Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #7
Zbigniew Herbert gemeint war; aber dessen damals (1996) letztes Gedicht war "Bericht aus einer belagerten Stadt"...
Weil das womöglich nicht vielen geläufig ist, der Versuch einer Übertragung des Titelgedichts aus
Raport z oblężonego Miasta i inne wiersze (Paris, 1983):
Bin zu alt, um Waffen zu tragen und zu kämpfen wie die andern
so beschied man mir den minderen Part des Chronisten
und so schreibe ich - ich weiß nicht für wen - die Geschichte der Belagerung
Genau soll ich sein aber ich weiß nicht wann die Invasion begann
vor zweihundert Jahren im Dezember im September vielleicht gestern morgen
jeder hier hat das Gefühl für die Zeit verloren
Alles was uns bleibt ist die Verbundenheit mit dem Ort
uns bleiben noch die Ruinen von Tempeln Phantome von Gärten und Häusern
wenn wir die Ruinen verlieren bleibt nichts zurück
Ich schreibe so gut es geht im Rhythmus der endlosen Wochen
Montag: leere Lager die Ratte wurde zur Umlaufeinheit
Dienstag: der Bürgermeister von Unbekannten getötet
Mittwoch: Waffenstillstandsverhandlungen der Feind hält unsere Gesandten fest
wir wissen nicht wo man sie foltert
Donnerstag; nach einer stürmischen Sitzung wurde mit Stimmenmehrheit
der Antrag der Gewürzhändler auf bedingungslose Kapitulation abgelehnt
Freitag: die Pest beginnt Samstag: unser tapferer Verteidiger
N.N. beging Selbstmord Sonntag; kein Wasser mehr der Angriff
aufs Osttor - genannt das Tor der Allianz - wurde zurückgeschlagen
ich weiß all das ist langweilig niemanden berührt das
ich vermeide jeden Kommentar ich halte meine Gefühle im Zaum ich beschreibe die Tatsachen
sie sind das einzige was im Ausland geschätzt wird
doch mit einem gewissen Stolz möchte ich der Welt mitteilen
daß wir dank des Krieg eine neue Art von Kindern
großgezogen haben sie verachten Märchen sie
spielen das Töten im Wachen im Schlafen träumen sie von
Brotsuppe und Knochen, wie Hunde und Katzen
Abends gehe ich gern über die Wälle der Stadt
entlang der Grenze unserer ungewissen Freiheit
ich sehe Soldatenschwärme unter den Lichtern
ich höre Trommeln barbarische Schreie
es ist unglaublich daß sich die Stadt noch verteidigt
die Belagerung dauert die Angreifer wechseln
nichts vereint sie außer der Wunsch nach unserer Vernichtung
Goten Tartaren Schweden Kaiserliche Truppen Regimenter der Transformation
wer kann sie zählen
die Farben ihrer Banner wechseln wie der Wald am Horizont
vom Vogelgelb im Frühling grün und rot zum Schwarz des Winters
und so kann ich am Abend befreit von den Tatsachen
nachdenken: über altes und fernes zum Beispiel
unsere Freunde jenseits des Meers ich weiß daß sie uns wirklich bedauern
sie senden uns Mehl Schmalz Säcke voll Trost gute Ratschläge
sie wissen nicht einmal daß uns ihre Väter verraten haben
unsere früheren Verbündeten aus der Zeit der zweiten Apokalypse
ihre Söhne sind schuldlos sie verdienen unseren Dank also sind wir dankbar
sie haben nie eine Belagerung lang wie die Ewigkeit erlebt
die das Unglück trifft sind immer allein
die Verteidiger des Dalai Lama die Kurden die Afghanischen Bergkämpfer
Jetzt während ich schreibe haben die Befürworter
der Aussöhnung die Überhand über die Unbeugsamen gewonnen
der übliche Stimmungswechsel das Schicksal noch ist nichts entschieden
die Friedhöfe wachsen die Zahl der Verteidiger schmilzt
aber die Verteidigung hält aus sie hält bis zum Ende
und wenn die Stadt fällt und nur einer entkommt
wird er die Stadt in sich tragen auf den Straßen des Exils
er wird die Stadt sein
Wir schauen ins Gesicht des Hungers ins Gesicht des Todes
am schlimmsten: ins Gesicht des Verrats
und nur unsere Träume sind nicht gedemütigt worden
http://wiersze.doktorzy.pl/raport.htm