"Ein Jahr starb ab. Ein andres Jahr begann. Und was auch kam, nie kam ein Unterschied",
heißt es in Erich Kästners Gedicht Kurt Schmitt - Statt einer Ballade.
Auf das Jahr 2016 lässt sich dieser Befund nicht übertragen: Die Kölner Silvesternacht, die Erfolge der AfD bei den Landtagswahlen, das Brexit-Referendum, Trump, der Terror in Deutschland - in den letzten 366 Tagen schien die Welt aus den Fugen zu geraten. Alte Gewissheiten wurden in Frage gestellt, das noch vor kurzem Unwahrscheinliche wurde Realität.
Zettel sprach bereits vor sechs Jahren von einem Ende der von geistiger Stagnation geprägten dritten Phase in der Geschichte der Bundesrepublik. Den kulturell-gesellschaftlichen Stillstand bezeichnete er als Mehltau. Dieser Mehltau ist im Jahr 2016 spürbar geschwunden. Ein Jahresrückblick.
Zitat von Noricus im Beitrag #1Dieser Mehltau ist im Jahr 2016 spürbar geschwunden.
Ja. Und in meiner pessimistischen Grundierung, was dieses Land betrifft, befinde ich: der Schorf ist weg - und darunter ist nekroses Gewebe zum Vorschein gekommen.
Zwei Fußnoten. # 1. "Mehltau" - das war eigentlich der Modus vivendi der Bonner Republik, wenn die Politik funktionierte & das Land nicht in Gefahr war. Die einzige Cicero-Ausgabe, die ich mir mal gekauft habe, im Sommer 2005, hat express damit aufgemacht: "Deutschland: tau dich". Die Endphase Schröders ist mit der Vokabel belegt worden, die Spätphase von Kohls Endloser Kanzlerschaft (bevor Bimbesgate dann die Coda setzte); Kohl I, nachdem die Aufreger Flick & Kießling verraucht waren (und bevor Gorbimanie angesagt war). Bei Schmidt kam das nach dem Ende des Deutschen Herbsts; die Spätphase Adenauers ist von Spiegel & Co. so begleitet worden. Und die späten 50er waren eh' der Muff höchstpersönlich. Das Aufmischen, der Frische Wind, die Krise: das kam immer extern, von außen - Kalter Krieg, Mauer, swinging sixties, Vietnam, Charta 77, Perestroika, die Umpolung des religiösen Impulses auf Mutter Erde. Das waren die "challenges", im Sinn der "challenge & response" im Sinn Toynbees (nicht daß ich irgendwelche Stücke auf Toynbee halten würde, aber im engen Bereich des Spielraums von Politik scheint mir das gegeben).
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Zitat von JahrerücklickEs ist mit einem harten, vielleicht auch schmutzigen Bundestagswahlkampf zu rechnen. Der Mangel an Fairness in der publizistischen Auseinandersetzung wird zunehmen, und es wird auf Teufel komm raus versucht werden, den gegnerischen Standpunkt zu delegitimieren und den ideologischen Widersacher zu diskreditieren.
Eine gute Gelegenheit, eine Wette zu lancieren: der Zeitraum ist begrenzt (266 Tage *), die Positionen klar umreißbar. Wir werden nichts dergleichen sehen. Nichts, was man nach bisherigen Maßstäben als Wahlkampf durchgehen lassen würde. Nur Gepluster & Wählt-uns-weil...eben-weil. Here's why. Es wird ein absoluter Lagerwahlkampf (oder wie immer man das nennen soll): WIR (ganzrotrotschwarzgrüngelb) gegen die da. Block 1 kann sich nicht in Selbstzerfleischung ergehen, schon deshalb nicht weil die-da auf keinen Fall profitieren dürfen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit deren Programmatik entfällt auch, weil man da (wohl reihenweise) deren Positionen übernehmen müsste. Eine Absägung zwischen SPD & CDU geht nicht, weil man deren Politik nicht verdammen kann, wenn man die selbst seit Jahren verkörpert. Also bleiben nur wüste Anwürfe, und zwar ohne jeden konkreten Inhalt gegen die-da. Die-da brauchen eigentlich gar keinen Wahlkampf zu machen (& wenn sie gut beraten sind, werden sie das so halten): die Wirklichkeit ist ihr bester Wahlhelfer (mal ab von Merkel, Gabriel, Stegner, Künast ff.). Jedes abgerissene Wahlplakat wirbt mehr für sie als jede Einlassung.
* Wir stehen in Sachen Krise recht genau auf der 2/3-Wegmarke. Zwischen der Grenzöffnung vom 4-9-15 & der BTW 2017 liegen exakt 750 Tage. In zwei Wochen können wir in Sachen Offenbarungseid dieses Systems die 500. Kerbe ins Holz schnitzen.
Zitat All das sind Themen, bei denen eine konservative, womöglich auch eine liberale Partei punkten könnte. Dies scheint man in der CSU schneller begriffen zu haben als in der CDU und der FDP. Vernünftige Stimmen werden in der Auseinandersetzung bitter nottun.
Von den Christsozialen werden wir nichts hören. Nix. Das Zeitfenster ist geschlossen, sich als unabhängige Macht neben der Muttipartei zu positionieren. Es reicht nur für zaghafte Wortmeldungen aus dem zweiten Glied, die jeweils keine 48h Bestand haben & in jedem Fall komplett folgenlos sind. Das ist ja das Kennzeichen aller Forderungen & Reaktionen, die, egal woher, in der Politikarena - und das heißt mittlerweile ausschließlich: in den Staatsmedien lanciert werden: leeres Gerede, von Transitzonen über Kontingente über Förderungen: Nie hat das irgendwelche praktischen Auswirkungen - und nie bleibt das über die momentane Äußerung präsent. Der Fall Amri zeigt das gerade exemplarisch: Berlin komplett außen vor, das spielt nur noch auf Landesebene NRW & das einzige was, nach 12 Tagen passiert, ist daß irgendeine Nase, heute, mal "einen Untersuchungsaussuschuß" fordert: wäre nicht verkehrt halt. Das geht so, unabänderlich, seit mindestens 18 Monaten. Seehofer hatte das mal auf Bundesebene besetzt, aber die Masche: krähen & sich setzen, zieht nicht mehr.
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[Sibyllinnenmodus an ] Wir werden 2017 das Wort "Reichsbürger" nicht mehr hören.[/modus aus] Diese Fakenews-Wunderkerze ist verkokelt. [...]Wir werden von Fracking nix mehr hören, v.a. nicht, daß die mit einem Rekordsprint ins neue Jahr gehen[/] [...]Die Klimareligion ist tot, toter, mausetot. Aber das wird uns keiner erzählen.[/]
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Zitat von JahrerücklickEs ist mit einem harten, vielleicht auch schmutzigen Bundestagswahlkampf zu rechnen. Der Mangel an Fairness in der publizistischen Auseinandersetzung wird zunehmen, und es wird auf Teufel komm raus versucht werden, den gegnerischen Standpunkt zu delegitimieren und den ideologischen Widersacher zu diskreditieren.
Es wird ein absoluter Lagerwahlkampf (oder wie immer man das nennen soll): WIR (ganzrotrotschwarzgrüngelb) gegen die da.
Es wird auf jeden Fall zu einem großen Teil ein Lagerwahlkampf in dem von Dir beschriebenen Sinn, lieber Ulrich. Die etablierten Parteien werden tatsächlich darauf hinarbeiten, dass auch der Wähler, der eigentlich mit den AfD-Positionen (großteils) übereinstimmt, sein Kreuzchen nicht bei der AfD macht, weil es eben die AfD ist.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3Von den Christsozialen werden wir nichts hören. Nix. Das Zeitfenster ist geschlossen, sich als unabhängige Macht neben der Muttipartei zu positionieren.
Da bin ich anderer Ansicht. Seehofer muss, whatever it takes, versuchen, die AfD in Bayern kleinzuhalten, dies (parteipolitisch) im Hinblick auf die Verteidigung der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl 2018 und (persönlich) weil Söder doch nur auf die Gelegenheit wartet, einen waidwunden Seehofer vom Thron zu stoßen.
Außerdem sind es bis zur Bundestagswahl noch knapp 9 Monate. Was bis dahin noch passieren wird, weiß niemand.
CDU, CSU, FDP und sogar SPD, Grüne und Linke werden wesentliche Kritikpunkte der AfD aufgreifen und so tun als hätten sie verstanden, als würden sie die Bedenken der Bürger und Wähler ernstnehmen, als würden sie sich bewegen! Spätestens wenn die Wähler darauf hereingefallen sind, wenn die "Blockflöten" ihre Schäfchen wieder im Trockenen haben, werden sie es vergessen! Frei nach Müntefering: "Es ist unfair die Politiker an ihren Wahlversprechen [und ihren Reden] im Wahlkampf zu messen!" Wie war das noch mit der Mehrwertsteuer, oder der PKW-Maut? Wer erklärte noch vor Jahren Multi-Kulti für völlig gescheitert?
Nein, solange die "Blockflöten" in irgendeiner Koalition (ohne Beteiligung der AfD [jede andere Partei ähnlicher Programatik ginge auch, aber die AfD ist nun mal die derzeit Stärkste]) regieren können, ändert sich nichts! Ich habe die Hoffnung auf einen von innen erfolgenden Wandel, eine von innen erfolgende "Reinigung" und Besinnung auf ihre eigentliche Aufgabe (nach GG), auf Rückkehr zu demokratischem Verhalten und Werten bei den "etablierten" Parteien verloren! Sie haben sich den Staat zur Beute gemacht und werden ihn freiwilig (wie jedes Krokodil) nicht mehr herausrücken! Wir müssen ihn ihnen wegnehmen, ihnen wieder entreißen! Für anderes ist es zu spät und es wird schwierig genug, denn sie werden mit allem was sie haben gegen den politischen Gegner feuern und mit allen Mitteln (verfassungs- und gesetzeskonform oder nicht) den Wählern, dem Volk ihren Bären aufbinden, ihre Wahrheit verkünden und Widerspruch versuchen zu ersticken! Und wenn sie dazu lügen müssen werden sie es tun!
Eine schöne Ansammlung, lieber Noricus, vor allem schön "zettelig". :)
Ich glaube auch, dass sich was tut, ich sehe es aber nicht so schnell kommen, zumindest nicht in Deutschland. Wenn nicht gerade ein gigantischer Anschlag passiert (siehe Nachbarthread), dann wird der Mehltau schon noch das eine oder andere Jahr vor sich hingammeln bis er sich auflöst. Die Deutschen sind sehr gemächlich in ihrer Entwicklung, das dauert eben.
Übrigens schöner Link zu Django Asül. Zum einen witzig, zum anderen finde ich es wirklich erstaunlich, dass das in den ÖR heute möglich ist. Interessant ist aber auch das Publikum, dass brav an bestimmten Pointen klatscht, aber bei den richtigen "Grenzüberschreitungen" eher still ist. Entweder finden die das nicht witzig, oder keiner traut sich so recht zu lachen. Ich vermute zweiteres. Wäre auch ein Thema für sich wert.
Und weil es gerade die Zeit ist: Allen einen gutschen Rutsch ins neue Jahr !
Zitat von dentix07 im Beitrag #6CDU, CSU, FDP und sogar SPD, Grüne und Linke werden wesentliche Kritikpunkte der AfD aufgreifen und so tun als hätten sie verstanden, als würden sie die Bedenken der Bürger und Wähler ernstnehmen, als würden sie sich bewegen! Spätestens wenn die Wähler darauf hereingefallen sind, wenn die "Blockflöten" ihre Schäfchen wieder im Trockenen haben, werden sie es vergessen! Frei nach Müntefering: "Es ist unfair die Politiker an ihren Wahlversprechen [und ihren Reden] im Wahlkampf zu messen!" Wie war das noch mit der Mehrwertsteuer, oder der PKW-Maut? Wer erklärte noch vor Jahren Multi-Kulti für völlig gescheitert?
Nein, solange die "Blockflöten" in irgendeiner Koalition (ohne Beteiligung der AfD [jede andere Partei ähnlicher Programatik ginge auch, aber die AfD ist nun mal die derzeit Stärkste]) regieren können, ändert sich nichts!
Was die Grünen und die Kommunisten betrifft, so stimme ich Ihnen zu. Die vertreten ja genau die Ansichten, die man von ihnen erwartet. Bei der SPD halte ich es mittlerweile auch für sehr wahrscheinlich, dass sie lieber zur 10- bis 15-Prozent-Partei herabsinkt, als das Kielwasser der Grünen zu verlassen. Bei der FDP bin ich mir nicht sicher: Bleibt sie die alte Umfaller-und-Zünglein-an-der-Waage-Partei oder macht sie sich mehr programmatische Konsequenz zu Eigen? Unter Lindner fürchte ich eher Ersteres. Die CDU dagegen wird ein Rollback zu konservativen Positionen durchführen. Die Basis hadert ja schon lange mit Merkels Kurs. Wenn einmal der Wahlerfolg ausbleibt, ist die Ära Merkel schneller zu Ende, als wir es uns versehen werden. Und in der CSU kann es sich der starke Mann auch im Erfolgsfall nicht erlauben, gegen die Basis zu handeln, weil er dann ohne viel Federlesens abserviert würde. (Dies ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den C-Parteien.)
Die Kritikpunkte der AfD an Merkels Migrationspolitik stellten noch vor 10 Jahren die Parteilinie der CDU dar. Ich sehe nicht, weshalb es hier keine Repositionierung geben sollte. Schröder und die Agenda-Politik liefern dafür die Blaupause. Die SPD wird immer recht kleinlaut, wenn von der Agenda 2010 gesprochen wird, und der Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 beinhaltete vieles, was sich als Rücknahme der Regierung Schröder'schen Reformen verstehen lässt.
Zitat von Norius im BlogEinige der öffentlichen Ablehungsbekundungen sind in einem Interview zusammengefasst, das Felix Dachsel für ZEIT-Online mit dem Jahr 2016 [sic!] führte. (Man kann diesen postfaktischen Einfall freilich albern finden. Er ist jedoch gewitzter als vieles andere, was unsere Mainstream-Journalisten gemeinhin für geistreich halten.)
Was den allseits beliebten Begriff "Mainstream" betrifft: Wenn Mainstream was an sich Schlechtes ist, muss auch Adenauer ganz, ganz schlecht gewesen sein, beispielsweise. Das Problem ist halt, dass man keinen Anspruch darauf hat, den Mainstream zu dekretieren. Und ist es jetzt angenehm, nicht dazuzugehören, oder umgekehrt? Wenn Maintream irgendwie schlecht ist, man also lieber nicht dazugehören will, ist man halt in der MINDERHEIT. Das hat demokratisch die unangenehme Folge, dass man regelmäßig überstimmt wird. Das: nutzt dann nix. Man muss damit einverstanden sein. Aber wie dem auch sei: Falls man tatsächlich liberal sein sollte (muss ja nich sein), ist das gar kein großer Aufreger : Man ist IMMER außerhalb von Main.
Zitat In seinem Beitrag vom 14.09.2010 mit dem Titel "Die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geht in diesen Tagen zu Ende. Eine These" fasste Zettel diesen Befund mit den folgenden Worten zusammen: Aus den einstigen Revolutionären waren engstirnige Wächter über politische Korrektheit, über das Einhalten von Tabus geworden......
Heißt logisch: Als die noch revolutionär waren, waren sie nicht engstirnig und das Beachten von Tabus ist allemal Mist. Es lebe die Revolution.
Zitat ....Nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren Nonkonformismus, waren eigenständiges Denken so geächtet wie in dieser Zeit, die mit der Wiedervereinigung begann und die jetzt - so scheint es mir - zu Ende geht.
Okay, es ist also ganz unverständlich, wenn der eine oder andere über die 68er mosert. Es kann ja keiner bestreiten, dass Nonkonformismus der große Renner war - damals. So was und dgl. galt mal als nonkonform und war ein veritabler Aufreger (so weit ich mich erinnere, nicht zuletzt bei "Liberalkonservativen" - also, den damaligen - insoweit wie "liberal" nur als klitzekleines, fakultatives Sahnehäubchen, das gerne von der Speisekarte gestrichen wird, verstanden wurde; so was soll's ja geben.)
Zitat ....Wir werden als Ergebnis des jetzigen Umbruchs eine liberalkonservative Renaissance erleben. Das jedenfalls ist meine Folgerung aus der jetzigen Situation. Natürlich kann sie - wie jede Prognose - irrig sein.
Kann schon sein, obschon diese Prognose Zettels schon sechs Jahre alt ist. Unerachtet dessen kann das deswegen zutreffen oder auch nicht, weil Politik viel mit Mode zu tun hat. Mal ist das eine angesagt, und mal das andere. Von einem Telos, der magnetisch alles in eine Richtung zieht, wenn auch evtl. nur gaaaaanz langsam, kann keine Rede sein, obwohl das gerne geglaubt wird, namentlich von Sozialisten.
Und falls jemand mit den viel diskutierten neuen Parteien (das P-Wort, das mit op weitergeht, vermeide ich mal) und den dazugehörigen Leutchen die liberalkonservative Wende kommen sieht, hier was aus den die Neujahrsgrüßen vom Mme Le Pen:
Zitat von (aus Le Point)Sans citer nommément François Fillon ni Emmanuel Macron, elle a dénoncé les « candidats des banques, du système, de la finance, des médias ou encore les candidats de la brutalité sociale, ceux qui veulent casser la santé, qui veulent casser toute forme de solidarité et de justice ».
Das ist so liberalkonservativ, dass das jeder Kommunist sofort unterschreiben kann. Aber das nur nebenbei.
Zitat 2016 ist also das Jahr, in dem der Mehltau geschwunden ist. Geschwunden, aber nicht verschwunden. Es gibt sie natürlich noch, die Réduits der intellektuellen Verkrustung: Die Berliner Senatskoalition bildet einen solchen Rückzugsort.
Was den Mehltau betrifft, handelt es sich wohl darum, dass einem dieser nicht an sich mißfällt, sondern nur bestimmte Sorten davon. Das ist normal und gar nicht zu beanstanden. Politik halt. Außerdem versteh ich das jetzt nitt so ganz , lieber Noricus: Die genannte Koalition mag explizit scharf abgrenzen, aber ermöglicht, respektive provoziert, doch gerade dadurch "klassische" Opposition wie man das "von früher", namentlich aus den alten Bonner Zeiten, so kennt. Was ist daran jetzt schlecht?
Dass man es lieber andersrum hätte, mach ja sein, aber die Sache ist doch die: Wenn man will, dass es wieder weltanschaulich fetziger oder, etwas freundlicher ausgedrückt, expliziter zugeht (ich halte dieses Begehren durchaus für richtig), dann muss man auch damit rechnen, dass die "anderen" ggf. das Zepter in der Hand haben. Man kann den Kuchen nicht gleichzeitig behalten und aufessen oder: Man kann schlecht einerseits klar abgrenzbare politisch-weltanschauliche Sphären (man möge es z.B. liberalkonservativ versus links nennen) wollen und andererseits eine Garantie betreffend die Verteilung im Hinblick auf Regierung versus Opposition. So hat die CDU mal in den 50ern/frühen 60ern gedacht und fiel dann 1969 aus allen Wolken. Entweder Wischiwaschi-wir-haben-uns-alternativlos-alle-lieb oder: Wesentliches wird auch gegen den massiven Widerstand der JEWEILIGEN Opposition von der MEHRHEIT durchgesetzt. Beispiele von "früher": Nato-Beitritt 50er, Ostverträge Brandt/Scheel. Mit dem Risiko, dass die Mehrheit die anderen sind, wenn Pizza mit allem nicht mehr angesagt ist, muss man halt leben. Knapp reicht übrigens, zum Beispiel eine (seine) Stimme wie bei Adenauer 1949. Wenn man darüber jammert und klagt, es gäbe keine so richtig fetzige Opposition, sollte man bedenken: Opposition heißt: Ich bin in der Minderheit. Gut, man muss deutlich hinzufügen: Momentan, das "Momentan" aber andererseits respektieren.
Zitat Das Jahr 2017 wird zweifellos und in jedem Sinn dieses Wortes spannungsreich werden. Gleichwohl oder gerade deshalb: Allen Lesern ein glückbringendes Jahr 2017!
Wünsch ich Ihnen und allen anderen, die womöglich sogar geduldig meinen Senf lesen, auch .
Ähm…....wenn man sich allerdings darüber unterhielte, WAS eigentlich Glück bringt, gingen die Auffassungen vermutlich schon wieder stark auseinander , namentlich wenn man den Begriff - etwas unpassend, zugegeben - politisch auffasst. da schliesst sich der Kreis zum Thema. Schön isses halt, wenn man sein Glück schmieden kann, ohne dass einem jemand groß in die Schmiede reinfuchtelt .
Und früher gab's auch mal alle möglichen Auffassungen bezüglich des Zeitpunktes des "Jahreswechsels", bis der Papst (sic!) es sich angelegen sein ließ, ausgerechnet diesen, dieser Tage aktuellen bürokratischen Unfug der Römer für ALTERNATIVLOS zu erklären. Es lebe der Mainstream.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #10[...] Das Problem ist halt, dass man keinen Anspruch darauf hat, den Mainstream zu dekretieren. [...] Aber wie dem auch sei: Falls man tatsächlich liberal sein sollte (muss ja nich sein), ist das gar kein großer Aufreger : Man ist IMMER außerhalb von Main. [...]Was den Mehltau betrifft, handelt es sich wohl darum, dass einem dieser nicht an sich mißfällt, sondern nur bestimmte Sorten davon. [...] Es lebe der Mainstream.
Es erscheint mir, dass hier, möglicherweise auch durch Zettels These der liberalkonservativen Gegenbewegung, zwei Dinge durcheinandergehen.
1) Präferenzen der politischen Position
2) Präferenzen des politischen Systems.
Mainstream gab es immer und Tabus gab es immer. Darüber reden wir nicht. Man mag es als eine amüsante Dichtomie empfinden, dass die Tabubrecher von einst nun ihre eigenen Tabus wie Fetische vor sich hertragen, aber darum geht es ebenfalls nicht.
Es geht darum, wie mit den Tabus umgegangen wird und darin würde ich die Bedeutung des Mehltaus sehen. Die heute "herrschende politische Position" hat zum einen keinen relevanten gesellschaftlichen Gegenspieler mehr, so wie damals die "Kulturelite" der "Politelite" gegenüber stand. Und die heute "herrschende politische Position" erscheint mir immer weniger von Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und parlamentarischer Demokratrie zu halten. Die Grundpfeiler unserer Gesellschaft.
Es ist die Rigorosität mit der andere Gedanken als die eigenen moralisch diskredidiert und gar immer mehr verfolgt werden, die die heutigen Mehltauhüter von denen der Adenauerzeit unterscheidet. Es ist die Tatsache, dass man bürgerliche Freiheitsrechte, die zur Adenauerzeit noch tabu waren, ohne mit der Wimper zur zucken, immer mehr von staatlicher Seite angreift. Von der unverletzlichkeit der Wohnung (um die Welt zu retten) bis zur Meinungsfreiheit (um die Moral zu retten). Die Tabubrecher, die aufgebrochen waren den Totalitarismus ihrer Eltern aufzuarbeiten, wandeln näher am Totalitarismus als es jemals eine gesellschaftlich relevante Gruppe in der Bundesrepublik tat - ohne es zu merken, ja sogar zu denken, sie schützen unsere Gesellschaft vor ihm. Das ist in der Tat ein grandioser Treppenwitz der Geschichte. Wenn auch vielleicht sogar ein zwangsläufiger.
Die notwendige Gegenbewegung hierzu wäre meiner Meinung nach nicht notwendiger Weise eine liberalkonservative, sondern eine bürger(rechtlich)lich liberale. Vielleicht daher das Mißverständnis. Da Linke aber, gleich wie liberal sie auch sind, nach meinem Dafürhalten schon seit jeher ein Faible für das Totalitäre haben, mag die Gegenbwegung möglicherweise aber doch eine liberalkonservative sein müssen. Dabei geht es aber dann nicht um Präferenzen der politischen Position, sondern das Einhegen der totalitären Tendenzen, die dieser Tage klar zu beobachten sind.
Sie sprachen, lieber Dennis, von auch Ihrem Wunsch, nach mehr "expliziter Politiik". Da mag der Hund mit dem linken Hang zum Totalitarismus möglicherweise begraben liegen. Das was heute "linke Politik" ist (und vielleicht schon immer war, ist eine, die Positionen gegen jegliche Empirie bezieht, bis hin zum Betreiben einens Industrielandes mit Windmühlen. Konservative Politik dagegen, gleich was man von den Lösungsansätzen auch hält, akzeptiert weigehend Realitäten. Ich habe einmal von einem klugen Menschen einen Satz gelesen, der das gemeint haben könnte: "Die Wahrheit ist immer rechts."
Wenn man Politik gegen die Empirie macht, bleibt wohl irgendwann nur der Gang zum Totalitären. (...und unliebsame Fakten muss man "postfaktisch" "fake" oder "hate" nennen.)
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Es ist die Rigorosität mit der andere Gedanken als die eigenen moralisch diskredidiert und gar immer mehr verfolgt werden, die die heutigen Mehltauhüter von denen der Adenauerzeit unterscheidet.
Exakt. ich kann nicht genau unterscheiden, was Symptom und was Ursache ist, aber der Unterschied besteht schon mal im Wesentlichen darin, dass es damals mit der SPD immer ein starkes und auch legitimes Gegenmodell gab, das zudem gesellschaftlich (wie die anderen Parteien auch) in Milieus verankert war. Letzteres gibt es kaum noch, und vielleicht hat es auch zur Auflösung von ersterem beigetragen. Der staatlich begleitete Kapitalismus zeigt seine ganze Kraft erst heute, nachdem er es geschafft hat, alle anderen Bezüge zu vernichten und durch Konsum- und Abhängigkeitsverhältnisse zu ersetzen. In dieses Vakuum stoßen dann sozusagen die Nebenwirkungen: eine staatlich herangezüchtete Klasse an Menschen, die versuchen, nach ihrem Gusto neue Identitäten herzustellen, frei nach dem Motto: Anything goes. Mussten früher Zugehörigkeiten auch wirklich gelebt werden, reicht heute das verbale virtue signaling in den "sozialen Netzwerken". Wer einen Fortschritt darin erkennt, mag das tun. Ich schaffe das nicht.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Die notwendige Gegenbewegung hierzu wäre meiner Meinung nach nicht notwendiger Weise eine liberalkonservative, sondern eine bürger(rechtlich)lich liberale.
Bürgerrechte gibt es doch immer nur für die eigene Position. Echte Liberale, die auch für die Rechte ihrer Gegner eintreten, könnten ihre Landesparteitage in einem Fiat Panda abhalten, und ich sehe keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte. Nein, die einzige Hoffnung, die man als Nicht-Linker noch hegen kann, kann nur eine ökonomisch motivierte sein. Die Neue Linke, also diejenige, die Mehrwert- durch Identitäts-Diskussionen ersetzt hat, hat das ökonomische Feld kampflos preisgegeben und reagiert, wenn sie von Alten Linken darauf aufmerksam gemacht wird, reichlich verzweifelt und panisch. Es bräuchte eine kohärente Wirtschaftspolitik für die wertschaffende Klasse, also qualifizierte Arbeitnehmer und innovative Unternehmer, und die müsste zudem überzeugend kommuniziert werden.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Ich habe einmal von einem klugen Menschen einen Satz gelesen, der das gemeint haben könnte: "Die Wahrheit ist immer rechts."
Ganz genau. Und so, wie sich betriebswirtschaftlich die Dummheit im Lager trifft, so trifft sie sich volkswirtschaftlich in der Arbeitslosenstatistik und dem Gini-Koeffizienten. Zurück zu den harten Fakten - nichts anderes wäre besser geeignet, die Neigung zum moralinsauren Schwafeln zu beenden. Diese Fakten werden regelmäßig veröffentlicht, und sie werden eher wenig gefälscht. Jedenfalls weniger, als es den politischen Strippenziehern lieb ist. Vielleicht muss es auch erst viel schlimmer werden - wie am Ende der Kirchners in Argentinien. Aber das, nur das, ist der Weg, wie wir diesen Mehltau wieder los werden.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Ich habe einmal von einem klugen Menschen einen Satz gelesen, der das gemeint haben könnte: "Die Wahrheit ist immer rechts."
Der kluge Mensch dürfte Joachim Fest gewesen sein & bei ihm lautet der Satz "Die Wirklichkeit ist immer rechts." Allerdings finde ich auf die Schnelle keine wortgenaue Quelle, so daß hier auch ein Fall von Stiller Post vorliegen könnte. im Englischen ist das Mem mit der Eisernen Lady gekoppelt, als "the facts of life are conservative". Was sie aber auch nicht letterngetreu gesagt hat, sondern
Zitat von Die eiserne Lady, "The Right Approach," 4.10.1976The balance which we seek has its roots not only in a distinctive, if too rarely articulated, Conservative approach, but also in basic common sense. That has always been one of the great strengths of Conservatism. The facts of life invariably do turn out to be Tory.
Zitat von Noricus im Beitrag #1Alte Gewissheiten wurden in Frage gestellt, das noch vor kurzem Unwahrscheinliche wurde Realität.
Richtig - habe ich ja auch schon öfters in der Diskussion gesagt, im Jahresrückblick wird es sehr schön deutlich gemacht. Die Dinge sind in Fluß geraten. Aktuelles Beispiel ist m. E. auch die "Nafri"-Debatte, bei der die Grüne Peter nur noch sehr verhaltene Unterstützung bei einigen ganz Linken bekommen hat, während in der Presse (sogar bis zur SZ!) die Kritik überwog. Das wäre vor einem Jahr noch ziemlich undenkbar gewesen. Das zeigt übrigens auch, daß die Medien in erster Linie nicht irgendeiner festen ideologischen Linie folgen (auch wenn sie im Zweifelsfall links berichten), sondern immer sehr stark den Zeitgeist aufnehmen und verstärken.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #3Es wird ein absoluter Lagerwahlkampf ...
Das glaube ich nicht. Natürlich wird es solche Versuche geben, in erster Linie von Merkel und ihren Medien-Unterstützern. Aber die wahlkämpfenden Parteien sind viel zu sehr auf den eigenen Erfolg erpicht als sich einem Lager unterzuordnen und damit letztlich die CDU zu stärken. Gerade weil es keine klaren Optionen der üblichen Art "Koalition A oder Koalition B" geben wird, wird es wohl einen eher ungewöhnlichen Wahlkampf geben: Die Parteien müssen sich per se profilieren, ohne Rollenzuschreibung. Sich müssen sich von der Konkurrenz absetzen, aber doch Gesprächsmöglichkeiten offen lassen.
Zitat Von den Christsozialen werden wir nichts hören.
Im Gegenteil, hören werden wir sehr viel. Nur tun wird Seehofer natürlich weiterhin nichts.
Zitat von Norius im BlogEinige der öffentlichen Ablehungsbekundungen sind in einem Interview zusammengefasst, das Felix Dachsel für ZEIT-Online mit dem Jahr 2016 [sic!] führte. (Man kann diesen postfaktischen Einfall freilich albern finden. Er ist jedoch gewitzter als vieles andere, was unsere Mainstream-Journalisten gemeinhin für geistreich halten.)
Was den allseits beliebten Begriff "Mainstream" betrifft: Wenn Mainstream was an sich Schlechtes ist, muss auch Adenauer ganz, ganz schlecht gewesen sein, beispielsweise. Das Problem ist halt, dass man keinen Anspruch darauf hat, den Mainstream zu dekretieren. Und ist es jetzt angenehm, nicht dazuzugehören, oder umgekehrt? Wenn Maintream irgendwie schlecht ist, man also lieber nicht dazugehören will, ist man halt in der MINDERHEIT. Das hat demokratisch die unangenehme Folge, dass man regelmäßig überstimmt wird. Das: nutzt dann nix. Man muss damit einverstanden sein. Aber wie dem auch sei: Falls man tatsächlich liberal sein sollte (muss ja nich sein), ist das gar kein großer Aufreger : Man ist IMMER außerhalb von Main.
Nun, lieber Dennis, ich kann Ihnen sagen, dass ich jedenfalls gern südlich des Mains bin, aber außerhalb von Main? Mainstream ist nicht an und für sich etwas Schlechtes. Manches wird Mainstream, weil sich Qualität durchsetzt. Anderes wird Mainstream, weil es zum kleinsten gemeinsamen Nenner taugt.
Sie haben natürlich darin Recht, dass derjenige, der nicht mit dem Mainstream schwimmt, in der Demokratie regelmäßig überstimmt wird. Und wissen Sie was? Dies ist einer der Gründe, warum ich für weniger Demokratie bin. Nicht, dass die Demokratie von der Monarchie oder der Aristokratie abgelöst werden sollte. Ich bin für weniger Fremdbestimmung, welche die Demokratie eben auch ist. Demokratische Fremdbestimmung sollte es nur dort geben, wo sie unbedingt erforderlich ist. Im Übrigen sollte die Selbstbestimmung herrschen.
Vielleicht bin ich auch deshalb mit denen, die Sie mit dem P-Wort zu bezeichnen vermeiden, nicht so recht kompatibel. Einen Ausspruch wie "Das Volk hat immer Recht" (Norbert Hofer) kann ich so gar nicht unterschreiben, denn das Volk hat natürlich kein Recht, mir meine individuellen Freiheitsrechte zu nehmen.
Wer sich nur dem Mainstream anschließt, um nicht in der Minderheit zu sein, wird wohl so einige innere Anfechtungen erleben. Bei Parteien ist Mainstreamhinterhergehechel der sichere Weg zum Label Umfallerpartei (FDP) oder zum Schicksal des Bedeutungsschwundes (SPD). Opposition mag zwar laut Müntefering Mist sein, aber Mitregierenwollen um jeden Preis ist auch suboptimal, weil dies mit hoher Wahrscheinlichkeit den Oppositionsmist nach sich zieht.
Zitat In seinem Beitrag vom 14.09.2010 mit dem Titel "Die dritte Phase in der Geschichte der Bundesrepublik geht in diesen Tagen zu Ende. Eine These" fasste Zettel diesen Befund mit den folgenden Worten zusammen: Aus den einstigen Revolutionären waren engstirnige Wächter über politische Korrektheit, über das Einhalten von Tabus geworden......
Heißt logisch: Als die noch revolutionär waren, waren sie nicht engstirnig und das Beachten von Tabus ist allemal Mist.
Heißt es das, lieber Dennis? Liegt nicht der Witz darin, dass sich die 68er als nicht engstirnig wähnten und die Spießer sowie den Muff zu ihren Erzfeinden auserkoren und sich mittlerweile als die muffigen Erzspießer oder erzspießigen Muffel zu erkennen gegeben haben, die sie jedenfalls zum Teil wohl schon immer waren?
Zitat ....Nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren Nonkonformismus, waren eigenständiges Denken so geächtet wie in dieser Zeit, die mit der Wiedervereinigung begann und die jetzt - so scheint es mir - zu Ende geht.
Okay, es ist also ganz unverständlich, wenn der eine oder andere über die 68er mosert. Es kann ja keiner bestreiten, dass Nonkonformismus der große Renner war - damals. So was und dgl. galt mal als nonkonform und war ein veritabler Aufreger (so weit ich mich erinnere, nicht zuletzt bei "Liberalkonservativen" - also, den damaligen - insoweit wie "liberal" nur als klitzekleines, fakultatives Sahnehäubchen, das gerne von der Speisekarte gestrichen wird, verstanden wurde; so was soll's ja geben.)
Die Konservativen des Jahres 1967 mit jenen des Jahres 2017 zu vergleichen wäre ein großer Irrtum. Über unbedeckte Brüste und Gesäße regt sich heute fast niemand mehr auf.
Die 68er waren wohl tatsächlich in ihrer Gesamtheit nonkonformistisch, dies jedoch bezogen auf den in der Adenauer-Zeit geprägten Zeitgeist. Unter diesen Nonkonformisten waren aber nicht wenige, die den Nonkonformismus nicht an sich als Wert begriffen, sondern nur gegen das konservativ-katholische Klima waren. Der Revolutionär ist ja in der Regel nur so lange Revolutionär, bis seine Revolution erfolgreich war.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #10Und falls jemand mit den viel diskutierten neuen Parteien (das P-Wort, das mit op weitergeht, vermeide ich mal) und den dazugehörigen Leutchen die liberalkonservative Wende kommen sieht, hier was aus den die Neujahrsgrüßen vom Mme Le Pen:
Zitat von (aus Le Point)Sans citer nommément François Fillon ni Emmanuel Macron, elle a dénoncé les « candidats des banques, du système, de la finance, des médias ou encore les candidats de la brutalité sociale, ceux qui veulent casser la santé, qui veulent casser toute forme de solidarité et de justice ».
Das ist so liberalkonservativ, dass das jeder Kommunist sofort unterschreiben kann.
Ja, eh. Es wurde ja oft genug hervorgehoben, dass Trumps Putinfreundlichkeit, seine Ablehnung von TTIP und sein Anti-Interventionismus den Kommunisten, gerade auch denen in Europa, gefallen müsste.
Zitat 2016 ist also das Jahr, in dem der Mehltau geschwunden ist. Geschwunden, aber nicht verschwunden. Es gibt sie natürlich noch, die Réduits der intellektuellen Verkrustung: Die Berliner Senatskoalition bildet einen solchen Rückzugsort.
[...]Außerdem versteh ich das jetzt nitt so ganz , lieber Noricus: Die genannte Koalition mag explizit scharf abgrenzen, aber ermöglicht, respektive provoziert, doch gerade dadurch "klassische" Opposition wie man das "von früher", namentlich aus den alten Bonner Zeiten, so kennt. Was ist daran jetzt schlecht?
An einer Opposition, die sich nicht nur so nennt, ist nichts schlecht, lieber Dennis. Das ändert aber nichts daran, dass die Berliner Senatskoalition ein Hort des Mehltaus in dem im ZR-Beitrag beschriebenen Sinn ist.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #10Man kann schlecht einerseits klar abgrenzbare politisch-weltanschauliche Sphären (man möge es z.B. liberalkonservativ versus links nennen) wollen und andererseits eine Garantie betreffend die Verteilung im Hinblick auf Regierung versus Opposition. So hat die CDU mal in den 50ern/frühen 60ern gedacht und fiel dann 1969 aus allen Wolken. Entweder Wischiwaschi-wir-haben-uns-alternativlos-alle-lieb oder: Wesentliches wird auch gegen den massiven Widerstand der JEWEILIGEN Opposition von der MEHRHEIT durchgesetzt. Beispiele von "früher": Nato-Beitritt 50er, Ostverträge Brandt/Scheel. Mit dem Risiko, dass die Mehrheit die anderen sind, wenn Pizza mit allem nicht mehr angesagt ist, muss man halt leben. Knapp reicht übrigens, zum Beispiel eine (seine) Stimme wie bei Adenauer 1949. Wenn man darüber jammert und klagt, es gäbe keine so richtig fetzige Opposition, sollte man bedenken: Opposition heißt: Ich bin in der Minderheit. Gut, man muss deutlich hinzufügen: Momentan, das "Momentan" aber andererseits respektieren.
Wenn respektieren heißt, alles toll zu finden und von der Kritik auszusparen, solange es demokratisch legitimiert ist, dann kann ich dem nicht zustimmen. Zu einer pluralistischen Gesellschaft gehört auch, Mehrheitsentscheidungen für falsch halten und dies äußern oder dagegen gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen.
Zitat von Noricus im Beitrag #16Sie haben natürlich darin Recht, dass derjenige, der nicht mit dem Mainstream schwimmt, in der Demokratie regelmäßig überstimmt wird. Und wissen Sie was? Dies ist einer der Gründe, warum ich für weniger Demokratie bin. Nicht, dass die Demokratie von der Monarchie oder der Aristokratie abgelöst werden sollte. Ich bin für weniger Fremdbestimmung, welche die Demokratie eben auch ist. Demokratische Fremdbestimmung sollte es nur dort geben, wo sie unbedingt erforderlich ist. Im Übrigen sollte die Selbstbestimmung herrschen.
Vielleicht bin ich auch deshalb mit denen, die Sie mit dem P-Wort zu bezeichnen vermeiden, nicht so recht kompatibel. Einen Ausspruch wie "Das Volk hat immer Recht" (Norbert Hofer) kann ich so gar nicht unterschreiben, denn das Volk hat natürlich kein Recht, mir meine individuellen Freiheitsrechte zu nehmen. [...] Wenn respektieren heißt, alles toll zu finden und von der Kritik auszusparen, solange es demokratisch legitimiert ist, dann kann ich dem nicht zustimmen. Zu einer pluralistischen Gesellschaft gehört auch, Mehrheitsentscheidungen für falsch halten und dies äußern oder dagegen gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen.
Sehe ich ganz ähnlich. Man sollte sich - glaube ich - davor hüten, den Begriff der Demokratie auf die bloße unmittelbare Bedeutung des Worts "Volksherrschaft" einzuengen und zu meinen, daß der Mehrheitsentscheid das wichtigste oder gar einzige definierende Merkmal der Demokratie wäre. Zum Schönen und Nutzstiftenden der Demokratie gehören nämlich auch Dinge wie die folgenden: 1. die Träger der Entscheidungen fürs Gemeine sind stets offene Rechenschaft schuldig, und ein wohldefinierter Mechanismus erlaubt sowohl diese Entscheidungsträger von Zeit zu Zeit personell auszutauschen als auch bei geänderter Einsicht die Entscheidungen zu revidieren, ohne die Verfassung des Gemeinwesens in Frage zu stellen; 2. beim Fällen der Entscheidungen werden die Interessen aller, auch der Minderheiten gehört und berücksichtigt; 3. um 1. und 2. zu ermöglichen, zum Nutzen der Gemeinschaft - Optimierung der Entscheidungsfindung à la John Stuart Mill - und auch um des Prinzips selbst willen hat jeder das Recht und die Möglichkeit, seine Ansichten frei zu äußern. (Wie gelungen und mit welchen Einschränkungen diese Punkte in verschiedenen demokratischen Staaten umgesetzt werden, ist eine separate Frage.)
Historisch folgt die Demokratie normalerweise einer anderen Form der Regierung, oft einer Monarchie; dem Wunsch nach ihrer Rationalisierung und Rechtfertigung entsprechen Entstehungsmythen, bei denen der vorige mythische Souverän (z.B. ein "von Gottes Gnaden" eingesetzter Autokrat) durch einen neuen ersetzt wird - "das Volk als Souverän", "Quelle der Macht" : so heißt es dann, "Wir das Volk" geben uns aus eigener Vollkommenheit und Selbstbestimmung folgende Verfassung etc. Das ist natürlich nur ein Mythos, eine metaphorische Umschreibung des wirklichen Vorgangs, denn das "WE the People" schreibt doch immer eine kleine Gruppe von Experten aufs Papier.
Solche Mythen dienen bei Einrichtung eines demokratischen Staatswesens der Stabilisierung und Beruhigung der Gemüter und sind insofern berechtigt und nützlich. Wer sie aber zu ernst und zu wörtlich nimmt und insbesondere beginnt, den Mehrheitsentscheid unter dem Titel "Willen des Volkes" zum Höchsten, Unwidersprechlichsten, zum Souverän zu verklären, läuft Gefahr, die Punkte 1.-3. aus den Augen und weiterhin ganz zu verlieren. Die Fiktion eines "Willens des Volkes" legt nämlich nahe, daß jeder, der diesen Willen nicht teilt, nicht mehr einer Minderheit zugehöriges, ansonsten gleichberechtiges und geachtetes Mitglied der demokratischen Gesellschaft ist, sondern auf einmal ein nicht so richtig zum Volk gehörender Fremdkörper, Unruhestifter und Saboteur.
Ein solches falsches, zu eingeengtes Demokratieverständnis sehen wir heute an verschiedenen Stellen am Werk, in Deutschland wie auch - mit umgekehrtem Vorzeichen - in Großbritannien; mit der fatalen Folge, daß, gestützt auf eine formale Mehrheit und daher vermeintlich "demokratisch", ausdauernd, irreversibel und ungeniert gegen die Interessen größerer Bevölkerungsteile regiert wird. Das kann auf die Dauer nicht gutgehen und hat mit Demokratie nur den äußeren Anschein gemeinsam.
Zitat von Noricus im Beitrag #16Heißt es das, lieber Dennis? Liegt nicht der Witz darin, dass sich die 68er als nicht engstirnig wähnten und die Spießer sowie den Muff zu ihren Erzfeinden auserkoren und sich mittlerweile als die muffigen Erzspießer oder erzspießigen Muffel zu erkennen gegeben haben, die sie jedenfalls zum Teil wohl schon immer waren? [...] Die 68er waren wohl tatsächlich in ihrer Gesamtheit nonkonformistisch, dies jedoch bezogen auf den in der Adenauer-Zeit geprägten Zeitgeist. Unter diesen Nonkonformisten waren aber nicht wenige, die den Nonkonformismus nicht an sich als Wert begriffen, sondern nur gegen das konservativ-katholische Klima waren. Der Revolutionär ist ja in der Regel nur so lange Revolutionär, bis seine Revolution erfolgreich war.
Hier, lieber Noricus, hast du meines Ermessen genau das hüpfende Komma, um mit Heinz Erhard - einer Ikone der Adenauerzeit - zu sprechen, getroffen.
Die "Grüne Bewegung" oder die "68er" als Tabubrecher zu begreifen ist meines Erachtens ein großer Fehler. Es waren im Gegenteil Tabuhüter. Nur waren ihre Tabus eben welche, die dem damaligen Zeitgeist entgegenstanden. So kam. über kontroverse Ansichten, die gesellschaftliche Debatte in Bewegung.
Ich habe im Laufe meines Lebens einige "Neugrüne" wie auch "alt 68er" in meinem persönlichen Umfeld näher kennen gelernt, habe viel mit ihnen zu tun. Diesen geht es allen nicht um Nonkonformismus, sondern um ihren eigenen "Wunschkonformismus". Frei nach dem Leben des Brian: "Ja. Wir sind alles Individuen." Ich wurde niemals zuvor in meinem Leben mit solch engstirnigen Weltsichten konfrontiert wie in diesen Fällen. Der Umgang in diesem Umfeld war für mich wirklich eine neue und sehr fremde Erfahrung, was die "Toleranz" betrifft. Und das sage ich als jemand, der (im Hinblick auf Toleranz) durchaus noch durch die Ausläufer der Adenauerzeit geprägt wurde. Die Annahme, dass die grüne Bewegung den Nonkonformismus nicht im liberalen Sinne als Wert an sich begriff, sondern dass er nur Symptom war, welches aus ihrer dem damaligen Zeitgeist diametralen Positionen entsprang, erscheint mir evident.
- Übrigens, als kleine Anmerkung am Rande: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass mich diese Berührung mit der "68er" Bewegung so politisiert hat, wie ich es heute bin. Vorher war mir Politik eher unwichtig. Diese Wahrnehmung von Dominanz, welche andere Meinungen ersticken will, hat mich aus einer Grundopposition heraus politisiert. -
Doch zurück zu deinem Befund: Die Grünen haben hier meines Ermessen auch einen wesentlichen Berührungspunkt mit der AfD heute. Auch die AfD ist kein Tabubrecher, obwohl sie sich selbst sicher als solchen versteht und auch wenn die Symptome, hervorgerufen durch die Kollision ihrer Positionem mit dem Zeitgeist - genau wie bei den 68ern damals - wie Tabubruch und Nonkonformismus anmuten. Genau wie die Grünen damals erkennt die AfD heute nicht den Nonkonformismus als Wert, sondern opponiert nur gegen eine gesellschaftlich übermächtige, zeitgeistige Position. Mit ihren eigenen Tabus.
Der Unterschied zwischen heute und damals ist nun meines Ermessens genau der Mehltau im zettelschen Sinne. Sein womöglich stärkstes Symptom ist dabei die Tatsache, dass heute Positionen gegen den Zeitgeist in einer Art und Weise moralisch diskreditiert werden, dass sie von einer gesellschaftlichen Diskussion von vorneherein ausgeschlossen sind. Das war in der alten Bundesrepublik so nicht der Fall.
Der geschätzte Werwohlf hat ja "weiter oben im Thread" die These vertreten, dass wahrhaft liberale Parteitage allerortens in einem Fiat Panda abgehalten werden können. So sehr es einem mißfallen mag, hat er da wohl Recht. Er schloß daraus, dass die einzige Hoffnung auf vernüftige, rationale Politik daher ökonomisches, an der Empirie orientiertes Handeln ist. Ich stimme ihm hier zu und möchte noch hinzufügen dass, um dies möglich zu machen, das moralische Diskreditieren anderer Meinungen aufhören muß. Das ist notwendig für eine freie Auseinandersetzung.
Und genau aus diesen Überlegungen speist sich auch meine Sicht auf die AfD. Ein ja immer hitzige Thema. Auch hier.
Natürlich ist diese keine liberale Partei. Natürlich sind das im Kern Konformisten nur mit eigenen Tabus, aber eben (zumindest in Teilen) wider den Zeitgeist. Natürlich tummeln sich da auch Leute, die ich persönlich für grotesk bis bedenklich halte. Aber darum geht es nicht.
Es geht vielmehr darum: Wenn man der "Werwohlfschen These" zustimmt, dass es eine "bürgerrechtlich liberale, nonkonformistische Revolution" in diesem Land nicht geben wird, muß man mit dem leben, was man hat. Die AfD sorgt(e) dafür, dass Positionen wieder in die politische Diskussion Eingang finden, die noch vor einem Jahr völlig diskredtiert und damit ausgeschlossen waren. Und oh Wunder, das was ich schon immer sagte ist eingetreten: Diese Positionen werden nicht mehr nur von der AfD, sondern auch von den anderen Parteien vertreten. Das war ganz sicher nicht das Ziel der AfD, aber sie hat es maßgeblich mit bewirkt. Ohne eine Partei wie die AfD wäre der immer enger zusammenrückende Konsens der Altparteinen niemals aufgebrochen worden. Das Entstehen der AfD und ihr Wirken ist in meinen Augen der "lebende Beweis" für das funktionieren unser parlamentarischen Demokratie. Ob die AfD sich jetzt weiter zu einer bürgerlich, reaktionär/konservativen Partei entwickelt oder ob die CDU den Schuß hört und diesen politischen Flügel wieder bedient, ist dagegen zweitrangig.
Wenn jetzt noch der "lebende Beweis" ebracht wird, dass auch unser Rechtstaat funktioniert (wovon ich immer noch ausgehe), in dem er die irrlichternden, totalitären Anwandlungen der Bundesregierung in Bezug auf Meinungsfreiheit in ihre Schranken weist, darf man trotz aller eingekauften strukturellen Probleme der letzten Jahre durchaus nicht ganz unoptimistisch in die Zukunft schauen.
Herzlich
n_s_n
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #18Die "Grüne Bewegung" oder die "68er" als Tabubrecher zu begreifen ist meines Erachtens ein großer Fehler.
Richtig. Wobei das zwei durchaus verschiedene Gruppen sind. Die "68er" waren bunt gemischt, von liberal und sozialdemokratisch bis zum irren linken Rand. Da waren durchaus einige "Tabubrecher" dabei. Allerdings: Es ist sehr zweifelhaft, ob die Veränderungen von den 50er Jahren und ihren Wertvorstellungen und den 70ern wirklich von den protestierenden 68ern verursacht wurden. In manchen Punkten würde ich eher sagen, daß sie die schon im Gang befindlichen Entwicklungen durch öffentlichkeitswirksame Übertreibungen diskreditiert und behindert haben. Z. B. hat die veränderte Einstellung gegenüber Sexualität in erster Linie mit Kolle und Co. zu tun und nicht mit den Peinlichkeiten der Kommune 1. Und daß z. B. gemischte WGs von den Vermietern akzeptiert wurden kam erst als denen klar wurde, daß die normale Studenten-WG sich zwar nicht an Klosterregeln orientierte, aber eben auch nicht an den Kommunarden.
Die Grünen dagegen waren im wesentlichen ein kleiner Teil der 68er-Nachläufer. Als Fischer und Genossen die Bühne betraten, war 68 ja schon längst vorbei und die Proteste der Steinewerfer richteten sich nicht gegen irgendeinen Adenauer-Muff, sondern gegen die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition unter Brandt/Scheel. Die Grünen waren nie Tabubrecher, sondern eine Koalition von Dogmatikern verschiedenster Herkunft, von den Blut-und-Boden-Naturschützern bis zu den K-Gruppen.
Zitat Ich wurde niemals zuvor in meinem Leben mit solch engstirnigen Weltsichten konfrontiert wie in diesen Fällen.
Richtig. Und da berühren sich die Extreme wieder. Es ist schon erstaunlich, wie viele Ex-68er oder Ex-Grüne sich inzwischen rechtsaußen oder bei der AfD wiederfinden. Die Inhalte haben gewechselt, aber die Borniertheit ist geblieben.
Zitat Die AfD sorgt(e) dafür, dass Positionen wieder in die politische Diskussion Eingang finden, die noch vor einem Jahr völlig diskredtiert und damit ausgeschlossen waren.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Sondern die AfD funktioniert ähnlich wie damals die 68er: Sie profitiert von Entwicklungen, die schon längst in Gange waren. Zehn Jahre früher wäre die AfD genauso sang- und klanglos untergegangen wie alle Vorläuferversuche à la BfB oder Schill. Aber inzwischen ist die Zeit reif geworden für neue Ideen und die Skepsis gegenüber dem grünen Mehltau war schon weit verbreitet. Nur deswegen konnte die AfD sich überhaupt etablieren. Sie hat die Entwicklung nicht ermöglicht, sondern gefährdet sie sogar. Weil sie - genau wie die Alt-68er - mit ihren Übertreibungen kritische Positionen diskreditiert. Ohne AfD wäre die Öffnung der gesellschaftlichen Diskussion m. E. schon deutlich weiter, weil man nicht konstruktive Kritik an Merkel oder grünen Positionen mit der Keule "das sind ja AfD-Argumente" abwürgen könnte.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Es ist die Rigorosität mit der andere Gedanken als die eigenen moralisch diskredidiert und gar immer mehr verfolgt werden, die die heutigen Mehltauhüter von denen der Adenauerzeit unterscheidet. Es ist die Tatsache, dass man bürgerliche Freiheitsrechte, die zur Adenauerzeit noch tabu waren, ohne mit der Wimper zur zucken, immer mehr von staatlicher Seite angreift.
Nu ja.....wenn ich da so an die Spiegel-Affäre denke....ein Vorgang, der übrigens auch Zettel zur Teilnahme an Demonstrationen veranlasst hat.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Da Linke aber, gleich wie liberal sie auch sind, nach meinem Dafürhalten schon seit jeher ein Faible für das Totalitäre haben,.......
Ist das der Grund dafür, dass die SPD am 23. März 1933 GEGEN das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat - im auffälligem Gegensatz zur Zentrumspartei, auf deren Tradition sich die CDU beruft, sowie der damaligen "liberalen" Fraktionen DDP-Nachfolger und DVP? Ganz so manichäisch isses m.E. nu auch nich. Das Totalitäre lauert überall. Wär doch angebracht, wenn alle so denken wie ich ; warum machen die Blöden da draußen das eigentlich nicht ? Okay, ich schreib ja schon 1000 x FREIHEITLICHE DEMOKRATIE ins Strafarbeitsheft .
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Konservative Politik dagegen, gleich was man von den Lösungsansätzen auch hält, akzeptiert weigehend Realitäten.
Das Thema hatten wir unlängst in anderen Threads: Es gibt z.B. hochkarätige Physikprofessoren, die die Maßnahmen, die gemeinhin unter "Energiewende" abgebucht werden, befürworten, andererseits natürlich auch Gegenstimmen. Die Sphäre des Sollens ist eine andere Liga als die empirische Erkenntnis.
akzeptiert weitgehend Realitäten. Warum nur weitgehend? Empiriker machen das vollständig - insoweit sie empirisch unterwegs sind, was nicht mehr der Fall ist, wenn man sich darüber unterhält, was man am Konservativismus oder anderen Dingern, die politisch so auf dem Markt sind, als gut oder nitt so gut erachtet.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Ich habe einmal von einem klugen Menschen einen Satz gelesen, der das gemeint haben könnte: "Die Wahrheit ist immer rechts."
Mit Verlaub, lieber n_s_n, und das geht ja nicht gegen Sie: Dieser Satz ist m.E. gar nicht klug sondern eher das Gegenteil dessen, im Grunde ein klassischer Kategoriefehler. Natürlich ein absichtlicher, insofern kann man das als politische Façon de parler durchgehen lassen - geschenkt. Der Hintergedanke ist natürlich: Alle, die der Wahrheit widersprechen, müssen ja irgendwie doof sein - bin also auf der richtigen Seite, insofern rechts; auch geschenkt - weil ziemlich durchsichtig.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Wenn man Politik gegen die Empirie macht, bleibt wohl irgendwann nur der Gang zum Totalitären. (...und unliebsame Fakten muss man "postfaktisch" "fake" oder "hate" nennen.)
Stimme Ihnen ansonsten wie immer in diversen Punkten zu, lieber n_s_n, an der Stelle allerdings nitt so ganz.
Das mit der "Wahrheit", den "Fakten" (insofern verstanden als das, was mit empirischen Mitteln befundet wird und keine menschliche Intervention zulässt) hatten wir, wie gesagt, hier ja erst unlängst in anderen Threads. Politik, die tatsächlich stattfindet und den Fakten (verstanden wie oben) zuwiderläuft, KANN es übrigens nicht geben. Alles, was politisch tatsächlich gemacht wird, geht auch, ist also faktenkonform, sonst würde es nicht stattfinden. Bei der Frage, ob das stattfinden SOLL sind wir halt nitt mehr im Faktischen sondern bei den Sachen, die innerhalb des empirischen Rahmens freiheitlich möglich sind - und das ist 'ne ganze Menge. Massenmord geht zum Beispiel auch. Die Empirie hilft einem bei der Frage, ob das 'ne gute Idee ist, nicht weiter. Die meisten verneinen das vermutlich, was aber empirisch nicht begründbar ist.
Neben Herrn Fest (falls die Autorenschaft zutrifft) haben übrigens schon ganz andere Leute die Wahrheit beansprcht:
Zitat Die Lehre von Karl Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist. Sie ist in sich geschlossen und harmonisch, sie gibt den Menschen eine einheitliche Weltanschauung...
Dieser Auffassung war dereinst Genosse Lenin. In Wahrheit isses aber so, dass "Wahrheit" hier ein Synonym für "gefällt mir" ist; und das wiederum ist nicht nur bei Genosse Lenin so. Das "in sich geschlossen etc" mag zutreffen - nutzt aber nix, weil nur in der Studierstube maßgeblich - ein Problem, das leicht auch in konservativen und liberalen Studierstuben auftreten kann. und eine "einheitliche Weltanschauung" mag auch ganz nett sein (in anderen Fraktionen heißt das dann "Leitkultur"), gibt es aber da draußen nicht - trotz aller "Fakten".
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #11Und die heute "herrschende politische Position" erscheint mir immer weniger von Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und parlamentarischer Demokratrie zu halten
Richtig. Ein gefährdetes Pflänzchen, das leicht zertreten werden kann, ist das Genannte in der Tat. Man kann ja leicht so argumentieren: Wozu braucht man eigentlich Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit, wenn durch "Realitäten" und "Fakten" alles geklärt wird? Herr Fest (oder auch Herr N.N.) zum Beispiel hat doch die Wahrheit. Was gibt's da zu teilen? Wenn das geschieht, hat man nur noch Halbwahrheiten. Wer will das denn? Die parlamentarische Demokratie ist durch Mehrheitsbeschlüsse gekennzeichnet. Wozu das denn, im Reich der Fakten und Realitäten? Entweder richtig oder falsch. Wozu darüber abstimmen, sich also womöglich für "falsch" entscheiden?
Zitat von R.A. im Beitrag #19Ohne AfD wäre die Öffnung der gesellschaftlichen Diskussion m. E. schon deutlich weiter, weil man nicht konstruktive Kritik an Merkel oder grünen Positionen mit der Keule "das sind ja AfD-Argumente" abwürgen könnte.
Ich will dir nicht widersprechen, aber nachvollziehen kann ich dieses Argument dennoch nicht. Woran machst du fest, dass die Kritk bereits den Adressaten erreichte? Wo ist genau konstruktive Kritik an der Merkel Regierung in der öffentlichen Debatte durchgedrungen? Wo waren Fürsprecher der Kritik? Den Kulturbetrieb als Gegenpol zum öfentlichen Mainstream gibt es im Gegensatz zur Adenauerzeit ja heute nicht.
Ich habe selbst vielmehr den Eindruck, dass von Sarrazin bis hin zur Energiewende, alle konstruktive Kritik sehr erfolgreich delegitimiert wurde und die Bevölkerung dachte sich nichts dabei. Wen selbst Journalisten wie Maxeiner in Broschüren des Umweltbundesamtes amtlich diskredidiert werden, was sogar durch ein Verwaltungsgericht bestätigt wurde, sehe ich die Diskussion nicht auf dem Weg des Einbindens konstruktiver Kritik.
Geändert hat sich die Situation, dass sich die Bevölkerung beschwichtigen lies, im Spätsommer 2015. Nur: War es möglich innerhalb der etablierten Parteien konstruktive Kritik zu üben? Mitnichten. Damit die Kritik Eingang in die öffentliche Debatte fand, brauchte es eine sich bereits auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit befindeliche AfD. Möglicherweise haben die Grünen einen evolutionären Transformationsprozeß der Gesellschaft damals wirklich behindert. Aber heute sehe ich einen solchen evolutionären Transformationsprozeß eben gerade nicht, weil er durch den Mehltau der immer "militanter" durchgedrückten Tabus erstickt wird. Das ist ein wesentlicher, der wesentliche Unterschied zu damals.
Nochmal ein altes Beispiel, von dem wir beide es schon einige Male hatten: Die FDP und die Energiewende. Du warfst richtigerweise immer wieder ein, dass die Zeit eben auch noch nicht reif war, sich gegen die Energiewende zu stellen und daher die FDP auf der Welle "mitschwamm". Das ist in Teilen ein berechtigtest Argument, aber dass die FDP planwirtschaftliche Prinzipien mit einführte und im Falle der Atommeiler-Abschaltung sogar Rechtsbrüche mittrug, ist bei einer liberalen Partei ein bedenkliches Signal. Wo soll die Kritik der Vernuft herkommen in solchen Zeiten, wenn nicht von Liberalen? Und was sagt es über den Zustand der Gesellschaft aus, wenn selbst die einzige liberale Partei sich der Vernuft verschliesst, bzw Planwirtschaft befürwortet? Wenn die FDP sich nicht gegen die Energiewende hätte stellen müssen, so doch gegen Planwirtschaft und Rechtsbruch.
Woran genau machst du fest, dass die Entwicklung des Mehltaus sich im Wandel befand und wie hätte deines Ermessens der gesellschaftliche Wandel ausgesehen, der berechtigter Kritik an aktueller Politik und muffigem Zeitgeist zum Durchbruch hätte verhelfen können? Das ist mir unklar.
Bei allem Unbehagen, welches auch mir die AfD bereitet, habe ich doch auch manchesmal den Eindruck, dass man die wichtige Rolle die sie zur Zeit für die politische Willensbildung spielt (auch indirekt über aufbrechen innerparteilicher Verkrustungen aus reiner "Machtnotwendigkeit"), aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zugeben möchte. Da ich ein Mensch bin, welcher mit "Grundsätzlichem" in jeglicher Hinsicht Probleme hat, tue ich mich da möglicherweise weniger schwer. Frei nach dem Motto Hägars des Schrecklichen: "Das Geheimnis eines glücklichen Lebens ist: Maß halten, Maß halten, Maß halten. Man darf das Ganze aber auch nicht übertreiben."
Herzlich
n_s_n
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 wenn ich da so an die Spiegel-Affäre denke
Gab es zur Zeit der Spiegel Affären zum Beispiel Broschüren einer Behörde, welche Journalisten mit mißliebigen Ansichten diskreditierte? Ich mache Rigorosität nicht an der Heftigkeit der Auseinandersetzung fest, sondern an den gewählten Mitteln.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 Ist das der Grund dafür, dass die SPD am 23. März 1933 GEGEN das Ermächtigungsgesetz gestimmt hat - im auffälligem Gegensatz zur Zentrumspartei
Da haben Sie natürlich Recht. Ich dachte bei der Verwendung des Begriffes „links“ in diesem Zusammenhang eher an die Richtung, welcher er nach 45 nahm und seine Flirts (vor allem in Deutschland) mit so manchem totalitären Führer. Damit habe ich dem Verständnis von links, welches man klassischer Weise der SPD zuschreiben kann, für welches sie aber leider heutzutage nicht mehr steht, Unrecht getan.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 Es gibt z.B. hochkarätige Physikprofessoren, die die Maßnahmen, die gemeinhin unter "Energiewende" abgebucht werden
Absolut. Empirie schützt nicht vor falschen Schlüssen, weder mich noch andere. Das habe ich auch nie behauptet. Das aussortieren von bestimmten Schlüssen aufgrund eines Dogmas macht es aber auf kurz oder lang unmöglich der Empirie Rechnung zu tragen.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 akzeptiert weitgehend Realitäten. Warum nur weitgehend?
Das nun schrieb ich tatsächlich aus einer grundlegenden Überlegung heraus , weil ich das Absolute für unmöglich halte. Subjektivität ist uns Menschen per definitionem eingebaut.
Es ging mir viel mehr darum, dass konservative Politik (auch dass beziehe ich eher auf die Nachkriegszeit) weitgehend empirische Befunde akzeptiert und versucht damit umzugehen, während linke Nachkriegspolitik vielmehr Ziel-Wunschdenken in den Vordergrund stellt. In diesem Sinne hat die SPD natürlich lange Zeit weniger Linke als vielmehr konservative Politik gemacht. Wahrscheinlich taugen die Begriffe links und rechts einfach immer weniger zur Beschreibung der Politikentwicklung der Nachkriegszeit und führen nur ständig zur Verwirrung. Vielleicht sollte man einfach Zuschreibungen unterlassen und lediglich feststellen, dass es Politik gibt, welche sich an Realitäten versucht zu orientieren und welche, die sich mehr an Wunschzielen abarbeitet. Letztere nannte ich links, weil die Grünen sich selbst als moderne Linke verstehen und das ihr Politikbild ist.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 Dieser Satz ist m.E. gar nicht klug sondern eher das Gegenteil dessen, im Grunde ein klassischer Kategoriefehler.
Ich hoffe Sie können mir einen solchen Verzeihen. Für mich ist der zitierte Satz Ausdruck der beiden Politikstilantipoden, die ich sehe. Einen Stil, der sich an Wunschvorstellungen orientiert und einen der sich an Gegebenheiten orientiert. Dabei unterlag ich der Assoziation Grün / Links -> nicht Links / Rechts. Ich hatte als Urheber übrigens Thatcher im Sinn, in der übertragenen Variante. Nichtsdestotrotz haben Sie mit Ihrem Einwand natürlich prinzipiell Recht.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 Politik, die tatsächlich stattfindet und den Fakten (verstanden wie oben) zuwiderläuft, KANN es übrigens nicht geben.
Das ist meines Ermessens eine Definitionsfrage und hat auch etwas mit betrachteten Zeiträumen zu tun. Natürlich kann man beschliessen, dass man ein Industrieland mit Windmühlen betreibt, es dabei keine Wohlstandverluste gibt und das Ganze auch politisch in die Tat umsetzen. Natürlich kann man beschliessen, dass Massenmigration unser Land vielfältiger macht und viele Probleme löst und das Ganze auch politisch in die Tat umsetzen. Natürlich kann man beschliessen, dass sich die Erdtemperatur nur um 2 Grad erwärmt und das Ganze auch politisch in die Tat umsetzen.
Wenn man allerdings beim Auseinanderhalten von Empirie und Wunschvorstellung nicht sauber war, fällt einem das irgendwann auf die Füße. Nichts anderes wollte ich sagen. Zum Erreichen des Zielbildes kann man sich die Maßnahmen eben nicht wünschen, sondern muss diejenigen ergreifen, welche die Empirie berücksichtigen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut. Wenn man allerdings beim Versuch die Empirie zu berücksichtigen, alle Methoden aussortiert, welche einem dogmatisch nicht in den Kram passen, hat man früher oder später ein Problem.
In der Migrationspolitik kann man dieser Tage im Zeitraffer beobachten, was in anderen Politikfeldern über Jahrzehnte verwässert und vor allem auch nur durch Geld zugekleistert werden kann.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20 Bei der Frage, ob das stattfinden SOLL sind wir halt nitt mehr im Faktischen sondern bei den Sachen, die innerhalb des empirischen Rahmens freiheitlich möglich sind - und das ist 'ne ganze Menge. Massenmord geht zum Beispiel auch. Die Empirie hilft einem bei der Frage, ob das 'ne gute Idee ist, nicht weiter. Die meisten verneinen das vermutlich, was aber empirisch nicht begründbar ist.
Ich würde zwischen der Gesellschaftsordnung und der Politik, die man innerhalb ebendieser betreibt, unterscheiden wollen. Gesellschaftliche und kulturelle Eigenheiten sind mitunter ganz sicherlich willkürlich und nicht stringent empirisch begründbar. - Bei Massenmord würde mir allerdings zumindest einfallen, dass das „Evolutionsprogramm“ dies für einen schlechten Einfall hält. Die Frage ist, wenn man sich als soziale Gemeinschaft „irgendwie organsiert“ hat, lässt man dann für Problemstellungen undogmatisch jeden Lösungsansatz im Rahmen dieser Gesellschaftsordnung zu oder verbietet man einige Lösungen, aus dogmatischen Erwägungen?
Es geht im Kern wohl um das Anlegen eines Einheitlichen Maßes an alle Lösungsansätze. Das ist zugegebener Maßen unendlich schwer, wird aber in machen Entscheidungen heutzutage so weit gerissen, dass ein bissel mehr Angleichen der Maßstäbe schon sehr viel helfen würde.
Herzlich
n_s_n
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #20Es gibt z.B. hochkarätige Physikprofessoren, die die Maßnahmen, die gemeinhin unter "Energiewende" abgebucht werden, befürworten,
Zunächst wäre ich interessiert an einem Beispiel für solche Physikprofessoren, gerne auch zunächst ohne Nachweis der Hochkarätigkeit
Ganz grundsätzlich kann man aber festhalten, dass viele Physiker und auch Physikprofessoren wenig Ahnung von Energietechnik haben, von daher wäre die Existenz solcher Professoren nicht besonders verwunderlich. Nur weil man intime Kenntnisse über Elektronen hat, ist man noch lange nicht Experte für Netzbetrieb und Stromerzeugung.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #21Woran machst du fest, dass die Kritk bereits den Adressaten erreichte? Wo ist genau konstruktive Kritik an der Merkel Regierung in der öffentlichen Debatte durchgedrungen?
Mit den "Adressaten" können hier natürlich nicht Augstein oder CDU-Funktionäre gemeint sein, sondern die aufgeschlosseneren Teile der Öffentlichkeit. Und da halte ich es für ziemlich deutlich, daß in den Medien und in den Diskussionen viel mehr gesagt werden kann und gesagt wird als noch vor fünf Jahren. Incl. einer gehörigen Portion Kritik an der Regierungspolitik.
Zitat Den Kulturbetrieb als Gegenpol zum öfentlichen Mainstream gibt es im Gegensatz zur Adenauerzeit ja heute nicht.
Natürlich nicht. Der Kulturbetrieb ist eigentlich immer weit überwiegend links. D.h. der ist nur Gegenpol, solange der Mainstream rechts ist. Allerdings halte ich den Kulturbetrieb heute nicht mehr für sehr relevant in der öffentlichen Diskussion. Dafür sind die meisten Akteure dort zu abgedreht.
Zitat Ich habe selbst vielmehr den Eindruck, dass von Sarrazin bis hin zur Energiewende, alle konstruktive Kritik sehr erfolgreich delegitimiert wurde und die Bevölkerung dachte sich nichts dabei.
Das ist völlig richtig. Aber Sarrazin und die Energiewende sind inzwischen schon eine Weile her! Und gehören m. E. zu den Startpunkten der Entwicklung. Damals haben die Mainstream-Abwehrreflexe noch voll funktioniert, aber viele Leute haben sich damals schon Gedanken gemacht, ob das alles wirklich so richtig sein konnte. Und seitdem gibt es eben zunehmend auch kritische Stimmen. Ich habe in den Diskussionen hier im Forum in den letzten Jahren häufig darauf hingewiesen, daß sich eine Veränderung abzeichnet. Und spätestens ab Köln Silvester 2015 hat sich die auch Bahn gebrochen.
Zitat Wen selbst Journalisten wie Maxeiner in Broschüren des Umweltbundesamtes amtlich diskredidiert werden, was sogar durch ein Verwaltungsgericht bestätigt wurde, sehe ich die Diskussion nicht auf dem Weg des Einbindens konstruktiver Kritik.
Das Umweltbundesamt als Hort der grünen Reaktion wird auch ziemlich der letzte Ort sein, wo neues Denken Einzug hält. Die sind einfach kein Maßstab. Wesentlicher ist wohl, daß solche Behauptungen in Broschüren des Umweltbundesamts keine echte Wirkung mehr zeigen.
Zitat Damit die Kritik Eingang in die öffentliche Debatte fand, brauchte es eine sich bereits auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit befindeliche AfD.
Die AfD war Nutznießer der Entwicklung aber nicht Verursacher oder Förderer. Es ist doch nicht so, daß man jetzt irgendetwas früher Verpöntes nun öffentlich sagen dürfte, WEIL es vorher schon die AfD gesagt hätte. Sondern man darf öffentlich sagen, OBWOHL es die AfD auch sagt. Zuverlässig beurteilen werden wir das erst mit einigen Jahren Abstand können. Aber die Parallelen zum letzten Paradigmenumbruch und der Rolle der 68er ist sehr stark.
Zitat Aber heute sehe ich einen solchen evolutionären Transformationsprozeß eben gerade nicht, weil er durch den Mehltau der immer "militanter" durchgedrückten Tabus erstickt wird. Das ist ein wesentlicher, der wesentliche Unterschied zu damals.
Militant durchgedrückte Tabus gab es damals auch reichlich. Und zwar viel militanter. Wer da den Tabus bei vorehelichem Sex oder Homosexualität etc. nicht nachkam, der mußte nicht nur wie heute mit öffentlicher Beschimpfung rechnen, sondern mit Knast.
Zitat Wo soll die Kritik der Vernuft herkommen in solchen Zeiten, wenn nicht von Liberalen?
Richtig. Es waren damals auch im wesentlichen nur Liberale, die überhaupt noch einen Widerspruch gegen die kollektive Besoffenheit gebracht haben. Leider nicht genug, um in der FDP die Mehrheit zu bilden. Aber aus den übrigen Parteien kam meiner Erinnerung nach nichts außer Zustimmung. Und das schließt wohl auch alle damals schon politisch/publizistisch tätigen Vorkämpfer der AfD ein.
Zitat die wichtige Rolle die sie zur Zeit für die politische Willensbildung spielt
Sorry, aber ich kann diese Rolle nicht ansatzweise erkennen. Die pauschale Regierungsschelte mal beiseite gelassen gibt es keinen konkreten Punkt, den die AfD in die Debatte eingebracht hätte und der inzwischen mehrheitsfähig wäre. Ihre Debattenbeiträge sind fast immer von unterirdischer Qualität und ihre Wahlerfolge führen faktisch dazu, daß sich das Merkel'sche Machtkartell noch verfestigt. Insbesondere gibt es keine Regierungsoption ohne linke Parteien mehr (wenn man mal klassisch nur SPD, Grüne und Kommunisten als linke Parteien sieht).
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #22Gab es zur Zeit der Spiegel Affären zum Beispiel Broschüren einer Behörde, welche Journalisten mit mißliebigen Ansichten diskreditierte? Ich mache Rigorosität nicht an der Heftigkeit der Auseinandersetzung fest, sondern an den gewählten Mitteln.
Ähm - wie? Bei der Spiegel-Affäre ging es darum, daß die Behörden Journalisten wegen ihrer mißliebigen Ansichten einsperrten. Dagegen sind ein paar mäßig aufregende Sätze in einer weitgehend unbeachteten Broschüre doch völlig vernachlässigenswert.
Zitat Es ging mir viel mehr darum, dass konservative Politik (auch dass beziehe ich eher auf die Nachkriegszeit) weitgehend empirische Befunde akzeptiert und versucht damit umzugehen, während linke Nachkriegspolitik vielmehr Ziel-Wunschdenken in den Vordergrund stellt.
Diese Eingrenzung auf die deutsche Nachkriegszeit ist das Problem: Damals haben die Konservativen regiert und die Linken waren Opposition. Und es ist normal, daß die Regierung die Realität stärker beachten muß. Wenn man etwas weiter sieht sehe ich nicht, daß die Konservativen per se realitätsnäher wären. Das galt bestimmt nicht für die Konservativen der Kaiserzeit, die wesentliche Teile der Moderne geistig ausblendeten und das galt nicht für die Konservativen in den 1970er Jahren, die die neuen außenpolitischen Verhältnisse in Europa ignorieren wollten.
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