Lektüre über die Feiertage, persönliche Erfahrungen und Beobachtungen führten zu ein paar unausgegorenen Gedanken zur Moral unserer Zeit, die ich hier zur Diskussion stellen möchte.
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Von wegen "unausgegoren ". Das Beste, was ich seit langem gelesen habe.
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Wer Sorge hat wegen des CO2-Beitrags der menschlichen Atmung hat ist frei, den 'Fehler' der eigenen Eltern zu korrigieren. Vielleicht gibt es dann wieder vernünftige Politik . Auch sind dann plötzlich Feinstaub und Stickoxide ein Segen, sollen sie doch den anthropogenen CO2-Ausstoß verringern.
Zitat von Martin im Beitrag #3Wer Sorge hat wegen des CO2-Beitrags der menschlichen Atmung hat ist frei, den 'Fehler' der eigenen Eltern zu korrigieren.
Ihre (mancher würde sagen bitterböse) Zuspitzung macht zwei Dinge deutlich:
1) Auch diese Ethik, ein Verzicht auf Kinder zu fordern und das eigene Leben zu schonen, könnte man (etwas weiter interpretiert) als eine Invertierung des kategorischen Imperativs deuten. Man verlangt von anderen, was man selbst nicht erbringen mag. Das Ergebnis ist in diesem Beispiel besonders deutlich (weshalb ich es wählte) und hat in meinen Augen im Ansatz eine durchaus totalitäre Komponente, die vielleicht noch deutlicher wird, bei den Vorschlägen die Demokratie auszusetzen (die es auch zur Klimarettung gibt).
2) Individuelle Verantwortung spielt keine Rolle, daher werden auch keine individuellen Konsequenzen gezogen. Stattdessen wird die Verantwortung einem Abstraktum, hier der Rettung der Welt, zugeschoben, die durch ein anderes Abstraktum, die Allgemeinheit der Menschen bedingt wird und daher von ihr zu übernehmen ist.
Ich persönlich glaube beides hängt ursächlich miteinander zusammen: Wenn man die Verantwortung des Handelns von sich selbst auf einen / etwas anderes überträgt, fällt es sehr viel leichter ein Handeln zu dulden, welches man für seinen persönlichen, zwischenmenschlichen Bereich als nicht zulässig erachten würde. Die Abstrahierung von Verantwortung, sowohl ihres Objekts als auch ihres Subjekts, führt dazu das, was wir als christliche Nächstenliebe im „Kleinen“ durchaus leben, im Großen außer Kraft zu setzen. In diesem Sinne glaube ich, dass das Aussetzen individueller Verantwortung in letzter Konsequenz den Weg ins Totalitäre ebnet. Der Hang hinab dahin, wird steil und glitschig. Das meinte ich, als ich im meinem Beitrag von einer antizivilisatorischen Wirkung schrieb.
Eine weitere Anmerkung noch zu dem von Ihnen aufgegriffenen und von mir angeführtem Beispiel:
Ich habe es gewählt, weil es in meinen Augen das Ergebnis des Aussetzens individueller Verantwortung sehr deutlich macht. Ich habe es nicht gewählt, weil das inhaltlich Thema, welches zugrunde liegt, mich besonders umtreibt (was es tut) oder um es zu diskutieren (wessen ich mittlerweile langsam müde werde. - Alles was ich dazu sagen habe, habe ich in diesem Blog schon gesagt, z.B. hier, hier oder hier.)
Meine Gedanken treffen auf viele andere Bereiche auch zu, nur wird dort der "totalitäre Schluß" nicht so deutlich. Nehmen Sie zum Beispiel unseren Sozialstaat. Er wird einzig und allein gemessen daran, was er an Hilfe leistet und nicht daran, was mit denen geschieht, denen er die Hilfe abfordert. Das hat ebenfalls damit zu tun, dass sowohl Subjekt als auch Objekt der Verantwortung in den Diskussionen um den Sozialstaat Abstrakta sind. Das bedingt in der Folge die Verantwortung des Handelns zu Verwässern und das Gebot christlicher Nächstenliebe zu umgehen. Irgendwann sieht man dann an Wahlkampfständen zum Beispiel eine Guillotine, welche Banker köpft. Es ist dasselbe Schema wie im anderen Beispiel: Das Fehlen individueller Verantwortung macht Handelungen möglich, die man für den eigenen, persönlichen Bereich ablehnt.
Das ist jetzt, damit dies nicht mißverstanden wird, kein Plädoyer gegen des Sozialstaat. Es ist ein Hinweis auf die falsche Ethik innerhalb derer er diskutiert wird.
In dieser falschen Ethik laufen meines Ermessens viele, wenn nicht alle öffentlichen Debatten hauptsächlich ab. Ob das ein Bug oder ein Feature ist, will ich nicht beurteilen. Ich befürchte ein Feature, das man sich bewußt machen muß, um es nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Aber das geschieht in unserer Gesellschaft leider immer weniger. Bei allen politischen Beteiligten, nicht nur im linken Spektrum. Die Linken (zumindest begreift sie sich selbst links; ich tendiere zur Bezeichnung der Öko- Bourgeoise) haben diese Form der Ethik allerdings kultiviert und damit in die Blüte geführt. Diesen Vorwurf müssen sie sich, wie ich finde, gefallen lassen.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #4Das Fehlen individueller Verantwortung macht Handelungen möglich, die man für den eigenen, persönlichen Bereich ablehnt.
Das offenbart eine interessante Parallele zu Bryan Caplan's "The Myth of the Rational Voter". Er stellt darin die These auf, die Tatsache, dass die eigene Stimme (da sie in der Masse komplett untergeht) keine unmittelbare Auswirkungen auf einen selbst hat, führe dazu, sie Kandidaten und Parteien zu geben, die das versprechen, was im eigenen Umfeld als edel und hehr gilt, auch wenn man selbst mit den Folgen einer solchen Politik nicht unbedingt einverstanden ist. Aber da die Stimme ja "nichts kostet", leistet man sich mit ihr einen Augenblick Gutmenschendasein.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #6Irgendwie stehe ich auf dem Schlauch. Was ist die lästige Komponente deines Hinweises?
Ich habe das Gefühl, in jeder dritten Diskussion auf Caplans Buch hinzuweisen
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Werwohlf im Beitrag #5Auch auf die Gefahr, damit lästig zu werden:
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #4Das Fehlen individueller Verantwortung macht Handelungen möglich, die man für den eigenen, persönlichen Bereich ablehnt.
Das offenbart eine interessante Parallele zu Bryan Caplan's "The Myth of the Rational Voter". Er stellt darin die These auf, die Tatsache, dass die eigene Stimme (da sie in der Masse komplett untergeht) keine unmittelbare Auswirkungen auf einen selbst hat, führe dazu, sie Kandidaten und Parteien zu geben, die das versprechen, was im eigenen Umfeld als edel und hehr gilt, auch wenn man selbst mit den Folgen einer solchen Politik nicht unbedingt einverstanden ist. Aber da die Stimme ja "nichts kostet", leistet man sich mit ihr einen Augenblick Gutmenschendasein.
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