Die Sarrazin-Debatte hat gezeigt, dass sich Themen und Standpunkte, die in der Bevölkerung auf Interesse stoßen, durch Ächtung in den großen Medien nicht eliminieren lassen. Bei der ZEIT wollte man es nunmehr besser machen, bekam nach dem rituellen Shitstorm dann aber doch noch Angst vor der eigenen Courage.
Ich hatte bei dieser Debatte, sprich Artikel + Reaktionen, ein paar mal an deinen "schwindenden Mehltau Beitrag" gedacht und überlegt wie sie dahingehend einzordnen ist.
Ein Giovanni di Lorenzo, der noch feststellte, dass man 2015ff zu einseitig berichtete und beseelt vom "guten Auftrag" war, verteidigte das Erscheinen des Beitrags von Lau meines Wissens nicht und sagte auch nichts zum Zurückrudern und Distanzieren der Zeit Redaktion.
Während ich nun die heftigen, ausfallenden Attacken (also Hatespeech derer, die das nie machen) gegen Lau betrachte, so erscheinen sie mir eher als ein besonders heftiges Rückzugsgefecht derer, die sich ihrer schwindenden Stärke immer mehr bewußt werden. Schaut man allerdings darauf, dass die Zeit -ein sicherlich bedeutendes Qualitätsmedium- nicht vorbehaltlos hinter sachlichem Journalismus zu stehen vermag (die Redaktion laviert herum), spricht mir das eher für Beharrungskräfte des Mehltaus.
In deinem anderen kürzlich erschienen Beitrag siehst du Deutschland auf dem Weg in die Normalität. Die Argumentation hat etwas für sich. Die Besonderheit der Deutschen Debatte, der Absolutheitsanspruch (aller Seiten), bleibt aber leider erhalten, ist anders als angelsächsischer Pragmatismus und in meinen Augen die Wurzel allen Übels.
Zitat scheint dem Urheber dieser Zeilen eine Einschätzung der Debatte um Thilo Sarrazins Werk "Deutschland schafft sich ab" als Kulminations- und Wendepunkt bestimmter Entwicklungen in der Kulturgeschichte der Bundesrepublik gleichwohl gerechtfertigt zu sein. [...] dass es zu einer Mobilisierung von Menschen führte, die den betreffenden Tendenzen zuvor keine nähere Beachtung geschenkt hatten:
Ich vertrete diese These ebenfalls aus einem einfachen Grund: Ich selbst wurde durch diese Debatte politisiert. Dinge die mir bis dahin schlicht gleichgültig waren, erhitzten plötzlich mein Gemüt. Ich nahm Dinge wahr, für die ich vorher kein Bewußtsein und keine Sensoren hatte. Grund war eine ungeheuer starke Erschütterung meines Gerechtigkeitsempfindens. Fukushima dann, mit all seinen Irrsinn in der politischen Debatte, machte das Geschehene für mich endgültig irreversibel.
Ich denke in der Tat, dass die Sarrazin Debatte eine Linie zog, hinter die es kein Zurück mehr gab und gibt und deren größte, schleichende Folge, mit allen auftauchenden Multiplikatoren die Abschaffung des "erweiterten Bonner Parteiensystems" ist.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Norbert Bolz zog deinen Schluß, dass Sarrazins Buch ein "Geschichtszeichen" war, schon 8 Jahre vor dir.
Seine Analyse damals über Meinungsfreiheit muß man nicht teilen, seine Einschätzung zur Bedeutung des Buches und der Debatte (ab etwa 1:50) ist allerdings sehr ähnlich deiner.
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #2Während ich nun die heftigen, ausfallenden Attacken (also Hatespeech derer, die das nie machen) gegen Lau betrachte, so erscheinen sie mir eher als ein besonders heftiges Rückzugsgefecht derer, die sich ihrer schwindenden Stärke immer mehr bewußt werden. Schaut man allerdings darauf, dass die Zeit -ein sicherlich bedeutendes Qualitätsmedium- nicht vorbehaltlos hinter sachlichem Journalismus zu stehen vermag (die Redaktion laviert herum), spricht mir das eher für Beharrungskräfte des Mehltaus.
Ich sehe es nach wie vor so, dass der Mehltau am Schwinden ist (und habe mir oft genug die Finger wundgeschrieben, wenn ich auf den Unterschied zwischen schwinden und verschwinden hingewiesen habe). Ein linearer Prozess ist das gerade nicht. Wenn wir von der ZEIT reden: Dass der jüngst auf ZON erschienene Beitrag über das System Merkel, worin dieser relativ unverhüllt Rechtsbruch und ein unilateraler Führungsstil vorgeworfen werden und dessen Schluss von "Merkel muss weg" nicht sehr weit entfernt ist, bisher nicht zu einem Disclaimer der Redaktion geführt hat, empfinde ich doch als ein sehr starkes Zeichen dafür, wie offen die Diskussion inzwischen geworden ist. Und zur Causa Lau wurden immerhin in der WELT und der NZZ Artikel veröffentlicht, die sich gegen den Twitter-Ostrazismus stellten.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #2In deinem anderen kürzlich erschienen Beitrag siehst du Deutschland auf dem Weg in die Normalität. Die Argumentation hat etwas für sich. Die Besonderheit der Deutschen Debatte, der Absolutheitsanspruch (aller Seiten), bleibt aber leider erhalten, ist anders als angelsächsischer Pragmatismus und in meinen Augen die Wurzel allen Übels.
Aber dieser Absolutheitsanspruch wird von der Wirklichkeit auf eine harte Probe gestellt. Der Widerwille, seine Illusionen der Realität anzupassen, weil dies natürlich auch ein Absitzen vom hohen Ross bedeuten würde, von dem aus man auf andere herabschaut, ist der nicht explizit formulierte Clou des Beitrags.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #3Norbert Bolz zog deinen Schluß, dass Sarrazins Buch ein "Geschichtszeichen" war, schon 8 Jahre vor dir.
Danke, dieser Auftritt bei Anne Will war mir nicht bekannt. Ich habe ja aber auch keinen Exklusivitätsanspruch für meine Beobachtung erhoben. Der Vergleich zu den Jakobinern gefällt mir übrigens. Ich hatte jüngst Gedanken, die damit konform gehen und die vielleicht zu einem weiteren Blogeintrag führen.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #2Während ich nun die heftigen, ausfallenden Attacken (also Hatespeech derer, die das nie machen) gegen Lau betrachte, so erscheinen sie mir eher als ein besonders heftiges Rückzugsgefecht derer, die sich ihrer schwindenden Stärke immer mehr bewußt werden.
Exakt so sehe ich das auch. Die Gutmenschen merken, daß ihnen die Felle davonschwimmen. Die öffentliche Diskussion hat sich verändert, alte Tabus werden gebrochen. Und dann fällt ihnen noch ihr Zentralorgan in den Rücken und publiziert häretische Positionen - den Kommentaren merkt man die schiere Panik an.
Zitat Schaut man allerdings darauf, dass die Zeit -ein sicherlich bedeutendes Qualitätsmedium- nicht vorbehaltlos hinter sachlichem Journalismus zu stehen vermag (die Redaktion laviert herum), spricht mir das eher für Beharrungskräfte des Mehltaus.
Jein. Das spricht m. E. eher dafür, daß der verbliebene Mehltau immer noch über eine ordentliche Kaufkraft verfügt und ohne die entsprechenden Abonennten die ZEIT nicht überleben könnte. Die Redaktion laviert, weil sie inhaltlich sehr wohl weiß, daß die Leserproteste unsinnig sind. Aber sie will ihre Kernkunden nicht zu sehr provozieren.
Zitat von R.A. Aber sie will ihre Kernkunden nicht zu sehr provozieren.
Das ist aber nun das Verharren in einer selbstgestellten Falle - auch die Zeit ist peu à peu von einem Informations- und Nachdenk-Medium zu einem Erziehungsmedium geworden. Wenn sie mal wieder vorurteilsfrei und der Objektivität verpflichtet berichten wollte, verlöre sie vermutlich eine größere Zahl aktueller, linksgrün-angehauchter Leser, gewänne aber wahrscheinlich noch mehr Leser aus dem konservativen Spektrum zurück, weil diese nicht gerade kleine Ecke in Deutschland gar nicht mehr bedient wird, sicherlich auch nicht von der FAZ. Da gibt es mit der NZZ nur noch was in der Schweiz.
Ich habe jahrelang die Zeit abonniert und war ganz begeistert, als sie als so ziemlich einzige große Zeitung in Deutschland nicht in Hurra-Patriotismus verfiel, als das frisch gewählte Rot-Grün in den Jugoslawien-Krieg zog. Heute meide ich die Zeit wie auch andere ehemalige "Flagschiffe" und informiere mich lieber bei achgut, Tichy u.ä., würde aber wieder zurückkehren zur Zeit, wenn sie die Erziehungsattitüde ändern würde.
Wird leider nicht funktionieren, da man zunächst mal wohl den schreibenden Kader austauschen müßte.
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