Sie bevölkern seit Jahrzehnten die Spalten der Empörungspresse und werden auch von den Grünen zum Feindbild erhoben. Die Rede ist von den Rasern auf Deutschlands Straßen.
Teil 1 des Beitrages befasst sich mit den Fragen, ob sich das angebliche Raser-Problem statistisch erhärten lässt und warum zu schnelles Fahren und nicht andere Verkehrsverstöße im Zentrum des medial-politischen Kreuzfeuers stehen.
Der geplante zweite Teil soll sich mit dem Konzept des erlaubten Risikos auseinandersetzen und dartun, warum es problematisch ist, bei einem tödlichen Verkehrsunfall dem Verursacher bedingten Vorsatz anzulasten.
In der Schweiz liegt die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit ausserorts bei 80 km/h, in Frankreich bei 90, in Deutschland und Österreich bei 100. Auf Autobahnen sind in der Schweiz 120 zugelassen, in Frankreich und Österreich sind es 130, in Deutschland über weite Strecken unbegrenzt. Die Begrenzung auf Autobahnen in der Schweiz wurde übrigens während der damaligen Erdölkrise von 130 auf 120 reduziert, um den Treibstoffverbrauch zu reduzieren. Obwohl die Massnahme ausdrücklich als vorübergehend bezeichnet wurde, hat man den Status Quo danach stillschweigend weitergeführt und ihn dann als Sicherheitsmassnahme umbezeichnet. Gemessen an den Schweizer Vorschriften sind also in den umliegenden Nachbarländern lauter Raser legal unterwegs.
Von Behörden und Massenmedien wird die Illusion geschürt, dass gesetzliche Limiten eine Garantie für unfallfreien Strassenverkehr ist. Das glauben auch viele Verkehrsteilnehmer, die dann die Limiten ausnutzen, auch wenn es die Umstände objektiv nicht zulassen würden. Tatsache ist, dass jedes bewegte Objekt eine potenzielle Gefahr darstellt; theoretisch nähert sich das Unfallrisiko asymptotisch dem Tempo 0. Nur, Strassenverkehr bei Tempo 0 ist kein Verkehr mehr. Die Tendenz geht aber eindeutig in dieser Richtung: wo es früher 80 waren wurde daraus 60, 50, 30 und sogar 20.
Das ursprüngliche Gebot der Strassenverkehrsgesetze, dass die Geschwindigkeit den Umständen anzupassen ist, wir durch "eine-Grösse-für-alles" Regeln ersetzt, ob Tag oder Nacht, Regen oder Sonne, Verkehr oder kein Verkehr, Fahranfänger oder erfahrener Fahrer, alles wird über den gleichen Leisten gezogen. Autofahrer blicken gebannt auf den Zähler statt sich dem Verkehrsgeschehen zu widmen.
Ich wurde erst kürzlich für eine Geschwindigkeitsübertretung von 1 km gebüsst; 51 statt 50 km/h.
PS. Als ich meinen Führerschein machte, gab es noch keine allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzungen, selbst in Ortschaften nicht.
Zitat von vivendi im Beitrag #2in Deutschland über weite Strecken unbegrenzt.
In Deutschland gilt Richtgeschwindigkeit 130, was zwar kein "echtes" Tempolimit ist, aber auch weit entfernt von "unbegrenzt" ist.
Laut Statistik der BASt (Stand 2009 allerdings) sind außerdem nur rund 65% der Autobahnkilometer nicht von einem Tempolimit belegt, und das beinhaltet nur den Default, nicht jedoch Baustellen und selektive (z.B. je nach Verkehrsdichte oder Wetter oder Uhrzeit) Tempolimits.
"Über weite Strecken" scheint mir also nicht die richtige Wendung zu sein.
Zitat von vivendi im Beitrag #2In der Schweiz liegt die gesetzliche Höchstgeschwindigkeit ausserorts bei 80 km/h, in Frankreich bei 90, in Deutschland und Österreich bei 100.
In Frankreich jedoch, jedenfalls in meiner doch schon etwas zurückliegenden Franzosentid, faktisch bei 110 bis 120 km/h, weil man damit noch unter dem Radar durchflog. Ob die Geschwindigkeitsmessungspraxis inzwischen verschärft wurde, weiß ich nicht.
Zitat von vivendi im Beitrag #2Von Behörden und Massenmedien wird die Illusion geschürt, dass gesetzliche Limiten eine Garantie für unfallfreien Strassenverkehr ist. Das glauben auch viele Verkehrsteilnehmer, die dann die Limiten ausnutzen, auch wenn es die Umstände objektiv nicht zulassen würden. Tatsache ist, dass jedes bewegte Objekt eine potenzielle Gefahr darstellt; theoretisch nähert sich das Unfallrisiko asymptotisch dem Tempo 0. Nur, Strassenverkehr bei Tempo 0 ist kein Verkehr mehr. Die Tendenz geht aber eindeutig in dieser Richtung: wo es früher 80 waren wurde daraus 60, 50, 30 und sogar 20.
Auf diesen Themenkreis, lieber Vivendi, erlaube ich mir nicht hier, sondern im zweiten Teil des Beitrages unter dem Aspekt des erlaubten Risikos einzugehen.
Zitat von vivendi im Beitrag #2Ich wurde erst kürzlich für eine Geschwindigkeitsübertretung von 1 km gebüsst; 51 statt 50 km/h.
Wenn uns die Schweiz sonst auch in vielen Punkten als vorbildlich erscheinen mag, so ist dies ein Punkt, der bei Deutschen und Österreichern (und z.B. auch bei Franzosen) für Kopfschütteln sorgt. In Österreich wurde auch einmal eine derart strenge Strafpraxis erwogen, dann aber - mit dem auch von Ihnen genannten - Argument verworfen, dass dann der Blick der Autofahrer nicht mehr auf die Straße, sondern auf den Tacho fixiert wäre.
Mich würde interessieren, ob und ggf. wie viel Messtoleranz in der Schweiz abgezogen wird, ob also die der Buße zugrunde liegenden 51 km/h dem Messergebnis entsprechen oder Resultat einer Subtraktion sind.
Zitat von Noricus im Beitrag #4 Wenn uns die Schweiz sonst auch in vielen Punkten als vorbildlich erscheinen mag, so ist dies ein Punkt, der bei Deutschen und Österreichern (und z.B. auch bei Franzosen) für Kopfschütteln sorgt. In Österreich wurde auch einmal eine derart strenge Strafpraxis erwogen, dann aber - mit dem auch von Ihnen genannten - Argument verworfen, dass dann der Blick der Autofahrer nicht mehr auf die Straße, sondern auf den Tacho fixiert wäre.
Mich würde interessieren, ob und ggf. wie viel Messtoleranz in der Schweiz abgezogen wird, ob also die der Buße zugrunde liegenden 51 km/h dem Messergebnis entsprechen oder Resultat einer Subtraktion sind.
Der Mensch ist auch letztlich kein präzises Steuerglied, und diese Art Präzision bei gleichzeitiger Beobachtung der Verkehrssituation erfordert sehr viel Routine, die man nicht voraussetzen kann. Hinzu kommt, dass beispielsweise beim Beschleunigen die Geschwindigkeitsanzeige träge ist, der Fahrer die tatsächliche Geschwindigkeit gar nicht auf 1 km/h kontrollieren kann.
Neuere Fahrzeuge erlauben die Einstellung der nicht zu überschreitenden Geschwindigkeit, da kann man, wenn man unbedingt will, eine höhere Genauigkeit voraussetzen. Und wenn es den Behörden wirklich um Sicherheit und nicht um das Abkassieren ginge, dann gäbe es schon längst Systeme, die dem Fahrer / Fahrzeug zuverlässig die gerade geltende Höchstgeschwindigkeit melden, und die direkt oder indirekt für deren Einhaltung sorgen.
Das wäre auch deshalb wichtig, weil gerade innerstädtisch die Regelungen beliebig unübersichtlich sein können, Leute dort also nicht absichtlich zu schnell unterwegs sein können.
Leider würde dann den Grünen aber das Thema Raserei abhanden kommen, und die Kommunen wären um einige Einnahmen ärmer.
Zitat von Noricus im Beitrag #4 In Frankreich jedoch, jedenfalls in meiner doch schon etwas zurückliegenden Franzosenzeit, faktisch bei 110 bis 120 km/h, weil man damit noch unter dem Radar durchflog. Ob die Geschwindigkeitsmessungspraxis inzwischen verschärft wurde, weiß ich nicht.
Darauf würde ich mich nicht verlassen. Auch in Frankreich (ich wohne in Frankreich) werden moderne Messgeräte eingesetzt und die Abzüge liegen ähnlich hoch wie in D und CH. Allerdings werden bei mobilen Messungen auf Autobahnen oft bewusst leichtere Überschreitungen toleriert, weil die Polizei gar nicht über genügend schnelle Fahrzeuge verfügt, um die kleinen Fische einzeln zu verfolgen und zur Strecke zu bringen. Es gibt immer noch genügend Schnellfahrer, die mit Geschwindigkeiten über 180 experimentieren. In Deutschland kein Problem, in Frankreich auf der Stelle durch ein mehrmonatiges Fahrverbot geahndet, wenn kein Ersatzfahrer anwesend ist, bleibt das Fahrzeug beschlagnahmt.
Zitat Mich würde interessieren, ob und ggf. wie viel Messtoleranz in der Schweiz abgezogen wird, ob also die der Buße zugrunde liegenden 51 km/h dem Messergebnis entsprechen oder Resultat einer Subtraktion sind.
Die Messungen sind technisch immer mit Fehlern behaftet; der Abzug ist also keine "Toleranz", sondern die Kompensation einer möglichen Abweichung der gemessenen von der tatsächlichen Geschwindigkeit. Messfehler können durch Abweichung von der Kalibrierung entstehen. Jedes Messgerät muss jährlich neu kalibriert werden und im Zweifelsfall muss ein Messprotokoll vorgewiesen werden. Fehler entstehen auch durch den Messwinkel, da die meisten Messungen vom Strassenrand aus erfolgen und der Messstrahl nicht direkt in Fahrtrichtung auftritt. Auch bei einem Spurwechsel im Moment der Messung kann das Ergebnis verfälscht werden.
Die 51 km/h waren also ursprünglich 56 km/h mit Abzug von 5 km/h; also bereits Raserei ....
Die Tachometer müssen gemäss Zulassungsbestimmungen so geeicht sein, dass sie immer voreilen, bei höheren Geschwindigkeiten um mindestens 7%. Trotzdem können Reifendruck und Profilhöhe (Winterreifen!) auch dem Fahrer eine falsche Geschwindigkeit auf dem Tacho vorgaukeln, allerdings meist zu seinen Gunsten.
Zitat von vivendi im Beitrag #6 Die Tachometer müssen gemäss Zulassungsbestimmungen so geeicht sein, dass sie immer voreilen, bei höheren Geschwindigkeiten um mindestens 7%.
In Deutschland ist das ganz bestimmt nicht der Fall. Der Tachometer darf lediglich niemals zuwenig anzeigen, mehr geht innerhalb der erlaubten Toleranz, die sich auf 10% + 4 km/h beläuft. Realistisches Beispiel: bei 300 km/h tatsächlicher Geschwindigkeit darf maximal 334 km/h angezeigt werden.
Zitat von Noricus im Beitrag #4Mich würde interessieren, ob und ggf. wie viel Messtoleranz in der Schweiz abgezogen wird, ob also die der Buße zugrunde liegenden 51 km/h dem Messergebnis entsprechen oder Resultat einer Subtraktion sind.
Ich habe das mal anhand eines Zeitungsartikels ausgerechnet, in dem bei einem veritablen, auch noch aus Deutschland stammenden und damit alle eidgenössischen Vorurteile bestätigenden Raser (der dann auch Knast zu fürchten hatte) sowohl der gemessene als auch der für die Anklage herangezogene Wert genannt wurden, und bin auf 2,5% Toleranz gekommen, was wohl die Hälfte des in Deutschland angewandten "Tarifs" darstellt. Mein Tempomat ist dementsprechend eingestellt, wenn ich durch die Schweiz schwebe.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von vivendi im Beitrag #6Die Messungen sind technisch immer mit Fehlern behaftet; der Abzug ist also keine "Toleranz", sondern die Kompensation einer möglichen Abweichung der gemessenen von der tatsächlichen Geschwindigkeit. Messfehler können durch Abweichung von der Kalibrierung entstehen. Jedes Messgerät muss jährlich neu kalibriert werden und im Zweifelsfall muss ein Messprotokoll vorgewiesen werden. Fehler entstehen auch durch den Messwinkel, da die meisten Messungen vom Strassenrand aus erfolgen und der Messstrahl nicht direkt in Fahrtrichtung auftritt. Auch bei einem Spurwechsel im Moment der Messung kann das Ergebnis verfälscht werden.
In Deutschland wird zur Kompensation für die von Ihnen genannten Messfehlerquellen von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt eine geräteabhängige Messgerätetoleranz (die heißt halt so) festgelegt. Darüber hinaus wird noch eine (geräteunabhängige) Messtoleranz abgezogen, die bei stehenden Messgeräten 3 km/h bzw. (bei gemessenen Geschwindigkeiten über 100 km/h) 3 % beträgt. Zudem lösen die Radargeräte häufig erst bei einem Wert aus, der über der Höchstgeschwindigkeit einschließlich Toleranzen liegt.
Zitat von vivendi im Beitrag #6Die 51 km/h waren also ursprünglich 56 km/h mit Abzug von 5 km/h; also bereits Raserei ....
Nun gibt es Teil 2 zu lesen, in dem ich mir Gedanken über das erlaubte Risiko mache.
Zur nicht nur für das Straßenverkehrsrecht bedeutsamen Abgrenzung zwischen (bewusster) Fahrlässigkeit und (bedingtem) Vorsatz wird es noch einen dritten und letzten Teil geben.
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