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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 8 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Noricus Offline



Beiträge: 2.362

04.06.2016 07:56
Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Zettels Raum feuert heute seinen zehnten Geburtstag. Eine persönliche Bestandsaufnahme.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

04.06.2016 09:11
#2 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Eine sehr schöne und treffende Bestandsaufnahme, lieber Noricus. Und was für eine schöner Vertipper, der Zettels Raum seinen zehnten Geburtstag feuern läßt. Dann mal Feuer frei.

Die Sache mit dem Fortschrittsoptimismus halte ich für hoch bedeutsam. Nicht nur daß man dergleichen heute kaum noch zu lesen bekommt. Ich beobachte bei mir selbst immer wieder ein starkes Schwanken in diesem Punkt (meine innere Auseinandersetzung mit dem Thema von vor einigen Monaten hast Du ja freundlicherweise im Blog verlinkt).
Es ist manchmal schwierig, einen, nennen wir es mal, Basaloptimismus beizubehalten. Ich weiß nicht, ob dies eine allgemeine Eigenschaft unseres Erkenntnisapparates ist oder etwas doch eher speziell deutsches. Wenn man subjektiv den Teufel im Nacken sitzen hat, strengt man sich halt auch mehr an. Ich habe mal irgendwo gelesen, daß die Menschen in Baden-Württemberg tendenziell besonders pessimistisch und wohl auch unzufrieden seien; gleichwohl befinden sich ebendort wesentliche Kerne ingenieurswissenschaftlicher Innovation und eine Legion hoch erfolgreicher mittelständischer Unternehmen, hervorragend ausgebildete Fachkräfte sowie ein recht ausgeprägter Wohlstand im Bundesvergleich. Auf den ersten Blick paradox, mag hier ein tieferer innerer Zusammenhang bestehen.

Umgekehrt ist es schwierig, einen zuversichtlichen Schlenker hinzubekommen, wenn man z. B. an Llarians Text zur Deindustrialisierung denkt. Wenn weg, dann weg, und das ist eine ausgesprochen deprimierende Perspektive. Oder wenn n_s_n richtigerweise absolutistische Tendenzen in der gegenwärtigen Politik erblickt. Andererseits: R.A.s Texte zur Zukunft des Verkehrs legen eben auch nahe, daß die Zukunft für den Standort Deutschland wirklich nicht primär im Stahlkochen liegt (außer vielleicht im Fall besonders ausgefeilter Produktionstechniken), auch nicht in der Konstruktion immer ausgefeilterer Antriebe (Stichwort Dieselgate) sondern in der Gestaltung der Benutzerschnittstellen; der Bedienungs- und Nutzerfreundlichkeit (in der Tat ist die "Benutzererfahrung" beim Autofahren ja seit Jahrzehnten praktisch unverändert geblieben). Hier wird sich Deutschland nicht in Konkurrenz zu Fernost, sondern zum Silicon Valley wiederfinden, worin durchaus auch Chancen liegen. Einem kürzlich zu lesenden Interview mit Daimlerchef Zetsche war zu entnehmen, daß er genau diese Zeichen der Zeit erkannt hat.

Ups. jetzt bin ich schon fast, Deinem Schlußsatz im Blogtext folgend, ein wenig "grundsätzlich" geworden. Übers Grundsätzliche läßt sich ja auch immer am trefflichsten streiten.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

vivendi Offline



Beiträge: 663

04.06.2016 11:44
#3 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Danke für diese posthume Ehrung von Zettel und für die gelungene Standortbestimmung.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

04.06.2016 12:13
#4 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Ein Dankeschön für Ihre kurzen aber großen Gedenken-Gedanken!

Ich bin auf diesen Platz zwischen allen Stühlen erst anlässlich des Nachrufs zu Zettels Tod in der Zeitung gestoßen.
Ich bin zwar vor allem Theologe und kann doch, muss wohl sogar die Unvollendbarkeit aller Weltbild- und Deutungssuche unterstreichen.
Die jüdisch-christliche Glaubensswelt (die katholische, ich spreche nicht von evangelikalen Überzeugungen) ist ein beständiger Versuch, Vernunft, Zweifel und Zuversicht zusammenzubringen. In jeder Generation muss die zutreffende Sprache gefunden werden, die Logik der Theologie hat eine immer neue Gestalt (die Verkündigung der Bibel und die existentiellen Konsequenzen sind das Kontinuierliche). Ich habe in meinem Leben schon zwei Umbrüche der katholischen akademischen Theologie erlebt: Die Ablösung der Antwort auf das um 1960 erlebte 'Schweigen Gottes heute' mit einer (dann voll ernüchterten) Heidegger-Theologie (welche ihrerseits die Reste der Neuscholastik hinwegwischt hatte) durch eine halbmarxistische Hoffnungstheologie, - und nun in den letzten Jahrzehnten die Ausflucht zu einem Religionspluralismus (der noch voll im Gange ist). Die religionspluralistische These hat das eine Gute, dass sie zum Fragen zwingt, ob es etwas wirklich einmalig herausragend Jüdisch-Christliches überhaupt gibt bzw. warum davon heute nichts zu sehen ist, jedenfalls nicht in der steuerfinanzierten deutschen praktizierenden Christenminderheit.

Schön ist Ihr - wohl von einem immer noch agierenden Geist über dem Chaoswasser schwebenden - inspirierter Tippfehler: "zettels Raum f e u e r t heute ..."

Herzlichen Gruß
Ludwig Weimer

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 1.994

04.06.2016 17:24
#5 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Lieber Noricus.

Vielen dank für diesen wundervollen Text. Ich könnte ihn ebenso geschrieben haben, hätte ich stilistisch deine Versiertheit.

Der von dir zitierte Text Zettels, welcher seine Verzweiflung über dieses Land zum Ausdruck brachte, treibt in Form des zugrunde liegenden Gedankens auch mich seit Jahren um. Ich würde daher gerne eine Bemerkung, zu dem von dir am Ende deiner Betrachtungen geäußerten "Beschäftigen mit dem Grundsätzlichen", los werden, denn das "Grundsätzliche" läuft, das ist meine Wahrnehmung, in diesem Land immer in große Gefahr mißverstanden zu werden.

Das "Grundsätzliche" in dem Sinne die Dinge besser verstehen zu wollen, in dem man sie begrifflich so scharf zeichnet als möglich, sie abgrenzt gegen anderes oder Gemeinsamkeiten mit anderem herausstellt, hat etwas Bereicherndes. Ich persönlich wünsche mir das ebenfalls sehr für dieses Forum.

Was man nicht kann ist, den Dingen eine Wahrheit im ontologischen Sinne zuzuordnen. Mir persönlich erscheint, zumindest in unserem Land, als würde das Grundsätzliche immer als die Wahrheit hinter allen Dingen verstanden: Als diese Prämisse, dieses Axiom, mit dem objektiv alles gewertet werden kann. Dieses Grundsätzliche kann es nicht geben. Ich habe diesen Gedanken versucht in den Forendiskussionen zu meinen letzten Beiträgen etwas zu entwickeln. Es erscheint mir, es ist diese Art des Grundsätzlichen, nach dem die romantische, deutsche Seele bis heute dürstet und sie deswegen bis heute, und genau so lese ich Zettels Verzweiflung, anfällig für Ideologen macht. Der Deutsche ist zwar in der Lage das Grundsätzliche auszutauschen, aber nicht dazu, der Relativität Raum einzuräumen. Das mag einer der wesentlichen Gründe dafür sein, dass er in vielerlei Hinsicht ein "Problem" mit den Angelsachsen hat.

In letzerem Sinne kann das einzig Grundsätzliche sein, dass es nichts Grundsätzliches gibt. Nicht in dem Sinne "anything goes", sondern in dem Sinne "leben und leben lassen" und "denken und denken lassen".

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

04.06.2016 18:01
#6 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #2
Und was für eine schöner Vertipper, der Zettels Raum seinen zehnten Geburtstag feuern läßt. Dann mal Feuer frei.


Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #4
Schön ist Ihr - wohl von einem immer noch agierenden Geist über dem Chaoswasser schwebenden - inspirierter Tippfehler: "zettels Raum f e u e r t heute ..."


Der Perfektionist in mir kann sich über einen solchen Fehler stundenlang ärgern. Posten nach viel zu wenig Schlaf gehört vom Staat verboten. Und wahrscheinlich spielte mir da auch eine Tendenz zur regressiven Assimilation (heute, ergo feuert) einen Streich. Von der Adjazenz der beiden Buchstaben auf der Tastatur ganz zu schweigen. Regression und Assimilation, was sagt uns das? Da der Fehler Gefallen gefunden hat, verbietet sich natürlich jegliche Edit-Aktion. Mein Lapsus ist jetzt nicht mehr ein bug, sondern ein feature.

Zitat von Doeding im Beitrag #2
Die Sache mit dem Fortschrittsoptimismus halte ich für hoch bedeutsam. Nicht nur daß man dergleichen heute kaum noch zu lesen bekommt. Ich beobachte bei mir selbst immer wieder ein starkes Schwanken in diesem Punkt (meine innere Auseinandersetzung mit dem Thema von vor einigen Monaten hast Du ja freundlicherweise im Blog verlinkt).
Es ist manchmal schwierig, einen, nennen wir es mal, Basaloptimismus beizubehalten.


Ich würde mich selbst nicht unbedingt als Optimisten bezeichnen. Aber ich kann auch wenig mit den Jeremiaden anfangen, die sich darin erschöpfen, Weltuntergangsstimmung zu verbreiten. Man darf natürlich nicht erwarten, dass morgen alle Menschen vernünftig geworden sind und übermorgen der Garten Eden auf die Erde zurückgekehrt sein wird. Aber dass wir noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen und doch die Kurve kratzen, das erscheint mir jedenfalls im Rahmen des Möglichen. Und dass die Menschheit entwicklungsfähig ist und sich deshalb vielleicht auch wirklich etwas zum eindeutig Besseren wenden kann, das halte ich für geschichtlich belegt. Man vergleiche z.B. nur die mittelalterliche Gesellschaftsordnung in Deutschland mit jener von heute.

In diesem Zusammenhang verweisenswert ist übrigens dieser Artikel von Torsten Krauel.

Zitat von Doeding im Beitrag #2
Ich weiß nicht, ob dies eine allgemeine Eigenschaft unseres Erkenntnisapparates ist oder etwas doch eher speziell deutsches. Wenn man subjektiv den Teufel im Nacken sitzen hat, strengt man sich halt auch mehr an. [...] Auf den ersten Blick paradox, mag hier ein tieferer innerer Zusammenhang bestehen.


Der Schüler, der regelmäßig die Note 2 erhält, hat keinen objektiven Grund, mit seiner guten Leistung unzufrieden zu sein. Der eine Typ Schüler wird auch tatsächlich keinerlei Handlungsbedarf sehen. Den anderen, der den Anspruch hat, zu den Besten zu gehören, wird es dagegen wurmen, dass es ja noch eine Note 1 gibt. Und deshalb beschließt er, noch besser zu lernen und noch mehr zu verstehen, und bekommt dann auch sein Sehr Gut. Es ist wohl wirklich das Subjektive.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

04.06.2016 18:37
#7 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Zitat
Und wahrscheinlich spielte mir da auch eine Tendenz zur regressiven Assimilation (heute, ergo feuert) einen Streich.


Oder eine Hyperkorrektur deines alpenländischen Idioms, lieber Noricus. So im Sinne von Jozef Filsers "An das heulige Ohrdenariath / zu händen fon insern heuligen Vather/ und Aerzbischopf. Minchen bosd daselbs".

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

04.06.2016 18:50
#8 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #5
Das "Grundsätzliche" in dem Sinne die Dinge besser verstehen zu wollen, in dem man sie begrifflich so scharf zeichnet als möglich, sie abgrenzt gegen anderes oder Gemeinsamkeiten mit anderem herausstellt, hat etwas Bereicherndes.

Was man nicht kann ist, den Dingen eine Wahrheit im ontologischen Sinne zuzuordnen.


Da hast Du vollkommen Recht. Mit dem Reden über Grundsätzliches war auch keineswegs die Entwicklung einer Dogmatik gemeint, sondern vielmehr eine Reflexion über Grundbegriffe, Grundlegendes. So will zum Beispiel heutzutage jeder liberal sein, aber was soll das bedeuten? Was ist Freiheit?

Die Antwort auf diese Fragen kann keine ewige Wahrheit sein, sondern lediglich ein Diskussionsbeitrag.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

04.06.2016 18:58
#9 RE: Wenn man zwischen allen Stühlen sitzt – Zehn Jahre Zettels Raum Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #7

Zitat
Und wahrscheinlich spielte mir da auch eine Tendenz zur regressiven Assimilation (heute, ergo feuert) einen Streich.

Oder eine Hyperkorrektur deines alpenländischen Idioms, lieber Noricus. So im Sinne von Jozef Filsers "An das heulige Ohrdenariath / zu händen fon insern heuligen Vather/ und Aerzbischopf. Minchen bosd daselbs".

Gruß Petz



Dieser Erklärungsversuch gefällt mir außerordentlich gut. Wobei man chez moi noch vor wenigen Generationen "Feuer" (foia) und "Feier" (faia) auseinanderhielt. Hier hat der Siegeszug der "mittelbairischen Koine" (Ludwig Zehetner) zum Sprachverderb geführt!

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