Sie ist manchmal sehr gespalten, die "Grüne Seele". Beim Thema Türkei für deren Beitritt zur EU, aber Waffen sollen sie bei uns nicht kaufen dürfen. Und bei Afghanistan? Sehr, sehr gespalten.
Ich denke die 68% Zustimmung der Basis von den Grünen kommt daher, dass der Wähler der Grünen vergleichsweise infomrierter ist. Die Basis der Grünen stammt eher aus einer Gruppe, die sich kritisch mit der Politik auseinander setzt und darauf besteht, eine eigene Meinung zu haben. Auch wenn unter diesen natürlich auch ideologische Betriebsblinheit gegeben ist, so ist doch mein Eindruck, dass das Mitglied der Grünen eher dahin tendiert sich zu informieren um dann eine Meinung zu bilden als es bei anderen Parteien der Fall ist.
Die Erkenntnis, dass bei einem Abzug die Frauen den Taliban überlassen werden und was denen dann blüht, wird sicher mit ein Beweggrund der Menschenrechtler unter den Grünen sein. Ich denke aber, dass auch erkannt wird, realpolitisch wäre ein Sonderweg der Bundesrepublik mit Nachteilen verbunden, die außen- und sicherheitspolitisch Konsequenzen hätten, welche der Bundesrepublik nachhaltig schaden würden. Daher, ich vermute, die Zustimmung hat ein Gesamtpaket zur Motivation, welches auf der besseren Informiertheit basiert und dann auch dazu führte, dass man die Frauen nicht im Stich lassen will.
Dann will ich mich mal Grünen-Wähler outen. :) Die Frauen in Afghanistan sind ein Teil des ganzen Problems. Es geht schlicht darum, daß die Taliban dieses ganze Land, in dem endlich mal wieder wenigstens etwas an Aufbau stattfindet, in das gerade erst langsam das 21. Jahrhundert zurückkehrt, mit Krankenversorgung, Wissenschaft, Bildung, Musik, Sport, etc., mit massenmörderischen Methoden ins finsterste Mittelalter, eigentlich sogar in die Antike, zurückdrängen wollen. Als es das erste mal im Krieg gegen die Russen passiert ist, war es schon schlimm genug. Aber diesmal haben viele Menschen Hoffnung geschöpft, riskieren ihr Leben und das ihrer Angehörigen und Freunde, um das Land wieder in eine menschenwürdige Heimat zu machen, und es ist auch unsere Entscheidung im Westen, ob diese vielen Menschen verraten und umgebracht werden. Diesmal ist es auch unsere Entscheidung in Deutschland, ob die Afghanen wieder versklavt werden und aller Chancen auf besseres Auskommen und dauerhaften Frieden beraubt werden. Und als Ex-Linker mit immer noch linkem Herzen kann ich nicht akzeptieren, daß ein ganzes Land, dessen Menschen auf unseren Schutz angewiesen sind, einer mörderischen Ideologie ausgeliefert werden soll, deren einziger Daseinszweck die brutale Unterdrückung jeder menschlichen Regung und Sehnsucht ist. Und die Irren lassen sich halt nicht mit Palmenzweigen in Schach halten. Was sie von Friedensangeboten halten, haben sie immer wieder gezeigt. Der Aufbau kann nur gelingen, wenn neben klugen politischen Entscheidungen auch wirksame militärische Entscheidungen getroffen werden.
Tja, vielleicht bin ich die längste Zeit Grünen-Wähler gewesen. Der Beschluß war feige, zynisch und menschenverachtend.
Zitat von califaxDer Beschluß war feige, zynisch und menschenverachtend.
Das sehe ich auch so. Allerdings glaube ich - und da werden Sie mir vielleicht nicht zustimmen - , daß es ein typisch grüner Beschluß ist.
Ich habe sehr oft die Erfahrung gemacht, daß - auch und gerade intelligente - Wähler der Grünen in moralischen Kategorien denken, auch dort, wo es um Fragen der Zweckrationalität geht.
Sie sind dafür, den Afghanen zu helfen. (Wobei sie ja meine volle Zustimmung haben, wenn sie dabei auch das Los der Frauen in den Blick nehmen; nur ist das nicht mehr als ein Teilaspekt - den Künstlern, den Wissenschaftlern, den Selbständigen, allen Intellekutellen ist es zB. unter den Taliban ja auch erbärmlch gegangen. Und die ganze Bevölkerung wurde von der Religionspolizei terrorisiert).
Also, ihre moralische Grundhaltung sagt ihnen, daß sie helfen sollen. Dieselbe moralische Grundhaltung bringt sie aber auch (was ich nicht nachvollziehen kann) in Opposition zu den USA, oft zum Kapitalismus, und vor allem zum Militär.
Also schnitzen sie sich eine Welt, die allen ihren moralischen Ansprüchen entspricht, die es nur leider nicht gibt: Eine Welt, in der in Afghanistan friedlich Aufbauhilfe geleiste wird, wo Schulen für Mädchen gebaut werden usw. Und wo nicht gekämpft wird. Wo man keine amerikanischen Special Troops braucht, die die Drecksarbeit machen. Und wo Tornados allenfalls zur Verbesserung der Wettervorhersage eingesetzt werden.
Tja, lieber califax, so naiv scheinen mir viele, sehr viele der Grünen-WählerInnen wirklich zu sein.
Herzlich, Zettel PS: Willkommen als Poster im "kleinen Zimmer"!
Zitat von Stefanie GallaIch denke die 68% Zustimmung der Basis von den Grünen kommt daher, dass der Wähler der Grünen vergleichsweise infomrierter ist. (...) ist doch mein Eindruck, dass das Mitglied der Grünen eher dahin tendiert sich zu informieren um dann eine Meinung zu bilden als es bei anderen Parteien der Fall ist.
Das ist auch mein Eindruck. Es wird weniger "aus dem Bauch" entschieden. Nur leider oft auch weniger aus dem Intellekt, sondern sozusagen "aus der Moral". Ich habe dazu gerade etwas in Antwort auf califax geschrieben.
Zitat von Stefanie GallaDie Erkenntnis, dass bei einem Abzug die Frauen den Taliban überlassen werden und was denen dann blüht, wird sicher mit ein Beweggrund der Menschenrechtler unter den Grünen sein.
Davon bin ich auch überzeugt. Nur, welche Konsequenzen ziehen sie daraus? Nach meinem Dafürhalten müßte die Folgerung sein, daß man die USA militärisch unterstützen muß, damit eben die Taliban keine Chance haben, wieder Fuß zu fassen.
Ob die 68 Prozent das wollten, geht aus ihrer Antwort nicht hervor; denn es wurde ja nicht danach gefragt, ob die Bundeswehr sich aktiv an den Kämpfen im Süden beteiligen sollte. Vor allem, ob die Tornados dort bleiben und zur Unterstützung der kämpfenden US-Truppen eingesetzt werden sollten.
Ich vermute, liebe Stefanie Galla, wenn man das konkret gefragt hätte, wären die Antworten der Grünen-WählerInnen erheblich anders ausgefallen.
Kurz - die bessere Informiertheit, das größere Maß an Reflexion stelle ich bei den Grünen überhaupt nicht in Abrede. Nur scheinen sie mir trotzdem oft zu Ergebnissen zu kommen, von denen man nur hoffen kann, daß sie nie in reale Politik umgesetzt werden.
In der Zeit von Rotgrün hat der Zyniker Fischer diese Partei ja so unter seiner Kuratel gehabt, daß sie am Ende zähneknirschend allem dem zugestimmt hat, was realpolitisch nötig war. Ich habe von Fischer eine sehr schlechte Meinung - aber immerhin das hat er geschafft.
Ich weiß nicht, wie andere Wähler oder Mitglieder der Grünen ticken. Für mich ist richtig, daß politische Fragen immer moralische Fragen sind. Schließlich hat jede politische Entscheidung tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben von Menschen, die meist gar keine Chance haben, sich effektiv gegen diese Entscheidungen zu wehren. In der Außen- und Sicherheitspolitik gilt dies noch viel mehr als in der Innenpolitik. Wenn also zum Beispiel die Frage gestellt wird, ob die Bundeswehr eine aktive Rolle in der Bekämpfung der Taliban übernehmen soll (also in letzter Konsequenz OEF-Kampfeinsätze), dann hat das für mich drei Ebenen mit unterschiedlichen aber verknüpften Antworten: Moralisch: Ja. Es ist schlicht notwendig. Militärisch: Jain, oder besser formuliert: So gut man eben kann. Das ist nicht viel. Der Truppe fehlt es jetzt schon beim ISAF-Einsatz an Material und Geld. Ich bin also für den Einsatz der Tornados, und ich bin dafür, die KSK zur Verfügung zu stellen. Viel mehr haben wir aber auch gar nicht zu bieten. Uns fehlen sogar die Helikopter, um die derzeitigen Aufgaben so erfüllen zu können, wie es sinnvoll wäre. Politisch: Hier stecken auf der einen Seite die militärischen Möglichkeiten einen sehr engen Rahmen, zweitens muss es in der verworrenen Machtgeographie Afghanistans Raum zum Lavieren geben (Warlords), drittens muss die deutsche Bevölkerung für einen solchen Einsatz gewonnen werden, und viertens findet das ganze unter dem mißtrauischen Blick des Bundesverfassungsgerichts statt. Einen uneingeschränkten Einsatz kann es deshalb nicht geben. Tornados und KSK sind m.E. möglich.
Kurz - die bessere Informiertheit, das größere Maß an Reflexion stelle ich bei den Grünen überhaupt nicht in Abrede. Nur scheinen sie mir trotzdem oft zu Ergebnissen zu kommen, von denen man nur hoffen kann, daß sie nie in reale Politik umgesetzt werden.
das geht mir ebenso :-)
Auch vermute ich wie Sie, dass ein Großteil der 68% der Grünen, welche sich für den Verbleib in Afghanistan ausgesprochen haben, den Schutz der Helfer vor Ort und den Kampf gegen die Taliban mittels Lichterkette hier in Deutschland unternehmen wollen.....
Herzlichst zurück Stefanie Galal
Sparrowhawk
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Gast
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Beiträge:
16.09.2007 14:40
#8 RE: Marginalie: Afghanistan und die "Grüne Seele"
"Kurz - die bessere Informiertheit, das größere Maß an Reflexion stelle ich bei den Grünen überhaupt nicht in Abrede. Nur scheinen sie mir trotzdem oft zu Ergebnissen zu kommen, von denen man nur hoffen kann, daß sie nie in reale Politik umgesetzt werden."
Und die Moral von der Geschicht - es kommt immer darauf an, was man aus den Informationenm, die man sich zu holen gedenkt, machen will...
Zitat von califaxFür mich ist richtig, daß politische Fragen immer moralische Fragen sind. Schließlich hat jede politische Entscheidung tiefgreifende Auswirkungen auf das Leben von Menschen, die meist gar keine Chance haben, sich effektiv gegen diese Entscheidungen zu wehren.
Ohne Moral ist Politik meines Erachtens in Gefahr, verbrecherisch zu werden.
Nur bin ich der Auffassung, daß nicht jede Einzelentscheidung an ausschließlich moralischen Kriterien gemessen werden kann. Es muß auch Entscheidungen geben, die sich an Zweckrationalität orientieren.
Entscheidungen sind ja immer in Hierarchien eingebettet. Aus der - moralischen - Entscheidung, den freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen, folgt zum Beispiel, daß man dem Verbrechen dort entgegentreten muß, wo es sich zeigt.
Aber auch, wenn es sich in Afghanistan zeigt? Da hilft die Moral meines Erachtens nicht weiter. Sondern man muß überlegen, welche Folgen es hat, wenn man zB die USA militärisch unterstützt und welche Folgen es hat, wenn man das verweigert.
Viele Grüne lassen sich aber auch auf solchen untergeordneten Entscheidungsebenen allein von moralischen Erwägungen leiten. Es ist unmoralisch, Menschen zu töten. Also - so argumentieren sie - darf man die USA in Afghanistan nicht militärisch unterstützen. Jedenfalls, wenn auch Zivilisten dabei ums Leben kommen könnten. (Was in jedem Krieg der Fall war, seit es Kriege gibt. Allerdings wurden Zivilisten meist mit Absicht getötet; was z.B. die USA ausdrücklich nicht tun).
Zitat von califaxWenn also zum Beispiel die Frage gestellt wird, ob die Bundeswehr eine aktive Rolle in der Bekämpfung der Taliban übernehmen soll (also in letzter Konsequenz OEF-Kampfeinsätze), dann hat das für mich drei Ebenen mit unterschiedlichen aber verknüpften Antworten: Moralisch: Ja. Es ist schlicht notwendig. Militärisch: Jain, oder besser formuliert: So gut man eben kann. Das ist nicht viel. Der Truppe fehlt es jetzt schon beim ISAF-Einsatz an Material und Geld. Ich bin also für den Einsatz der Tornados, und ich bin dafür, die KSK zur Verfügung zu stellen. Viel mehr haben wir aber auch gar nicht zu bieten. Uns fehlen sogar die Helikopter, um die derzeitigen Aufgaben so erfüllen zu können, wie es sinnvoll wäre. Politisch: Hier stecken auf der einen Seite die militärischen Möglichkeiten einen sehr engen Rahmen, zweitens muss es in der verworrenen Machtgeographie Afghanistans Raum zum Lavieren geben (Warlords), drittens muss die deutsche Bevölkerung für einen solchen Einsatz gewonnen werden, und viertens findet das ganze unter dem mißtrauischen Blick des Bundesverfassungsgerichts statt. Einen uneingeschränkten Einsatz kann es deshalb nicht geben. Tornados und KSK sind m.E. möglich.
Eine interessante alternative Erklärung für die Diskrepanz zwischen dem, was die Grünen-Wähler in der Umfrage gesagt haben, und dem Beschluß des Parteitags gibt Luclog.
Der verlinkte Kommentar ist interessant, wenn auch genauso spekulativ wie alle anderen auch. Der Author scheint aber interessanterweise Leute wie mich im Blick gehabt zu haben. Die Realität ist verworren und kompliziert. Wie würden wohl all die Kommentatoren und Analytiker zum Beispiel die Tatsache bewerten, daß Stephan Weidner, Boss und Mastermind der inzwischen aufgelösten Böhsen Onkelz, schon vor etlichen Jahren die Grünen als die einzige wählbare Partei bezeichnet hat? Oder daß jemand wie ich, ursprünglich aus der militanten Antifa, ehemals überzeugter Anarchist, heute ohne großen ideologischen Bruch, jedenfalls ohne das im Klischeedenken zu erwartende "Erweckungserlebnis", bekennender Kapitalist (seit einigen Jahren auf der Verlierseite des Kapitalismus) und gleichzeitig Anhänger der Grünen ist? Um die Sache noch verworrener zu machen: In der Antifagang waren die "rechten" Onkelz unsere Lieblingsband. Nicht ohne Grund. Es ging um Freiheit, um die Konsequenzen eigenen Handelns, um die Schwierigkeit, das "richtige" zu tun. Damals wurde ich Fan. Erst später habe ich verblüfft erfahren, daß Weidner genauso wählen würde wie ich. Analysen von aussen sind immer schwierig. Sie haben bei den Onkelzfans nie funktioniert, bei Wählern ist es wahrscheinlich genauso. Für die Antwort um das Verhältnis von Realpolitik und Moral brauche ich noch etwas Zeit. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen. Ich bin kein Philosoph. ;) Als Kurzfassung: Ich empfinde den oft konstruierten Widerspruch zwischen Moral und Realismus als künstlich, eben konstruiert, vor allem aber als sträflich naiv. Ernstgenommene Moral kennt keine einfachen Antworten, nur Dillemas und das Abwägen zwischen falschen Entscheidungen. Man kann nicht gleichzeitig leben und unschuldig bleiben. Es gibt keine weiße Weste. Das hat natürlich Auswirkungen auf außenpolitische Erwägungen. Es ist einfach, zu sehen, daß es letztlich besser ist, in der Nähe der USA zu bleiben. Was immer man auch von Bush oder diversen amerikanischen Politikern halten mag, wenigstens ist das dort eine stark medial beeinflusste Demokratie. Das kann man leider nur von sehr wenigen Verhandlungspartnern behaupten.
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