Hier ein paar Antworten auf die Frage von Herrn Shachtman:
1. Neuverschuldungsanalogie: Auch wenn die Neuverschuldung sinkt, wächst die Verschuldung. Auch wenn die Zahl der Toten pro Jahr sinkt, wächst die Zahl der Toten ständig. Man muss das als Volk, dessen Angehörige da umkommen, nicht mögen. 2. Enttäuschung: Die Wähler haben inzwischen mehr oder andere Informationen als zu dem Zeitpunkt, zu dem sie diesem Krieg gegenüber noch positiv eingestellt waren. Das führt zu einer generellen Neubewertung, so dass es falsch wäre, nur die jüngsten Entwicklungen in Folge des Krieges zur Erklärung heranzuziehen. Extreme Variante: Die Wähler fühlen sich hereingelegt. 3. Neubewertung: Auch wenn sich an den Fakten nichts geändert hat, können die Wähler zu dem Entschluss gekommen sein, dass sich das Engagement insgesamt negativ für die USA auswirkt. Dann ändern auch Besserungen der Lage nichts. 4. Andere Sichtweise: Vielleicht ist den Wählern die Zahl der Toten gleichgültig, vielleicht interessieren sie die Kosten, die (siehe Neuverschuldungsanalogie) auch jeden Tag steigen, und denen sie keinen unmittelbaren Nutzen zuordnen können. 5. Paradigma-Umschwung: Die USA schwanken historisch gesehen zwischen Intervention und Isolation. Mal setzt sich die eine Sichtweise durch, mal die andere. Der Irak-Krieg könnte exemplarisch für einen solchen Umschwung stehen.
Es gibt sicher noch ein paar mehr, aber die fielen mir schon mal ein.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Das Telefon klingelte, und dann habe ich sie glatt vergessen. Sie sollte ungefähr so lauten: "Wie kommt es, daß die deutschen Medien, als die Opferzahlen stiegen, darüber ständig berichtet haben, während der jetzige Rückgang sozusagen unter Ausschluß der deutschen Öffentlichkeit stattfindet?"
Deine Antworten leuchten mir alle ein. Ich würde vielleicht noch diese hinzufügen wollen:
Die Amerikaner wollen kurze Feldzüge, den schnellen Sieg. Bis zum Vietnamkrieg hatten sie ja seit dem Unabhängigkeitskrieg keinen langdauernden Krieg mehr geführt; am längsten hatte der Bürgerkrieg mit seinen vier Jahren gedauert.
Ansonsten - die USA intervenieren, und dann ist bald der Sieg da. Zwischen dem D-Day am 6. Juni 1944 und der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 lag noch nicht einmal ein Jahr. In den Korea-Krieg griffen die USA im Juli 1950 ein, und schon im Juli 1951 begannen die Friedensverhandlungen. Der erste Golfkrieg dauerte ein halbes Jahr.
Allein daß der Sieg nicht schnell errungen wird, daß er nicht zweifelsfrei feststeht, sehen viele Amerikaner schon als eine Niederlage. Die USA hätten den Vietnam-Krieg gewonnen, wenn sie durchgehalten hätten; die Nordvietnamesen hatten nach der gescheiterten Tet-Offensive keine Siegeschance mehr.
Und sie können auch jetzt im Irak gewinnen, wenn sie durchhalten. Aber das "Durchhalten" ist eben nicht die Art von Kriegsführung, die die Amerikaner kennen.
unter den Bedingungen der postheroischen Mediengesellschaft sind eigentlich nur noch kurze Kriege möglich. In den heutigen asymmetrischen Kriegen ist das Hauptziel des Einen die Öffentlichkeit des Anderen, die mit den zivilen Opfern erpreßt wird. Diese Strategie erweist sich als äußerst wirksam und so erodiert die Unterstützung für diesen Krieg obwohl die neue Taktik der US-Streitkräfte aufzugehen scheint (die im Übrigen nicht nur eine Erhöhung der Truppenzahl beinhaltet). Wer sich damit ein wenig beschäftigen möchte, dem sei diese Studie wärmstens empfohlen: http://www.smallwars.quantico.usmc.mil/C...ractice2007.ppt
Zitat von Thomas PauliIn den heutigen asymmetrischen Kriegen ist das Hauptziel des Einen die Öffentlichkeit des Anderen, die mit den zivilen Opfern erpreßt wird.
Für die Seite der Aufständischen, Terroristen, Guerrilleros usw. stimme ich zu. Für die andere Seite - die Regierung, im Irak dazu die Koalitionstruppen - gilt das freilich nicht. Sie haben sich ja von Anfang an bemüht, die Zahl der zivilen Opfer so niedrig wie möglich zu halten. Und wahrscheinlich ist es gerade der Hauptfehler der USA - nicht nur im Irak -, auf die Öffentlichkeit in anderen Ländern so wenig Rücksicht zu nehmen. Soldatinnen in Saudi-Arabien - das war für viele fromme Wahabiten ein Schlüsselerlebnis, das sie zu späteren Dschihadisten machte. Als Beispiel.
Zitat von Thomas PauliDiese Strategie erweist sich als äußerst wirksam und so erodiert die Unterstützung für diesen Krieg obwohl die neue Taktik der US-Streitkräfte aufzugehen scheint (die im Übrigen nicht nur eine Erhöhung der Truppenzahl beinhaltet).
Das sehe ich auch so und habe auch gelegentlich darüber geschrieben. Vor allem unter dem Gesichtspunkt, wie unsere Medien das Spiel mitspielen. "Spiegel-Online" beispielsweise hat monatelang über jede Autobombe groß berichtet.
Man versteht die Strategie jedenfalls der El Kaida (bei den sunnitischen und schiitischen Milizen ist es anders) erst, wenn man sie als einen einzigen Werbe- und Publicity-Feldzug sieht. Die grausamen Morde an Geiseln, die spektakulären Bombenanschläge - das dient alles nur dazu, in die westlichen Medien zu kommen. Der unmittelbare lokale Effekt ist ganz sekundär.
Und es scheint ja zu funktionieren. Wenn Hillary Clinton nominiert wird und dann gewinnt (und wenn sie dann das macht, was sie angekündigt hat, nämlich die Truppen so schnell wie möglich aus dem Irak abziehen), dann hat die El Kaida den größten Erfolg ihrer Geschiche erreicht. Wichtiger als 9/11. Vergleichbar dem Erfolg Ho Tschi Minhs und Le Duc Thos vor gut dreißig Jahren.
leider weiß ich auch nicht, warum der Link nicht funktioniert. Wenn ich allerdings auf die Seite http://www.weblog-sicherheitspolitik.net/ gehe und dann den Artikel "Bekämpfung irregulärer Kräfte: Erfahrungen aus dem Irak" suche und dort den Link "stellt eine interessante PowerPoint-Präsentation bereit" anklicke, lande ich da, wo ich hinwill. Hm. Wunder des HTTP. Ja, natürlich hast Du recht, wenn Du zu den asymmetrischen Konflikten einwendest, daß die konventionelle Seite die Medienauseinandersetzung nicht führt. Das muß sie lernen! Sonst werden die Schlachten gewonnen und die Kriege verloren. Im Irak hat schon das große Umdenken begonnen, in Afghanistan und anderswo ist davon wenig zu sehen, aber da Armeen immer für den letzten Krieg gerüstet werden, ist das wenig verwunderlich. Und btw - weiß eigentlich irgendwer, was die KSK derzeit so macht?
"am längsten hatte der Bürgerkrieg mit seinen vier Jahren gedauert." Das stimmt natürlich. Aber der Krieg mit Japan von 1941 - 1945 war auch nicht viel kürzer.
Feynman
(
gelöscht
)
Beiträge:
09.11.2007 16:18
#9 RE: Zitat des Tages: Noah Shachtman stellt eine Frage zum Irak-krieg
In Antwort auf:Ansonsten - die USA intervenieren, und dann ist bald der Sieg da. Zwischen dem D-Day am 6. Juni 1944 und der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 lag noch nicht einmal ein Jahr. In den Korea-Krieg griffen die USA im Juli 1950 ein, und schon im Juli 1951 begannen die Friedensverhandlungen. Der erste Golfkrieg dauerte ein halbes Jahr.
In Europa das Eingreifen nicht erst am 6.6.44 begonnen. Nord- und Südkorea sind formel immer noch im Krieg, aber jüngste südkoreanische Rüstungen richten sich nicht nur mehr gegen den Norden, so ist z.B. der KDX-3 Zerstörertyp (Derivat der amerikanischen Burke-Klasse) als Anwort auf die japanischen Kongoklasse (ebenfalls Burke-Derivat) und chinesische Flottenbaupläne zu werten. Golfkrieg: Großmanöver Blau (USA und Verbündete) die Roten (gespielt von der irakischen Armee mit viel Bluteinsatz). Wäre der Irak 91 schon besetzt worden...
Zitat von FeynmanIn Europa das Eingreifen nicht erst am 6.6.44 begonnen.
Stimmt. Aber auch der Italien-Feldzug, der im Juli 1943 begann, war ja zunächst ein Blitzkrieg: Schon im September kapitulierte Italien. Danach zog sich, aufgrund des deutschen Eingreifens inclusive Befreiung Mussolinis, der Krieg allerdings bis 1945 hin. Es war insofern ähnlich wie jetzt im Irak: Die Amerikaner schienen alles in kurzer Zeit erreicht zu haben, und dann zog sich der Krieg hin.
Zitat von FeynmanNord- und Südkorea sind formel immer noch im Krieg, aber jüngste südkoreanische Rüstungen richten sich nicht nur mehr gegen den Norden, so ist z.B. der KDX-3 Zerstörertyp (Derivat der amerikanischen Burke-Klasse) als Anwort auf die japanischen Kongoklasse (ebenfalls Burke-Derivat) und chinesische Flottenbaupläne zu werten.
Aus amerikanischer Sicht war es dennoch ein kurzer, erfolgreicher Krieg. Die Südkoreaner wurden ja zunächst von den Kommunisten überrannt und schienen fast verloren, bevor die USA eingriffen. Ich habe das kürzlich in den "Spiegel"-Jahrgängen aus dieser Zeit nachgelesen. Ein Trauma zuerst für die USA, dann ein Triumph. Von daher datierte die Befürchtung, die Kommunisten würden überall an ihren Grenzen solche Überfälle versuchen wie den auf Südkorea, und die Entschlossenheit der USA, dem entgegenzutreten.
In der New York Times ist heute ein Kommentar zu lesen, der u.a. auf aktuelle Umfragedaten Bezug nimmt.
Danach hat sich seit Juli die Zahl derjeniger, die meinen, der Irak-Krieg liefe gut oder einigermaßen gut, stetig erhöht. Freilich auf niedrigem Niveau; die Mehrheit ist immer noch gegenteiliger Meinung.
An der negativen Einstellung zu diesem Krieg scheint sich aber nichts geändert zu haben. Mit anderen Worten: Man kann finden, daß der Krieg ganz gut läuft, und trotzdem gegen ihn sein.
Was vielleicht für die Vermutung spricht, daß die Amerikaner eben einen langen Krieg nicht wollen. Jedenfalls nicht, wenn er sich in der Ferne abspielt und - vermute ich - viele glauben, es sei für die USA nicht von vitalem Interesse, wie es im Irak weitergeht.
In Antwort auf:Aus amerikanischer Sicht war es dennoch ein kurzer, erfolgreicher Krieg. Die Südkoreaner wurden ja zunächst von den Kommunisten überrannt und schienen fast verloren, bevor die USA eingriffen.
Lieber Zettel,
ganz so einfach war's nicht: Nachdem die UN-Truppen die Nordkoreaner zurückgeworfen hatten erhielten sie den Befehl, sie bis zum Yalu (Grenzfluß zu China) zurückzutreiben und aufzureiben. Schon auf dem Weg dahin tauchten chinesische Truppen auf, die die UN-Truppen blutigst zurückwarfen, woraufhin das Ganze irgenwann um den 38. Breitengard zum Stehen kam. Der Krieg ging noch mehrere Jahre bis zum Waffenstillstand weiter und war damit für die USA der erste Krieg, der nicht zur Kapitulation des Gegners führte. Insofern war die Erfahrung für die USA durchaus traumatisch und führte dazu, daß der Koreakrieg als der 'vergessene' Krieg bezeichnet wird; 'verdrängt' träfe es allerdings besser. In Vietnam kam dieses Trauma ("To die in a war we don't want to win") voll zum Ausbruch und die Theorie des 'low intensity warfare' wurde entwickelt.
Zitat von Thomas PauliSchon auf dem Weg dahin tauchten chinesische Truppen auf, die die UN-Truppen blutigst zurückwarfen, woraufhin das Ganze irgenwann um den 38. Breitengard zum Stehen kam.
Ja, das stimmt. Was ich geschrieben hatte, galt nur für die ersten beiden Phasen des Kriegs - die nordkoreanische Invasion und den Triumph der UN-Truppen, die bis an die chinesische Grenze vorstießen.
Ich habe das jetzt noch mal in dem (sehr, sehr ausführlichen) Artikel in der Wikipedia nachgelesen. Es gab danach noch drei weitere Phasen - das Zurückweichen der UN-Truppen, nachdem China eingegriffen hatte und dann deren Gegenoffensive, die schließlich zu einer Art Stellungskrieg führte.
Zitat von Thomas PauliInsofern war die Erfahrung für die USA durchaus traumatisch und führte dazu, daß der Koreakrieg als der 'vergessene' Krieg bezeichnet wird; 'verdrängt' träfe es allerdings besser.
Es war ein Krieg einer kriegsmüden Nation. Meine These ist ja, daß die Amerikaner keine langen Kriege führen wollen. Der Krieg wurde - wie der in Vietnam, wie der jetzt im Irak - unpopulär, als er sich hinzuziehen begann.
Noch eine kleine persönliche Erinnerung: Anfang der fünfziger Jahre sah man in unserem Städtchen noch häufig US-Truppen. Ich Knirps war damals schon politisch sehr interessiert (las zB den "Spiegel" von vorn bis hinten, seit ich ungefähr acht Jahre war) und wunderte mich darüber, daß die Jeeps nicht "US", sondern "UN" aufgepinselt hatten. Da habe ich dann nachgesehen und herausgefunden, daß sie in Korea unter der UN-Flagge kämpften, die Amis. Offenbar waren Fahrzeuge dann nach Deutschland verlegt worden, ohne daß man die Aufschriften übermalt hatte.
es scheint eben so zu sein, daß man 'low intensity' und 'asymmetrical' wars nur durch äußerster Brutalität (Syrien in Hama) oder mit äußerster Geduld (England in Nordirland) gewinnen kann, und beides geht in der, da ist sie wieder, posthistorischen Mediendemokratie nur äußerst schwer.
Zitat von Thomas Paulies scheint eben so zu sein, daß man 'low intensity' und 'asymmetrical' wars nur durch äußerster Brutalität (Syrien in Hama) oder mit äußerster Geduld (England in Nordirland) gewinnen kann, und beides geht in der, da ist sie wieder, posthistorischen Mediendemokratie nur äußerst schwer.
Ja, das ist wohl so.
Freud sah es als ein Funktionsmerkmal des Ich (im Unterschied zum Es) an, daß es sich für Unangenehmes entscheiden kann, wenn es antizipiert, daß das irgendwann zu Angenehmen führen wird. Er nannte das das Realitätsprinzip. Heute spricht man gern von delay of gratification.
Etwas Ähnliches gibt es wohl auch in der Politik, der Außenpolitik zumal. Eine kluge Außenpolitik zielt nicht auf den schnellen Erfolg, sondern auf den allmählichen Ausbau von Positionen. (China betreibt das im Augenblick in Perfektion).
In der Mediendemokratie wird aber der schnelle Erfolg verlangt. Es herrscht, freudianisch gesprochen, das Lustprinzip.
Und dann ist die Frage, wieweit ein Staatsmann dem nachgibt, und wieweit er durchhält. Präsident Bush hält im Irak durch. Die Demokraten in den USA laufen der öffentlichen Meinung hinterher, statt sich an den realen Erfordernissen zu orientieren.
Natürlich hat Bush es als lame duck leichter, als wenn er eine Wiederwahl anstreben würde. Aber ihm traue ich zu, daß er selbst dann durchgehalten hätte.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.