphemismus. Neusprech ist eine Methode durch Neufassung der Vokabulars und der Grammatik und der Verbannung alter Wortbedeutungen und sprachlichen Konstruktionen die Vermittlung unerwünschter Inhalte zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Und dem dient ihre Argumentation ausgezeichnet!

Nachtrag: Es zeigt auch, dass die Grünen und allgemein Linke mehr an die Emotion als an den Verstand appellieren.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

20.09.2013 13:15
#9 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Sehr verehrter „Kritiker“,

wenn Sie schreiben:

Zitat
Ich kenne die Definition [des Klassischen Liberalismus] nicht und, ehrlich gesagt, sie interessiert mich auch gar nicht.



dann kann ich dazu nur sagen: Vielleicht sollte sie es!

Denn wenn Sie im Anschluß schreiben:

Zitat
wer als Liberaler nicht für Chancengleichheit und Freiheit kämpft, hat sein Ziel verfehlt,



dann maßen Sie sich vielleicht ein Urteil an, dass Sie ohne eine Kenntnis der Begriffe nicht fällen sollten.

Diese beiden Postings hier sind vielleicht ein Einstieg in die Problematik:

Zwei Auffassungen von Liberalismus

Warum man trotzdem von „dem“ Liberalismus spricht

Kurz gesagt:

Wer dem Klassischen Liberalismus anhängt, vertraut darauf, dass die Zivilgesellschaft sich (unter Gewährung der „negativen“ Freiheit durch den Staat) zu einer menschlichen Gesellschaft entwickeln wird.

Wer dem Sozial-Liberalismus anhängt, glaubt, dass der Mensch zur Menschlichkeit (mithilfe der durch den Staat "ermöglichten" positiven Freiheit) gezwungen werden müsse und könne.
Wer dem Sozial-Liberalismus anhängt, kann aber schwerlich sagen, was den Sozial-Liberalismus im Wesentlichen noch vom Sozial-Demokratismus (a.k.a. Demokratischen Sozialismus) abgrenzen würde.

Solus Offline



Beiträge: 384

20.09.2013 13:23
#10 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Kritiker:

Freiheit im Sinne von nicht staatlichen Zwängen unterworfen. Und auch Freiheit im Sinne von nicht unüberwindlichen erblichen Zwängen unterworfen (Leibeigenschaft u.dgl.).
Nicht Freiheit im Sinne von machen können was man will, ohne etwas dafür zu tun. Und ja, das heißt natürlich, dass jemand, der mehr Geld hat, mehr Möglichkeiten im praktischen Sinne hat.
Freiheit im letzteren Sinne wäre "hier hast 2 Euro, kauf dir damit ein Eis". Freiheit im ersteren heißt man kann sich das Eis kaufen, wenn man Geld hat (im Gegensatz zu Eis ist verboten weil ungesund).

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

20.09.2013 14:17
#11 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #7
Wer arm und am Existenzminimum lebt, ist nicht frei!

Freiheit ist keine Frage der finanziellen Ausstattung. Sie hat damit überhaupt nichts zu tun.
Wirtschaftliche Freiheit aber schon. Man kann wirtschaftlich frei sein - und arm. Reich natürlich auch. Vor allem aber kann man wirtschaftlich geknechtet sein - und reich. Frei ist man dann aber nicht.
Freiheit kann man nicht erkaufen. Wer das versucht, landet dort wo sich der Ursprung dieser Verbindung von Freiheit und Reichtum befindet:
In der Kriminalität.
Freiheit kann man nur durch Eigenständigkeit, durch Selbstverantwortung erreichen.
Aber um sich diese Last nicht aufbürden zu müssen hat das politisch linke Spektrum eine Definition von Freiheit erschaffen, welche sich von der der Knechtschaft in nichts unterscheidet. Denn auch wer andere knechtet ist nicht frei.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Nikosch Offline



Beiträge: 115

20.09.2013 15:01
#12 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat
... aber wer als Liberaler nicht für Chancengleichheit und Freiheit kämpft, hat sein Ziel verfehlt.



Prinzipiell würde ich Ihnen bei diesem Statement ja zustimmen, die Frage ist nur wie man Chancengleichheit definiert. Für mich besteht Chancengleichheit zum Beispiel darin, dass jeder Deutsche die Möglichkeit zu einer Schulbildung erhält. Für Herrn Gabriel besteht Chancengleicheit darin, dass man Hausaufgaben abschafft, damit Akademikereltern ihren Sprösslingen nicht helfen können. Für Linke beginnt Ungerechtigkeit dort wo jemand einen Vorteil hat (daher auch der Kampf gegen Erbschaften), für mich beginnt Ungerechtigkeit dort wo jemand aktiv seiner Chancen beraubt wird.

Seltsamerweise scheinen auch Linke dieses Prinzip im Sport durchaus anzuerkennen. Selbst Herr Gabriel würde wohl nicht dafür plädieren, dass die Gegner von Borussia Dortmund zu Spielbeginn 2:0 führen weil Dortmund ja die viel besseren Spieler hat. Auch, dass die Gegner von Usain Bolt 10 Meter Vorsprung bekommen könnte sich wohl nicht durchsetzen. Man könnte sich allerdings sicher sein, dass das Niveau der sportlichen Leistungen rapide absinken würde, sollte so etwas tatsächlich geschehen.

Kritiker Offline



Beiträge: 274

21.09.2013 17:38
#13 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Ich finde es höchst befremdlich, dass viele hier Pawlow-mäßig auf meine Worte reagieren, ohne auch nur zu beachten, was ich eigentlich geschrieben habe. Sind wir wirklich schon so weit, dass bestimmte begriffe automatisch mit dem linken und grünen Denken infiziert sind, ohne darüber nachzudenken?

Ich habe nirgendwo geschrieben, dass man für das, was man will, nichts leisten soll, im Gegenteil.
Ich habe nirgendwo geschrieben, dass Menschen zu etwas gezwungen werden sollen, im Gegenteil
Und trotzdem wird mir das unterstellt? Könnt ihr eigentlich nicht lesen?

Richtig ist, dass ich nicht theoretisch-philosophisch über Freiheit reden will (ich bin ein begeisterter Theoretiker, aber hier mal nicht), sondern praktisch. Und was sehe ich praktisch?
Hier wird der Aufruf "kämpft gegen Armut" gleich verstanden als kommunistische Propaganda oder als Absage an Leistungswille und Leistungsgerechtigkeit. Das ist doch ideologische Blindheit.

Ist denn jemand, der mehrere Milliarden erbt und deswegen finanziell sorgenfrei leben kann, ein Beispiel für Leistungsgerechtigkeit? Sind denn die Akademikerkinder, die Abitur und Studium gerade so schaffen, weil Papa ihnen mit großer Finanzmacht Nachhilfe und Unterstützung hat zukommen lassen, ein Beispiel für Leistungswille im Vergleich zu dem Unterklassenkind, das so gerade eben die mittlere Reife geschafft hat und Handwerker wurde?

Die frühen Denker des Liberalismus waren bewegt von einem übermächtigen Staat und einem unmündigen Bürger, der beherrscht wurde. Das hat die Freiheit des einzelnen beschränkt und dagegen haben diese frühen Denker gekämpft.
Die Ideale dieser Denker haben sich verwirklicht. Der Staat ist nicht mehr übermächtig, er kommt mir sogar ziemlich hilflos vor (kann ja sein, dass die Grünen den Staat wieder übermächtig machen wollen, aber noch sind wir nicht da).

Die Übermacht hat sich gewandelt, sie ist monetär geworden. Gruppen oder Institutionen, die finanziell extrem gut ausgestattet sind, haben die Gestaltungsmacht. Dazu gehören auch noch Staaten, aber Staaten sind (im Westen) gesetzlich viel stärker eingeschränkt als zum Beispiel Unternehmen.
Welche Konzepte hat der Liberalismus da?

Die alten Ideen ziehen in der modernen Welt halt nicht mehr richtig und igendwie sind die Liberalen Denkmüde geworden. Ich sehe keine Konzepte, keine Visionen, keine Gedanken für die Zukunft, nichts Positives. Nur die ewige Leier, dass die Linken unser Verderben sein werden. Dabei haben diese Linken die Visionen, die die Menschen begeistert.
Früher hatten die Liberalen noch Visionen. Und diese wurden damals als Links - eben gesellschaftsverändernd angesehen.

Man könnte die Frage, die diesen thread begründet hat, in meinem Verständnis also umformulieren: Warum haben die Liberalen heute keine Ideen mehr, mit denen man die Gesellschaft verändert - vielleicht sogar verbessern kann?

Der Kritiker

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

22.09.2013 15:45
#14 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Kritiker im Beitrag #13
Ist denn jemand, der mehrere Milliarden erbt und deswegen finanziell sorgenfrei leben kann, ein Beispiel für Leistungsgerechtigkeit? Sind denn die Akademikerkinder, die Abitur und Studium gerade so schaffen, weil Papa ihnen mit großer Finanzmacht Nachhilfe und Unterstützung hat zukommen lassen, ein Beispiel für Leistungswille im Vergleich zu dem Unterklassenkind, das so gerade eben die mittlere Reife geschafft hat und Handwerker wurde?

Also zunächst wird an diesen Beispielen ja deutlich, was dich stört: dass es Leute gibt, die bessere Voraussetzungen haben als andere. Das "Problem" wirst du aber entweder nie (genetische Voraussetzungen) oder nur durch Nivellierung auf dem unteren Niveau (alles andere) "lösen" können. Generell ist es wohl ziemlich unmöglich, Gerechtigkeit als absolutes Letztziel zu definieren. Das ist bei der Leistungsgerechtigkeit auch so.Es geht nur relativ. Daher: Wenn die Akademikerkinder zur Enttäuschung ihrer Eltern leider Deppen sind, die nur mit massiver Unterstützung die (hoch-)schulischen Hürden nehmen konnten, dann ist das letztlich selbstverständlich eine Leistung, die es zu würdigen gilt. Oder verwirkt man des Recht auf Anerkennung der eigenen Leistung, wenn man Hilfe in Anspruch nimmt? Auch das Unterklassenkind wird ja keineswegs gezwungen, bei der Mittleren Reife stehen zu bleiben. Und wenn es das tut und zu einem fähigen Handwerker wird, dann ist das auch eine respektable Leistung. Warum sollte man jetzt nochmal das eine gegen das andere ausspielen?

Zitat von Kritiker im Beitrag #13
Welche Konzepte hat der Liberalismus da?

Wettbewerb. Im Gegensatz zu Staaten stehen Unternehmen in der Regel im Wettbewerb. Aber lass uns doch konkreter werden (was ja auch deiner Intention entspricht):Wo konkret soll sich die "überlegene Gestaltungsmacht" von Unternehmen gegenüber dem Staat äußern? Ich sage dir auch gleich, was meine Vermutung ist, was hinter deiner Aussage stehen könnte (mit einem Irrtum rechnend): An der Wirklichkeit am Markt zerschellen manche politischen Wunschträume. Die Welt, nicht nur die wirtschaftliche, ist voll von Zielkonflikten, aber die Politik kennt keine, die kennt nur isolierte Probleme und genau darauf zugeschnittene "Maßnahmen". Wenn dann die nicht beabsichtigten Folgewirkungen zurückfeuern, oft sich äußernd in anpassenden Handlungen der Marktteilnehmer, sucht sie nach Schuldigen. Wenn Otto Normalverbraucher sich in seinen Konsumentscheidungen anpasst, fällt das in der Regel unter die Dinge, die man nicht sieht, jedenfalls nicht plakativ im Einzelnen. Wenn aber Firma XY ihren Standort verlagert oder Mitarbeiter entlässt, ist das immer eine Nachricht, und dann wird die "Macht" der Unternehmen bejammert, so als habe es damit zu tun, wenn man vom Wettbewerb zu Anpassungen gezwungen zu wird. Einzelne Unternehmen, die sich mehr herausnehmen wollen, scheitern in der Regel an diesem Wettbewerb (wenn der Marktmechanismus wirkt, wird dann das Management beschimpft - irgendeinen Anlass braucht der Vulgär-Antikapitalist ja immer).

Zitat von Kritiker im Beitrag #13
Ich sehe keine Konzepte, keine Visionen, keine Gedanken für die Zukunft, nichts Positives. Nur die ewige Leier, dass die Linken unser Verderben sein werden. Dabei haben diese Linken die Visionen, die die Menschen begeistert.
Früher hatten die Liberalen noch Visionen. Und diese wurden damals als Links - eben gesellschaftsverändernd angesehen.

Man könnte die Frage, die diesen thread begründet hat, in meinem Verständnis also umformulieren: Warum haben die Liberalen heute keine Ideen mehr, mit denen man die Gesellschaft verändert - vielleicht sogar verbessern kann?

Mir scheint, dass das, was du als Problem ansiehst, für einen Liberalen eher die Lösung ist. Diese ganzen Versuche, "die Gesellschaft zu verändern" - in der Regel werden sie von Gewalt begleitet und enden in einem noch größeren Schlamassel. Von der dahinter stehenden Anmaßung, die eine des Wissens ja noch weit übersteigt, einmal ganz abgesehen. Statt Vision wäre vielleicht erstmal eine klare Sicht notwendig, und zwar darauf, wie die Dinge sind.

Aber wenn wir von Vision reden, dann bitte: Meine Vision ist die eines Menschen, der in eigener Verantwortung oder zusammen in freiwilligen Gemeinschaften mit anderen über sein Handeln autonom entscheiden kann, unter der Einschränkung, dass er damit nicht anderen diese Möglichkeit nimmt. Ich gebe zu, das ist nicht sexy. Selbst entscheiden müssen, Verantwortung zu tragen - das macht sich reichlich mies auf Wahlplakaten, wo es besonders zieht, wenn über andere entschieden werden kann (natürlich nur zu deren Bestem) und Verantwortung abgenommen wird. Jeder von uns, und das meine ich ernst, hat die Chance, mehr aus seinem Leben zu machen, als er es bislang getan hat. Viele wollen es aber nicht, weil es ihnen so gefällt, wie es ist, und ihnen die zusätzliche Anstrengung den möglichen Zugewinn nicht wert ist. Das ist okay. Aber niemand sollte uns erzählen, es ginge ohne eigenen Antrieb, und man könne sich durch diesen wunderbaren Mechanismus Demokratie doch einfach an den von anderen erwirtschafteten Ressourcen bedienen.

Das Beste, was wir der Gesellschaft tun können, ist, alle staatlichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die Leistungswille, Kreativität und natürlich auch Hilfsbereitschaft ihrer Mitglieder entgegen stehen.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)

adder Offline




Beiträge: 1.073

22.09.2013 19:06
#15 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Rayson im Beitrag #14
Zitat von Kritiker im Beitrag #13
Ist denn jemand, der mehrere Milliarden erbt und deswegen finanziell sorgenfrei leben kann, ein Beispiel für Leistungsgerechtigkeit? Sind denn die Akademikerkinder, die Abitur und Studium gerade so schaffen, weil Papa ihnen mit großer Finanzmacht Nachhilfe und Unterstützung hat zukommen lassen, ein Beispiel für Leistungswille im Vergleich zu dem Unterklassenkind, das so gerade eben die mittlere Reife geschafft hat und Handwerker wurde?

Also zunächst wird an diesen Beispielen ja deutlich, was dich stört: dass es Leute gibt, die bessere Voraussetzungen haben als andere. Das "Problem" wirst du aber entweder nie (genetische Voraussetzungen) oder nur durch Nivellierung auf dem unteren Niveau (alles andere) "lösen" können. Generell ist es wohl ziemlich unmöglich, Gerechtigkeit als absolutes Letztziel zu definieren. Das ist bei der Leistungsgerechtigkeit auch so.Es geht nur relativ. Daher: Wenn die Akademikerkinder zur Enttäuschung ihrer Eltern leider Deppen sind, die nur mit massiver Unterstützung die (hoch-)schulischen Hürden nehmen konnten, dann ist das letztlich selbstverständlich eine Leistung, die es zu würdigen gilt. Oder verwirkt man des Recht auf Anerkennung der eigenen Leistung, wenn man Hilfe in Anspruch nimmt? Auch das Unterklassenkind wird ja keineswegs gezwungen, bei der Mittleren Reife stehen zu bleiben. Und wenn es das tut und zu einem fähigen Handwerker wird, dann ist das auch eine respektable Leistung. Warum sollte man jetzt nochmal das eine gegen das andere ausspielen?


Danke, lieber Rayson, für das Aussprechen der einfachen Wahrheit, die leider keiner hören will. Ich habe mir bereits den Mund fusselig geredet in dieser Hinsicht - doch reicht das leider nie aus, um allen Widerwillen zu brechen.

Zitat
Wettbewerb. Im Gegensatz zu Staaten stehen Unternehmen in der Regel im Wettbewerb. Aber lass uns doch konkreter werden (was ja auch deiner Intention entspricht):Wo konkret soll sich die "überlegene Gestaltungsmacht" von Unternehmen gegenüber dem Staat äußern? Ich sage dir auch gleich, was meine Vermutung ist, was hinter deiner Aussage stehen könnte (mit einem Irrtum rechnend): An der Wirklichkeit am Markt zerschellen manche politischen Wunschträume. Die Welt, nicht nur die wirtschaftliche, ist voll von Zielkonflikten, aber die Politik kennt keine, die kennt nur isolierte Probleme und genau darauf zugeschnittene "Maßnahmen". Wenn dann die nicht beabsichtigten Folgewirkungen zurückfeuern, oft sich äußernd in anpassenden Handlungen der Marktteilnehmer, sucht sie nach Schuldigen. Wenn Otto Normalverbraucher sich in seinen Konsumentscheidungen anpasst, fällt das in der Regel unter die Dinge, die man nicht sieht, jedenfalls nicht plakativ im Einzelnen. Wenn aber Firma XY ihren Standort verlagert oder Mitarbeiter entlässt, ist das immer eine Nachricht, und dann wird die "Macht" der Unternehmen bejammert, so als habe es damit zu tun, wenn man vom Wettbewerb zu Anpassungen gezwungen zu wird. Einzelne Unternehmen, die sich mehr herausnehmen wollen, scheitern in der Regel an diesem Wettbewerb (wenn der Marktmechanismus wirkt, wird dann das Management beschimpft - irgendeinen Anlass braucht der Vulgär-Antikapitalist ja immer).



Auch hier stimme ich voll zu. Leider stehen ja Staaten nicht so sehr im Wettbewerb miteinander, weil noch zu viele Beschränkungen bei der Staatswahl bestehen. Aber auch denen würde Wettbewerb durchaus gut zu Gesicht stehen. Wie wäre es denn einmal mit Wettbewerb in der EU? Jeder Staat darf Steuern und Sozialprogramme nach seiner Wahl regeln, jeder Bürger darf sich "seinen" Staat aussuchen und vor allem: jeder Staat und jeder Bürger haftet dann nur für sich selbst. Dann werden wir ja sehen, welches Angebot das bessere ist.

Zitat
Aber wenn wir von Vision reden, dann bitte: Meine Vision ist die eines Menschen, der in eigener Verantwortung oder zusammen in freiwilligen Gemeinschaften mit anderen über sein Handeln autonom entscheiden kann, unter der Einschränkung, dass er damit nicht anderen diese Möglichkeit nimmt. Ich gebe zu, das ist nicht sexy. Selbst entscheiden müssen, Verantwortung zu tragen - das macht sich reichlich mies auf Wahlplakaten, wo es besonders zieht, wenn über andere entschieden werden kann (natürlich nur zu deren Bestem) und Verantwortung abgenommen wird. Jeder von uns, und das meine ich ernst, hat die Chance, mehr aus seinem Leben zu machen, als er es bislang getan hat. Viele wollen es aber nicht, weil es ihnen so gefällt, wie es ist, und ihnen die zusätzliche Anstrengung den möglichen Zugewinn nicht wert ist. Das ist okay. Aber niemand sollte uns erzählen, es ginge ohne eigenen Antrieb, und man könne sich durch diesen wunderbaren Mechanismus Demokratie doch einfach an den von anderen erwirtschafteten Ressourcen bedienen.

Das Beste, was wir der Gesellschaft tun können, ist, alle staatlichen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die Leistungswille, Kreativität und natürlich auch Hilfsbereitschaft ihrer Mitglieder entgegen stehen.



Eigenverantwortung? Ist doch nicht mehr zeitgemäß - insbesondere für selbsternannte "Linke". Eigenverantwortung (genauso wie Verantwortung allgemein oder Recht und Pflicht) ist schließlich sperrig und anstrengend. "Schuld" (bzw. auf der anderen Seite "Anspruch") ist einfacher, da schwarz/weiss.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

22.09.2013 19:21
#16 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat
Dabei haben diese Linken die Visionen, die die Menschen begeistert.



"Die Menschen"? Alle? Sehr kollektivistisch Gedacht. Auch ist nicht jede Vision gesund, manche sind tatsächlich behandlungsbedürftig.

Nachtrag: Das sich in Deutschland immer gleich der ganze Mainstream einer Vision hingibt und sich der Rest größtenteils in die innere Emigration begibt ist ein besonders unschönes, deutsches Manko.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Manfred Sachs Offline




Beiträge: 109

22.09.2013 23:34
#17 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Ganz allgemein, werter Kritiker.

Ich bin wirklich erstaunt, daß jemand, der sich selbst in aller Bescheidenheit als der Kritiker tituliert, es schafft, vollkommen unkritisch den politischen Mainstream widerzukäuen und auch nach einem halben Jahr wohl fundierter Gegenreden es nicht für nötig erachtet ( "interessiert mich auch gar nicht" ) sich mit dem Gegenstand seiner Diskussionspartner auseinanderzusetzen, was natürlich unweigerlich dazu führt, daß man glasklar aneinander vorbeiredet.

Eigentlich wollte ich es halten wie stets: Die Wortmeldung überfliegen und nicht näher beachten - als ich über den Satz stolperte, der so oder so ähnlich aus linken - ja linksextremen - Kreisen nur allzubekannt ist: "Wer arm und am Existenzminimum lebt, ist nicht frei!" Diese Äußerung ist an Überheblichkeit, Anmaßung, Selbstgefälligkeit und Herablassung kaum noch zu überbieten. Das schlägt dem Faß den Boden ins Gesicht...

MfG
M. S.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

23.09.2013 00:19
#18 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Kritiker
Was ich am Liberalismus gut finde, ist die Assoziation mit dem Begriff der Freiheit. Die Freiheit, sein Leben zu gestalten, wie man das gerne möchte. Die Freiheit, seine Ansichten zu vertreten. Die Freiheit, die Möglichkeiten, die mir in die Gene gelegt worden sind, auszunutzen. Die Freiheit, mich zu entfalten im Rahmen meiner Fähigkeiten und Möglichkeiten.
Und dann schaue ich in die Welt und stelle fest: Wer arm und am Existenzminimum lebt, ist nicht frei!



ABer freilich ist er frei. Er ist keinem Zwang durch andere ausgesetzt. Alles, was er tut, tut er aus freien Stücken. Niemand zwingt ihn zu etwas.
Was Sie meinen ist, dass er Sachzwängen ausgesetzt ist. Das kann aber nicht das Kriterium sein anhand dessen man "Freiheit" definiert. Jedenfalls kein Sinnvolles. Denn Sachzwaengen ist jeder ausgesetzt, so dass jeder dann unfrei wäre.

Übrigens wenn jemand der nicht mehr hat als dass, was man heute als "Existenzminimum" ansieht, unfrei ist, dann wohl auch sämtliche Selbstversorgerkommunen der 60er und 70er und jede Menge Urvölker. Ein Rainer Langhans

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

23.09.2013 17:52
#19 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Sehr verehrter „Kritiker“,

wenn Sie schreiben:

Zitat
Warum haben die Liberalen heute keine Ideen mehr, mit denen man die Gesellschaft verändert - vielleicht sogar verbessern kann?



Dann kann ich nur an einen Spruch des französischen Schriftstellers Jean de La Bruyère denken, den ich einst bei dem großen Johannes Gross gefunden habe:

Zitat
"C'est la profonde ignorance qui inspire le ton dogmatique."



Kann es vielleicht sein, dass es die gesellschaftsverändernden Ideen der Liberalen durchaus gibt;
nur dass Sie diese vielleicht (noch) nicht kennen?

Mir fiele als Erstes, da dieses Buch ein:

The Revolution: A Manifesto des Klassischen Liberalen Ron Paul.

Oder sein umstürzlerisches End the Fed.

Oder, wenn Sie sich mehr für Außenpolitik interessieren: A Foreign Policy of Freedom: Peace, Commerce and Honest Friendship.

Wenn Sie den inneren Geist einer Liberalen Gesellschaft begreifen wollen: Das Buch "Liberalismus" von Ludwig von Mises.

Wenn Sie sich mehr für Belletristik interessieren:

Revolte auf Luna von Robert A. Heinlein.

Oder wenn Sie eine liberale Dystopie suchen, also die Darstellung einer Welt, die den Liberalismus vergessen hat:

Atlas wirft die Welt ab von Ayn Rand.

Sie sehen: Die geistige Welt des Liberalismus ist voll von Ideen und Visionen.

Nur kennt man diese in Deutschland nicht.

Zitat
Ich bin konservativ und liberal,
und das darf man in Deutschland nicht sein.


Walter Kempowski – Weltwoche, Nr.30, 2007

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.425

23.09.2013 22:31
#20 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Zitat von Am_Rande im Beitrag #19
Revolte auf Luna von Robert A. Heinlein.
... Atlas wirft die Welt ab von Ayn Rand.


Obacht. Ich fürchte, hier läuft es eher auf die imaginierte Praxis des Libertarismus denn auf den klassischen Liberalismus hinaus. Bei all diesen Exempeln - auch den nichtfiktionalen - sollte man im Auge behalten, daß sie nicht DEN Liberalismus abbilden, sondern persönliche Intepretationen, je nach Gewichtigung; nicht Teilmengen, z.T. aber auch heftigen Widersprüchen. Mises z.B. sah seine Auffassung der Wirtschaft als strikt wissenschaftliche, von jeder Moral frei; für Ayn Rand war das eine Todsünde überhaupt (immerhin hat sie Mises aber in Teilen gelten lassen, anders als Hayek, den sie verabscheut hat).

Bei Romanen, Epen, Sonetten, Fabeln & Epopöen als Illustration einer Weltanschauung sollten im Prinzip die Warnlampen aufleuchten. Der Autor darf ja das Spielfeld einrichten & die Mannschaft aufstellen; als Gegner dienen zumeist Strohmänner; wenn sich unter der Hand die Spielregeln verändern, soll das dem Zuschauern nicht groß auffallen, weil der Großteil des Textes eh' aus einer geharnischten Gardinenpredigt besteht (sowohl "Harsh Mistress" wie auch "Atlas" bieten da reichliches Anschauungsmaterial). Beide Exempel sind ja Fortsetzungen der alten Gattung "Staatsroman", mit dem Unterschied, daß es hier um die Einrichtung eines besseren Gemeinwesens geht, nicht wie in der klassischen Utopie um die tour d'horizon hindurch. Beiden Beipielen gereicht dieser Perspektivenwechsel nicht zum Vorteil, weil das Personal (statt wie in der alten Utopie bloße Schablone sein, durch die der Autor spricht), in grob holzschnittartiger Weise überhöht wird, die man aus der Propaganda aller Couleur kennt. Es handelt sich da überhaupt um einen Mißbrauch des Mediums Roman, für den Didaktik Gift ist; Mark Twains Warnung "Persons attempting to find a motive in this narrative will be prosecuted; persons attempting to find a moral in it will be banished" ist eigentlich ein gutes Eichmaß. (Daß nach diesem Kriterium Dickens ein höchst mittelmäßiger Verfasser ist, spricht m.E. eher dafür.)

Da die beiden o.g. Beispiele faute de mieux zur Science Fiction gehören: vielleicht, wahrscheinlich sogar, ist es für einen wirklichen Liberalen, aber auch Konservativen gar nicht möglich, in diesem Metier "ernsthafte", auf "Verbesserung der Menschheit" u.dgl. abzielende Varianten abzufassen (bei Satiren & bunten Abenteuergeschichten ist das etwas anders; Jack Vance dürfte wohl als konservativ durchgehen; die Betonung liegt auf "ernsthaft") - weil dies eben das Bescheidwissen, die klassische Anmaßung des Wissens voraussetzt; von all den Namen, die zur Salvierung des Genres angeführt werden - von Ursula Le Guin über Margaret Atwood, William Gibson, Frederik Pohl bis Kim Stanley Robinson - darf man ihnen getrost das Etikett "linksprogressiv" aufpappen, mal leicht anarchistisch bordürt, mal feministisch verschwestert.

P.S. Die Liste der mit dem Prometheus Award prämierten Werke als mögliches Gegenargument mag nicht so recht überzeugen: das meiste unausgegoren; einiges zutreffend, wie "Farm der Tiere" oder Samjatins "Wir"; aber Le Guins "Planet der Habenichtse/The Dispossessed" ist schlicht Christa Wolfs "Geteilter Himmel" 1:1 auf außerirdisch umgestrickt, von der Eingangssequenz an ("There was a wall. It did not look important... Where it crossed the roadway, instead of having a gate it degenerated into mere geometry, a line, an, idea of boundary. But the idea was real. It was important. For seven generations there had been nothing in the world more important than that wall. Like all walls it was ambiguous, two-faced. What was inside it and what was outside it depended upon which side of it you were on...It was in fact a quarantine. The wall shut in not only the landing field but also the ships that came down out of space, and the men that came on the ships, and the worlds they came from, and the rest of the universe. It enclosed the universe, leaving Anarres outside, free. Looked at from the other side, the wall enclosed Anarres: the whole planet was inside it, a great prison camp, cut off from other worlds and other men, in quarantine.") bis zur Schlußwendung (der Protagonist kehrt reumütig von den korrupierenden Fleischtöpfen des kalten Kapitalismus zurück, um die entbehrliche Aufgabe auf sich zu nehmen, den (Anarcho-)Sozialismus mit menschlichem Antlitz aufzubauen: die Tatsache, daß es dort keinerlei Privateigentum geben darf, ist dem Roman eine hoffnungsfrohe Voraussetzung): wenn das liberal ist, heiße ich Gregor G.

P.S. 23:52 - Als ich Ayn R. & Gregor G. (indirekt) koppelte, kannte ich den hier noch nicht.

Kritiker Offline



Beiträge: 274

24.09.2013 11:23
#21 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Lieber Am_Rande

Zitat von Am_Rande im Beitrag #19

Kann es vielleicht sein, dass es die gesellschaftsverändernden Ideen der Liberalen durchaus gibt;
nur dass Sie diese vielleicht (noch) nicht kennen?


Kann es vielleicht sein, dass es diese Ideen gibt, es aber niemand gibt, der sie politisch umsetzen und kommunizieren kann?

Ich bin in dieser Hinsicht eben dummes Wahlvolk - politisch interessiert, aber nicht mit der großen Theorie befasst. Mir geht es um Konzepte und Visionen der Praxis.
Und hier stehen die Vertreter der liberalen Ideen eben extrem schwach da. Vielleicht kennen die die Referenzen, die Sie zitiert haben, auch nicht?

Also die Frage: Wer propagiert die von Ihnen zitierten Werte politisch und was sind die Folgen für Otto Normalbüger?

Der Kritiker

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

24.09.2013 13:23
#22 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Sehr verehrter „Ulrich Elkmann“,

es ging mir bei der (kurzen) Liste an Büchern nur darum, zu zeigen, dass am geistigen Firmament des Liberalismus sehr viel mehr Sterne und Sternchen funkeln,
als das vielleicht jemandem, dem der Liberalismus bisher nur als „Partei der Besserverdienenden“ begegnet ist, bekannt ist.

Die Liste hat nie Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

Wenn man mich nötigen würde, könnte ich noch mit ein paar Dutzend weiterer, sehr lesenswerter Buchempfehlungen aufwarten.

Und Sie haben natürlich recht: die Werke „Revolte auf Luna“ und „Atlas wirft die Welt ab“ sind keine Darstellung einer Gesellschaft nach Klassisch Liberalen Maßstäben.

Aber ich muss gestehen, nach solch einer Fiktionalisierung suche ich schon recht lange, mir ist leider keine bekannt. Ihnen vielleicht?

Dass aber eine solche Fiktionalisierung mehr als nur ein "Roman, Epos, Sonett, eine Fabel oder nur eine Epopöe" ist, sondern ein echtes Desideratum, vielleicht nicht nur von mir, ist, zeigt, glaube ich, der kommunistische Zukunftsroman Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887.

Wenn ich aus der Wikipedia zitieren darf:

Zitat
Herausgeber Wolfgang Biesterfeld spricht von „der erfolgreichsten Utopie des 19. Jahrhunderts und der vielleicht meistgelesenen Utopie überhaupt“ (1983, S. 296). […]

Herausgeber Georg von Gizycki schreibt im Vorwort (1890, S.3):
„Mir schien, daß dieses Werk sich den berühmten Utopien der Vergangenheit, wie Thomas Morus ‚Utopia‘ […] Bacons ‚Neu Atlantis‘ und Campanellas ‚Sonnenstaat‘ wohl zur Seite stellen lasse. Noch keine derartige Schrift hat einen so erstaunlichen Erfolg gehabt, wie diese: sie ist vor ungefähr zwei Jahren veröffentlicht worden, und bereits liegt das 301. Tausend des amerikanischen Originals und die 21. Auflage des englischen Nachdrucks vor. […] Von socialistischer sowie von entgegengesetzter Seite sind gegen das Werk viele Einwendungen erhoben worden, und sicherlich unterliegt es nicht wenigen; aber ich glaube, es enthält tiefe ethische Wahrheiten.



Wir brauchen ein Klassisch Liberales „Looking Backward“!

Am_Rande Offline




Beiträge: 196

24.09.2013 13:48
#23 RE: FAZ-Essay: Warum sind Liberale heute nicht mehr links? Antworten

Sehr verehrter „Kritiker“,

wenn ich sehr bösartig wäre - was ich nicht bin - würde ich jetzt zurückfragen:

Zitat
Warum, glauben Sie, haben die Liberalen eine Bringschuld Ihnen gegenüber?
Warum, glauben Sie, haben Sie das Recht, sich gemütlich zurückzulehnen und zu warten bis die Liberalen kommen und ihnen den Liberalismus in appetitlich kleinen Häppchen servieren, die Sie dann leicht geistig verdauen können?

Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

So war es und so ist es!



Aber da ich nicht bösartig bin, sage ich Ihnen gerne,
dass z. B. Ron Paul mit seinen Taten, Worten und Werken jemand ist, der in unserer Zeit zu tagesaktuellen, politischen Themen „Konzepte und Visionen der Praxis“ anbietet.
Andere heutige Politiker wären: Nigel Farage und Daniel Hannan.

Wenn Sie jetzt sagen: Ja aber, das sind ja alles keine Deutschen!

Dann kann ich nur mit Ludwig von Mises antworten:

Zitat
Man kennt in Deutschland den Liberalismus nicht mehr, aber man weiß ihn zu schmähen.
Der Hass gegen den Liberalismus ist das Einzige, in dem die Deutschen einig sind.



Wenn Sie sich etwas mit der Geschichte des Liberalismus in Deutschland und den Ideen des Klassischen Liberalismus auseinandergesetzt haben werden,
werden Sie erkennen müssen, wie quer der Klassische Liberalismus zu den konventionellen Ansichten zu und in allen Lebensbereichen und zu und in allen Institutionen in Deutschland steht;
so dass es kein Wunder ist, dass der Klassische Liberalismus immer noch eine verschmähte Unbekannte in Deutschland ist.

 Sprung  



Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.



Xobor Xobor Forum Software
Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz