___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Ich würde in diesem Fall (ich gehe das mal vom volkskundlichen Blickwinkel her an, nicht vom intrinsisch theologischen) - noch einen weiteren Strang mit in dieser Tradition als Einfluß ausmachen; zumindest für Nordeuropa. Der Zeitpunkt vom Heiligen Abend bis zum Dreikönigstag markiert im alten Brauchtum (durchaus länderübergriefend) die Rauhnächte oder Zwölfnächte. Traditionell der kürzesten Tagesdauer zugeorndet, und dem Jahreswechsel. Gedacht wird das als Zeit, in der die Grenzen zwischen als "jenseitig" bzw "transzendent" empfundenen Bereichen und der Welt der Sterblichen durchlässiger werden (eine andere Facette ist der Glaube, daß Träume in der Neujahrsnacht prophetischen Charakter haben; das letzte Echo ist das dreimalig (3x, weil magische Formeln das oft verwenden) gesprochene "Bloody Mary": man kann übrigens daran sehen, wie solche Bräuche eine Tendenz haben, von einer tatsächlichen empfundenen Schreckvision zu reinem Halloween-Brimborium abzusinken, den niemand für eine Sekunde glaubt). In dem Brauch, von Haus zu Haus zu ziehen und bei Wohlgefallen per C+M+B zu markieren, könnte ein Echo der AT-Episode des Engels sein, der die Häuser der Juden vor den Ägyptischen Plagen schützt (seinerseits nimmt dieser Mythos das Fanal des "Kainszeichens" auf: es ist müßig, nach Gestalt und Beschaffenheit zu fragen; es handelt sich apotropäische magische Symbole, die ohne Intervention menschlichen Zwischenträger zur Wirkung gelangen, gewissermaßen unverdünnt). Bei den umziehenden 3 Königen könnte es sich um ein letztes, abgesunkenes Echo an das Totenheer handeln, das auf die Wilde Jagd zieht. C. G. Jung hat das ja in seinen "Septem sermones ad murtuos" aufgegriffen ("Die Toten kamen zurück von Jerusalem, wo sie nicht fanden, was sie suchten. Sie begehrten bei mir Einlass...") - wobei niemand weiß, inwieweit Jung hier über den gnostischen Diktus seines Texts ein literarisches Spiel spielt oder ob er die Bilder seiner Tagträume als wirkliche Vision begreift.
Beide Stränge widersprechen einander nicht. Volksbrauchtum, gerade religiös motiviertes (und wenn es um die letzen Dinge geht), neigt ja prinzipiell zum Synkretismus. Etwa im Kriechen durch enge Felsdurchgänge oder das Rutschen auf Steinen, die der Jungfrau Maria gewidmet sind: hier wird eindeutig heidnischer Fruchtbarkeitszauber umgewidmet. (Im brasilianischen Umbanda-Glauben etwa hat ja die Jemanja, die Göttin des Meeres, Gestalt und Erscheinung der christlichen Muttergottes, Ave Stella Maris, übernommen.)
"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire
Danke für die schönen volkskundlichen Ergänzungen! Ich habe wegen der Länge auch unterdrückt, was unmittelbar zu dem christlichen Fest im Vorderen Orient übernommen wurde: Die Nacht zum 6. Januar wurde im Riesentempel der Geburt des neuen Äons durch die Jungfrau Kore in Alexandria mit Musik durchwacht und morgens zog man mit einem nackten Götterbild aus der Unterkapelle und kreiste siebenmal um den Tempelbezirk; die Nilwasser sollten in dieser Nacht Wunderkräfte haben, die Tempelquellen auf Andros und Teos sprudelten Wein; in Elis stellte man drei leere Krüge auf, morgens waren sie mit Wein gefüllt...
Theologisch begabte Bischöfe haben mit den Legenden von der Christgeburt im Stall und dem Stern der Weisen dem Christenvolk beizubringen versucht, was die christliche Grundbehauptung denn bedeute: Gott und Menschheit haben wirklich einander gefunden, die Transzendenz sei immanent geworden. Aus dem Satz des Augustinus "O du Kindheit, der die Sterne sind untertan, wie bist du geehrt so hoch und herrlich, dass die Engel bei deinen Windeln wachen" gewann der Herausgeber der mittelalterlichen Legenda aurea (Von der Erscheinung des Herrn) gleichsam ein Axiom-im-Bild: "Ich verwundere mich, so ich schaue die Windeln und betrachte den Himmel".
Ich meine damit, dass der alte kirchliche Gedanke, in einem Fest mit drei Wundern der Erfüllung und der Fülle die anderen Religionen und deren Sehnsüchte zu beantworten, durch die Zerteilung der drei Feste auf verschiedene Termine und Sonntage viel von der Strahlkraft verloren hat.
Epiphanie war mehr ein Fest über den erwachsenen Jesus: das Weinwunder (Hochzeitsgäste, die schon reichlich getrunken haben, erhalten nochmals 600 Liter besten (wie der Koch bestätigt) Weines. Bei der Taufe im Jordan (Jesus lernt beim Täufer) wird sichtbar, dass hier das Schüler-Meister-Verhältnis umgekehrt ist ("Wer die Braut hat, ist der Bräutigam" legt man dem Täufer in den Mund). Die Weisen aus dem Morgenland vertreten das im Alten Testament erwartete Herbeikommen von Heiden (in der Exegese etwas schräg ‚Völkerwallfahrt‘ genannt, obwohl doch nicht Völker getauft werden, sondern einzelne). Das ist der Gedanke: Weltfrieden ist möglich, wenn genügend Menschen auf das wahre Israel schauen und davon lernen. Es ist keine bloße Utopie. Die Mt-Legende von den Sterndeutern, die zu Königen wurden, hat den lustigen Schluss: Sie können vorerst nur wieder heimziehen, Jesus muss erst mal 30 Jahre alt werden. Es gibt also auch eine Erfüllung im Warten, die Freude, dass die Lösung grundsätzlich da ist, aber Zeit braucht.
Zitat von R.A. im Beitrag #5Lieber Ludwig Weimer, herzlichen Dank für diesen schönen Beitrag. Was meinten Sie eigentlich genau mit der Überschrift vom "verlorenen" Fest?
Tatsächlich ist ja in der gelebten Praxis Heiligdreikönig komplett unwichtig.
Bei mir in Bayern ist das ja ein Feiertag. Aber wenn man ehrlich ist: der unwichtigste des ganzen Jahres. Zu dem zumindest aus meinem Bekanntenkreis auch die allerwenigsten in die Kirche gehen.
Bisher war ich auch immer der Meinung, dass man daraus ruhig einen normalen Werktag machen könnte. Ludwig Weimer hat mir aber dahingehend die Augen geöffnet, dass der Tag wichtiger ist als ich bisher dachte. (Und es ist mir jetzt auch klarer geworden, warum der Tag bei den orthodoxen Christen so einen hohen Stellenwert hat).
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #6Ich meine damit, dass der alte kirchliche Gedanke, in einem Fest mit drei Wundern der Erfüllung und der Fülle die anderen Religionen und deren Sehnsüchte zu beantworten, durch die Zerteilung der drei Feste auf verschiedene Termine und Sonntage viel von der Strahlkraft verloren hat.
Vielen Dank! Ich hatte verstanden, daß Dreikönig früher auf mehrere Bedeutungen hinwies - aber übersehen, daß die anderen beiden durchaus noch im Kirchenjahr explizit vorkommen.
Da ich gerade die Predigt für Dreikönig 2018 vorüberlege, noch eine Fortsetzung zum Thema des verlorenen festlichen christlichen Lebens und des Festefeiernkönnens: Ist das Eu-angelion, die frohe Botschaft heute nicht zu einer etwas sauren Moral verkommen? Das „Freuet euch!“ zu einem bloßen sozial-karitativem Gewissen? Ist das Feiern auf das Oktoberfest und die Silvesternacht beschränkt?
Nietzsche suchte das Ja im Gegensatz zu einem moralischen Nein. Er schrieb an gegen ein christliches verarmtes Mucker-Heil, gegen die müden Seelen. Er erlebte in seiner Umgebung nur ein weltverachtendes, lebensfeindliches Jenseits- Christentum. Er nannte es „Sterbebett“ und „Euthanasie des Christentums“ (Morgenröte I,92). „Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten seine Jünger aussehen!" (Also sprach Zarathustra II, Von den Priestern). Seine Gleichnisse waren „Vogelscheuche“ und „Gräberstraße“ (Zarathustra III, 2). Und den damals gelebten Gottesbegriff kritisierte er als „Gegensatz-Begriff zum Leben“ (Ecce homo, Warum ich ein Schicksal bin, 8). Nietzsche bezeichnete sein Ideal des starken Menschen als das Dionysische, Schöne und Festliche. Wonach er suchte war: „Irgendwann (…) muss er uns doch kommen, der erlösende Mensch der großen Liebe“, der Vertiefung in die Wirklichkeit, „damit er die Erlösung dieser Wirklichkeit heimbringe“ (Zur Genealogie der Moral, 24).
Eine humane Moral können auch Atheisten und Agnostiker leben. Kants Kategorischer Imperativ ist einleuchtend, aber auch quälend und reißt nicht mit, selbst nicht eine SPD. Die Christen müssen mehr bringen und zeigen. Etwas Freies, das über das Gebotene geht. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach dem Festlichen. Das Göttliche muss auch etwas Überflüssiges, Luxuriöses zu geben imstande sein; im Alltag wäre es der Luxus der christlichen Nächstenliebe, die im Neuen Testament eine eigene Bezeichnung erforderte: agape.
Warum hängt sich der kleine Angestellte einen Lüster in das beste Zimmer? Er will auch in einem Schloss wohnen. Es ist unidentisch, aber es ist nicht lächerlich. Schiller schrieb in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“: „Das Zeitalter ist aufgeklärt (…). Die Vernunft hat sich von den Täuschungen der Sinne und von einer betrügerischen Sophistik gereinigt.“ Aber: „Woran liegt es, dass wir noch immer Barbaren sind?“ Handke hat in seinem so schönen Büchlein zum Selbstmord seiner Mutter dargestellt, was diese an der Hitler-Zeit gut fand: Dass es zum ersten Mal hoch herging, selbst in einem verschlafenen Dorf. Und in seinem Schauspiel „Über die Dörfer“ sagen lassen, der Ort ‚Heimat‘ wolle gepriesen werden.
In der Bibel heißt es, wir sollen unter Gott nicht Knechte sein, sondern freie Söhne (und Töchter). Im Evangelium des Johannes, dem spätesten, heißen Jesu Wunder „Zeichen“, und als erstes Zeichen erzählt er das überflüssige Weinwunder. Als zweites übrigens gleich anschließend ein Reform-Zeichen: die Reinigung des zur Markthalle verkommenen Tempels mit Gebrauch einer Geißel. Von Muckerheil (Nietzsche) ist da keine Spur. Ludwig Weimer
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #9Ist das Eu-angelion, die frohe Botschaft heute nicht zu einer etwas sauren Moral verkommen? Das „Freuet euch!“ zu einem bloßen sozial-karitativem Gewissen?
Die Frage ist nicht zu beantworten.
Es hängt doch sehr davon ab. Jenseits der große Kirchen gibt es noch kleine Gemeinden... Ich kann nicht beurteilen, wie das Evangelium dort gelebt und gefeiert wird. Ich weiß auch nicht, wie es landesweit in den Amtskirchen aussieht.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #9Nietzsche bezeichnete sein Ideal des starken Menschen als das Dionysische, Schöne und Festliche. Wonach er suchte war: „Irgendwann (…) muss er uns doch kommen, der erlösende Mensch der großen Liebe“, der Vertiefung in die Wirklichkeit, „damit er die Erlösung dieser Wirklichkeit heimbringe“ (Zur Genealogie der Moral, 24).
Jetzt haben Sie in mir eine Erinnerung wachgerufen. Soweit ich weiß wies Nietzsche darauf hin, dass es auch zu den Mysterien des Dionysos gehört hat, dass Dionysos starb und wiederauferstand. So wie die Natur im Winter quasi stibt und im Frühjahr wiederaufersteht.
Vielleicht bringt mein Gedächtnis hier auch einige Dinge durcheinander.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #9Eine humane Moral können auch Atheisten und Agnostiker leben. Kants Kategorischer Imperativ ist einleuchtend, aber auch quälend und reißt nicht mit, selbst nicht eine SPD.
Ich sehe eigentlich den größten Unterschied zwischen christlich-theologischer und säkularer, philosophischer Moral vor allen Dingen in einem Punkt: Das Christentum kennt die Instanz der Vergebung. In einer säkularen Ethik ist das nicht selbstverständlich. Natürlich kann man von der Verfolgung eines Verbrechens absehen, weil man sonst unverhältnismäßige Schritten einleiten müsste. Man kann auch etwas moralisch verurteilenswertes für lässlich halten oder Gründe definieren, in denen eine Übertretung möglich ist. Nur eine Sünde vergeben, das ist nicht möglich.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #9Die Christen müssen mehr bringen und zeigen. Etwas Freies, das über das Gebotene geht. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach dem Festlichen. Das Göttliche muss auch etwas Überflüssiges, Luxuriöses zu geben imstande sein; im Alltag wäre es der Luxus der christlichen Nächstenliebe, die im Neuen Testament eine eigene Bezeichnung erforderte: agape.
Was könnte es feierlicheres geben als die Wiederauferstehung zu Ostern?
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