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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
und wurde 1.310 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Doeding Offline




Beiträge: 2.612

27.06.2016 08:26
Antisemitische "Querfronten" Antworten

Wenn man sich die drei großen menschenverachtenden Ideologien (Linksextremismus, Rechtsextremismus, Islamismus) anschaut, dann zeichnet alle drei die "Meta"-Ideologie des Antisemitismus aus. Das führt nicht nur zu bemerkenswerten Allianzen, sondern bildet sich in mancher Biographie eindrücklich ab. Außerdem jährt sich dieser Tage die erste deutsche "Judenselektion" nach Auschwitz zum vierzigsten Mal.

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

27.06.2016 11:29
#2 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Ein wichtiges Thema, und wie viele Journalisten verirrten sich hier im Westen!

Man muss jüdische Autoren zitieren, um von einem nicht nur psychologisch-tiefsten Punkt her den heutigen überparteilichen Antisemitismus zu analysieren.

Ich nenne drei Stimmen und beginne mit dem Philosophen Hans Jonas.

In dem Dokument aus dem Nachlass "Ein bellum judaicum in des Wortes tiefster Bedeutung", das sich auf den Kriegseintritt Englands und Frankreichs im Sept. 1939 bezieht, schrieb er, es werde "ein Krieg zweier Prinzipien, von denen das eine in der Form der christlich-abendländischen Humanität auch das Vermächtnis Israels an die Welt verwaltet, - das andere, der Kult der menschenverachtenden Macht, die absolute Negierung dieses Vermächtnisses bedeutet. Der Nationalsozialismus hat dies zuerst begriffen, indem er das Christentum als Verjudung der europäischen Menschheit beurteilte und in seinen metaphysischen Antisemitismus einbezog. (...) Auch die von der Religion losgelöste rationalhumane Zivilisation des modernen Europa, mit ihrer Bändigung der Triebe, ihrer Ethik des Gewissens und ihrer Achtung vor dem Menschen, ist letztlich ein Ausläufer jenes großen Geisteserbes, dessen Quellpunkt die Offenbarung war. Daher hat der Nationalsozialismus, als Widersacher all dieser Werte, als Heidentum im tiefsten Sinne, das scheinbare Paradox zuwege gebracht, dass ein bellum cheistianum zugleich bellum judaicum sein kann." (H. Jonas, Erinnerungen, suhrkamp tb 3684, 2005 S. 194-195)
Wenn er darum fordert "unser unverjährter Beitrag zur Ethisierung der Menschheit ist in diesem Kampfe mitaufgerufen",nennt er damit ein Grund für die Judenvernichtung, den andere Autoren noch deutlicher verbalisiert hatten:
Die neuen germanischen Heiden verzeihen es nicht, dass die Juden, unter ihnen Jesus, den Menschen nicht Natur-Tier sein lassen wollen, sondern zu Nächstenliebe, Duldsamkeit und Vergebungsbereitschaft erziehen wollen und den Herrscherinstinkt damit schwächen.

Der zweite Autor ist der Dichter Franz Werfel. In seiner Betrachtung "Unser Weg geht weiter" führt er aus, Israel habe der Welt einen seltsamen Gott geschenkt. Die anderen Götter seien zufrieden mit Opfern und greifen über ihr Fach nicht hinaus.
"Israels Gott hingegen greift unablässig über sein theologisches Fach hinaus. Er stellt das Menschentier auf den Kopf. Er ist ein ewiger Forderer. Da fordert er z. B.: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst<. >Warum soll ich meinen Nächsten lieben<, fragt das Menschentier im Naturzustand, >ich muss mich ja vor diesem bösen Kerl verteidigen und auf meiner Hut sein?< Der Forderer aber fordert noch Verückteres." Werfel zitiert aus der Sozialordnung im AT, dass der Taglöhner jeden Abend ausbezahlt werden solle, dass der Fremdling im Land nicht unterdrückt werden dürfe, und dann die Ausweitung auf die Feindesliebe in den Evangelien.
"Das Menschentier blinzelt hilflos. Diese Forderungen sind so unerfüllbar, dass sie gerade dadurch eine mythische Heiligkeit gewinnen. Seit zweitausend Jahren ist Israels Gott mittels der großen biblischen Religionen der offizielle Gott der Erde. (...) Zweitausend Jahre schon seufzt der natürliche Mensch, >der Mensch der Völker<, >der Goj< unter diesem ihm aufgezwungenen Paradox des ewig unerfüllbaren >Du sollst - du sollst - du sollst<. Er sehnt sich dananch, das zu sein, was er ist, Natur, ein Wesen jenseits von Gut und Böse, spielend schöpferische Kraft wie Meer und Wolken, Fluss und Gebirg. Die Wissenschaft kommt seiner dumpfen Rebellion zu Hilfe." Usw. Dann folgert Werfel: "Und nun begreifen wir auch, warum der moderne Antisemitismus, der Judenhass unserer Tage, so unausdenklich grauenhafte Folgen annimmt. (...) Das Ziel des Feindes ist die völlige Ausrottung des jüdischen Geistes von diesem Planeten, und zwar in all seinen Formen und Konsequenzen (...) und der Mensch darf wieder sein, was er auf seiner niedrigsten Stufe war, ein technisch begabtes Tier." (Franz Werfel, Gesammelte Werke, Zwischen oben und unten, München - Wien 1975,334-336)

Und noch ein letzter dritter, der Dichter Joseph Roth, deshalb noch zitiert, weil er uns ungeschminkt eine letzte sehr ernüchternde Wahrheit nennt, den Besitzneid. Im Abschnitt "Sein ist die Rache" in seinem Essay "Der Antichrist" heißt es:
"Also begann ich, die Juden zu besuchen. Und ich sah vor allem, dass man sie deshalb als ein ganz besonderes Volk betrachtet, weil in ihrem Schoß zuerst der Gedanke geboren ward,dass die Völker der Erde, der ganzen Erde, gleiche Kinder Gottes seien. (...)Deshalb ist, wer an Jesus Christus glaubt und die Juden, seinen irdischen Schoß, hasst, verachtet oder geringschätzt, der Bruder des Antichrist. (...)Wäre es so, dass ich wüsste, dass ihr neidet den Juden, dass sie der Schoß des Erlösers seien, ich würde es euch zugute halten. Dem ist aber nicht so. Ihr neidet den Juden, dass sie irdische Güter verdienen. Dies ist die Wahrheit.. Ihr wolltet selbst alle irdischen Güter." (Joseph Roth, Werke Bd. 3, hrsg. von H. Kesten,Kiepenheuer & Witsch, 448-451)

Ich denke, dass die langen Zitate zu diesem so selten zitierten Hintergrund des ewigen Antisemitismus nötig sind und danke für die Geduld.

Mit Grüßen, Ludwig Weimer

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

27.06.2016 12:38
#3 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #2
Ein wichtiges Thema, und wie viele Journalisten verirrten sich hier im Westen!
...
Ich denke, dass die langen Zitate zu diesem so selten zitierten Hintergrund des ewigen Antisemitismus nötig sind und danke für die Geduld.


Vielen Dank für Ihre, wie immer, lesenswerten und -für mich- sehr informativen Ausführungen.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.547

27.06.2016 15:18
#4 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Rede von Mahmud Abbas vor dem Europaparlament am vergangenen Donnerstag hingewiesen werden.

Zitat von The American Interest, June 26, 2016
Palestinian President Mahmoud Abbas gave a blatantly anti-Semitic speech in front of the European Parliament on Thursday in which he made the unsubstantiated accusation that Jews were trying to poison Palestinians’ water. The New York Times reports:

“Just a week ago, a week, a group of rabbis in Israel announced, in a clear announcement, demanding their government, to poison, to poison, the water of the Palestinians,” he said. “Is this not incitement? Is this not clear incitement, to the mass murder of the Palestinian people?”

Mr. Abbas was repeating a claim initially made on the website of an office of the Palestine Liberation Organization. Anadolu, the Turkish state-run news agency, repeated the claim on Sunday.




http://www.the-american-interest.com/201...nt-overlook-it/
http://www.nytimes.com/2016/06/24/world/...water.html?_r=1

Auf deutsch ist das bei Mena-Watch nachzulesen: http://www.mena-watch.com/mena-analysen-...m-eu-parlament/



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Simon Offline



Beiträge: 334

27.06.2016 19:00
#5 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #4
Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Rede von Mahmud Abbas vor dem Europaparlament am vergangenen Donnerstag hingewiesen werden.

Zitat von The American Interest, June 26, 2016
Palestinian President Mahmoud Abbas gave a blatantly anti-Semitic speech in front of the European Parliament on Thursday in which he made the unsubstantiated accusation that Jews were trying to poison Palestinians’ water. The New York Times reports:

“Just a week ago, a week, a group of rabbis in Israel announced, in a clear announcement, demanding their government, to poison, to poison, the water of the Palestinians,” he said. “Is this not incitement? Is this not clear incitement, to the mass murder of the Palestinian people?”

Mr. Abbas was repeating a claim initially made on the website of an office of the Palestine Liberation Organization. Anadolu, the Turkish state-run news agency, repeated the claim on Sunday.




http://www.the-american-interest.com/201...nt-overlook-it/
http://www.nytimes.com/2016/06/24/world/...water.html?_r=1

Auf deutsch ist das bei Mena-Watch nachzulesen: http://www.mena-watch.com/mena-analysen-...m-eu-parlament/



"Vielleicht"? - Ein Skandal ist es, dass sich ein sog. europäisches Parlament so leicht hinters Licht führen lässt und einem notorischen Brunnenvergifter noch applaudiert! - Müsste sich solch ein Parlament nicht sofort in Gänze auflösen, anstatt über einen Volkswillens-Entscheid noch lange zu Gericht zu sitzen?!

Mit freundlichen Grüßen!
Simon

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

27.06.2016 19:20
#6 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #4
Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Rede von Mahmud Abbas vor dem Europaparlament am vergangenen Donnerstag hingewiesen werden.


Zu allen Zeiten dasselbe Elend. Derselbe verlogene wie frenetische Applaus; dieselben Tatsachenverdrehungen und dieselben medialen Fehlzündungen. Es ist manchmal wirklich zum verzweifeln. Dabei muß man eigentlich nur eine einzige Voraussetzung axiomatisch anerkennen, nämlich das Existenzrecht Israels. Hieraus ergibt sich nahezu automatisch die Legitimität sämtlicher Maßnahmen Israels -dem Grundsatz nach; vor Exzessen sind auch israelische Sicherheitskräfte nicht sicher- in der Vergangenheit, seien sie verteidigend, vergeltend oder präventiv gewesen.

Vermutlich ließe sich ein recht valider Extremismusfragebogen aus nur einem Testitem erzeugen, nämlich der abgewandelten Gretchenfrage, wie der Proband es mit dem Judentum halte.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Simon Offline



Beiträge: 334

27.06.2016 21:17
#7 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #6
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #4
Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang auch auf die Rede von Mahmud Abbas vor dem Europaparlament am vergangenen Donnerstag hingewiesen werden.


Zu allen Zeiten dasselbe Elend. Derselbe verlogene wie frenetische Applaus; dieselben Tatsachenverdrehungen und dieselben medialen Fehlzündungen. Es ist manchmal wirklich zum verzweifeln.



Und wen* kümmert´s, was folgt - auf kleiner Bühne vorgetragen(?):

Zitat
>Nachdem die Nachrichtenagentur Reuters keinerlei Hinweise auf einen derartigen (Rabbiner-) Aufruf (sc. zur Wasservergiftung) finden konnte und es ihr auch nicht gelang, einen Rabbiner namens Shlomo Mlma oder den
erwähnten Rabbiner-Rat ausfindig zu machen, stellte sich heraus, dass die ganze
Geschichte nichts als eine Erfindung war.
Daraufhin veröffentlichte das Büro des palästinensischen Präsidenten folgende Erklärung:
"Nachdem sich herausstellte, dass es die in der Rede erwähnte Forderung des Rabbiners
nicht gegeben hat, möchte der Präsident betonen, dass es nicht in seiner Absicht lag, das
Judentum oder das Jüdische Volk zu beleidigen und das aufgrund seines tiefen Respekts,
den er allen Religionen und darunter auch dem Judentum, entgegenbringt."<

(Israel heute 26. Juni 2016)

edit: wen

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.547

27.06.2016 21:23
#8 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #6
Vermutlich ließe sich ein recht valider Extremismusfragebogen aus nur einem Testitem erzeugen, nämlich der abgewandelten Gretchenfrage, wie der Proband es mit dem Judentum halte.


Wobei ich mich frage, wieviele Probanden auf Anhieb erkennen würden, daß es sich bei Abbas' Behauptungen um eine buchstabengetreue Wiederholung einer der drei antisemitischen Beschuldigungen des Mittelalters handelt, die man als "spezifisch" bezeichnen könnte. "Unspezifisch" wären dagegen ältere, die den Juden allgemein, ihrem Wesen nach, durch die Jahrhunderte hindurch, zugeschrieben wurden: als erstes der Vorwurf des Christusmordes, und dann die Weigerung, die Erlösung nach dem Neuen Bund anzunehmen, also sich nicht zu bekehren. Das geht bis auf die Kirchenväter zurück. Dann als drittes die Geldleihe; das wird, soweit ich sehe, mit dem Beginn des Hochmittelalters bösartig & gefährlich virulent; nachdem das III. Laterankonzil 1179 für Christen die Zinsnahme explizit mit Exkommunikation bestraft hat. Für England scheinen die ersten Pogrome, die aus dieser Motivation ausgelöst wurden, die von York & London, 1189 in der Vorbereitungsphase des 3. Kreuzzuges zu sein.

"Spezifisch" die darauf auftauchenden Auslöser, weil hier ganz konkrete Einzelfälle behauptet wurden: zuerst die Ritualmordlegende an christlichen Kindern; das taucht im Lauf des 12. Jhdt.s auf; die Hostienschändung (soweit ich sehe, zuerst 1243 in Berlitz) und als letztes nach dem Ausbruch des Schwarzen Tods die der Brunnenvergiftung zur Verbreitung & Auslösung der Pest (1348 Toulon & Barcelona, 1349 Erfurt, Basel, Straßburg, Aragon... Samuel K. Cohen, Jr., The Black Death and the Burning of the Jews, 2007, zählt 510 vernichtete jüdische Gemeinden auf).



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Agotbronn Offline



Beiträge: 29

29.06.2016 10:53
#9 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Ich stimme allen Anmerkungen hier zu. Judenfeindschaft ist offensichtlich ein tiefsitzendes Ideologem, dass menschenfeindliche Einstellungen aller Richtungen zusammenführt.

Als Historiker frage ich mich aber auch, ob man nicht doch erwähnen muss, dass Böse beim Sturm der Sondereinheit die Geiseln aufforderte in Deckung zu gehen und eben auf die mögliche Ermordung von Geiseln verzichtete. Menschen sind eben doch nicht nur schwarz, sondern immer auch etwas grau.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

29.06.2016 11:51
#10 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Agotbronn im Beitrag #9
Als Historiker frage ich mich aber auch, ob man nicht doch erwähnen muss, dass Böse beim Sturm der Sondereinheit die Geiseln aufforderte in Deckung zu gehen und eben auf die mögliche Ermordung von Geiseln verzichtete. Menschen sind eben doch nicht nur schwarz, sondern immer auch etwas grau.


Das könnte man tun, lieber Agotbronn, und Sie haben da durchaus einen Punkt. Mir war diese Tatsache zunächst einmal nicht bekannt. Gleichwohl liegt es mir ohnehin fern, Menschen in toto zu verdammen; einzelne Handlungen dagegen sehr wohl, und ich bin nicht sicher ob die von Ihnen geschilderte Unterlassung Böses im Moment des Zugriffs wirklich als (Teil)neutralisierung seines Verhaltens in den Tagen zuvor geeignet ist. Oder ob in den von Ihnen angedeuteten "Grautönen" nicht auch schnell der Keim der Relativierung anzutreffen ist. Wie gesagt, immer bezogen auf Handlungen, nicht auf Menschen. Boshaft-polemisch könnte man dann ja auch fragen, ob der Führerbefehl zur Verschonung des jüdischen Arztes Eduard Bloch, der seine Mutter in den Krebstod begleitet hatte, irgendwie geeignet ist, den Hitlerschen Antisemitismus und Rassenwahn auch nur ansatzweise "einzugrauen".

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Simon Offline



Beiträge: 334

29.06.2016 23:27
#11 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #10
Zitat von Agotbronn im Beitrag #9
Als Historiker frage ich mich aber auch, ob man nicht doch erwähnen muss, dass Böse beim Sturm der Sondereinheit die Geiseln aufforderte in Deckung zu gehen und eben auf die mögliche Ermordung von Geiseln verzichtete. Menschen sind eben doch nicht nur schwarz, sondern immer auch etwas grau.


"...ob in den von Ihnen angedeuteten "Grautönen" nicht auch schnell der Keim der Relativierung anzutreffen ist."


Vor solch vornehmer Andeutung sollten Historiker in Deckung gehen!

Mit freundlichen Grüßen!
Simon

Agotbronn Offline



Beiträge: 29

30.06.2016 11:24
#12 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Um "(Teil)Neutralisierung" ging es mir dabei eigentlich nicht. Wir sind uns, denke ich, wahrscheinlich einig, dass die RAF Terroristen außergewöhnlich menschenverachtend und verblendet waren. Und die Angst vor Relativierung hat m.E. hinter der Wahrheit zurückzustehen.

Um was es mir eigentlich ging (und das ist mir erst jetzt richtig klar geworden), ist aber ein Unwohlsein mit einem vorherrschenden Narrativ, dass schnell aus dieser Querfront-Idee entstehen kann und für das dann ein Böse als Beispiel taugt. Nämlich der Vorstellung, dass es eben doch im Stil von Goldhagen einen tiefsitzenden deutschen Antisemitismus gibt. Und dann werden Nuancen, soziale Ursachen, konkrete individuelle Aspekte nicht mehr beachtet.

Viele Grüße Frank

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

30.06.2016 12:54
#13 RE: Antisemitische "Querfronten" Antworten

Zitat von Agotbronn im Beitrag #12
Um was es mir eigentlich ging (und das ist mir erst jetzt richtig klar geworden), ist aber ein Unwohlsein mit einem vorherrschenden Narrativ, dass schnell aus dieser Querfront-Idee entstehen kann und für das dann ein Böse als Beispiel taugt. Nämlich der Vorstellung, dass es eben doch im Stil von Goldhagen einen tiefsitzenden deutschen Antisemitismus gibt. Und dann werden Nuancen, soziale Ursachen, konkrete individuelle Aspekte nicht mehr beachtet.


Lieber Frank, das ist in der Tat ein wichtiger Gedanke, wie ich finde, und ich stimme Ihnen da völlig zu. Ähnlich wie es mMn keine deutsche "Kollektivschuld" gegeben hat, so finde ich auch das Konzept eines "Kollektiven Vernichtungsantisemitismus" völlig verfehlt, sowohl für die Zeit 33-45 bzw. bereits in der kulturellen Herkunft der Deutschen (Goldhagens Konzept), als auch für heute. Die darin enthaltene Dämonisierung leistet nicht zuletzt auch jener "das waren die, uns könnte so etwas nie passieren" Vorschub. In erster Linie halte ich es jedoch für inhaltlich nicht zutreffend. Die gängigen (sozial)psychologischen Konzepte, wie sie etwa durch die Milgramexperimente dokumentiert sind, sind hier m. E. deutlich erklärungsstärker, zusammen mit der damaligen historischen Situation um die Weimarer Republik herum. Gleichwohl gibt es natürlich noch immer verbreiteten Antisemitismus (weiß Gott nicht nur in Deutschland, das ganze EU-Parlament gab ja kürzlich standing ovations für die Brunnenvergifter-Rede von Abbas), der zumeist versucht, in anderem Gewand daherzukommen, aber den sehen Sie ja ebenfalls.

So (Dämonisierung und Betonung der historischen Einmaligkeit) hat man es ja mit Hitler in den ersten Jahrzehnten ja auch gemacht; ich aber finde es im Gegenteil wichtig, das menschliche Hitlers, im Sinne eines tendenziell wiederholbaren destruktiven Ponenzials, zu betonen. Ich glaube, der Versuch der Dämonisierung und, man verzeihe die Doppelbödigkeit, Entmenschlichung Hitlers dient u. a. einer innerpsychischen Entlastung, sei es von eigener Verantwortung (Bundesrepublik in den ersten Jahrzehnten) oder aber vom Bedrohungsgefühl, daß dergleichen irgendwo auf der Welt wieder passieren könnte, womit sich der Kreis sozusagen schließt: man danke sich eine Hamas, die so bewaffnet wäre wie sie es sich wünscht. Oder den Iran mit Nuklearwaffen...

Nachtrag: wobei ich mich gerade frage, ob das Konzept wirklich so verfehlt ist. Wenn man sich die Israelanreiner, ja fast die ganze arabische Welt anschaut, dann könnte man schon auf die Idee einer tiefen kulturellen und (weitgehend) kollektiven Verwurzelung mit Vernichtungsambitionen kommen, und dies ist wohl schon auch vergleichbar mit den deutschen Verhältnissen ab 1933. Man neigt ja vielleicht auch dazu, den eigenen kulturellen Hintergrund sozusagen facettenreicher und differenzierter sehen zu wollen als den kulturellen Hintergrund anderer...?

Wie sehen Sie das?

Herzliche Grüße,
Andreas

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