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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
und wurde 1.619 mal aufgerufen
 Geschichte, Philosophie, Religion
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.09.2007 13:53
Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten

Der Kardinal Meisner ist mal wieder in ein Fettnäpfchen getreten. Gerade so, daß es a bisserl spritzt, aber nicht zu sehr.

Dabei sollte es eigentlich kräftig spritzen, argumentiere ich hier. Aber nicht wegen des harmlosen Wortes "entarten", sondern weil der Kardinal einen religiösen Fundamentalismus vertritt, der hinter die Aufklärung zurückfällt.

Turbofee Offline



Beiträge: 329

16.09.2007 01:02
#2 RE: Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.09.2007 07:11
#3 RE: Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten

Liebe Turbofee,

ich stimme dir zu: Meisner hat jedes Recht der Welt, zu sagen, jede Kultur müsse einen sakralen Bezug haben.

Mein Kulturbegriff ist das freilich nicht. Ich empfinde das, was Meisner gesagt hat, wie geschrieben, als skandalös. Denn er wendet sich gegen eine säkulare Kultur; ja er behauptet, es könne sie gar nicht geben. Damit bezieht er dieselbe Position wie z.B. islamische Fundamentalisten.

Darüber muß sehr ernsthaft diskutiert werden. Wenn Meisners Auffassung sich durchsetzte, würde unsere Kultur hinter die Aufklärung zurückfallen.



Nachgerade lächerlich ist andererseits aber der Empörungszirkus, den ein einziges Wort ausgelöst hat - noch dazu durchgängig falsch zitiert, denn Meisner hat eben nicht von "entarteter Kunst" oder auch nur "entarteter Kultur" gesprochen.

Man hat den Eindruck, daß diese empörten Reaktionen - eine aktuelle Zusammenstellung kann man bei Focus Online lesen - wirklich wie ein Pawlow'scher Reflex durch bestimmte Wörter ausgelöst werden. Die Kommentatoren lesen offenbar gar nicht, was jemand gesagt hat; geschweige denn versuchen sie, es in seinem Kontext zu verstehen. Ihnen wird mitgeteilt, jemand habe ein Wort verwendet. Und schwupp! reagieren sie.

Ein anderer Aspekt: Meisner ist immerhin ein hoher Würdenträger einer Religion. Auch wenn man nicht mit ihm übereinstimmt, sollte man doch bei der Kritik auf die Würde des Amtes Rücksicht nehmen.

Herzlich, Zettel





Turbofee Offline



Beiträge: 329

16.09.2007 09:36
#4 RE: Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten
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Angefügte Bilder:
scrollen.jpg  
Turbofee Offline



Beiträge: 329

16.09.2007 09:51
#5 RE: scrollen2 Antworten
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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

16.09.2007 16:47
#6 RE: Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten
Lieber Zettel,

ich werde mich nicht weiter zum Wort "Fundamentalismus" äußern, daß ja inzwischen nur zu einem Schimpfwort degeniert ist, ganz abgekoppelt von seinem Ursprung in einer Abwehrhaltung innerhalb des amerikanischen Protestantismus.

Also zur Sache:

1. was soll denn "hinter die Aufklärung zurückgehen" heißen? Gibt es irgendwie eine allgemeinverbindliche Norm der Aufklärung, an die sich jeder zu halten hat. Heißt "Aufklärung" Voltaire und Rousseau anzubeten etc.? Oder heißt Aufklärung mit Kant das Wagnis seinen eigenen Verstandes zu benutzen? Genau das tun Sie, Lieber Zettel, und Sie, Turbofee, und ich und auch Kardinal Meissner.

2. Ihre Liste der angeblich durch Meissnersche Logik als entart zu betrachtende "Kulturschaffende" (um es mal so allgemein zu formulieren) krankt an zwei Punkten: erstens richtet sich Meissner nicht gegen entartete Kulturschaffende (das wäre nur wieder der "entartete Kunst" Vorwurf in grün) sondern gegen ein Entarten der Kultur. Es geht hier also nicht um Einzelne und die in Ihrer Liste erhaltenen wirkten nunmal eben nicht in einer vom Kultus, von der Religion geschiedenen Kultur - für keinen der acht genannten gilt das. Und zweitens: der gläubige Katholik Gallilei, der (wenn auch insgeheim wohl arianisierende) Anglikaner Newton, der evt. Krypto-Katholik Shakespeare lassen sich schon gar nicht für eine "säkulare" (wie das heute oft so schön falsch heißt) Kultur in Anspruch nehmen.

3. Ich stimme nicht mit Ihnen überein, daß Meissner durch Dosierung der PC-Verletzung gerettet wird (egal ob er nun dosiert oder nicht). Es sind schon Menschen über geringere "Skandale" (bei denen es ja nicht so sehr um das wirklich gesagt sondern um das berichtete und kommentiere geht) gestolpert. Bei Meissner spielen, meiner Meinung nach, zwei Aspekte eine Rolle: erstens ist er für die PC-Fraktion schon längst jenseits von Gut und Böse, war es genaugenommen schon bei Amtsantritt - zweitens jedoch ist Meissner nicht gestolpert, weil er den Vorteil hat ein katholischer Bischof zu sein, womit er eine etwas weniger fragile Position einnimmt als NDR-Talkmasterinnen, Bundestagsabgeordnete, Ministerpräsidenten etc.

Dennoch herzlich,
Str1977
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.09.2007 18:00
#7 RE: Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten

Lieber str1977,

Zitat von str1977
Ich werde mich nicht weiter zum Wort "Fundamentalismus" äußern, daß ja inzwischen nur zu einem Schimpfwort degeniert ist, ganz abgekoppelt von seinem Ursprung in einer Abwehrhaltung innerhalb des amerikanischen Protestantismus.

Das stimmt - leider. Ich wollte es nicht als Schimpfwort verwenden, sondern als Bezeichnung für eine Haltung, die der jeweiligen Religion eine alles andere überragende, es gewissermaßen überwölbende Bedeutung beimißt.

Das war selbstverständlich so im christlichen Mittelalter - philosophia ancilla theologiae. Es ist heute so im fundamentalistischen Islamismus, für den es zB kein Recht geben kann, das nicht aus der Religion kommt.

Und wenn Meisner sagt, daß Kultur, die keinen Bezug zum Religiösen hat, entartet, dann vertritt er dieselbe Grundhaltung. Das meinte ich mit "Fundamentalismus".

Zitat von str1977
1. was soll denn "hinter die Aufklärung zurückgehen" heißen? Gibt es irgendwie eine allgemeinverbindliche Norm der Aufklärung, an die sich jeder zu halten hat. Heißt "Aufklärung" Voltaire und Rousseau anzubeten etc.? Oder heißt Aufklärung mit Kant das Wagnis seinen eigenen Verstandes zu benutzen?

Ich habe, lieber str1977, den Begriff historisch gemeint. Bis zur Aufklärung galt eben diese Vorherrschaft der Religion, und seit der Aufklärung gilt sie nicht mehr. Seit der Aufklärung gibt es Philosophie, Wissenschaft, Kunst ohne einen Bezug zur Religion, erst recht zur Theologie.

Was übrigens Voltaire und Rousseau angeht - die verehre ich gewiß nicht. Mit der Selbstquälerei und Verstiegenheit Rousseaus habe ich nie etwas anfangen können. Voltaire - er wird gern zitiert, wenn von Aufklärung die Rede ist, aber wer hat eigentlich was von ihm gelesen?

Es ist heute auch kaum noch etwas lesenswert, was er geschrieben hat. Der "Candide" vielleicht; aber der ist ein kleines, satirisches Werklein. Kein Vergleich mit wirklichen französischen Philosophen der Neuzeit, von Descartes über Malebranche bis zu Condillac; alle weit origineller und substaniteller als Voltaire.

Zitat von str1977
Es geht hier also nicht um Einzelne und die in Ihrer Liste erhaltenen wirkten nunmal eben nicht in einer vom Kultus, von der Religion geschiedenen Kultur - für keinen der acht genannten gilt das.

Was sie geschaffen haben, das war aber "von der Religion geschieden". Es hatte keinen Bezug zur Religion. Das gilt übrigens auch für Kant, dessen Gottesbegriff ja nicht derjenige der geoffenbarten Religion gewesen ist.

Gewiß kann man immer zu Recht sagen, daß die Betreffenden aber doch von der christlichen Kultur geprägt waren. Aber das gilt dann auch vermutlich für Leute wie Schlingensief, die ja vermutlich just deshalb einen Hang zum Blasphemischen haben, weil sie eben christlich geprägt sind.

Zitat von str1977
Und zweitens: der gläubige Katholik Gallilei, der (wenn auch insgeheim wohl arianisierende) Anglikaner Newton, der evt. Krypto-Katholik Shakespeare lassen sich schon gar nicht für eine "säkulare" (wie das heute oft so schön falsch heißt) Kultur in Anspruch nehmen.

Da ist meine Antwort ähnlich: Sie mögen mehr oder weniger fromme Christen gewesen sein; aber ihr Werk hatte keinen Bezug zur Religion oder zum Kult.

Zitat von str1977
Ich stimme nicht mit Ihnen überein, daß Meissner durch Dosierung der PC-Verletzung gerettet wird. Es sind schon Menschen über geringere "Skandale" (bei denen es ja nicht so sehr um das wirklich gesagt sondern um das berichtete und kommentiere geht) gestolpert.

Da könnten Sie gut Recht haben. Als ich den Beitrag geschrieben habe, gab es - kannte ich jedenfalls - nur die beiden Reaktionen, die ich zitiert habe. Ich wundere mich sehr, daß Westerwelle und ein Sprecher des Zentralrats der Juden auf den Wagen aufgesprungen sind.

Zitat von str1977
Bei Meissner spielen, meiner Meinung nach, zwei Aspekte eine Rolle: erstens ist er für die PC-Fraktion schon längst jenseits von Gut und Böse, war es genaugenommen schon bei Amtsantritt - zweitens jedoch ist Meissner nicht gestolpert, weil er den Vorteil hat ein katholischer Bischof zu sein, womit er eine etwas weniger fragile Position einnimmt als NDR-Talkmasterinnen, Bundestagsabgeordnete, Ministerpräsidenten etc.

Beides sehe ich genauso.

Herzlich, Zettel

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.09.2007 20:52
#8 RE: Randbemerkung: Meisners List, Meisners Skandal Antworten

Lieber Zettel

In Antwort auf:
Das stimmt - leider. Ich wollte es nicht als Schimpfwort verwenden, sondern als Bezeichnung für eine Haltung, die der jeweiligen Religion eine alles andere überragende, es gewissermaßen überwölbende Bedeutung beimißt.


Das aber ist nicht Fundamentalismus sondern in gewissem Sinne ganz normal. Dem wirklich Gläubigen (und da spielt es keine Rolle ob er an eine Religion, Philosophie, Ideologie oder nur an sein Ego glaub) ist sein Glaube das wichtigste, nach dem alles bemessen wird (was natürlich je nach Mensch und je nach Gegenstand des Glaubens - die Religionen sind da nicht gleichartig - anders aussehen kann).

In Antwort auf:
Das war selbstverständlich so im christlichen Mittelalter - philosophia ancilla theologiae. Es ist heute so im fundamentalistischen Islamismus, für den es zB kein Recht geben kann, das nicht aus der Religion kommt.


Der Vergleich hier hinkt aber. Im Mittelalter war es halt so, daß eine Religion alles so prägte. Heute ist es halt sowas wie "Aufklärung" im von mir kritisierten Sinne. Aber das Christentum an sich stellt diesen Anspruch gar nicht - im Gegensatz zum Islam.

"philosophia ancilla theologiae" heißt übrigens, das die Philosophie eine Hilfwissenschaft der Theologie ist. Und natürlich muß sie das für einen (gebildeten) Christen sein, denn Theologie ist nichts anderes als auf die Offenbarung angewandete Philosophie. Ohne die philosophische Methode geht die Theologie den Bach runter, wie das leiter heutzutage der Fall ist.

In Antwort auf:
Und wenn Meisner sagt, daß Kultur, die keinen Bezug zum Religiösen hat, entartet, dann vertritt er dieselbe Grundhaltung. Das meinte ich mit "Fundamentalismus".


Das mag so sein. Und Sie mögen es kritisieren. Das sei Ihnen unbenommen. Was mich nur störte war der allgemeinverbindliche Anspruch, er solle das nicht sagen dürfen wegen der Aufklärung und so. Womit ich beim nächsten Punkt wäre.

In Antwort auf:
Bis zur Aufklärung galt eben diese Vorherrschaft der Religion, und seit der Aufklärung gilt sie nicht mehr. Seit der Aufklärung gibt es Philosophie, Wissenschaft, Kunst ohne einen Bezug zur Religion, erst recht zur Theologie.


Nun, ich finde aber es gab sehr wohl auch vorher dergleichen ohne direkten Bezug zur christlichen Religion. Sicher, nicht sehr wohl. Aber was mich halt stört: wenn Aufklärung Entchristlichung heißen sollte, frage ich mich, warum daß allgemein verbindlich sein sollte. Und noch mehr: warum sich ein Bischof darum scheren sollte.

Aber positiv gesprochen ist Aufklärung eine geistige Bewegung, die immer wieder aufzubringen ist - schon in der Antike (Sokrates etc.) aber auch die ganze Geschichte hindurch. Bei Gelegenheit suche ich mal eine Stelle von Kardinal Ratzinger heraus, wo das schön formuliert ist.

In Antwort auf:
Was übrigens Voltaire und Rousseau angeht - die verehre ich gewiß nicht. Mit der Selbstquälerei und Verstiegenheit Rousseaus habe ich nie etwas anfangen können. Voltaire - er wird gern zitiert, wenn von Aufklärung die Rede ist, aber wer hat eigentlich was von ihm gelesen?


Das freut mich und es war auch nicht auf Sie gemünzt (obwohl ich bei anderen schon Reaktionen à la "Ketzterei!" hatte, als ich sagte, daß ich Voltaire nicht leiden kann.) Rousseau ist ohnehin als Vater des Totalitarismus höchst problematisch. Und Voltaire, ja lesenswert ist das wenige was ich las nicht. Bestenfalls Platitüden, schlimmstenfalls Erschreckend: geheuchelte Pseudotoleranz (Ecrasez l'infame und so).

In Antwort auf:
Was sie geschaffen haben, das war aber "von der Religion geschieden". Es hatte keinen Bezug zur Religion.


Das gilt so aber eben nicht für die von mir besonders Herausgestellten (Gallilei, Newton, Shakespeare - recht bedacht auch Sokrates, der ja eben nicht, wie oft behauptet Atheist war), außer sie meinen es in einem banalen Sinne, in dem alles von Religion aber auch von allem anderen geschieden ist.

In Antwort auf:
Das gilt übrigens auch für Kant, dessen Gottesbegriff ja nicht derjenige der geoffenbarten Religion gewesen ist.


Schon klar, das Kant kein Christ war, daß er sogar vom Christentum gar nichts verstanden hat. Das heißt nicht ihn grundheraus ablehnen, aber sein Moraldestilat ist doch sehr weit vom Geist des Christentum entfernt. Aber dennoch, nur weil er kein Christ war, ist er dadurch nicht areligiös (das wäre seltsamerweise genau das was Sie Meißner vorwerfen: das Christentum absolut setzen) - und natürlich sind die Bausteine, die er verbaut entweder aus christlichem Steinbruch oder zumindest lange christlich behämmert worden bevor er sie benutzte.

In Antwort auf:
Gewiß kann man immer zu Recht sagen, daß die Betreffenden aber doch von der christlichen Kultur geprägt waren. Aber das gilt dann auch vermutlich für Leute wie Schlingensief, die ja vermutlich just deshalb einen Hang zum Blasphemischen haben, weil sie eben christlich geprägt sind.


Gewiß. Und ebenso gewiß gefällt das weder mir noch dem Kardinal. Aber ob der Kardinal auch dies schon unter entartete Kultur fassen würde? Nietzsche fiele mir noch ein, der ja auch gegen seine (kultur-)protestantische (aber wenig christliche) Herkunft rebelliert. Nur finde ich, daß ist eben bei obengenannten nicht der Fall. Und nicht jedes Abarbeiten an der eigenen Religion(sherkunft) muß gleich in Blasphemie münden.

In Antwort auf:
Da ist meine Antwort ähnlich: Sie mögen mehr oder weniger fromme Christen gewesen sein; aber ihr Werk hatte keinen Bezug zur Religion oder zum Kult.


Ja, und das bestreite ich: Galileo (und noch viel mehr Kopernikus vor ihm) hat aus dem Bewußtsein herausgearbeitet, daß Naturerkenntnis ein Stück Gotteserkenntnis ist. Newton forschte nach den Gesetzen des großen Baumeisters (und befaßt sich noch mehr mit , von ihnen allerdings nicht beanspruchten, Bibelexegese - sicher nicht sehr mitreißend oder für uns heute ansprechend, aber er sah es so). Shakespeare ist sicherlich schwierig, weil man über ihn so wenig sicher weiß. Aber sicher haben die religiösen Turbulenzen, die aus dem katholischen England ein erzprotestantisches Land werden ließen, ihn sehr beeinflußt. Und Sokrates - den hatte ich noch vergessen - war sich kein Christ und auch kein traditioneller Heide, aber hatte es dennoch mit "der Gottheit".

In Antwort auf:
Da könnten Sie gut Recht haben. Als ich den Beitrag geschrieben habe, gab es - kannte ich jedenfalls - nur die beiden Reaktionen, die ich zitiert habe. Ich wundere mich sehr, daß Westerwelle und ein Sprecher des Zentralrats der Juden auf den Wagen aufgesprungen sind.


Bei Westerwelle wundert mich das wenig. Beim Zentralrat der Juden ist es wohl so, daß dort nur noch auf Signalwörter reagiert wird. Ich halte zwar Westerwell nicht für so helle (entschuldigen Sie bitte, aber der Reim mußte sein ;-)), hielt aber mal Salomon Korn für einen ausgewogenen Menschen, der nicht zu solchen Beschwerdeeskapaden fähig ist - ich weiß nicht, ob er etwas zu Meissner sagte oder es Frau Knobloch war, wurde aber zu einem anderen Thema, eines besseren belehrt. Aber das Leben ist eine Kette von Enttäuschungen.

Herzlich,
Str1977

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

17.09.2007 23:51
#9 Glauben und Wissenschaft Antworten

Lieber str1977,

Sie schreiben da Sachen, auf die ich gern eingehen möchte.

Damit es nicht unübersichtlich wird, in Paketchen.

Zitat von str1977
Dem wirklich Gläubigen (und da spielt es keine Rolle ob er an eine Religion, Philosophie, Ideologie oder nur an sein Ego glaub) ist sein Glaube das wichtigste, nach dem alles bemessen wird (was natürlich je nach Mensch und je nach Gegenstand des Glaubens - die Religionen sind da nicht gleichartig - anders aussehen kann).

Hm, hm. Das hängt natürlich davon ab, was man mit "wirklich" Gläubigen meint. Man kann sie so definieren, daß das eben per definitionem stimmt. Aber es muß keineswegs so sein.

Ich kannte einmal einen holländischen Kollegen, der ein wirklicher christlicher Fundamentalist war. Er glaubte sogar, daß die Welt vor 6000 Jahren geschaffen worden war. Und war gleichzeitig ein ausgezeichneter Naturwissenschaftler in einem Bereich, der nichts mit Schöpfungsgeschichte zu tun hatte. Man kann das also trennen.
Zitat von str1977
"philosophia ancilla theologiae" heißt übrigens, das die Philosophie eine Hilfwissenschaft der Theologie ist. Und natürlich muß sie das für einen (gebildeten) Christen sein, denn Theologie ist nichts anderes als auf die Offenbarung angewandete Philosophie. Ohne die philosophische Methode geht die Theologie den Bach runter, wie das leiter heutzutage der Fall ist.

Nochmal hm, lieber str1977. Ich verstehe nichts von Theologie. Aber ich glaube doch eher, daß dieser Satz den Primat der Theologie über die Philosophie feststellen sollte - von seinem Urheber gegen die Aufklärer des 12. Jahrhunderts gerichtet, später gegen die Nominalisten, die Aristoteliker. Aber wie gesagt, ...
Zitat von str1977
In Antwort auf:
Und wenn Meisner sagt, daß Kultur, die keinen Bezug zum Religiösen hat, entartet, dann vertritt er dieselbe Grundhaltung. Das meinte ich mit "Fundamentalismus".

Das mag so sein. Und Sie mögen es kritisieren. Das sei Ihnen unbenommen. Was mich nur störte war der allgemeinverbindliche Anspruch, er solle das nicht sagen dürfen wegen der Aufklärung und so.

Bewahre! Wenn mir als Aufklärer etwas fern liegt, dann ein Verbot, etwas zu sagen. Ich habe es skandalös genannt. Ein skandalon, das ist ein Stolperstein, übertragen ein Anstoß, etwas Anstößiges. In meinen Augen ist das keinen negative Kennzeichnung.

Soviel erstmal, lieber str1977. Gleich kommt noch getrennt was zur Aufklärung.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.09.2007 00:07
#10 Was ist Aufklärung? Antworten
Lieber str1977,

hier Teil zwei meines Kommentars
Zitat von str1977
In Antwort auf:
Bis zur Aufklärung galt eben diese Vorherrschaft der Religion, und seit der Aufklärung gilt sie nicht mehr. Seit der Aufklärung gibt es Philosophie, Wissenschaft, Kunst ohne einen Bezug zur Religion, erst recht zur Theologie.

(...) Aber was mich halt stört: wenn Aufklärung Entchristlichung heißen sollte, frage ich mich, warum daß allgemein verbindlich sein sollte. Und noch mehr: warum sich ein Bischof darum scheren sollte.

Das ist ein interessanter Punkt, lieber str1977; fast einen eigenen Thread wert: Ist auch die Aufklärung intolerant, weil sie ebenso Allgemeinverbindlichkeit beansprucht wie Religionen, jedenfalls in ihrer fundamentalistischen Ausprägung?

Ich denke, man muß da unterscheiden; und jetzt müßte ich eigentlich mit einem längeren Exkurs loslegen.

Mir dies verkneifend, nur kurz:

Es gibt eine Tradition der Aufklärung, deren Grundhaltung die des Skeptikers ist. Vertreten in der Antike von den (zu Unrecht verteufelten) Sophisten, später von den Stoikern. Im Mittelalter durch die Nominalisten, in der Philosophie der Neuzeit zum Beispiel durch Descartes, Montesquieu, Hume, Kant, später die Wiener Schule, heute die ganze breite Bewegung der Analytischen Philosophie.

Und es gibt das, was sich auch "Aufklärung" nennt und was in der Tat oft doktrinären Charakter hat. Das, worauf in seinen schlechtesten Variante das Schimpfwort "Aufkläricht" nicht schlecht paßt.

Überwiegend wird das nicht von bedeutenden Philosophen vertreten, sondern von ihren Jüngern. Es gibt aber einige der Bekannten, denen man das schon attribuieren kann: Die französischen Sensualisten und Materialisten, wie Condillac und LaMettrie zum Beispiel; Feuerbach. Auf ganz andere Art Hegel. Marx natürlich, aber auch Leute wie Häckel. Im Zwanzigsten Jahrhundert Adorno und alle diese marxistischen Philosophen, die sich in der Tradition der Aufklärung gesehen haben und die doch in der Tradition der Gegenaufklärung standen - sozusagen Naphtas, die sich als Settembrini verkleiden.

Da wird zwar viel von "Aufklärung" gesprochen, aber der freie Geist der Skepsis, der Toleranz, auch der Bescheidenheit fehlt gar sehr.

Wenn ich zB Adorno lese, dann habe ich den Eindruck, daß er mit "Aufklärung" eigentlich die Belehrung derer meint, die (noch) nicht seiner Meinung sind.

Herzlich, Zettel
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.09.2007 09:30
#11 Wissenschaftler und ihre Beziehung zur Religion Antworten

Lieber str1977,

hier jetzt Teil drei:

Zitat von str1977
In Antwort auf:
Was sie geschaffen haben, das war aber "von der Religion geschieden". Es hatte keinen Bezug zur Religion.

Das gilt so aber eben nicht für die von mir besonders Herausgestellten (Gallilei, Newton, Shakespeare - recht bedacht auch Sokrates, der ja eben nicht, wie oft behauptet Atheist war), außer sie meinen es in einem banalen Sinne, in dem alles von Religion aber auch von allem anderen geschieden ist.

Über Shakespeares Beziehung zur Religion weiß ich nichts. Aber für sein Werk gilt, was eben auch für das Werk von Galilei und Newton gilt: Kein Bezug zur Religion.

Ja, Newton war ein frommer Mann. Er hat seine physikalischen Entdeckungen als nicht im Widerspruch zur Bibel stehend gesehen; im Gegenteil sie in den Kontext des kosmologischen Gottesbeweises gestellt. Aber alles das, was er entdeckt hat, hätte ebenso ein Buddhist oder ein Atheist entdecken und formulieren können.

Das gilt erst Recht für Galilei. Seine experimentelle Methode, sein Ansatz, die gefundenen Zusammenhänge mathematisch zu formulieren - da ist nichts von Religion. Wenn überhaupt, dann führt die Mathematisierung der Naturwissenschaft zurück zu den Pythagoräern.

Zitat von str1977
In Antwort auf:
Das gilt übrigens auch für Kant, dessen Gottesbegriff ja nicht derjenige der geoffenbarten Religion gewesen ist.

Schon klar, das Kant kein Christ war, daß er sogar vom Christentum gar nichts verstanden hat.

Gar nichts verstanden? Er war in Königsberg buchstäblich umgeben von Pietisten, mit denen er sich immer wieder auseinandergesetzt hat. Und natürlich war auf dem Fridericianum Theologie gelehrt worden. Oder meinen Sie "nichts verstanden" in dem Sinn, daß er keine Beziehung zum Christentum hatte? Das dürfte wohl stimmen.

Herzlich, Zettel

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

21.09.2007 09:36
#12 RE: Glauben und Wissenschaft Antworten

Hallo Zettel,

mit "wirklich Gläubigen" meinte ich jemanden, der von seiner Religion auch gänzlich überzeugt ist (was Zweifel aber nicht ausschließt). Sollte es einen Konflikt zwischen den beiden Ebenen geben, wir er versuchen, der "höheren" den Vorzug zu geben. Aber, damit das klar ist, ich meinte damit den Einzelnen, nicht eine gemeinschaftliche Suprematie der einen über die anderen Religion im sozialen oder politischen Bereich.

In Antwort auf:
Ich kannte einmal einen holländischen Kollegen, der ein wirklicher christlicher Fundamentalist war [...] gleichzeitig ein ausgezeichneter Naturwissenschaftler in einem Bereich, der nichts mit Schöpfungsgeschichte zu tun hatte. Man kann das also trennen.


Natürlich, nur sehe ich keinerlei Zusammenhang zu meinem Beitrag. Der Holländer sah einen Konflikt zwischen Evolutionstheorie und seinem Glauben und hat sich in diesem Fall für glaubens-induzierte und komptabilere Pseudowissenschaft entschieden (Pseudowissenschaft weil es ja um naturwissenschaftliche Fragen hier ging). In einem anderen Bereich sah er keinen Konflikt und konnte dadurch auf der Höhe der Wissenschaft arbeiten.

In Antwort auf:
ich glaube doch eher, daß dieser Satz den Primat der Theologie über die Philosophie feststellen sollte - von seinem Urheber gegen die Aufklärer des 12. Jahrhunderts gerichtet, später gegen die Nominalisten, die Aristoteliker.


Nicht ganz. Ein Theologe kann nun mal nicht einfach frei philosophieren wie ein Philosoph das kann, so wie ein Physiker nicht frei Berechnungen anstellt jenseits des beobachteten Experiments - im Gegensatz zum Mathematiker. Und mag sein, daß jemand den Scholastikern (ich bleib lieber konkret als solche Hochwertbegriffe wie Aufklärer zu verwendend - die Nominalisten waren m.A.n. eher Verunklärer) vorwarf, sich der philosophischen Methoden zu bedienen. Nun waren diese Scholastiker aber allesamt Theologen. In der mittelalterlichen Universiät stellte die Philosophie eine Art Grundstudiengang zu den höheren Fächern Theologie, Medizin und Jura dar.

In Antwort auf:
Bewahre! Wenn mir als Aufklärer etwas fern liegt, dann ein Verbot, etwas zu sagen. Ich habe es skandalös genannt. Ein skandalon, das ist ein Stolperstein, übertragen ein Anstoß, etwas Anstößiges. In meinen Augen ist das keinen negative Kennzeichnung.


Dann bin ich ja etwas beruhigt. Ich weiß, daß ich von Ihnen keiner Verbote zu erwarten habe. Und auch von politisch Verantworteten erwarte ich nicht, daß sie sich durchsetzen mit ihrer Rede von "Meinungsdelikten" etc. - aber an deren Wollen fehlt es leider nicht.

Gruß
Str1977

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

21.09.2007 10:02
#13 RE: Was ist Aufklärung? Antworten

Nun zum zweiten Teil, Zettel:

In Antwort auf:
Das ist ein interessanter Punkt, lieber str1977; fast einen eigenen Thread wert: Ist auch die Aufklärung intolerant, weil sie ebenso Allgemeinverbindlichkeit beansprucht wie Religionen, jedenfalls in ihrer fundamentalistischen Ausprägung?


Das kommt darauf an, wie man "Toleranz" definiert. "Klassisch" heißt diesselbe ja nur, gegenläufige Meinungen und Überzeugungen zu ertragen - d.h. jene, die anderer Meinung sind, nicht zu zwingen oder zu bedrängen, damit sie die eigenen Meinung annehmen. "Modern" wurde das leider oft umdefiniert zu einem "alle Meinungen sind gleich" und "du hast deine, ich meine Wahrheit", was natürlich letztlich auf die Warheitsfrage verzichtet.

Ich sehe das Problem in einem anderen Punkt. Ist die Aufklärung eine gewisse, ich will fast sagen meta-methodische Grundhaltung des auch immer wieder Hinterfragens, oder ist sie eine Ansammlung bestimmter Meinungen, basierend auf Grundlagen aus dem 18. Jahrhundert. Denn nur so ist sie vergleichbar mit Religionen und Ideologie wie z.B. Christentum, Islam etc.

Ist sie letzteres ergibt sich obige Frage erst. Und natürlich könnte eine solche Aufklärungsideologie nicht anders, als sich für wahr halten und alle widerstrebenden Meinungen für falsch. Sie sollte dann ruhig für ihren Standpunkt eintreten. Was redlicherweise aber nicht geht, ist daß sie dann Allgemeinverbindlichkeit zu beanspruchen im Sinne einer "offensichtlich zu Tage liegenden Wahrheit". Mein Problem ist, wenn sie auf das Argumentieren verzichtet und einfach proklamiert: "das ist gegen die Aufklärung, das ist überholt, das wird abgeschafft!" Wie gesagt in bezug auf eine Aufklöärungsideologie.

In Antwort auf:
Es gibt eine Tradition der Aufklärung, deren Grundhaltung die des Skeptikers ist. Vertreten in der Antike von den (zu Unrecht verteufelten) Sophisten, später von den Stoikern. Im Mittelalter durch die Nominalisten, in der Philosophie der Neuzeit zum Beispiel durch Descartes, Montesquieu, Hume, Kant, später die Wiener Schule, heute die ganze breite Bewegung der Analytischen Philosophie.


Ja, nur ist das schon wieder so eine problemtische Ahnengallerie. Ohne jedem der hier genannten seinen Wert absprechen zu wollen, stößt es mir sauer auf, wenn nur bestimmte Personen und Gruppen als Aufklärung bezeichnet werden: sicher die Sophisten wurden verteufelt, oft zu unrecht (wenn auch manche inhaltlich abzulehnen waren), aber warum nicht Sokrates und seiner Nachfolger? Warum nur die Nominalisten à la William von Ockham (die in Wahrheit den Sarg der mittelalterlichen scholastischen Theologie gezimmert, die dann durch Luthers Rede von der "Hure Vernunft" zu Grabe getragen wurde - und für viele Verwirrung durch Pseudo-argumente verantwortlich waren) und nicht die Scholastiker wie Abelard oder Thomas von Aquin im ganzen. Und so geht es weiter. Hume als Vertreter des Positivismus sehe ich nicht so sehr als Aufklärer denn als Ausblender von Realitäten. Alle genannten haben ihren Platz in unserer Geistegeschichte. Aber sie jeweils herauszupicken riecht mir schon wieder nach Ideologie.

In Antwort auf:
Und es gibt das, was sich auch "Aufklärung" nennt und was in der Tat oft doktrinären Charakter hat. Das, worauf in seinen schlechtesten Variante das Schimpfwort "Aufkläricht" nicht schlecht paßt.


Ja, allerdings.

In Antwort auf:
Überwiegend wird das nicht von bedeutenden Philosophen vertreten, sondern von ihren Jüngern. Es gibt aber einige der Bekannten, denen man das schon attribuieren kann: Die französischen Sensualisten und Materialisten, wie Condillac und LaMettrie zum Beispiel; Feuerbach. Auf ganz andere Art Hegel. Marx natürlich, aber auch Leute wie Häckel. Im Zwanzigsten Jahrhundert Adorno und alle diese marxistischen Philosophen, die sich in der Tradition der Aufklärung gesehen haben und die doch in der Tradition der Gegenaufklärung standen - sozusagen Naphtas, die sich als Settembrini verkleiden.


Dem kann ich durchaus zustimmen, auch wenn ich Adornos Dialektik der Aufklärung mit Gewinn gelesen habe. Aber da las ich auch das Werk eines Marxisten als Nicht-marxist. Nur das mit der Gegenaufklärung ... ich weiß nicht. Das hört sich an wie Konterrevolution bzw. Reaktion. Richtig ist: all die genannten haben sich mit ihren Überzeugungen (um es mal ganz neutral zu halten) in der Tradition der Aufklärer des 18. Jahrhunderts gesehen, durchaus nicht zu unrecht, und auch deren Habitus übernommen, selbst Recht zu haben, während alle anderen halt noch nicht aufgeklärt seien. Was aber auch glücklicherweise ihre Attraktivität etwas begrenzt, da es zwischen dem "aufgeklärten Lichtbringer" und den "dummen Massen" ja selten zu echter Kommunikation kommt.

Herzlich,
Str1977

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